Freitag, 6. August 2010

Freitagskolumne - »Post an Wagner«: Jörg Kachelmann und die Presse

Eine Antwort auf Franz Josef Wagners Kolumnen
»Lieber Jörg Kachelmann«, BILD,
23.03.2010
24.03.2010,
20.05.2010 und
30.07.2010

Lieber Franz Josef Wagner,

vier Mal hat Jörg Kachelmann seit dem Tag seiner Verhaftung Post von Ihnen bekommen. In Ihrem ersten Brief an ihn, am 23.03., gaben Sie Ihrer ungläubig-bedrückten Stimmung Ausdruck, fragten sich und uns, ob man sich nun auch auf das Wetter nicht mehr verlassen könne. Schon tags darauf folgte das nächste Schreiben, das mit dem Fazit endete, dass Kachelmann nun die Hölle erlebe, wenn er denn unschuldig wäre, es ihm aber recht geschehe, wenn er es doch getan haben sollte. Der dritte Brief, vom 20.5., öffnete mit Ihrem Erstaunen darüber, dass ausgerechnet viele Frauen an Kachelmanns Unschuld glauben würden. Außerdem klärten Sie die Nation darüber auf, dass ein Messer im Bett nichts verloren habe. Mit Sicherheit waren die meisten Menschen, die das lasen, darüber höchst erstaunt und sofort bereit, dahingehende Gewohnheiten einer Überprüfung zu unterziehen. Im vierten Brief, nach Kachelmanns Entlassung, empörten Sie sich am 30.7. darüber, dass die Justiz eine Schnecke sei, die mit vier Monaten U-Haft Kachelmanns Leben zerstört habe.

Ich will nun auf den Fall Kachelmann selbst überhaupt nicht eingehen. Denn vor dem noch ausstehenden Gerichtsurteil gibt es darüber nichts zu sagen und nichts zu schreiben. Das haben Sie selbst scheinbar auch sehr schnell gemerkt, Zitat aus Ihrem letzten Brief: »Die Frau und der Mann. Aussage gegen Aussage. Das wusste man von Anfang an.«

Ja. Das wusste man von Anfang an. Aber es hat Sie nicht daran gehindert, vier Briefe an Kachelmann selbst, sowie einen weiteren an das mutmaßliche Opfer zu richten. Vor den Augen einer voyeuristischen Nation, die stets begierig darauf ist, einen Blick unter die Bettdecke eines Promis zu werfen.

Sie meinen, die vier Monate Untersuchungshaft hätten Kachelmanns Leben zerstört? Ich sag Ihnen, was Kachelmanns Leben zerstört hat, sollte er unschuldig sein: Die Presse. Briefe wie Ihre, die mit den Wahrscheinlichkeiten spielen, »so ein Mann gehört in die Psychiatrie, er ist krank«, wenn er es denn getan hat, vielleicht ja, vielleicht nein, wer weiß das schon und überhaupt ...

Diese Art der Berichterstattung, die mit Stimmungen spielt wie auf einem Klavier, mal in Dur und mal in Moll, dabei jedoch so gut wie keine klaren Fakten zur Grundlage nimmt, ist tödlicher Propagandismus. Ein Mensch, der durch diese Mühle gedreht wurde, kommt nur schwer wieder auf die Beine, wenn überhaupt. Selbst dann, wenn er freigesprochen werden sollte. Dagegen sind vier Monate Untersuchungshaft ein Spaziergang.

Die Pressefreiheit, Herr Wagner, ist ein hohes Gut. Sie jedoch auf diese Weise zu nutzen, das hat in etwa so viel Charme wie auf den Strich zu gehen. Besonders abgeschmackt ist es, die Kommentare zwischendurch mit einer Prise Mitleid zu würzen (»Kachelmann ist ein freier Mann. Er wird nie wieder frei sein.«)

Dass es aus Auflagegründen gewisse Zwänge zum Anfüttern der niederen Instinkte des Lesers gibt, das ist bekannt und unbenommen. Doch es sollte nicht so weit kommen, dass eine Einschränkung der Pressefreiheit notwendig wird, weil ihre Nutzer keine Grenzen kennen. Das hieße, Kräften in die Hände zu spielen, denen es mit Sicherheit nicht um die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen geht, die diese aber nur zu gerne ins Feld führen würden, um der Presse insgesamt Fesseln anzulegen.

Vier Wagner-Briefe ohne nennenswerten Inhalt an Jörg Kachelmann. Herr Wagner, ich hab mal nachgemessen: Ihre Kolumne füllt in der Print-Ausgabe vom letzten Dienstag 123,75 qcm (7,5cm x 16,5 cm). Nehmen wir diesen Wert der Einfachheit halber mal 4 (denn vier Kachelmann-Briefe waren es), erhalten wir 495 qcm. Multiplizieren wir dies mit der Tagesauflage von BILD (Wikipedia nennt hier eine Zahl von 3.115.077 Exemplaren), dann kommen wir, umgerechnet auf Quadratmeter, auf 154.196. Ja, 154.196 qm Zeitungsdruckpapier waren für Ihre Briefe an Jörg Kachelmann notwendig. Gut, gerechterweise geteilt durch zwei, denn die Rückseite (bzw. S. 1 der BILD) ist ja auch bedruckt. Ebenfalls mit Kachelmann-Schlagzeilen, aber naja. Also: derart bereinigt, verbrauchten Ihre Kachelmann-Einlassungen immer noch 77.098 qm Papier. Das ist die Fläche von knapp elf FIFA-genormten Fußballfeldern. Was hätte man mit diesem ganzen Papier alles anfangen können!

Herzlichst,

Ursula Prem

3 Kommentare:

  1. hab auch schon einen brief an diesen wagner geschrieben..
    so einen schwachsinniges schreiben hätte man sich echt sparen können...
    der mann hat irgendwie kein gespür dafür, wie man mit einem solch sensiblen thema umgeht..

    AntwortenLöschen

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