Dies ist der virtuelle Schreibtisch von Walter-Jörg Langbein, Sylvia B., g.c.roth und verschiedenen Gastautoren.
Mittwoch, 30. Dezember 2009
Sylvia B. »Jahreswechsel«
einer nicht besonderen frau
und jemand sagte ihr
so wie sie diesen tag verbringt
wird das ganze jahr für sie werden
darüber habe ich
lange nachgedacht
mein besonderer tag
als nicht besondere frau
ist der tag
die nacht
in der das alte geht
und das neue kommt
diesmal
wird alles anders
diesmal
mache ich alles anders
diesmal
tanze ich
in das neue jahr
und begrüße es
mit lachen und freude
und
durch das jahr
tanze ich und lache ich
und lebe ich
ganz intensiv
©Sylvia B.
Hier gibt es die Bücher von Sylvia B.
Das gefühlte Buch
Ein Buch liegt in der Buchhandlung. Vielleicht ist es schlicht das Cover, das uns sofort anspricht und dazu veranlasst das Buch in die Hand zu nehmen und den Klappentext durchzulesen. Mit etwas Glück erscheint die kurze Inhaltsangabe interessant und wir kaufen das Buch.
Da ruht es dann in unserem Bücherregal und wartet darauf von uns herausgenommen zu werden. Es möchte beachtet werden, will uns seine Geschichte erzählen. Und irgendwann tun wir ihm diesen Gefallen. Wir suchen uns einen gemütlichen, ruhigen Platz, lassen uns dort nieder und schlagen die erste Seite auf.
Was nun folgt, unterscheidet das gute Buch von einem Schlechten. Es zieht uns von der ersten Seite an in seinen Bann. Die Worte verwandeln sich in Bilder, die vor unserem geistigen Auge ablaufen, wie ein Film. Charaktere werden derart anschaulich beschrieben, dass wir ganz automatisch beginnen Empfindungen für die geschilderten Personen zu hegen und ihnen damit, für uns als Leser, Leben einhauchen. Örtlichkeiten wirken so real, dass wir sogar den weichen Waldboden unter unseren Füssen zu spüren glauben, obwohl wir doch eigentlich in unserem Lesesessel sitzen und nur ein Buch in Händen halten. Täuschen wir uns, oder duftet nicht sogar das beschriebene Herbstlaub?
Neues aus Merkwürdistan - Teil V
Seit ich die Blog-Reihe über Merkwürdistan gestartet habe, sind zahlreiche Anfragen bei mir eingelangt. Das freut mich natürlich sehr, denn es zeigt, dass das Interesse an dieser Serie rege ist. Ich bemühe mich übrigens, alle Zuschriften zu beantworten, bitte um Verständnis, wenn es mal etwas länger mit der Antwort dauert.
Herr Heinz Blaumann aus Berlin wies mich darauf hin, dass ich in meinen Blogs sehr oft die Zeilenschaltung verwende und bat mich ferner, das Land Merkwürdistan einmal grundsätzlich zu beschreiben. Ist es ein südliches Land? Ist es eine Demokratie oder eine Diktatur? Sind die Menschen arm oder reich in Merkwürdistan?
Nun, was die Verwendung der Zeilenschaltung betrifft, so gelobe ich Besserung und dem zweiten Wunsch von Herrn Blaumann komme ich ebenfalls gerne nach. Somit wollen wir heute den Amtsschimmel ein allerletztes Mal im Stall lassen (dort fühlt er sich ohnehin am wohlsten, denn er kann in aller Ruhe die Bürger Merkwürdistans sekkieren und abzocken) und uns damit beschäftigen, das Land Merkwürdistan etwas näher zu beschreiben.
Merkwürdistan ist ein kleines Land, voller landschaftlicher Schönheiten. Es gibt hohe Berge, tiefe Wälder, schattige Wiesen und zahlreiche Seen. Eines gibt es allerdings nicht: eine Meeresküste. Die Bewohner Merkwürdistans leiden auch ziemlich darunter, ein Binnenstaat ohne Zugang zum Meer zu sein und bei dieser Gelegenheit können wir gleich etwas Wichtiges über die merkwürdistanische Seele lernen: wenn ein Merkwürdistaner ein Problem sieht, welches er – scheinbar oder tatsächlich – nicht lösen kann, dann tut er einfach so, als wäre dieses Problem überhaupt nicht vorhanden.
Wie „camoufliert“ man nun die Tatsache, keinen Zugang zum Meer zu besitzen, vor sich und anderen am besten? Nun, man veranstaltet zum Beispiel an einem See in Merkwürdistan ein „Beachvolleyball-Turnier“ und macht kräftig Werbung dafür. Zum einen läßt dies die Kassen der Veranstalter klingeln und zum anderen erweckt es den Eindruck, dass ohnehin alles in Ordnung sei, denn wo ein „Beach“ ist, muss ja auch irgendwo ein Meer sein. Somit passt wieder alles in diesem Land und es können sich alle wieder dem ausgiebigen Besuch von Buschenschanken und Kaffeehäusern – eine Lieblingsbeschäftigung der Merkwürdistaner – widmen.
Merkwürdistan ist eine Demokratie. Offiziell zumindest.
Was das heißen soll? Nun, in Merkwürdistan existiert ein aus Sicht des Staates wahrhaft geniales System, welches, vereinfacht gesagt, wie folgt funktioniert: Geld wird von den Steuerzahlern geschröpft und nach Abzug immenser Verwaltungskosten in Form von Fördergeldern und Subventionen wieder ausbezahlt. Dadurch machen sich die Bürger vom Staat abhängig. Die Devise in Merkwürdistan lautet somit: „Nichts geht ohne den Staat.“
Aber es gibt auch Positives in Merkwürdistan: Es existiert in dem Land zum Beispiel eine Spezies, welche überall sonst auf der Welt nur äusserst selten anzutreffen ist:
Der Kavalier.
Was zeichnet einen richtigen Kavalier aus? Nun, er verfügt in der Regel über gute Manieren, welche es ihm gestatten, in nahezu jeder Lebenslage selbstsicher und weltgewandt zu agieren. Aber das wirklich Besondere an ihm: Der Kavalier verhält sich stets galant, zuvorkommend und ritterlich gegenüber Frauen und lässt ihnen jede Ehrerbietung zuteil werden. Und zwar, und das ist das Entscheidende, ohne dabei jene „Hintergedanken“ zu hegen, die man Männern ja so gerne nachsagt.
Ein echter Kavalier ist für eine Dame somit absolut nicht „gefährlich“, ganz im Gegenteil: In Gegenwart eines Kavaliers kann sich eine Dame absolut sicher und beschützt fühlen!
Sie finden das merkwürdig?
Nun, ich eigentlich nicht.
Ich finde eher jene Männer merkwürdig, die keine Kavaliere sind.
Montag, 28. Dezember 2009
Leseprobe zu "Maskerade des Todes"
1. Kapitel
Rokokoklänge schwebten durch den Saal, bis hinauf auf die Galerie, die spritzigen Klänge schienen in Form von Lichtspiralen für das menschliche Auge sichtbar zu werden. Gleich fröhlich springenden Lichtpunkten erfüllten sie die duftgeschwängerte Luft. Die in allen Regenbogenfarben schillernden Kristalle des riesigen Lüsters brachen das Licht in tausend strahlende Sterne, die funkelnd an den Wänden tanzten.
Die Stimmung des Maskenballes war bereits auf dem Höhepunkt angekommen. Mitgerissen von Musik und Alkohol taumelte die fröhliche, bunt maskierte Menge losgelöst durch die Nacht. Der Festsaal wurde erfüllt von Lachen und einem undefinierbaren Stimmengewirr. Die Szenerie war berauschend. Venezianische Kostüme, wohin das Auge blickte. Eine farbenfrohe Schar von Gauklern wogte durch die Räume des hochherrschaftlichen Hauses und erging sich in sinnloser Genusssucht.
Eine gewisse Neigung zur Dekadenz konnte man den Anwesenden nicht absprechen. Ohne Hemmungen wurde dem Alkohol zugesprochen, Kaviarhäppchen in nahezu unanständigen Mengen verdrückt und geraucht, was die Lunge aufnehmen konnte.
Die Vielfalt der aufwendigen Kostüme ließ ein Wirrwarr an Eindrücken im Auge des Beobachters entstehen. Es ergab sich manch ungewöhnliche Gruppierung, bestehend aus Personen unterschiedlichster Ausstrahlung, die begründet durch ihr jeweiliges Kostüm an diesem einen Abend einen Lebensstil ausdrücken durften, der ihnen im wahren Leben so fernlag, wie eine fremde Galaxie.
Die kantige Maske des Bauta stand neben dem Dottore mit der Schnabelnase, ebenso gesellte sich die elegante Halbmaske der Comica zum schwarz-weißen Domino. Es tanzten die federgeschmückten Damen mit den Herren, die als langnasige Zanni oder harlekinähnliche Jollone verkleidet waren.
