»Liebe deutsche Mütter«, BILD, 26. 04. 2006
Lieber Franz Josef Wagner,
was werde ich in den Abgründen Ihres Archivs noch alles finden, so lange Ihre Kolumne pausiert? Soeben habe ich wieder solch ein Goldnugget ausgegraben, bei dessen reiner Lektüre es mich in den Fingern kribbelt. Deutsche Mütter, so Ihre durch eine dümmliche Studie untermauerte Behauptung, seien heutzutage faul, im Gegensatz zu den Trümmerfrauen, wie Ihre Mutter eine war. Und glücklich sind Sie, dass Ihre Mutter keinen Sex gehabt habe.
O Sie Frucht der jungfräulichen Empfängnis, wandelnd auf den Spuren des Erlösers: War es der Heilige Geist, der über Ihre Mutter gekommen ist? Oder hat Sie vielleicht der Storch im Flug verloren, bei einem allzu kühnen Wendemanöver, als er den Versuch unternahm, einem herumschwirrenden Geschoss zu entkommen? - Wir wissen es nicht. Auch ist nicht bekannt, mit wieviel Verständnis Ihre Mutter das Leben betrachten würde, welches ihr kleiner Franz Josef heute führt: Als alltäglicher Gast der angesagtesten Berliner Nobellokale, dem Rausch nicht abgeneigt, als einsamer Wolf durch die Gassen treibend, nicht wissend, wie man eine Suppe ohne Dosenöffner zubereitet. So gesehen lebt er das Leben einer in dieser Studie beschriebenen durchschnittlichen deutschen Mutter von heute, ob mit oder ohne rotlackierte Fingernägel, das entzieht sich meiner Kenntnis. Ob Mutter Wagner seine offenkundig zur Schau getragene Liebe zum Rausch, welche dabei hilft, steigenden Alkoholkonsum salonfähig zu halten, wohl als Erfüllung ihres Erziehungszieles ansehen würde?
Ja, von einem guten Tisch im Borchardt's aus lässt sich prima über Trümmerfrauen philosophieren. Würde die Pasta dort besser schmecken, wenn statt der vorbeiflanierenden Kundschaft aus den Galeries Lafayette Trümmerfrauen die Straßen bevölkern würden? Mit weinenden Kindern im Schlepptau? Wünschen Sie sich den damaligen Albtraum zurück, damit Frauen wieder Frauen sein können?
Fragen über Fragen, über deren Antworten Sie nachdenken sollten. Eines jedoch ist klar: Diese Frauen wird es nicht mehr geben ohne die Männer von damals. Hätte es Ihnen in Stalingrad besser gefallen als im Borchardt's?
Herzlichst,
Ursula Prem
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
+++ Aus aktuellem Anlass +++
Schon von zwei Seiten kam nun der Hinweis, dass es beim Absenden von Kommentaren aus dem Browser Firefox zu Problemen kommen kann: Der Kommentar wird dem Nutzer dann zwar als versandt gemeldet, landet aber im Nirgendwo. Wir empfehlen Ihnen deshalb nach Möglichkeit die Nutzung von Google Chrome oder des Microsoft Internet Explorers. Bei diesen Browsern sind solche Schwierigkeiten unserem Kenntnisstand nach bisher nicht aufgetreten.
Zur Formatierung Ihrer Kommentare stehen Ihnen einige HTML-Befehle zur Verfügung. Eine Vorlage zum Abkopieren >>gibt es hier.