Teil 467 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Die Bartholomäuskapelle |
Nordöstlich der Bartholomäuskapelle, wenige Schritte vom Dom zu Paderborn entfernt, suchten Archäologen nach Hinweisen auf Vorgängerbauten. Das kleine Gotteshaus mit einer hervorragenden Akustik wurde um das Jahr 1017 (nur wenige Meter vom mächtigen Dom entfernt) errichtet. Warum ausgerechnet das sumpfige Quellgebiet der Pader als Baugrund gewählt wurde? Eine Erklärung: Das Gebiet galt schon bei den »Heiden« als heilig. Wo einst vielleicht eine Quellengöttin verehrt wurde, entstanden Dom und Kapelle.
Vermutlich existierte bereits vor der steinernen Bartholomäuskapelle ein hinfälligeres Kapellchen, womöglich vorwiegend aus Holz gebaut. Es brannte offenbar ab. Im Brandschutt fanden sich Reste einer mysteriösen Inschrift. Die Tafel war stark beschädigt, aber der Text, der einst auf dieser Tafel verewigt worden war, konnte mehr oder minder rekonstruiert werden: Karl der Große rühmte sich, einen »Drachen« besiegt zu haben. Wir dürfen annehmen, dass damit ein heidnischer Kult gemeint war, dessen Heiligtum einst vor dem Bau des Doms Gläubige in die Gefilde der Quellen von Paderborn lockte.
Foto 2: Karl der Große |
Heftigste Widersache Karls des Großen waren die heidnischen Sachsen, die recht widerspenstig waren und so gar nicht den christlichen Glauben annehmen mochten. Fromme Predigten waren offenbar nicht überzeugend genug. Lange nach Karl, genannt »der Große« (*wahrscheinlich 747 oder 748), fand am 11. Februar 1115 auf dem Lerchenfeld im Welfesholz (1) eine Schlacht statt: Feldmarschall Hoyer erlitt für Kaiser Heinrich V. eine Niederlage. Siegreich endete das blutige Gemetzel für das Heer, angeführt vorwiegend von sächsischen Fürsten wie Herzog Lothar von Süpplingenburg und Bischof Reinhard von Blankenburg.
Stolz errichteten die siegreichen Sachsen ein Denkmal. Wir wissen nicht wirklich, wie es ausgesehen hat. Angeblich soll auf einer Säule die Statue eines sächsischen Ritters in voller Rüstung gestanden haben. Angeblich trug der Ritter in seiner linken Hand einen Schild mit dem sächsischen Wappen und in der rechten Hand einen mächtigen Morgenstern. Mit diesem furchteinflößenden Mordwerkzeug soll er so manchen Sachsen niedergestreckt haben. So zumindest überliefert es die »Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen«. In Band 1 dieses faszinierenden Werkes, »gesammelt und herausgegeben von Dr. Johann Georg Theodor Gräße«, anno 1855 im »Verlag von Schönfelds Buchhandlung« zu Dresden erschienen, finden wir einen kurzen Bericht (2) »Vom Abgott Jodute«.
Warum die Siegessäule Jodute genannt wurde? Wie dieser Name entstand, das ist bis heute umstritten. Eine Erklärung: Die kriegerischen Sachsen sollen vor einer Schlacht ihre Streitgefährten mit einem Schrei aufgefordert haben, gemeinsam gegen einen Feind ins Feld zu ziehen. Sie sollen »tiod-ute!«, »Zu den Waffen!«, gebrüllt haben. Aus diesem »tiod-ute!« habe sich der Name »Jodute« entwickelt.
Foto 3: Stolz wie Hermann |
»Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen« wiederum bietet eine ganz andere Erklärung (3)! Das Denkmal sei »Signum adjutorii« genannt worden, was zu Deutsch »Zeichen göttlicher Hilfe« heiße. Aus dem Lateinischen »adjutorii« hätten die Bauern »Jodutte« oder »Gedutte« gemacht, einfach weil sie das Lateinische nicht korrekt sprechen konnten. »Die Bauern beteten es an und meinten, dass sie durch die Hilfe von S(ankt). Jodutten den Streit gewonnen hätten.« Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst simpelste Gemüter ein Kriegerdenkmal für die Darstellung eines Gottes hielten. Das berühmte Hermannsdenkmal bei Detmold zeigt keinen Gott, sondern einen legendären Krieger.
Schlichte Touristen mögen heute glauben, dass »der Hermann« pünktlich um 12 Uhr das Schwert von einer Hand in die andere gibt, nicht aber, dass der eiserne Hermann (Foto 3) ein Gott sein soll. Meiner Meinung ist die lateinische Erklärung nicht sehr überzeugend. Vielmehr glaube ich, dass es einst eine Gottheit namens Jodutte gab, für die zum Dank ein Denkmal errichtet wurde. Wie dem auch sei: Noch Ende des 13. Jahrhunderts sollen unzählige Menschen zu »Jodute« geströmt sein, so wie heute an sonnigen Sommertagen zum »Hermanns-Denkmal« im Teutoburger Wald.
Foto 4: Einer der Drachen im Dom zu Paderborn |
Der Ort, wo der Jodute stand, wurde bald zur Wallfahrtsstätte. Es muss sich bald ein solcher Rummel um das Monument entwickelt haben, dass sich Kaiser Rudolf von Habsburg empörte. Ihm war das Denkmal ein großes Ärgernis, erinnerte es doch an eine empfindliche Niederlage der Kaiserlichen und wohl auch an das Weiterleben des Heidentums nach der Christianisierung. Anno 1289 ließ er den (die?) Jodute entfernen. Sie wurde ins Kloster Wiederstedt geschafft. An ihrem alten Standort wurde eine Kapelle errichtet. In dieser Kapelle wiederum wurde bald ein »Bildstock« aufgestellt, der der »Jodute« recht ähnlich gesehen haben soll. Vielleicht war es gar die Originaljodute selbst?