Der Blick über die Balustrade offenbarte Caitlin eine beinahe uneingeschränkte Aussicht auf das feiernde Volk im Saal unter ihr. Ihre hinter einer rot-goldenen Halbmaske funkelnden braunen Augen verfolgten das Geschehen aufmerksam. Sie suchten das Augenscheinliche, das Auffällige, die böse Absicht hinter der Maske des Guten.
In der perfekten Verkleidung als Colombina mischte sie sich ihrem Auftrag getreu an diesem Abend unter die Gäste. Sie hätte eine dezentere Maskerade vorgezogen, doch ihr Auftraggeber ließ ihr das blutrote Kostüm mit dem weiten Rock zukommen und in Ermangelung einer venezianischen Nacht angemessenen Verkleidung ließ sie sich auf das Rokokokostüm ein.
Zu ihrem eigenen Erstaunen war sie in dieser Maskerade tatsächlich kaum noch wiederzuerkennen. Ihre braune Mähne mithilfe eines Lockenstabes zu einer Masse an Korkenzieherlocken in Form gebracht, auf dem Hinterkopf zusammengebunden, wirkte sie wie die leibhaftige Wiedergeburt einer lebensfrohen Dame, die dieser Zeit entsprungen zu sein schien. Die kunstvoll verschnörkelte Maske mit weißen und roten Rauten, umrahmt von goldenen Spitzen und liebevoll detailgetreu verziert mit gemalten Musiknoten gab ihrem Aussehen eine Spur von Verspieltheit. Wer sollte hinter diesem Bildnis reinster Weiblichkeit schon einen bewaffneten Detektiv erwarten?
Und doch befand sich unter dem knöchellangen Rock an ihrer rechten Wade eine kleine jederzeit einsatzbereite Pistole. Sie war nicht zu ihrem Vergnügen hier. Auch wenn sie sich eingestehen musste, dass sie tatsächlich so etwas wie Vergnügen bei diesem Auftrag empfand.
Ganz gegen ihre Erwartung stellte sich die Veranstaltung nicht als überkandidelte Party für reiche Emporkömmlinge dar. Hier versammelte sich der alte Adel mit Familiennamen, die älter waren als das Gebäude, in dem sie sich derzeit befanden. Und das wies immerhin einen Steinquader über dem Türstock auf, der mit der eingemeißelten Inschrift „Anno 1638“ auf sein Entstehungsjahr verwies.
Die wenigen Neureichen waren leicht aus der Menge herauszufiltern. Am besten zu erkennen an den vielen Hinweisen im Verlauf eines Gesprächs auf Besitztum in Form von nahezu unbezahlbaren Kunstgegenständen, Schmuck, Autos, Immobilien. Geradezu eine Einladung an jeden Dieb, sich demnächst einmal in deren Häusern umzusehen.
Angelegentlich ließ sich Caitlin zu Beginn des Abends durch die Menge treiben. Schnappte hier einen Gesprächsfetzen auf und erblickte dort eine lohnende Beute am Hals einer aufwendig herausgeputzten, maskierten Dame. Nach Kurzem gab sie es auf, die Werte, die hier offen zur Schau getragen wurden, hochzurechnen. Kein Wunder, dass der Gastgeber um die Reichtümer seiner Gäste und vor allem um den unbezahlbaren Diamanten seiner Frau fürchtete.
Und genau an diesem Punkt kam sie ins Spiel. Caitlin Napier, Privatdetektivin, in ihrem Berufszweig eine anerkannte Spezialistin für Diebstahls Vor- und Nachsorge sowie die damit verbundene Wiederbeschaffung von Diebesgut.
Mark MacBannister, aktueller Auftraggeber und steinreicher Finanzjongleur kam eines Tages in ihr bescheidenes Büro und verkündete, dass er einen Tipp bekommen hätte. Der Diamantanhänger seiner Frau solle das Ziel eines Raubes werden. Da sich hierfür der venezianische Abend geradezu anbot, bei all dem Trubel, der dann in seinem Haus herrschen würde, kam er zu dem Schluss, dass es das Klügste wäre, eine erfahrene Person als drittes Auge zu engagieren.
Das Erstaunen über die emanzipierte Entscheidung eine Frau für diesen Job zu wählen hielt sich nur sehr kurz. Dann folgte die Erklärung seitens MacBannisters, dass er hoffe, sie könnte sich unauffällig den ganzen Abend, als Freundin der Familie getarnt, an die Fersen seiner Frau heften und ein wachsames Auge auf den Schmuck haben. Für die echte Überwachungsarbeit habe er natürlich ein richtiges Wachunternehmen engagiert, dessen Männer sich an den Ausgängen postieren würden.
In Caitlins Augen eine falsche Entscheidung. Ein geübter Dieb kam niemals auf die Idee, das Gebäude durch eine der Türen zu verlassen. Dass der Diebstahl eines derart auffälligen Stückes nicht lange verborgen blieb, war selbstverständlich. In der allgemeinen Aufregung nach Entdeckung des Verlustes war es für den Dieb wesentlich einfacher durch ein Fenster, oder über das Dach zu entkommen.
Sie beließ den leicht blasiert daherkommenden MacBannister in dem Glauben sie würde den gesamten Abend, gleich einem treuen Schoßhund neben seiner Frau verweilen, und schmiedete währenddessen bereits an einem weitaus besseren Plan.
Und genau diesen setzte sie im Augenblick in die Tat um. Im Vorfeld besorgte sie sich eine Gästeliste und nahm die geladenen Personen genauestens unter die Lupe. Was bei einer Menge von knapp über vierhundert Leuten keine Kleinigkeit war. Aber es kam nicht auf ihren Lebenslauf oder Ähnliches an, sie benötigte einen Blick auf Alter und Gesichter, um später die Möglichkeit zu haben Vergleiche mit den Anwesenden anzustellen. Und sollte da auch nur ein Gesicht auftauchen, das dort nichts zu suchen hatte, war sie fündig geworden und konnte den Dieb festnageln, ehe auch nur Diamantstaub verschwunden war.
Natürlich verfügte sie nicht über ein derart ausgezeichnetes Gedächtnis, sich alle vierhundert Gesichter einprägen zu können. Aber die moderne Technik in Form eines Handys, ausgestattet mit Speicherkarte machte es möglich Fotos jederzeit griffbereit zu haben. Frühzeitig wurden zu alte Personen aus der Liste herausgenommen, die restlichen 280 jüngeren Kandidaten kamen in die engere Auswahl. Von diesen fanden letztendlich nur etwa 75 Personen ihren Weg auf die SD-Karte, da die anderen 205 zur Prominenz der Stadt zählten und es mehr als unwahrscheinlich anmutete, dass einer von ihnen ein professioneller Dieb sein könnte. Immer noch eine fast unkontrollierbare Menge an möglichen Dieben, aber immerhin ein Anfang.
Bereits eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung postierte sich Caitlin unauffällig im Eingangsbereich und wartete auf ihren Einsatz. Mit Eintreffen der ersten Gäste begann der Gedächtnismarathon.
Manche Gesichter erkannte sie ohne Vergleich mit den Handydaten, an anderer Stelle sah sie sich gezwungen auf ihr kleines Hilfsmittel zurückzugreifen. Letztendlich musste sie nach Eintrudeln der letzten geladenen Gäste erkennen, dass sie sich reichlich viel vorgenommen hatte. Zwar war ihr niemand direkt ins Auge gesprungen, aber sie musste nach kurzer Zeit feststellen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit darstellte, schnell genug auf jedes Foto zuzugreifen, um einen Vergleich anstellen zu können.
Besonders kompliziert gestaltete sich hierbei die Maskierung. Anhand von Augenpartien, Gesichtsstrukturen und besonderen Kennzeichen, wie Leberflecken und Ähnlichem konnten bestimmte Personen vergleichsweise problemlos herausgefiltert werden. Doch es blieb der überwiegende Rest an Menschen, die an diesem Abend kaum zu unterscheiden waren.
Ein wenig ratlos brachte Caitlin anschließend eine Weile in der unmittelbaren Nähe der Gastgeberin zu, ganz wie es sich der treu sorgende Gatte vorgestellt hatte.
Dieser Zustand war jedoch in ihren Augen untragbar und wenig konstruktiv. Daher kappte sie nach etwa eineinhalb Stunden das selbst auferlegte Schlepptau und bewegte sich unauffällig über die breite Treppe nach oben, zu der Balustrade, die den Saal fasst vollständig umlief. Sie suchte sich eine Stelle, von der aus sie einen guten Rundblick über das Geschehen hatte, und behielt die lilafarben gekleidete Gastgeberin, mit ihrer auffälligen Federmaske im Blick.
Diese schien ihren Schutzengel längst vergessen zu haben und vermisste ihn auch nach einer weiteren Stunde nicht. Wäre die fröhliche Musik im Stile von Rondo Veneziano nicht unablässig ein Begleiter Caitlins gewesen, sie hätte fast so etwas wie Langeweile empfunden. Es war eben doch ein Unterschied, ob man nur stundenlang an einer Balustrade lehnte und das tobende Leben um sich herum ausschließlich beobachtete, oder ob man am Leben aktiv teilnahm.
