Freitag, 10. September 2010

Freitagskolumne - »Post an Wagner«: Stephen Hawking

Eine Antwort auf Franz Josef Wagners Kolumne
»Lieber Stephen Hawking«, BILD, 03.09.2010

Lieber Franz Josef Wagner,

es ist eine Tragik, dass die Kraft, die unsere Kultur geprägt hat: das Christentum, eine eher armselige Form der Spiritualität darstellt. Dies erweist sich umso mehr, als seine Irrtümer im Lichte zunehmender Erkenntnis offen zutage treten. Vor einiger Zeit habe ich in irgendeinem amerikanischen Forum den Kommentar eines Kreationisten gelesen. Auf die Frage, wie er die biblische Schöpfungsgeschichte (Erschaffung der Welt in sieben Tagen) mit den Funden Jahrhundermillionen alter Saurierknochen in Übereinstimmung bringen könne, gab er die (sinngemäß von mir wiedergegebene) Antwort: Die Knochen wurden gefunden, weil Gott uns ständig prüft. Er legt falsche Spuren, um unser Vertrauen in sein Wort zu testen. Für Gott ist es ein Leichtes, Knochen angeblicher Saurier nachzubilden und so zu verstecken, dass menschliche Wissenschaftler sie finden müssen.

Ein Mensch wie Stephen Hawking setzt gegen solche Aussagen, die sich mit aller Gewalt an längst widerlegte Glaubensinhalte klammern, ein anderes Weltbild. Auch er betrachtet die Dinge so, wie sie sich ihm darstellen. Ob seine Interpretation des Großen Kunstwerks schon der Weisheit letzter Schluss ist, wissen wir nicht. Eines jedoch ist sie mit Sicherheit: Eine erfrischende Abwechslung zu unserem gängigen, aus Angst und Unwissenheit geboren Weltbild vom rächenden Gottvater, der vom Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen wurde.

Warum Stephen Hawking einfach irren MUSS, das haben Sie, Herr Wagner, eindrucksvoll beschrieben: »Das Nichts interessiert nichts. Was für ein fürchterliches Universum beschreiben Sie. Ein Universum ohne Liebe, Humanismus, Mitgefühl« schreiben Sie. Und genau deshalb DARF es nicht so sein, wie Hawking es sieht. Franz Josef Wagner würde sich nicht geborgen und gekuschelt fühlen in einem solchen Universum. Ein starker Grund dafür, Gott zu erschaffen und IHM ein menschliches Maß zuzuweisen oder? Es rührt mich richtig, wenn Sie vom Universum ohne Humanismus schreiben. Damit beklagen Sie letztlich, dass der Mensch nie in der Lage sein wird, dem Universum seinen Willen und Maßstab aufzuzwingen. Sowas DARF Gott einfach nicht zulassen. Deshalb haben wir Menschen auch einen Deal mit ihm: Wir bekämpfen uns gegenseitig in SEINEM Namen, so, als könnten wir SEINE Existenz durch unsere Blutopfer herbeizwingen. Dann MUSS es IHN einfach geben, oder? Jemand, für den wir Menschen millionenfach gemordet haben, KANN doch kein Phantom sein? Sicher müssen wir nur weitermorden, dann ist alles geribbelt.

Meiner Meinung nach werden wir Menschen zu Lebzeiten nie verstehen, wo die Wahrheit liegt. Unserem Geist fehlt das auch nur annähernde Fassungsvermögen dafür. Möglicherweise ist das uns bekannte, von Hawking beschriebene Universum nichts anderes als ein Haar am Arsch von etwas noch viel Größerem? Oder gar nur eine Zelle des Haars am Arsch von etwas Unvorstellbarem? Oder gar nur das Mitochondrium einer Zelle eines Haares am Arsch von etwas, das aufgrund seiner dem Menschen Angst einflößenden Größe einfach nicht existieren darf? Weil Franz Josef Wagner und all seine Mitmenschen sich dann nicht mehr geborgen fühlen? Oder vielleicht liegen auch ungeahnte lebendige Welten im Mikrokosmos jeder Körperzelle von uns? Wir werden es so schnell nicht erfahren. Vielleicht sogar nie. Weder aus der Bibel. Noch aus dem Buch von Stephen Hawking. Lesenswert, so finde ich, ist Hawkings Buch trotzdem, weil es die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit immerhin erweitert.

Herzliche Grüße,

Ursula Prem

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1 Kommentar:

  1. Ursula Prems »Post an Wagner« in Sachen Stephen Hawking ist hervorragender Journalismus! Die Serie »Post an Wagner« sollte von jedem gelesen werden, der sich für die zentralen Themen unserer Zeit interessiert! Besten Dank, liebe Kollegin!

    WJL

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