»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Sie hatten einst alle Augen... |
Es war kurz nach Mitternacht. Ich ging auf einem »Sträßchen« entlang der felsigen, zum Teil schroff abfallenden Küste der Osterinsel in nördliche Richtung. Schließlich erreichte ich eine flache Stelle. Die Brandung zog sich zurück, das Meer schien zu schweigen. Ich setzte mich auf einen flachen Stein und schaute aufs Meer hinaus. Da bewegte sich etwas. Es ging durch seichtes Wasser. Es war ein Pferd.
Foto 2: Cooks »Bark Endeavour« |
Der englische Seefahrer James Cook (*1728; †1779) erforschte und kartographierte den Pazifik gründlicher als alle seine Vorgänger. Das wertvollste Gut, das Cook auf seinen Schiffen wie etwa der »Bark Endeavour« oder der »Bark Resolution« (1), vorrätig hielt, war Trinkwasser. Cook ließ, als er die Südsee systematisch befuhr, auf jeder Insel Frischwasser an Bord nehmen. Maßlos enttäuscht war James Cook von der Osterinsel. Er erreichte das Eiland am 11. März 1773. Cook hielt in seinen Aufzeichnungen fest, dass das Trinkwasser auf der Osterinsel von miserabler Qualität sei. Es war seiner Meinung »schlecht, kaum wert, an Bord gebracht zu werden«. Am 17, März 1773 hielt Cook fest: »Keine Nation wird je für die Ehre kämpfen, die Osterinsel erforscht zu haben, sintemalen es kaum ein anderes Eiland in jenem Meer gibt, welches weniger Erfrischungen bietet und Annehmlichkeiten für die Schifffahrt, wie dieses.«
Es war kurz nach Mitternacht. »Mein Pferd« stapfte plantschend durch seichtes Wasser, hob immer wieder den Kopf und beäugte mich – so kam es mir vor – argwöhnisch. Und immer wieder senkte es den Kopf und trank. Salzwasser? Ob ich mich da nicht vielleicht doch täuschte? Vorsichtig näherte ich mich am Ufer dem ängstlichen Tier. Es stand in seichtem Wasser und schien tatsächlich Salzwasser zu trinken.
Osterinsel.de, die wahrscheinlich seriöseste Informationsquelle in Sachen Osterinsel fasst zusammen (2): »Außer Süßwasserseen in den Kratern des Rano Kau, Rano Raraku und Rano Aroi gibt es keine Gewässer auf der Insel. Die Osterinsel ist eine Vulkan-Insel mit porösem Tuffgestein. Das Regenwasser versickert schnell in den Boden, sammelt sich auf härtere Schichten und fließt unterirdisch zur Küste. Gerade an der Südküste sind in der Nähe der Ahu-Anlagen künstlich angelegte Tiefbrunnen zu finden, aus denen Süßwasser geschöpft wurde. Die ersten europäischen Entdecker waren deshalb auch der Meinung, die Rapa Nui würden Salzwasser trinken.«
Foto 3: Cooks »Bark Resolution« |
Am 11. Oktober 2018 berichtete wissenschaft.de (4) über »Osterinsel: Erstaunliche Trinkwasserquelle«. Ich darf zitieren: »Wie die Forscher um Carl Lipo von der Binghamton-Universität erklären, bekommt die Insel nur vergleichsweise wenig Regen ab und dieser versickert sehr schnell in dem porösen Boden. Es gibt auf der Insel deshalb keine Fließgewässer und nur zwei sehr schwer zugängliche Kraterseen. Es wurden zwar Spuren kleiner Regenwasserspeicher der Rapanui gefunden. Sie konnten aber wohl kaum die Bevölkerung in trockenen Zeiten versorgen, erklären die Forscher. Ihnen zufolge müssen sich die Erbauer der Moai noch auf andere Weise mit Trinkwasser versorgt haben. Grundlage ihrer Studie bildete eine mysteriöse Bemerkung in den Aufzeichnungen der europäischen Entdecker: Angeblich tranken die Ureinwohner Meerwasser. Das ist natürlich eigentlich nicht möglich: Der hohe Salzgehalt macht es nicht nur zu einem abstoßenden, sondern auch lebensgefährlichen Getränk.«