Das lila Zielobjekt bewegte sich unablässig zwischen Tanzfläche und Gruppen von Gästen hin und her, wogte durch den Raum gleich der Gezeiten des Meeres. Immer in ein unwirkliches Licht getaucht, das der Diamant an ihrem Hals erzeugte. Das elektrische Licht der Kandelaber brach sich in den Prismen des Edelsteines und erzeugte so einen Regenbogeneffekt auf seiner Besitzerin.
Hin und wieder leistete sich Caitlin den Luxus den Blick über die Menge schweifen zu lassen, um nach auffälligen Personen Ausschau zu halten. Dass einzig auffällige blieben jedoch die aufwendigen Kostüme der Gäste. Niemand schien sich in irgendeiner Form verdächtig zu benehmen oder allzu häufig den Kontakt zu der diamantenen Versuchung aufzunehmen.
Der Reigen aus Farben und Düften umschwebte Caitlin lullte ihren wachen Geist jedoch keinen Augenblick des Abends ein. Sie nahm in aller Deutlichkeit wahr, wenn ein Raucher an ihr vorbeiging und eine Duftnote von erkaltetem Rauch hinter sich herzog. Sie sog die verschiedenen sündhaft teuren Damendüfte in ihre empfindliche Nase ein und verdrängte so gut es ging manch ekelerregenden Schweißdunst aus ihrem Gedächtnis. Sie lauschte dem Klirren von aneinander schlagenden Kristallgläsern, vernahm das glockenhelle Lachen mancher Dame und die herben männlichen Lacher.
Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit auf eine einzelne Person gelenkt, die den Raum von ihr unbemerkt durch eine der Terrassentüren betreten haben musste. Seine Hand ruhte noch auf dem Türgriff, sein Blick glitt suchend über die Menge aus Menschenleibern.
Es war unnötig ihr Handyfotoarchiv zu aktivieren, um einen Vergleich mit dieser Person anzustellen. Dieser Mann war zweifelsohne nicht darin enthalten, sie hätte sich die auffällige Gestalt eindeutig eingeprägt.
Er maß mit Sicherheit an die 1,90 Meter, war breitschultrig und ausgesprochen gut gebaut. Die sportliche Statur fiel vor allem durch die perfekte Körperhaltung auf. Stolz und aufrecht überragte er die meisten der um ihn Herumstehenden.
Sein schwarzes schulterlanges Haar trug er in einem der Zeit seines altertümlichen Kostüms angemessenen im Nacken zusammengefassten Pferdeschwanzes. Von seinem Gesicht war so gut wie nichts zu erkennen. Die geschickt gewählte Maskerade, bestehend aus einer Vollmaske in Gestalt des Volto, in den Farben Gold-grün-schwarz verdeckte sein gesamtes Gesicht. Doch damit nicht genug, er trug einen Dreispitz, den er keck leicht nach hinten geneigt auf seinem Haupt platziert hatte.
So sehr sich Caitlin von ihrem Platz aus auch anstrengte, sie konnte unmöglich einen Eindruck seines Gesichtes gewinnen. Die Augen wurden von jeweils einer grünen und einer schwarzen Raute umspielt, ebenso wie die Kinnpartie der Maske seitenverkehrt jene Rauten aufwies und seinem optischen Versteckspiel damit weiter Vorschub leistete.
Im Gegensatz zu den meisten Kostümen erschien das seine eher unauffällig. Erst auf den zweiten, genaueren Blick hin konnte man erkennen, dass es sich bei der Farbe seiner engen Hosen, die in kniehohen Reiterstiefeln ausliefen, nicht um Schwarz handelte. Sie waren moosgrün, schillerten nur, wenn das Licht sich im richtigen Winkel brach. Die eng anliegende, ebenfalls dunkelgrüne Uniformjacke wurde von goldenen Litzen auf der Brust zusammengehalten. Ein weiter schwarzer Umhang umfloss seine beeindruckende Gestalt als er sich wie es schien nach einer kleinen Ewigkeit in Bewegung setzte und unter das Volk mischte.
Neben ihm wirkten die anderen Gäste trotz ihrer auffälligen Kostüme geradezu blass und nichtssagend. Seine eleganten Bewegungen erweckten den Eindruck, als würde er eher schweben denn gehen. Merkwürdigerweise schien seine imposante Erscheinung keinem der Umstehenden bemerkenswert genug, um auf ihn aufmerksam zu werden. Sie ignorierten seine Gegenwart vollständig.
Wie hypnotisiert verfolgte Caitlin von ihrem Aussichtsposten aus seinen Weg durch die Menge. Es wirkte, als würde er ganz unmotiviert neben dem einen oder anderen Gast stehen bleiben, um ein Weilchen dessen Gespräch zu verfolgen. Nur um sich dann wieder in Bewegung zu setzen und kurz darauf neben einem anderen falschen Venezianer zu verweilen, um das Spiel des Lauschens zu wiederholen.
Konzentriert beobachtete sie jede seiner Bewegungen. Sie erwartete jeden Augenblick einen seiner Arme unter dem Umhang auftauchen zu sehen, um geschickt unbemerkt ein kostbares Schmuckstück von Hals oder Arm seines Besitzers zu entfernen.
Doch nichts dergleichen geschah. Sein Interesse schien ganz und gar den Gesprächen zu gelten.
Wieder verharrte er im Stillstand und beugte den Kopf leicht nach vorne, als wäre diese Unterhaltung von besonderem Interesse für ihn. Dann geschah es in einem Sekundenbruchteil. Seine bisher unsichtbare, schwarz behandschuhte Hand tauchte unter dem Umhang auf.
Bis in die Zehenspitzen gespannt verfolgte Caitlin die Bewegung seiner Hand. Allerdings raubte er nicht etwa die herrlichen Ohrringe der Dame zu seiner Rechten, die wahrlich ein verlockendes Objekt gewesen wären. Nein, seine Hand verweilte für einen kurzen Augenblick in der Luft auf Höhe ihres Hinterkopfes, nur um sich dann zur Faust zu ballen und wieder unter dem Umhang zu verschwinden.
Ähnliche Szenen wiederholten sich noch mehrmals auf seinem Weg durch den Saal. Niemals berührte er eine der Personen, immer schwebte seine Hand etwa zehn Zentimeter über Punkten des Körpers des jeweiligen Gastes, nur um dann ungenutzt wieder unter dem Umhang Schutz zu suchen.
Seine Schritte führten ihn während Caitlins heimlicher Observierung nicht einmal in die Nähe ihres Schutzobjekts. Die Hausherrin hielt sich am anderen Ende des Saales auf und trug weiterhin unangetastet ihren Diamanten.
Trotzdem gab sein Verhalten Caitlin Rätsel auf. Seine fliesenden Bewegungen trugen ihn in Richtung der großen Treppe, dann änderte er unvermutet seinen Weg und verschwand aus ihrem Blickwinkel. Er musste sich nun direkt unterhalb ihres Beobachtungspostens befinden.
Hastig beugte sie sich über die Brüstung und suchte in der wogenden Menge unter sich nach seiner markanten Erscheinung. Von ihrem Platz aus konnte sie nun nur noch seinen Kopf mit dem Dreispitz von oben erkennen. Der Umhang umspielte seinen Körper derart geschickt, dass er aus Caitlins Position vollkommen schwarz geworden zu sein schien. Wenn sie sich nicht auf den Dreispitz konzentrierte verschmolzen seine Konturen unweigerlich mit dem schwarz-weißen Schachbrettmuster des Marmorbodens.
Er wurde umringt von einer Gruppe gackernder, verwöhnter Millionärstöchter, doch keine Einzige schien ihn wahrzunehmen. Sie plapperten weiter, kicherten hinter vorgehaltener Hand und stießen sich scherzhaft in die Rippen. Aber nicht er war der Grund ihrer Heiterkeit. Ein jüngerer Mann, weitaus weniger attraktiv, schien die gesammelte Aufmerksamkeit der Hühner auf sich gelenkt zu haben. Kaum dass er sich ihnen zuwandte, begannen sie ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Nicht eine der aufwendig herausgeputzten Damen nahm den Mann mit dem Dreispitz wahr. Wie war das möglich?
Caitlin beugte sich noch ein wenig weiter über die Balustrade hinaus, um besser sehen zu können.
©Sylvia Seyboth
Meine Romane auf amazon:
Vampir in Untermiete: O`Donaghue-Chroniken Teil 1
Rebellion der Vampire: O`Donaghue-Chroniken - Teil 2
Maskerade des Todes
Seele im Glashaus
Meine Internetseite:
http://www.sylviaseyboth.cms4people.de/
Sonntag, 27. Dezember 2009
Ein Interview mit Hermann Oberth – zum 20. Todestag des »Vaters der Weltraumfahrt«
Prof. Dr. Harry Ruppe, der einen Lehrstuhl für Raumfahrt in München innehatte, äußerte über Oberth: »Ich stehe voller Erstaunen vor dem Genie: Gibt es einen Raumfahrtgedanken, den er nicht gedacht hat?« Und in der Tat: Was heute noch Utopie ist, was heutige Raumfahrtingenieure für die ferne Zukunft ins Auge fassen, das hat der »Vater der Weltraumfahrt« schon vor mehr als einem halben Jahrhundert konkret vorgedacht! Fakt ist: Was auch noch kühn anmutet, Hermann Oberth hat es längst durchdacht! Künftige Astronauten werden lebensfeindliche Planeten umgestalten und für die menschliche Besiedelung erschließen... so lautet das Fernziel eines auch heute noch kühn anmutenden Projekts namens »Terraforming«.