Meiner Meinung nach kann es sich bei der Figur, die einst auf der Siegessäule stand, nicht um die profane Darstellung eines Kriegers in Rüstung gehandelt haben. Die Bevölkerung jedenfalls glaubte, dass die Jodute über wundersame Kräfte verfügte. Kranke und gesunde Wallfahrer strömten herbei um dem Bildstock ihre Reverenz zu erweisen. Sie begnügten sich freilich nicht, die Jodute zu verehren oder vielleicht zur Jodute zu beten. Die Wallfahrer versuchten, zumindest einen Splitter der Jodute als eine Art Reliquie mit nach Hause zu nehmen. So wurde die mysteriöse Darstellung stark beschädigt, sie schwand nach und nach dahin. Restauriert wurde das kleine Heiligtum offenbar nicht. Anno 1570 schließlich entfernte man den »Bildstock« aus der Kapelle.
Hinweise auf heidnische Drachen (Fotos 3, 4 und 5!) gibt es auch heute noch in der Krypta des Doms zu Paderborn. Spurlos verschwunden allerdings ist die Jodute von Paderborn. Von ihr will man offenbar in Kirchenkreisen heute überhaupt nichts mehr wissen.
Zurück zur eingangs beschriebenen Szene! Jacob Grimm, der geradezu pedantische Erforscher deutscher Mythologie, berichtet von einem heute seltsam anmutenden Brauch, der im Domhof zu Paderborn zelebriert worden sein soll (4): »Im domhof zu Paderborn, da wo den (sic!) götze Jodute soll gestanden haben, wurde bis ins 16. Jahrhundert der tag dominica laetare etwas einem bilde gleich auf eine stange gesteckt, und von den vornehmsten des landes darnach mit prügeln geworfen, bis er nieder zur Erde fiel.« Jacob Grimm schreibt weiter (5): »War das bild abgeworfen, so trieben die kinder spott und spiel damit, und die adlichen feierten ein gastmal.«
Am 4. Fastensonntag wurde also im Domhof zu Paderborn »Götze Jodute« auf eine Stange gesteckt und mit »Prügeln« beworfen, und zwar so lang, bis das einst verehrte Idol zu Boden fiel. Der erste Wurf war der vornehmsten Familie vorbehalten, die dieses Privileg als große Ehre ansah. Lag Bode – vielleicht zertrümmert – am Boden, bedeutete das noch nicht das Ende der Schmähungen. Jetzt durften die Kinder mit der Figur spielen. Warum? Eine Vermutung liegt, meine ich, nahe: Noch im 15 und 16. Jahrhundert hatte »Götze Jodute« in Paderborn Anhänger. Für diese »Heiden« hatte so eine Götterfigur magische Kräfte. Ihnen sollte der Sieg über »Jodute« vor Augen geführt werden. Diesen Heiden sollte die Machtlosigkeit von »Jodute« vor Augen geführt werden, indem das einstige Idol verächtlich behandelt wurde. Nicht überliefert ist, wie erfolgreich auf diese Weise Noch-Heiden zum Christentum geführt wurden.
Foto 7: Gott Krodo |
Im Harz, zwischen Blocksberg und der Stadt Goslar, genoss der »Abgott Krodo« hohes Ansehen bei den Sachsen. Einer seiner Beinamen lautete »Mutter der Kälte«. Das lässt vermuten, dass Krodo ursprünglich eine heidnische Göttin war. Wie sonst wäre der Beiname »Mutter« zu erklären. Zu seiner Empörung bezeichneten die Sachsen Krodo als »Gott«, für Karl V. war er der »Krodo-Teufel«. Konsequenz: Nach Dr. Gräße hat Karl der Große auch Krodos Denkmal zerstören lassen.
Foto 8: Sehr lesenswert! |
Garbe, Burckhard: »Die schönsten Sagen zwischen Harz und Weser«, Kassel 2002 (»Der Götze Krodo in Harzburg«, S.91-95)
Vogler, Mike: »Hexen, Teufel und Germanen/ Teufelsglaube und Hexenwahn als Folge der Christianisierung/ Beispielhaft verdeutlicht am altsächsischen Gott Krodo«, Leipzig 2012
Fußnoten
(1) Stadt Gerbstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt
(2) Gräße, Dr. Johann Georg Theodor: »Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen«, Dresden 1855, Seiten 27 und 28
(3) ebenda, Seite 28
(4) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und
Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage,
Berlin 1875-78, Band 3, Seite 7, Zeilen 10-14 von unten
(5) ebenda, Zeilen 6 und 7 von unten
Foto 9: Geschnitzte Drachen... |
Foto1: Die Bartholomäuskapelle. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Karl der Große (Dürer). Foto gemeinfrei.
Foto 3: Stolz wie Hermann/ Das Hermannsdenkmal. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Einer der Drachen im Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Und noch ein Drache im Dom (unweit der Krypta!). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Geschnitzte Drachen im Kampf (Dom zu Paderborn). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Gott Krodo. Stilisierte, symbolische Darstellung. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Sehr lesenswert! Foto Verlag
Foto 9: Ein Besuch des Doms zu Paderborn lohnt sich! Foto Walter-Jörg Langbein
468 »Der Gott mit dem Fisch«,
Teil 468 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 06. Januar 2019
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