Carl Lopos Team machte eine Entdeckung, so berichtet wissenschaft.de weiter: »Es gibt demnach Bereiche an der Küste, an denen man Brackwasser abschöpfen kann, dass den Analysen des Salzgehalts zufolge trinkbar ist. ›Die porösen vulkanischen Böden absorbieren schnell Regen, weshalb es keine Fließgewässer gibt‹, sagt Lipo. ›Doch glücklicherweise fließt das Wasser im Untergrund und verlässt den Boden dann an Stellen, an denen poröses Gestein auf den Ozean trifft. Bei niedrigen Gezeiten führt dies dazu, dass das Süßwasser direkt ins Meer fließt und genutzt werden kann‹, resümiert der Wissenschaftler.«
Er und seine Kollegen sind sogar der Meinung, dass die ungewöhnliche Trinkwasserbeschaffung etwas mit den monumentalen Statuen zu tun haben könnte. Es gilt als unklar, warum sie nur an bestimmten Orten auf der Insel errichtet wurden – mit einer hohen Konzentration in der Nähe der Küsten. ›Jetzt, da wir wissen, wo das Trinkwasser herkam, zeichnet sich eine Erklärungsmöglichkeit für die Positionierung der Monumente ab: Sie wurden dort gebaut, wo das Süßwasser vorhanden war‹, sagt Lipo. Dieser Spur wollen die Forscher nun weiter nachgehen.«
Die Presse frohlockte. Eine weitere Nuss in Sachen Geheimnisse unseres Planeten war geknackt. Am 16.11.2019 jubelte die schweizerische Tageszeitung »Blick« (5): »Rätsel um die Osterinsel Statuen gelöst«. Vorsichtiger formulierte »Der Standard« am 12. Januar 2019 (6): »Archäologie/ Weiteres Mysterium um Statuen der Osterinsel womöglich gelöst«. »Vienna.at« ließ am 16. Januar 2019 keinerlei Zweifel mehr zu (7): »Rätsel um mysteriöse Steinstatuen auf der Osterinsel ist gelöst«. Weiter lesen wir da: »Endlich weiß man, warum die bekannten Statuen aus Stein auf der Osterinsel stehen.« weather.com weiß, dass wir’s nun ganz genau wissen (8): »Uraltes Rätsel gelöst: Deswegen stehen die Statuen auf der Osterinsel. Die Steinstatuen auf der Osterinsel, auch Moai genannt, stellen Wissenschaftler schon lange vor Rätsel. Eine Studie deckt nun auf, was sich hinter den Standorten der Steinfiguren verbirgt.«
Was »deckt die Studie« wirklich auf? Zunächst weist die Studie darauf hin, dass bei Ebbe plötzlich »Quellen« zu erkennen sind, aus denen Regenwasser in den Pazifik fließt. Bei Flut sind diese »Quellen« nicht zu erkennen. Dann wird eine These aufgestellt, und die lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Statuen wurden um die Osterinsel herum aufgestellt, um zu markieren an welchen Stellen im Uferbereich trinkbares Wasser austritt. Bei Ebbe kann das Brackwasser abgeschöpft und als Trinkwasser genutzt werden.
Offen gesagt: Mir leuchtet diese Erklärung nicht wirklich ein. Es mag durchaus zutreffen, dass da und dort, wo Statuen im Uferbereich auf Plattformen stehen, tatsächlich auch solche »Quellen« austreten. Aber um zu markieren, wo diese für das Leben auf der Osterinsel unverzichtbaren Regenwasserquellen sprudeln, da mussten nicht bis zu zehn Meter hohe Steinkolosse quer über die Insel transportiert und auf mächtigen Plattformen aufgestellt werden. Auch wären dann keine tonnenschweren »Hüte«, die auf den Häuptern der Statuen platziert wurden, erforderlich gewesen. An der Bucht von Tongariki stehen dicht bei dicht gleich fünfzehn der weltberühmten Osterinselstatuen. Und diese Kolosse sollen auf eine Süßwasserquelle aufmerksam machen? Es hätten einfachere Hinweise voll und ganz genügt, etwa kleine Steinpyramiden.