Hermann Oberth in »Menschen im Weltraum« (S. 191): »Kann man andere Planeten bewohnbar machen? Mit dieser Frage begeben wir uns in gefährliche Nähe der utopischen Weltraumliteratur. Glücklicherweise können wir sie aber mit den Mitteln der Wissenschaft beantworten.« Heiße Planetenwelten könnten durch gigantische »Sonnenschirme« beschattet, kalte Planetenwelten könnten mit gigantischen »Weltraumspiegeln« erwärmt werden. Bei der Veränderung des Klimas auf fremden Planetenwelten sollte aber große Rücksicht auf noch so primitive Lebensformen genommen werden, forderte Prof. Oberth bereits 1954. Oberth (Menschen im Weltraum S. 194): »Da man auf dem Mars ohne Zweifel eine eigene Lebewelt antreffen wird, wäre es natürlich schade, wenn man diese durch irdische Kolonisierungsmaßnahmen vernichten würde, und ich hoffe, dass die sittlich reif gewordene Menschheit künftiger Jahrhunderte diesem Gedanken Verständnis entgegenbringen wird.«
Hermann Oberth arbeitete wie besessen an kühnen Zukunftsprojekten. Die Raumfahrt sollte den Menschen zum Mond und weit darüber hinaus bringen. Oberth hatte keinen Zweifel: Interstellare Raumfahrt würde einmal Realität werden. Das Hauptproblem sah er in der Schwerelosigkeit des Alls. Auf Dauer war, so Oberth, der menschliche Organismus für Schwerelosigkeit nicht geeignet. Also musste in den Raumschiffen der Zukunft künstliche Schwerkraft geschaffen werden.
Bereits 1954 beschrieb Hermann Oberth in seinem Werk »Menschen im Weltraum« gigantische »Wohnräder«. Seine Weltraumschiffe in Scheibenform würden Durchmesser von sechs bis acht Kilometern aufweisen. Oberth: »Das Wohnrad dreht sich in 110 bis 126 Sekunden einmal um die eigene Achse. Dadurch entsteht.. Fliehkraft, die.. unserer irdischen Schwerkraft entspricht.«
Der »Vater der Weltraumfahrt« entwickelte seine »Wohnwalze« bis ins Detail genau. So sah er eine Simulation von Tag und Nacht durch spezielle Lampen vor. Schon erste Generation der Raumfahrer sollte sich fast wie auf der Erde wähnen. Das Leben in der riesigen Raumstation sollte möglichst vertraut wie auf der Erde erscheinen. Oberth sah die Illusion eines »blauen Himmels« vor. So Oberth (»Menschen im Weltraum«, S. 198): »Sonst könnte man dort in acht Kilometer Entfernung – was als acht Kilometer Höhe empfunden würde – die gegenüberliegende Landschaft ›am Himmel hängen‹ sehen.«
Oberth weiter: »Natürlich kann man auch für ein angenehmes Klima und einen Tag- und Nachtrhythmus sorgen. Man kann in der Walze künstliche Höhenzüge mit hübschen kleinen Wäldern schaffen und anderes mehr. Man kann das so weit treiben, dass die dort lebenden Menschen praktisch kaum etwas davon merken, dass ihre Heimat nicht ein Planet, sondern ein technisches Kunstwerk ist.« Hermann Oberth war ein echter wissenschaftlicher Visionär, der kühn in die Zukunft blickte. Die gigantischen Entfernungen im All waren ihm sehr wohl bewusst. Er sah sie aber nicht als unüberbrückbar an. Hermann Oberth in seinem kühnen Werk »Menschen im Weltraum« - 1954! - (S. 201):
»Trotzdem könnte man sich vorstellen, dass Menschen ferne, unbekannte Planeten anderer Sonnen erreichen. Sie würden sich in Wohnwalzen als auf sich selbst gestellte Gemeinschaften auf den ungeheuer weiten Weg machen und nach Tausenden von Jahren ans Ziel kommen. Gewaltige, mehrschichtige Meteordämpfer an der Stirnseite der durch den Raum rasenden Wohnwalze würden für Sicherheit sorgen. Am Ziel würden die Nachfahren der einst von der Erde ausgezogenen Menschen neue Planeten erforschen und für ihre Nachkommen erschließen. Die Erinnerung an die alte Erde, die für sie in den Tiefen des Weltraumes versunken sein würde, wäre nur noch schwach und unwirklich, und die auf Mikrofilme und Tonbänder gebannte Geschichte der irdischen Menschheit klänge diesen Weltraumfahrern nicht anders als ein geheimnisvolles Märchen aus dem Reich der Toten.«
Als Schulknabe war ich von Sciencefiction und Weltraumfahrt fasziniert. Durch einen kleinen Zeitungsartikel erfuhr ich, dass der »Vater der Weltraumfahrt« unweit meines Heimatdorfes Michelau in Feucht bei Nürnberg wohnte. Also setzte ich mich in den Zug, um Hermann Oberth zu besuchen. Als ich schließlich vor Oberths Haus stand, nahm ich allen Mut zusammen... und klingelte. Hermann Oberth öffnete. Er bat mich herein und beantwortete geduldig meine Fragen. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte durfte ich Hermann Oberth wiederholt besuchen. Mich hat stets die stille Bescheidenheit dieses großen Wissenschaftlers beeindruckt. Wahre Größe kann es sich erlauben, leise aufzutreten. Und Hermann Oberth war einer der Geistesriesen unseres Planeten. Wenn Menschen dereinst zu interstellarer Raumfahrt aufbrechen werden, sollten sie des »Vaters der Weltraumfahrt« gedenken.
Interview mit Hermann Oberth
Walter-Jörg Langbein: Herr Professor, wie kamen Sie als Raketenforscher dazu, sich mit Parapsychologie zu beschäftigen?
Hermann Oberth: Das geht auf das Jahr 1917 zurück. Ich wollte ein Buch über den Monismus schreiben. Der Monismus geht ja davon aus, dass sich alles Bestehende auf ein geistiges Prinzip zurückführen lässt. Zunächst studierte ich viele Bücher über diese Lehre, wurde enttäuscht. Je mehr ich über die Sache erfuhr, desto klarer wurde mir, dass man den Monismus nicht beweisen kann... weil er falsch ist.
Walter-Jörg Langbein: Wie stehen Sie zur Erforschung des Übersinnlichen?
Hermann Oberth: Im Bereich der Parapsychologie gibt es ja zwei Richtungen. Zum einen: die sogenannte animistische. Die Animisten gehen davon aus, dass wir über das Jenseits gar nichts wissen. Sie sehen in den parapsychologischen Erscheinungen nur Wirkungen des Lebensmechanismus. Sie nehmen an, dass sozusagen im Kohlenstoff noch Bestandteile sind, die wir nicht kennen. Auch heute hat ja die Wissenschaft keineswegs Einblick in alle Abläufe und Vorgänge im Funktionieren unseres Körpers.
Zum anderen: die Spiritualisten (oder Spiritisten). Ihre Schule setzt voraus, dass der Mensch eine Seele haben muss.
Walter-Jörg Langbein: Welche Richtung bevorzugen Sie persönlich?
Walter-Jörg Langbein: Wie stellen Sie sich die Seele des Menschen vor?
Hermann Oberth: Meiner Ansicht nach hat der Mensch mehr als nur eine Seele. Ich glaube vielmehr, dass jede Zelle eine Art Lebewesen ist und eine Seele hat. Vielleicht haben auch die einzelnen Organe eine Seele.. und natürlich der Mensch als Ganzes. Das ist eine Art ›Hauptseele‹.
Walter-Jörg Langbein: Überleben die Seelen den körperlichen Tod?
Hermann Oberth: Ja!
Walter-Jörg Langbein: Wie stellen Sie sich das Weiterleben der Seelen vor?
Hermann Oberth: Die Hauptseele sucht sich solche Seelen untergeordneter Art zusammen, die zu ihr passen. Ob die untergeordneten Seelen etwas von sich wissen, da bin ich überfragt.
Walter-Jörg Langbein : Manche Denker bezweifeln die Existenz der Seele. Ist so etwas wie eine Seele überhaupt nachweisbar?
Hermann Oberth: Was heißt »nachweisbar«? in wissenschaftlich-experimentellem Sinn wohl noch nicht. Aber nehmen wir einmal an, ein Super-Edison hätte eine Kolonie von Robotern erschaffen, Wesen, die so leben können wie wir Menschen, die wie wir lernen können, die wachsen... Wenn diesen Wesen keine das Ich empfindende Zelle eingepflanzt worden wäre, dann könnten sie nicht den Satz aussprechen; Ich fühle, dass ich ein Ich habe. Das wäre unmöglich, denn sie hätten ja keines. Aber es hat nun einmal Menschen gegeben, die das gesagt haben.
