»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
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Foto 1: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein |
Die Geschichte von Adam und Eva ist die bekannteste der Bibel überhaupt. Auch der Koran kennt Adam. Im Koran werden die Menschen »Kinder Adams« genannt. In der Sure Al-Isra‘ (1) lesen wir: »Und wir waren gegen die Kinder Adams huldreich und haben bewirkt, dass sie auf dem Festland (von Reittieren) und auf dem Meer (von Schiffen) getragen werden, (haben) ihnen (allerlei) gute Dinge beschert und sie vor vielen von denen, die wir (sonst noch) erschaffen haben, sichtlich ausgezeichnet.«
Altes Testament und Koran bieten ganz ähnliche »Urgeschichte« der Menschheit, es gibt aber einen wesentlichen Unterschied. Der Gott des Alten Testaments setzt Adam als Gärtner ins Paradies. Der Adam des Korans freilich spielt eine sehr viel dominantere Rolle als sein jüdisches Pendant. Der Gott des Korans verkündet den Engeln vor der Erschaffung Adams, dass er den ersten Menschen als »chalīfa« einsetzen werde. Während meines Studiums der evangelischen Theologie in Erlangen, aber auch in Göttingen, hatte ich immer wieder Gelegenheit, mich mit Muslimen über die Problematik der richtigen Übersetzung des Korans zu unterhalten. Ein konkretes Beispiel: Adam bekommt von Allah die Position eines »chalīfa«. Wie aber übersetzt man »chalīfa« ins Deutsche? Ein »chalīfa« ist im Arabischen gewöhnlich ein »Stellvertreter« oder »Nachfolger«. Beide Ausdrücke tauchen in unterschiedlichen Übersetzungen auf. Rudi Paret (*1901; †1983) formuliert es so (2): »
Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen!« Die angeblich wortgetreue Übersetzung von Dr. Ullmann bietet an (3): »Ich will auf Erden einen Statthalter setzen.« Was also war Adam? »Nachfolger« oder »Statthalter«? Ich bin versucht, den Adam des Korans als eine Art »Papst« zu sehen, als »Stellvertreter« Gottes auf Erden. Diese hohe Stellung Adams in der Schöpfung nach dem Verständnis des Korans erklärt die Dominanz des Mannes im Weltbild der Muslime.
Die Engel sind von dieser Idee ganz und gar nicht begeistert und warnen Gott (3): »Willst du auf ihr (auf der Erde) jemand einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt … ?« Offensichtlich lässt such Allah nicht von seinem Vorhaben abbringen und schlägt die mahnenden Worte der Engel in den Wind. Betrachtet man die Weltgeschichte bis in die Gegenwart, so kann man nur konstatieren, dass sich die Prophezeiung der Engel bewahrheitet hat. Der Mensch richtet auf Erden in der Tat Unheil an und vergießt Blut.
Foto 2: Adam nach Albrecht Dürer. Briefmarke Vereinigte Arabische Emirate (1971) |
Im Alten Testament (4) wie im Koran (5) darf Adam die Tiere benennen. Mit dem Beim-Namen-Nennen erhält Adam, das ist eine uralte magische Vorstellung, Macht. Diese magische Vorstellung findet sich noch im Märchen von Rumpelstilzchen, der seine Macht verliert, sobald man ihn beim Namen nennt.
Im Koran benennt Adam nicht nur alle Dinge, er ruft auch die Engel, so wie von Gott befohlen beim Namen (6): »Er (Gott) sprach: ›O Adam, nenne ihnen ihre Namen!‹« Somit steht Adam über den Engeln, die sich, wieder auf Geheiß Gottes, vor Adam zu Boden werfen müssen. Das tun alle Engel, mit Ausnahme des hochmütigen Iblis. Iblis will Allah beweisen, dass die Menschen unwürdig sind, so dass man von ihm nicht erwarten kann, sich demütig vor den Menschen zu Boden zu werfen. Allah willigt ein und Iblis darf bis zum Jüngsten Tag versuchen zu beweisen, dass der Mensch unwürdig ist (7).
Die Geschichte von Adam und Eva ist die bekannteste der Bibel überhaupt. Auch der Koran kennt Adam. Im Koran werden die Menschen »Kinder Adams« genannt. Im Alten Testament wie im Koran wird Adam von Gott geschaffen. Freilich sind Adam und Eva sehr viel älter als der Koran und das Alte Testament. Nehmen wir die Spur auf!