Foto 5: Sie schauten ins Landesinnere |
Anfang der 1980er Jahre machte mich der Kulmbacher Rudolf Kutzer (9), von Beruf Architekt und Baustatiker, auf einen interessanten Gedanken aufmerksam. Der Dipl.-Ingenieur kam nach gründlichen Recherchen vor Ort zur Überzeugung, dass sich die Blicke aller rund um die Osterinsel aufgestellten Statuen an einem Punkt im Inneren des mysteriösen Eilands treffen. Zufall? (Ausgenommen sind natürlich die zahlreichen Statuen im Inneren des Eilands, etwa beim »Steinbruch« und jene Sieben, die die sieben Kundschafter repräsentieren! Um die geht es nicht.)
Rudolf Kutzer veröffentlichte im Sammelband »Aus den Tiefen des Alls, Handbuch zur Prä-Astronautik« (10) ein Kapitel über die Osterinsel (11), betitelt »Feststellungen und Gedanken zur Osterinsel«. Da heißt es erklärend zu einer Zeichnung (12): »Die einzelnen ›Strahlen‹, die sich über dem Inselmittelpunkt treffen und vielleicht einen ›heiligen Ort‹ auf dem Boden anzeigen, werden durch die Blickrichtung der rings um die Insel aufgestellten Moais ›erzeugt‹.« Sollten also die Statuen rund um die Osterinsel dem Pazifik den Rücken zuwenden, um alle einen Punkt im Inneren des nach wie vor rätselhaften Eilands anzupeilen? In »Ava Ranga Uka a Toroke Hau« gab es einst ein Wasserheiligtum, bestehend aus künstlichen Kanälen, Wasserbecken und einer Feuerstelle. Sollen uns die Blicke der steinernen Riesen zu diesem Heiligtum im Inneren der Osterinsel locken? Dort hat von 2008 bis 2018 ein Team der »Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des Deutschen Archäologischen Instituts« umfangreiche Ausgrabungen durchgeführt. Treffen sich die Blicke der Osterinselriesen dort? Oder gibt es irgendwo in der »Unterwelt« ein Heiligtum, das bis heute nicht entdeckt wurde? Eine präzise Rekonstruktion des Schnittpunkts, wo sich alle Blicke der Riesenstatuen treffen, ist leider nicht mehr möglich: Wir wissen ja nicht, wie genau die einzelnen Statuen auf ihren Podesten standen, bevor sie gestürzt wurden. Niemand weiß, ob sie exakt so wieder aufgerichtet wurden, wie sie einst positioniert waren.
Foto 6: Ja wo schau(t)en sie denn hin, die Statuen? |
Katherine Routledge versuchte vor über einem Jahrhundert dem Geheimnis der Osterinsel näher zu kommen. Das mysteriöse Eiland ähnele sehr den »Scilly Inseln«. Die kaum bekannte Inselgruppe liegt vor der Südwestspitze Englands bietet fast subtropisches Klima. Sie schrieb über die »Scilly Inseln«, Cornwall, was auch auf die Osterinsel zutrifft (13):
»Überall weht der Wind des Himmels. Um uns herum und über uns dehnen sich grenzenloses Meer und Himmel aus, unendlicher Raum und eine große Stille. Wer dort lebt, der lauscht ohne zu wissen wem oder was. Und der spürt unbewusst, dass er sich in einem ›Vorzimmer‹ befindet, zu etwas noch viel Weiterem, das sich jenseits seines Wissens befindet.
Die Osterinsel wie die »Scilly Islands« liegen einsam, ja verloren auf unserem Planeten in den unendlichen Weiten des Universums. Und wir? Wir verbringen eine Winzigkeit von Zeit in der unendlichen Geschichte des Universums.