Walter-Jörg Langbein : Wird man die Seele jemals erforschen können?
Hermann Oberth: Davon bin ich überzeugt. Ich bin davon überzeugt, dass alles, was in der materiellen Welt Änderungen hervorbringen kann, im Grunde erforschbar ist.
Hermann Oberth: Aber freilich! So war ich zum Beispiel auf einer spiritistischen Sitzung. Da erlebte ich folgendes: Das Medium hat in der Schrift meines Bruders, der im Krieg gefallen ist, geschrieben... und zwar Dinge, von denen niemand etwas wusste, der nicht dabei war! Ich habe dann diese Schrift des Mediums und Schriftproben aus der Hand meines Bruders, Notizen, die er zu Lebzeiten gemacht hat, einem Graphologen gegeben.
Der sagte, anfangs habe das Medium ganz in der Handschrift meines Bruders geschrieben. Nachher neigte die Schrift ein wenig mehr zu der des Mediums über. Später stand ich mit einem Medium in Verbindung, das behauptet hat, im Auftrag der Bewohner der fliegenden Untertassen zu schreiben. Da wurden manche Sachen sehr glaubwürdig dargestellt, andere weniger.
Hermann Oberth: Bei einem Medium ist das so.. wie wenn wir träumen. Es stimmt eben nicht alles mit der Wirklichkeit überein.
Walter-Jörg Langbein: Ein Medium sieht also Zukünftiges nicht immer klar, sondern wie durch einen Schleier?
Hermann Oberth: In etwa ist das so, ja!
Walter-Jörg Langbein: Womit nimmt ein Medium Kontakt auf?
Hermann Oberth: Mit einer geistigen Kraft. Ob das im konkreten Fall die Bewohner fliegender Untertassen waren, das weiß ich nicht.
Walter-Jörg Langbein: Parapsychologie und UFOs, gibt es da Verbindungen?
Hermann Oberth: Professor Bender hat mir einmal den Brief einer Frau gezeigt. Da hat eine Frau vorhergesagt, am Sonntag Nachmittag den soundsovielsten werden um soundsoviel Uhr drei UFOs über Berlin fliegen. Daraufhin sind zehn Leute nach Berlin gefahren und haben das kontrolliert. Die UFOs sind tatsächlich erschienen.
Professor Bender meinte, dabei könnte es sich um eine Art Hellsehen in die Zukunft gehandelt haben. Ein Kontakt mit den Bewohnern der UFOs muss keineswegs bestanden haben.
Walter-Jörg Langbein: Was meinen Sie?
Hermann Oberth: Was weiß ich! Wir wissen ja nicht einmal, ob es da oben einen Herrgott gibt, der vielleicht ›Jüngstes Gericht‹ mit uns spielen will...
Walter-Jörg Langbein: Wenn wir die Johannesapokalypse aus der Bibel nehmen, da werden wir zum Teil deutlich an eine atomare Katastrophe erinnert.
Hermann Oberth: Ja, zum Teil. Das ist so, wenn ein Seher oder ein Medium etwas sieht und beschreibt, das ihm völlig fremd und unbegreiflich ist, dann setzt ein psychologischer Vorgang ein, Worte und Begriffe aus der bekannten Welt des Alltags werden als Vergleiche herangezogen.
Walter-Jörg Langbein: Kirchliche Kreise sind ja gegen die Parapsychologie. Warum?
Hermann Oberth: Nicht alles, was die Kirchen tun, hat religiöse Gründe. Hinter mancher Aussage stecken durchaus wirtschaftliche Faktoren. Als es den Menschen schlecht ging, wurden sie auf das schöne Jenseits vertröstet. Da hätte es nun passieren können, dass sich die Menschen umbrachten, so wie Menschen, denen es in Europa nicht mehr gefiel, nach Amerika auswanderten. Also wurde ihnen erzählt, dass das Jenseits für Selbstmörder eben nicht schön ist.
Was die Parapsychologie angeht, so hat der Schriftsteller Passian verschiedene biblische Wunder untersucht. Er hat dann aus der Parapsychologie bekannte, ähnliche Fälle angeführt und behauptet, dass in der Parapsychologie die einzige Möglichkeit der Kirchen besteht, nicht mehr zu lügen.
Walter-Jörg Langbein: Sehen die Kirchen, salopp ausgedrückt, ihre Felle davonschwimmen, wenn Parapsychologen Dinge erklären, die bislang nur ins theologische Fach eingeordnet wurden?
Hermann Oberth: Wie auch immer... Ich bin der Ansicht, dass die christlichen Kirchen nur dann überleben werden, wenn sie endlich auf der Höhe der Zeit stehen und nur das bringen, was sie wirklich beweisen können. Nicht, dass sie mit moderner Musik die Leute anzulocken versuchen....
Walter-Jörg Langbein: Werden die Kirchen überleben?
Hermann Oberth: Ich weiß es nicht. Jedenfalls haben sich die Kirchen seit mehr als vierzehn Jahrhunderten oft genug aus sehr weltlichen Gründen dem gottgegebenen Forscherdrang und Wahrheitssuchen des Menschen entgegengestellt und neue Forschungsergebnisse unterdrückt, sobald sie nicht in ihre Lehren passten.
Jedenfalls ist viel zu lange verkündet worden, die Erde sei vor sechs Jahrtausenden in sieben Tagen erschaffen worden. .. und was da noch so alles in der Bibel steht, was nicht stimmt....
Walter-Jörg Langbein: Herr Professor, diese Macht der Kirche zu bestimmen, was Wissenschaftler lehren dürfen und was nicht... ist vorbei. Verhalten sich aber nicht auch Wissenschaftler ebenso autoritär wie die Kirchenvertreter von einst?
Hermann Oberth: Aber ja! Das war so, ist zum Teil auch noch so. Viele Wissenschaftler verhalten sich dem Wissen gegenüber wie eine gestopfte Gans gegenüber dem Futter. Nur um Gottes willen nicht noch mehr. Das war so, schon immer!
Walter-Jörg Langbein: Wird es auch immer so bleiben?
Hermann Oberth: Ich möchte nicht immer sagen.
Freitag, 25. Dezember 2009
Ein kleines Geschenk
Hektik geht,
Kerzen brennen,
Musik erklingt.
Weihnachsstunde
schenkt Zeit,
zum Stille sein.
Fang ihn ein,
den Augenblick,
der dich berührt.
Das Wort.
Die Hand.
Die Umarmung.
Der Blick.
Der Duft.
Der Klang.
Augenblicke,
die das Herz bewegen,
tragen die Tränen
in schmerzlichen Zeiten.
Augenblick der Stille -
fang ihn ein
und schenk ihn weiter.
gcroth
Kleines Einmaleins mühelos erlernen
Mittwoch, 23. Dezember 2009
Neues aus Merkwürdistan - Teil IV
Ob auch in Merkwürdistan Weihnachten gefeiert wird?
Natürlich!
Aber kann es in Anbetracht der Zustände in diesem Land auch eine echte Menschlichkeit geben?
Am Abend des 22.Dezember will die Rentnerin Erika K. zum Tagesausklang ein Buch lesen.
Plötzlich verspürt sie starke Zugluft – Gift für ihr Rheuma. Aufgrund der schlecht schliessenden Wohnungstüre macht sie auch sofort die Ursache dafür aus: jemand muss am Gang ein Fenster offen gelassen haben!
Nur mit einem Schlafrock bekleidet, tritt die Rentnerin auf den Gang, um das Fenster zu schliessen.
Rumms!
Das war allerdings nicht das Fenster, sondern die Eingangstür, welche ins Schloss gefallen war.
Erika K ist ausgesperrt, mit Schrecken bemerkt sie, in welcher Lage sie sich befindet: sie hat weder Handy noch Geld bei sich.
Anstatt eine Nachbarin um Hilfe zu bitten, läuft sie in Panik hinunter auf die Straße. Sie weiß: ihre Tochter hat einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, nur die Tochter wohnt am anderen Ende der Stadt. Wie soll sie um diese Uhrzeit zu ihr gelangen?
Am Ende der Straße ein Taxistandplatz. Ein Taxifahrer bemerkt die verstörte Frau:
„Was ist denn los, Gnädigste, kann ich Ihnen helfen?“
Die Rentnerin schildert ihre mißliche Lage.
„Steigen´s ein!“, der Taxifahrer öffnet den Verschlag seines Mercedes.
Aber sie habe doch kein Geld dabei, wendet Erika K. ein.
„Einsteigen, das mach ma schon.“ - der Tonfall des Taxlers lässt irgendwie keinen Widerspruch zu.
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, fährt er die Rentnerin zu ihrer Tochter. Glücklicherweise ist sie zu Hause, der Reserveschlüssel ist auch schnell gefunden.
Sodann fährt er die Rentnerin wieder zurück, hilft der vor Aufregung Zitternden auch noch beim Aufsperren der Wohnungstür.
Daraufhin bietet Erika K. an, die Taxifahrt zu bezahlen, nun hat sie ja ihr Portemonnaie wieder.
Der Taxler winkt ab: „Lassen´s nur, Gnädigste, es ist ja Weihnachten!“.