Adam erhebt sich im Alten Testament über Eva. So wie er alle Tiere benennt und so Macht über sie erhält, so benennt er auch seine Frau (8): »Und er rief, Adam, einen Namen seiner Frau: Chawa, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden.«
Foto 3: Eva nach Albrecht Dürer. |
Die »Hoffnung für Alle«-Ausgabe der Bibel versucht dem Laien den Zusammenhang zu verdeutlichen, indem eine »Übersetzung« von »Eva« angeboten und in Klammern eingefügt wird: »Adam gab seiner Frau den Namen Eva (›Leben‹), denn sie sollte die Stammmutter aller Menschen werden.«
»Eva«, so meint der Laie verstehen zu müssen, heißt also Leben. Und weil Eva die »Stammmutter aller Menschen« wurde, nannte ihr Mann Adam sie in prophetischer Weitsicht »Eva«, eben »Leben«.
Die Brisanz des Originaltextes geht allerdings in sämtlichen Übersetzungen verloren. Im hebräischen Original steht nämlich, wortwörtlich ins Deutsche übertragen: »Und der Mann nannte seine Frau Eva, denn sie war die Mutter aller lebenden Dinge/ alles Lebendigen.« Im Originaltext ist Eva nicht nur Stammmutter aller künftigen Menschen, sondern alles Lebendigen. Dazu gehören nach uralter Vorstellung die Pflanzen, die Tiere, die Menschen – und die Götter. Eva erhält also ihren Namen, weil sie als wirkliche Urmutter von Tieren, Menschen und Göttern und nicht nur von den Menschen angesehen wurde!
Was vordergründig als eine sprachwissenschaftliche Haarspalterei erscheinen mag, birgt geradezu die Brisanz eines Sakrilegs: Eva war demnach weit mehr als die erste Frau und Mutter aller Menschen, die nach ihr lebten. Sie war die »Mutter alles Lebendigen«. Sie trug damit einen uralten Ehrentitel, den es schon im Sumerischen gab, lange bevor die Bibel geschrieben wurde. »Eva« entspricht der sumerischen Göttin »nin.ti«. »Nin.ti« wurde nicht nur »Herrin des Lebens«, sondern auch »Herrin der Rippe« genannt. Das sumerische »Herrin der Rippe« lässt sich auch mit »Herrin/ Göttin, die Leben erschafft« übersetzen!
Jetzt erscheint die Aussage der Bibel, dass Eva aus Adams Rippe kreiert wurde, in ganz anderem Licht! Eva, die Urmutter alles Lebendigen, war ursprünglich viel mehr als die erste Frau. Sie war eine Göttin, die alles Leben schuf!
Foto 4: Eva greift nach dem Apfel, Fotomontage nach einem Motiv von Maarten van Heemskerck. |
Wie Eva wurde die Göttin Ninhursag (alias »Mami« und »Nintu«) auch »Mutter alles Lebenden« genannt, das allerdings schon Jahrtausende vor Entstehung der Bibel. Göttin Ninhursag trug eine Art Ehrentitel: wahre und große Herrin des Himmels. Klingt das nicht auch nach Maria, Jesu Mutter, genannt die »Gottesmutter«?
Eva ist die zum Menschen degradierte einstige »Göttin der Rippe«, die alles Leben schuf. Sie ist die von den biblischen Theologen entmachtete Göttin Ninhursag der Sumerer, die einst als mächtige Erd- und Muttergottheit angebetet wurde. Als Göttin der Fruchtbarkeit bestimmte sie über das Schicksal der Erde. In Tempel-Hymnen wird sie als »wahre und große Herrin des Himmels« gepriesen.
Foto 5: Eva nach Lucas Cranach d.Ä. |
In der Welt des Vorderen Orients gab es eine Vielzahl von Göttinnen. Genauer gesagt: Es sind unzählige Namen von Göttinnen überliefert, die eine ganz besonders große Rolle in den Glaubenswelten der Menschen gespielt haben müssen. Verfolgen wir die Spur der Göttinnen zurück in die graue Vorzeit! Rasch erkennen wir, dass sie alle einen gemeinsamen Ursprung haben. Am Anfang war nicht der männliche Schöpfergott. Am Anfang war nicht der männliche Urheber allen Seins, sondern die Göttin. Vielfältig wie die unterschiedlichen Namen der Göttinnen, scheinen auchdie ältesten Überlieferungen über den Ursprung allen Seins zu sein.