Auf einer Zugfahrt von Hannover nach Bremen zeigte mir ein freundlicher Mitreisender ein schmales Bändchen, mit Sprüchen von Ole Nydahl und anderen buddhistischen Lehrern. Von Lama Ole Nydahl stammt ein bemerkenswertes Zitat, das mir immer in den Sinn kommt, wenn ich über die Geheimnisse der Osterinsel nachdenke. Es lautet (14): »Die grundlegende Natur unseres Geistes ist grenzenlos und unzerstörbar wie der Raum. So wie wir mit dem Geist arbeiten und zu dieser Erkenntnis kommen, dann erkennen seine natürlichen Qualitäten deutlich und wir werden furchtlos und bekommen mehr Überschuss, um anderen zu helfen.«
Foto 7: Auch er schaut Richtung Inland |
(1) Die »Resolution« war ein Kohleschiff und hieß ursprünglich »Bark Marquis of Granby«. Sie wurde zunächst in »Drake«, dann (aus Rücksicht auf die Spanier) in »Resolution« umgetauft.
(2) http://www.osterinsel.de/08-moai-inland.htm (Stand 19.02.2019)
(3) https://www.blick.ch/life/wissen/naturwissenschaften/geheime-wasserquellen-entdeckt-raetsel-um-die-osterinsel-statuen-geloest-id15113236.html (Stand 19.02.2019)
(4) https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/osterinsel-erstaunliche-trinkwasserquelle/ (Stand 19.02.2019)
(5) https://www.blick.ch/life/wissen/naturwissenschaften/geheime-wasserquellen-entdeckt-raetsel-um-die-osterinsel-statuen-geloest-id15113236.html (Stand 19.02.2019)
(6) https://www.derstandard.de/story/2000095977353/weiteres-mysterium-um-statuen-der-osterinsel-womoeglich-geloest (Stand 19.02.2019)
(7) https://www.vienna.at/raetsel-um-mysterioese-steinstatuen-auf-osterinseln-ist-geloest/6063035 (Stand 19.02.2019)
(8) https://weather.com/de-DE/wissen/mensch/video/uraltes-ratsel-gelost-deswegen-stehen-die-statuen-auf-der-osterinsel (Stand 19.02.2019)
(9) Rudolf Kutzer wurde 1924 geboren.
(10) Fiebag, Peter und Johannes: »Aus den Tiefen des Alls, Handbuch zur Prä-
Astronautik«, Tübingen 1985
(11) ebenda, Seiten 221-241
Siehe auch https://www.fischinger-blog.de/2015/07/die-insel-die-zum-himmel-sieht-die-maoi-weisen-den-weg-eine-pyramide-ueber-der-osterinsel-und-eine-geheime-botschaft-im-inneren/ (Stand 19.2.2019)
(12) Fiebag, Peter und Johannes: »Aus den Tiefen des Alls, Handbuch zur Prä-
Astronautik«, Tübingen 1985, Seite 239
(13) Routledge, Katherine: »The Mystery of Easter Island«, 1919, Nachdruck Kempton 1998, Zitat Seite 133, Zeilen 12 bis 17 von unten. Übersetzung aus dem Englischen: Walter-Jörg Langbein.
(14) Ole Nydahl, auch als Lama Ole bekannt, wurde am 19. März 1941 nördlich von Kopenhagen geboren. Von 1960 bis 1969 studierte er Philosophie, Englisch und Deutsch in Kopenhagen und einige Semester auch in Tübingen und München. Das Philosophikum bestand er mit Bestnote. Bei dem Büchlein handelte es sich wahrscheinlich um einen Privatdruck. Weder Verlag noch Verlagsort oder Jahr des Erscheinens konnte ich entdecken.
Zu den Fotos
Foto 1: Sie hatten einst alle Augen... Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Cooks »Bark Endeavour«. Wiki commons/ gemeinfrei
Foto 3: Cooks »Bark Resolution«. Wiki commons/ gemeinfrei
Foto 4: 15 Kolosse wenden dem Meer den Rücken zu. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Sie schauten ins Landesinnere. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6 : Ja wo schau(t)en sie denn hin, die Statuen? Archiv Langbein/ Kutzer
Foto 7: Auch er schaut Richtung Inland. Foto Walter-Jörg Langbein
Im Schatten des Riesen: Ingeborg Dielmann (rechts) und Elfriede Wellbrock (rechts)
485 »Das Universum des Professors«,
Teil 485 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 5. Mai 2019
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