Es gibt sie also doch noch, die echte Menschlichkeit – auch in Merkwürdistan.
Sollte das nicht Anlass zur Hoffnung geben?
Ich wünsche allen Lesern dieses Blogs und allen Freunden unserer Autorengemeinschaft ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!
Ihr
Robert Brettschneider
Teil V dieser Serie finden Sie hier:
Damoklesbuch II
Es ist viele Jahre her, um genau zu sein etwa 15 Jahre, vielleicht ein wenig mehr. Zu dieser Zeit war die Vampirliteratur noch nicht weit verbreitet. Jedenfalls habe ich damals nicht viel davon mitbekommen. Doch immer wenn ich einen Vampirfilm, Berichte über das Thema Vampir oder doch einmal den Klappentext eines Buches zu sehen bekam, dachte ich ganz still bei mir: Warum muss ein Vampir eigentlich nur eine blutsaugende Bestie sein?
Dienstag, 22. Dezember 2009
Damoklesbuch I
Einerseits stehen wir zumeist mitten im Leben, gehen einer geregelten Arbeit nach, pflegen Beziehungen, wie jeder andere. Andererseits schweben wir weit oben in Regionen, die für Nichtschreiber unerreichbar sind. Unser Kopfkino veranlasst uns dazu, den Stift zu zücken, Notizen zu machen und sobald wir können, den Computer hochzufahren, um endlich alles in eine gepflegte Datei umzuwandeln.
Ist erst einmal eine Idee geboren, dann hirnen wir stundenlang herum, suchen nach einem realisierbaren Inhalt, um diese kleine Idee festzuhalten und in eine richtige Geschichte einzubauen. Doch es gehört noch viel mehr dazu, als einfach nur eine Idee in Worte zu fassen, und mal schnell auf 300 Seiten auszudehnen. Es muss der berühmte rote Faden gesponnen werden, alles muss nachvollziehbar sein, muss einen realen Hintergrund haben, soll den Leser später an den Roman binden, ihn fesseln und dazu veranlassen das Buch am Besten bis zum Schluss nicht ein einziges Mal aus der Hand zu legen.
Um dies zu erreichen, benötigen wir Recherchen, einen klugen Aufbau der Story, Charaktere, die den Leser vereinnahmen oder gekonnt abstoßen, Schauplätze, die magisch, spannend oder einfach nur anheimelnd sind. Wir Autoren benötigen eine Mixtur aus allem und müssen dafür sorgen, dass daraus eine fließende Geschichte entsteht, die keinerlei Schwachstellen aufweist. Immer auf ihre Art dazu verlockt, noch eine Seite weiter zu lesen.
Alles in allem tragen wir systematisch Informationen zusammen und verweben sie zu einer sinnvollen Story. Um einzelne Handlungsstränge nicht aus den Augen zu verlieren, müssen wir Einzelheiten im Auge behalten und diese für uns in einen zweckdienlichen Kontext bringen, zugreifbar machen, also konservieren. Denn schon die kleinste Kleinigkeit, die plötzlich in veränderter Form dem Leser dargeboten wird, wird uns als Schwäche angekreidet. Wir leisten sozusagen Reparaturdienste auf einer Großbaustelle und am Ende soll ein perfektes Gebäude vor uns stehen.
Doch sogar, wenn ein im Prinzip fertiges Manuskript vor uns liegt, nimmt die Arbeit kein Ende. Schon muss alles noch einmal überarbeitet werden, müssen Fehler korrigiert, Szenen besser dargestellt und Charaktere ausgefeilt werden. Wieder versinken wir Autoren in einer Flut aus Informationen, die verarbeitet werden müssen.
Ich denke, der schönste Augenblick für jeden Schriftsteller ist der, wenn wir endlich ein Manuskript in gebundener Form als Buch in Händen halten und wissen, dass wir nun endlich die Arbeit als abgeschlossen betrachten dürfen. Doch selbst dann finden wir immer noch kleine Fehlerteufel, würden am liebsten doch noch eine Szene umschreiben, etwas herausstreichen oder hinzufügen. Im Grunde ist unsere Arbeit nie getan, denn solange unser Gehirn arbeitet, wir durch äußere Einflüsse zu neuen Gedankengängen angeregt werden, nimmt das Schreiben kein Ende.
Das Damoklesbuch schwebt unaufhörlich über uns. Und wir lieben diesen Zustand!
Dieser Beitrag gibt meine Meinung wider und ist nicht für alle Autoren zu verallgemeinern.
©Sylvia Seyboth
Meine Romane auf amazon:
Vampir in Untermiete: O`Donaghue-Chroniken Teil 1
Rebellion der Vampire: O`Donaghue-Chroniken - Teil 2
Maskerade des Todes
Seele im Glashaus
Meine Internetseite:
http://www.sylviaseyboth.cms4people.de/
Montag, 21. Dezember 2009
Umweltschonende Energie
Mein Schatz, mein Goldstück, mein Juwel ... und das auf alle Zeiten
Menschen schreckt am Tod wohl vor allem die Vorstellung vom eigenen Sterben, das nach Möglichkeit nicht qualvoll sein und im besten Fall über Nacht im Schlaf stattfinden soll. Die Vorstellung, jahrein, jahraus in einem engen dunklen Sarg unter der Erde zu liegen - sei er auch noch so teuer und edel - ist ein weiteres Gespenst, das bei vielen Menschen große Ängste auslöst. Da nützt es wenig, wenn immer wieder bestätigt wird, dass man von dem, was nach dem Sterben des Körpers mit ihm geschieht, nichts spürt. Erstens, wer weiß das schon genau und zweitens spürt man die Ängste jetzt, während man noch lebt und das ist erschreckend genug, um die Gedanken an den eigenen Tod weit fortzuschieben.
Dies ist einer der Gründe, weshalb Feuerbestattungen auch in Europa auf dem Vormarsch sind. Da kann man zumindest sicher sein, dass sein Körper nicht auf zig Jahre dem langsamen Prozess der Erdwerdung ausgeliefert ist. Denn im Gegensatz zur relativ schnellen natürlichen Rückführung in den lebendigen Kreislauf, wie sie bei Tieren in freier Wildbahn, von statten geht, dauert diese Verwandlung nicht etwa nur Wochen oder Monate, sondern viele Jahre. Und je nach Bodenart - findet sie auch gar nicht statt.
Natürlich hat auch die Feuerbestattung einen Punkt, dessen Vorstellung nicht gerade Freude auslöst. Der Moment, wo das Feuer den toten Körper erfasst, der sich aufbäumt und für nicht Eingeweihte doch recht makaber aussieht, hat seinen speziellen Gruselfaktor, den auch nicht jeder ertragen mag. Wenigstens aber hat man die Gewissheit, dass es nach relativ kurzer Zeit vorbei ist und zurück nur die Asche bleibt. Die Verbrennung ist nichts weiter als der Turboprozess der Zerlegung in die Grundbestandteile unseres materiellen Körpers.
Von diesem Punkt aus sind vermutlich alle Ängste vergessen. Denn als Asche in einer Urne zu landen, ruft keinerlei erschreckende Gefühle mehr hervor. Im Gegenteil, es kann sogar beruhigend sein. Asche ist eine sterile und saubere Sache. Und Asche ist noch mehr. Sie ist der Grundstoff aus dem Diamanten seit Millionen Jahren hervorgehen.
Findige Chemiker haben unlängst ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe die Asche Verstorbener zu Diamanten verarbeitet werden kann. Und das ist jetzt wiederum eine Vorstellung, die bei einigen Menschen ein Lächeln ins Gesicht und ein Leuchten in die Augen zaubert. Ein Diamant! Das ist an Ästhetik und Reinheit kaum noch zu überbieten. Niemand wird sich vor einem Diamanten ekeln und jeder wird den Verstorbenen auch nach seinem Tod noch freudig ansehen, anfassen und bestaunen. Diese Aussicht auf ein ewiges körperliches Leben kommt unserer menschlichen Eitelkeit doch sehr entgegen. Noch dazu, wenn Angehörige sich vielleicht ein Schmuckstück daraus arbeiten lassen, das von Generation zu Generation weiter vererbt wird. Schon die Kinder der Enkel können auf diese Weise zu festlichen Anlässen eine ganze Ahnengalerie zum nächsten Opernabend ausführen. Oma, Opa, Tanten ... alle sind stets strahlend dabei und können stolz auf Ringen, an Ketten, Armbändern oder Ohrsteckern spazieren getragen werden.
Mal ehrlich, wäre das nicht eine denkbare Alternative zur herkömmlichen Erdbestattung? Bei der Gelegenheit wird auch das zunehmende Platzproblem auf Friedhöfen nebenbei gelöst. Ein weiterer Pluspunkt für diese Art der Ahnenpflege ist, dass menschliche Körper zunehmend von Umweltgiften und Chemikalien aus Medikamenten und lebenslang aufgenommenen Schwermetallen verseucht sind. Der Zerfall einer so vergifteten Leiche fällt schon heute eigentlich unter die Rubrik „Sondermüll“ und belastet das Grundwasser erheblich. Noch ein Nebeneffekt ist die entfallende Grabpflege mit allen Nebenkosten. Sie beschränkt sich auf ein gelegentliches Anhauchen und zärtliches Putzen des Schmuckstückes. Es spricht ja nichts dagegen, diesem Schmuckstück zu Hause einen besonderen Platz als Gedenkstätte einzurichten.