Der Schein aber trügt, wie der Anthropologe, Orientalist und Bibelforscher Raphael Patai (*1910; †1996), feststellt (9): »Die ältesten Antworten auf die berühmte Frage nach dem Woher wiederholen immer wieder in mannigfaltiger Form die gleiche Idee: Es war der Körper der Urgöttin, aus dem entweder das Weltenei erschien oder aus dem die Erde geboren wurde. Oder es war der Körper der Göttin selbst, aus dessen Materie die Erde geformt wurde. So beginnen die ältesten Kosmologien mit der Urgöttin.« Schon 1930 kam der Theologe Wilhelm Schmidt (*1868; †1954) in seinem Werk »Ursprung und Werden der Religion« zur Erkenntnis, dass uralte Kulturen das höchste Wesen häufig als Göttin sahen. Schmidt, ein deutsch-österreichischer römisch-katholischer Priester, Religionswissenschaftler, Sprachwissenschaftler und Ethnologe, war weltweit geachteter Theologe im besten Sinne des Wortes. Er blickte weit über den Tellerrand der eigenen Konfession hinaus.
Foto 6: Die legendäre sumerische Göttin Ninhursag. |
Die »Urgöttin« Eva, die »Mutter alles Lebenden« wurde mit »Mutter Erde« gleichgesetzt. Im biblischen Buch Hiob (10) wird versteckt noch an das Bild von »Mutter Erde« erinnert: »Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück.« Zunächst denkt man an die menschliche Mutter, die das nackte Baby gebiert. Doch im zweiten Teil des Satzes ist vom Tod die Rede: Als nackter Leichnam kehrt der Tote nicht in den Leib seiner irdischen Mutter, sondern in den »Leib« der Erde zurück. Der Tote wird im Erdreich bestattet. Die Erde wird ganz klar als »Schoß der Mutter« bezeichnet, in den der Mensch zurückkehrt. Die verborgene Botschaft lautet also: Mutter Erde hat den Menschen geboren und nimmt ihn nach seinem Tode wieder auf. Sollte man gar einen Schritt weiter gehen können? Spielt der Hiob-Satz auf die Lehre von der Wiedergeburt an: Der Mensch wird geboren, stirbt, aber um wieder geboren zu werden?
Walter-Jörg Langbein: »Als Eva noch eine Göttin war: Die Wiederentdeckung des Weiblichen in der Bibel – Verborgenes Wissen in biblischen Schriften, verbotenen Büchern und sakralen Kunstwerken«, Groß-Geruau 2015; >> amazon
Foto 7: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein |
Fußnoten
(1) Übersetzung von Paret, Rudi: »Der Koran/ deutsche Übersetzung«, Stuttgart 1979, 2. Auflage, eBook-Version
Sure 30, Vers 70
(2) Ebenda, Sure 2, Vers 30
(3) »Der Koran/ Aus dem Arabischen wortgetreu übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Dr. L. Ullmann«, Paderborn, ohne Jahresangabe, Seite 21, 9.+10. Zeile von unten
(4) 1. Buch Mose Kapitel 2, Vers 18
(5) 2. Sure, Vers 31. Im Koran darf Adam nicht nur die Tiere, sondern alles, alle Dinge, benennen.
(6) 2. Sure, Vers 32
(7) 38. Sure, Verse 79+80
(8) 1. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 20, in meiner wortwörtlichen Übersetzung aus dem Hebräischen.
(9) Patai, Raphael: »The Hebrew Goddess«, 3., erweiterte Auflage, Detroit,
Michigan, USA, 1990
(10) Hiob, Kapitel 1, Vers 21
Zu den Fotos
Foto 1: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Adam nach Albrecht Dürer. Briefmarke Vereinigte Arabische Emirate 1971. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Eva nach Albrecht Dürer. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Eva greift nach dem Apfel, Fotomontage nach einem Motiv von Maarten van Heemskerck. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Eva nach Lucas Cranach d.Ä. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Die legendäre sumerische Göttin Ninhursag. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: »Als Eva noch eine Göttin war«. – Erfolgstitel von Walter-Jörg Langbein
511. »Als Adammu vom Himmel stieg«,
Teil 511 der
Serie
»Monstermauern,
Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg
Langbein,
erscheint am 3. November
2019
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