Sie glauben ich mache mich lustig über ein tabuisiertes Thema? Seien Sie gewiss, das würde mir im Traum nicht einfallen. Denn auch ich habe Respekt vor dem Leben wie vor dem Sterben, habe Menschen, die mir viel bedeutet haben, schon verabschieden müssen und weiß um Trauer und Schmerz und Verlust. Dennoch mache ich mir, wie jeder andere Mensch, so meine Gedanken über das, was am Ende bleibt - immer in der Gewissheit, dass der Tod auch stets an meiner Seite geht. Möglicherweise kann ich ihm einen etwas selbstverständlicheren Platz in meinem Leben einräumen, weil ich weiß, dass ich ihm nicht ausweichen kann. Und wenn ich schon den Zeitpunkt und sein Daherkommen so wenig bestimmen kann, wie es die Helden in meinem Buch „Bestatten, mein Name ist Tod!“ konnten, dann nehme ich mir doch wenigstens die Freiheit, zu bestimmen, was mit meiner tapferen, geduldigen Hülle danach geschieht. Der Rest geht eh dahin, wo er hergekommen ist — und zuweilen schon jetzt auf Stippvisite geht — aber davon ein anderes Mal. Den Tod jedenfalls, mit all seiner Dramatik, würde bestenfalls ein Totengräber auf die Schippe nehmen. Dazu bietet mir das Leben mit seinen kuriosen und fluffigen Zeiten weitaus mehr Gelegenheiten, die zu erzählen, ich ebenfalls nicht versäume.
gcroth / gcs
Diamantbestattung
Sonntag, 20. Dezember 2009
Die drei Wünsche
von Walter-Jörg Langbein
Ein trauriger Mann hat einen Unfall- und das am Heiligen Abend. Eine höchst ungewöhnliche Begegnung lohnt sich für ihn. Er hat drei Wünsche frei. Und mit diesen drei Wünschen bewirkt er drei Wunder. Mit einer Frau, die querschnittgelähmt war, einem Patienten, der verkrüppelte Hände hatte und einem Großküchenbesitzer, der über einen Brand Weihnachten vergessen hatte.
So lange wie möglich hatte er sich in seinem kleinen Kontor an der Wochenabrechnung festgehalten. Wenn er sich in seine Arbeit vergrub, konnte er vergessen, dass er allein war. Und allein würde er auch an diesem Heiligen Abend sein: Alfred Doran, 55 Jahre alt, den alle für mindestens sechzig hielten, ging langsam über den verschneiten Bürgersteig das kurze Stück Weg zu seiner Wohnung im achten Stock einer unpersönlichen Mietskaserne. Er kam nie dort an. So tief war Alfred Doran in seiner Traurigkeit versunken, dass er die auf dem (von städtischen Arbeitern pflichtbewusst vom Schnee befreiten pechschwarz schimmernden) Asphalt quietschenden Reifen des herbeibrausenden Wagens erst viel zu spät hörte. Und wenn es anderes gewesen wäre? Hätte er überhaupt versucht, auszuweichen?
Das Auto mit den fast vollständig zugefrorenen Scheiben schleuderte, die Reifen schrien wie ein angstvoll wieherndes Pferd. Es taumelte vorn und hinten, schwenkte dabei hin und her- und das mit einer enormen Geschwindigkeit auf Alfred Doran zu. Wie von einer Riesenfaust getroffen, wurde er zu Boden geschleudert. Seltsam. Er spürte keinen Schmerz. Nur kalt war ihm an den Lippen, Schnee schmolz auf seiner Zunge. Alfred Doran blieb reglos liegen. Alles erschien ihm so gedehnt, als schliche die Zeit endlos langsam dahin. Doran hatte viel Zeit. Niemand erwartete ihn zuhause. Und die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Oder doch nicht?
Langsam drehte Doran den Kopf seitlich, da kamen, sehr langsam, wie in einem Zeitlupenfilm, zwei Hosenbeine auf ihn zu. Alfred Doran sah die peinlich exakt eingebügelten Hosenfalten. Mühsam hob er seinen Kopf leicht an, erkannte die Weste mit der goldenen Uhrkette. Trug man so etwas heute noch? Das Gesicht des Mannes war wie hinter einem Nebelschleier verborgen. Es kam auf ihn zu, beugte sich zu ihm herab, so dass Doran weitere Einzelheiten erkennen konnte - einen kleinen dünnen Bart, die Nase, die Nickelbrille, blaugraue Augen. Das Gesicht lächelte.
„Wer wird denn da so herumliegen, so da herumliegen?“ fragte ihn das Gesicht. Alfred Doran erinnerte sich. So hatte er selbst gesprochen, in seinen jungen Jahren. Damals hatte er es als lustig empfunden, zwei oder drei Worte eines Satzes nochmals zu wiederholen. Auch so eine Brille hatte er in seinen jungen Jahren gehabt. Und auch den gleichen Bart. „So trostlos dazuliegen und in die Luft Löcher stieren, Löcher stieren!“ Vorwurfsvoll klang die Stimme, die seine eigene war, nur eben viel kraftvoller und jünger.
Er versuchte, etwas zu sagen, konzentrierte sich dabei auf seine Lippen. Doch sein jüngeres Ego kam ihm zuvor. „Nichts ist hoffnungslos für den, der hofft! Für den, der hofft! Und mancher hat mehr Glück als ihm zusteht. Als ihm zusteht!“
Alfred Doran gab es auf. Er versuchte gar nicht, sich selbst zu widersprechen. Sein Nacken schmerze. Er war unfähig, den Kopf zu schütteln. Außerdem kamen ihm jetzt Zweifel. Wie konnte er sich selbst begegnen, so wie er vor dreißig Jahren gewesen war?„Dir stehen viele Wege offen! Du brauchst nicht mit dem Kopf zu schütteln! Nur Mut und Zuversicht!“ Das Gesicht sah sorgenvoll drein. „Wer sich nichts wünscht, bleibt traurig, bleibt traurig. Immerzu. Für immer.“ Alfred Doran wunderte sich, wie affig er sich einst benommen hatte. Und den letzten Satz bekam er dann kaum noch mit. „Weil heute Weihnachten ist, hast du drei Wünsche frei, drei Wünsche frei.“
Dann versank er wieder in einem wattigen Nichts, nahm nicht wahr, wie man ihn in den Notarztwagen hob. Er sah nicht das Kopfschütteln der Sanitäter, hörte nicht die Worte der Passanten. „Betrunkener Fahrer. Und das am Heiligen Abend!“
Auf der Intensivstation des Städtischen Krankenhauses kam er wieder zu sich. Er hörte etwas. Ein seltsames Geräusch. Es war ein Wimmern. Das Wimmern wurde lauter. Oder kam es Alfred Doran nur so vor? Nein, er konnte nicht ruhig liegen bleiben bei diesem Weinen, das immer lauter wurde. Doran beugte den Oberkörper nach vorne, wuchtete die Beine aus dem Bett, ließ die Füße nach unten sinken und stand schon aufrecht. Erst erschrak er über das Gefühl der kalten Fliesen an den nackten Füßen, doch das gab sich schnell.
Das Weinen ließ nicht nach, war deutlicher denn je zu vernehmen. Er suchte erst gar nicht nach seinen Pantoffeln, verließ das Krankenzimmer barfuß. Auf dem Gang traf er niemanden an. Schon stand er im Zimmer, aus dem das Wimmern kam. Eine Frau lag da und starrte weinend an die Decke. Doran trat näher. Nun stand er direkt neben ihr und sah sie an. „Sie wird vielleicht vierzig, fünfundvierzig Jahre alt sein...“, dachte Alfred. „Warum weinen Sie denn?“ fragte er einfühlsam und das Weinen verstärkte sich nur .
„Ich bin gelähmt!“ brachte die Frau schließlich schluchzend hervor. „Autounfall! Und jetzt gehen Sie! Ich kennen Sie ja gar nicht! Was haben Sie denn in meinem Zimmer verloren?“ Seltsames kam Alfred über die Lippen, Worte, deren Sinn ihm selbst unbegreiflich war, von denen er nicht wusste, warum er sie aussprach. „Und da liegen Sie noch im Bett herum, Bett herum? Wissen Sie denn nicht, dass ein ganzes Altersheim auf Sie wartet? Menschen, denen so eine Weihnachtsfeier ein Erlebnis ist, von dem sie monatelang zehren werden, zehren werden?“ Die Frau setzte zu einem Widerspruch an. Doch Alfred Doran unterbrach sie. „Was heißt da querschnittsgelähmt?! Los stehen Sie auf! Die Zeit drängt, Zeit drängt! Es ist drei Uhr ! Heute ist Heiliger Abend!“ Sie sah ihn fassungslos an. Wen? Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, diesen Menschen, sie kannte ihn nicht. Und doch wusste sie, dass er Alfred Doran hieß. Und wo war er? Verschwunden- genauso unvermittelt, wie er plötzlich erschienen war.
Unverschämtheit, einfach so zu gehen! Wie gern hätte sie ihm, diesem Flegel, gezeigt, dass sie von den Armen abwärts gelähmt war. Und was heißt da aufstehen? Sie konnte ja nicht einmal eine Zehe rühren! Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wollte aufstehen. Sie musste aufstehen! Ja, die Zeit drängte! Sie musste aufstehen, sich anziehen und ins Altersheim gehen! Viele arme Menschen, alt und gebrechlich, warteten da auf sie. Menschen, an die kaum jemand dachte. Schwungvoll bediente sie die Notklingel. Schon war die Schwester da. „Ich muss aufstehen, Schwester Sandra! Helfen Sie mir bitte beim Anziehen! Bitte rasch!“ Schnellen Schrittes näherte sich die zierliche, attraktive Schwester mit dem sanften Lächeln, ihrem Bett. „Aber das können wir doch nicht, meine Liebe! Erinnern Sie sich doch an den Autounfall, den Sie hatten!“
Frau Irene Sanderson hörte nicht auf die Worte der Schwester. Energisch schleuderte sie die Bettdecke zurück, schwang sich hoch, setzte sich auf den Bettrand. Dann stand sie auf, schneller, als sie sich das selbst zugetraut hätte. Die Schwester stürzte schreiend aus dem Zimmer. „Herr Doktor, Herr Doktor Thiel!“ hörte Frau Sanderson sie schreien. Sie schüttelte den Kopf. Rasch hatte sie die nötigen Kleidungsstücke aus dem Schrank genommen, das lange Kleid, dazu die Seidenbluse, die gute warme Jacke und den schönen Mantel.
Die Notenblätter fand sie in der Schublade des Nachttischs. Ja, es war höchste Zeit. Sie musste gehen ! Als sie die Tür öffnen wollte, stand ihr Chefarzt Dr. Thiel gegenüber. „Aber liebe, gute Frau Sanderson! Sie sind querschnittgelähmt! Sie können nicht gehen!“ Barsch fiel sie dem bei den Patienten sehr beliebten Chefarzt ins Wort: „Nicht gehen? Sie haben Recht. Ich nehme mir wohl besser ein Taxi !“ Dr. Thiel fuhr unbeirrt fort: „Aber nein, Sie müssen...“ Sie setzte den Satz fort: „Ja, ins Altersheim. Und ich werde ein Taxi nehmen. Ich habe ja noch etwas Geld hier im Geldbeutel!“ Mit einem Gruß und „frohes Fest!“ wünschend verließ sie ihr Krankenzimmer.
So erfüllte sich Alfred Dorans erster Wunsch. Zwei weitere hatte er noch frei. Alfred Doran ging leise in sein Zimmer zurück. Warum war er überhaupt hier im Krankenhaus? Ihm fehlte doch nichts ! Es drängte ihn nach Hause zu gehen. Er musste sich erst anziehen. Irgendwie war er aber doch sehr geschwächt. Als er nämlich nach seiner Kleidung suchte, da wurde ihm schwarz vor Augen. Und als er wieder zu sich kam, da hatte er sich schon angekleidet und das Krankenhaus verlassen.
Doch wo war er nur? Er blickte sich um und fand sich rasch zurecht. Er stand vor dem Altersheim „Haus Christiane". Richtig. Er ging auf den Haupteingang zu, trat ein und fand, dass einige der Bewohner leicht aufgeregt im Empfangszimmer standen. „Es tut mir sehr leid, wirklich, aber aus der Weihnachtsfeier wird nichts. Einmal ist Frau Sanderson, die uns ja zum Fest hat vorsingen wollen, verunglückt. Und dann ist noch in der Großküche ein Brand ausgebrochen. Das bestellte Festessen muss also auch ausfallen!“ Schwester Erika, die Heimleiterin, die sich bei den alten Menschen nicht sonderlicher Beliebtheit erfreute, ließ bei diesen Worten eine gewisse Schadenfreude erkennen. Was mussten die Heiminsassen auch feiern, wo sie Dienst tun musste.
„Einen Augenblick bitte...“ sagte Herr Doran mit fester Stimme. „Das mit Frau Sanderson stimmt nicht. Sie wird kommen!“ Schwester Erika schüttelte den Kopf. „Man sagte mir am Telefon, sie sei querschnittgelähmt! Was reden Sie also daher? Und wer sind Sie überhaupt?“ „Alfred Doran. Frau Sanderson wird kommen, vielleicht etwas verspätet. Und auch das mit dem Festessen wird klappen! Inzwischen kann Herr Schröderborn ja etwas auf dem Klavier spielen!“ Schwester Erika lachte herzhaft und setzte zum Widerspruch an. Aber Alfred Doran hörte nicht auf sie. Seltsam, auch die Bewohner des Altersheims glaubten anscheinend Alfred. Murmelnd und aufgeregter als zuvor strebten sie dem Speisesaal zu.
Alfred Doran besuchte Herrn Schröderborn in seinem Zimmer. „Na, wollen Sie nicht etwas am Klavier spielen, Klavier spielen? Ihre Hausgenossen würde das sicher sehr freuen, sehr freuen! Außerdem können Sie Frau Sanderson begleiten, wenn sie singt, wenn sie singt!“ „Das ist doch...“ Herr Schröderborn sah Alfred Doran mit weit aufgerissenen Augen an. Der sprach weiter. „Aber Sie sind ja nicht angekleidet, sitzen da in dieser muffigen Kammer im Morgenrock umher, im Morgenrock umher. Na, ich werde Ihnen beim Anziehen helfen!“
Wortlos wollte ihm Herr Schröderborn seine von Rheuma und Arthritis entstellten Hände zeigen. Er stutzte. „Ich war einmal Konzertpianist!“ Mit diesen Worten starrte Herr Schröderborn auf die eigenen Hände. „Bis die Krankheit kam und...“ Er hob leicht die Hände, die nicht mehr entstellt waren. „Bitte helfen Sie doch etwas mit, etwas mit, Herr Schröderborn! Die Zeit drängt etwas, drängt etwas.“ Herrn Schröderborns Protest „aber meine Hände...“ fiel nur noch leise aus. Minuten später saß er angekleidet am Klavier und spielte Weihnachtslieder. Er war ein selbstkritischer Mensch, wie alle wahren Künstler. Und doch fand er, dass er nie in seinem Leben so gut gespielt hatte. Arthritis und Rheuma waren aus seinen Gelenken gewichen. So hatte sich Alfred Dorans zweiter Wunsch erfüllt.
Frau Sanderson erwiderte den Gruß und ging zu den alten Menschen. Alfred Doran hob die Schultern. „Was machen wir nur mit dem Essen!“ Grübelnd ging er weiter, achtete dabei nicht auf seinen Weg. Und plötzlich stand er vor der Großküche „Heinrich Gagel“. Rauchschwaden stiegen aus einem Fenster. Die Feuerwehr löschte. Neugierige standen umher. „Alles vorbei!“ dachte Alfred Doran und sprach einen sichtlich nervösen älteren Herrn an. „Frohes Fest, Herr Gagel! Frohes Fest!“ Der Mann drehte sich um und fixierte ihn wie einen Wahnsinnigen. „Mein Geschäft, das ich seit dem Tod meiner Mutter führte, ist ausgebrannt. Und Sie wünschen mir ein frohes Fest!“
Er wollte sich umwenden, doch Alfred Dorans Blick hielt ihn zurück. „Aber der Lieferwagen war doch schon beladen! Er steht im Hof! Und die Schäden am Haus...die werden sich als geringfügig erweisen!“ Herr Gagel schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Natürlich! Das Altersheim! Los, Alfred! Du lieferst! Der Wagen steht im Hof! Fertig beladen! ‘Haus Christiane’ wartet! Die alten Menschen freuen sich schon auf das Festessen!“ Ein Feuerwehrmann trat hinzu. „Herr Gagel, die Brandschäden sind nur geringfügig, wie wir feststellen konnten. Es grenzt fast schon an ein Wunder...“ Herr Gagel nickte. Sein Gesicht wirkte plötzlich irgendwie gelassen. „Frohes Fest auch Ihnen!“ sagte er plötzlich. Heinrich Gagel lieferte pünktlich um 17 Uhr das Festessen für ‘Haus Christiane’. So erfüllte sich Herrn Dorans dritter Wunsch. Herr Schröderborn spielte Klavier. Und Frau Sanderson sang dazu, schön wie nie zuvor in ihrem Leben.
Am ersten Weihnachtsfeiertag wollten Irene Sanderson, Heinrich Gagel und Herr Schröderborn Alfred Doran besuchen, was Frau Sanderson angeregt hatte. Als sie aber auf der Intensivstation des Krankenhauses vorsprachen, mussten sie erfahren, dass Alfred Doran unmittelbar nach seiner Einlieferung auf der Intensivstation gestorben war. Er hatte nicht einmal mehr das Bewusstsein erlangt.
Bildnachweise Abb. oben: ©Didi01/ Abb. unten: ©Tom Götz, beide von www.pixelio.de . Vielen Dank!