Dienstag, 7. Februar 2012

Charles Dickens zum 200. Geburtstag

Eine Würdigung von Walter-Jörg Langbein

Charles Dickens
Er schrieb »A christmas carol« (»Eine Weihnachtsgeschichte«) und »Oliver Twist«. Als einer der ersten Autoren weltweit nahm er sich – neben Victor Hugo und Karl May – der Ärmsten der Armen an. Armut kannte er – wie Karl May – aus eigener Erfahrung. Karl May wurde als Sohn einer Weber-Familie geboren, verlor als Kleinstkind – wohl wegen der ärmlichsten Lebensumstände – für Jahre das Augenlicht. Charles Dickens musste als Kind in einer Schuhcremefabrik schuften, weil sein Vater im »Schuldenturm« einsaß. Eingekerkert waren auch seine Mutter und seine sieben Geschwister.

Charles Dickens ... Er erhob als einer der ersten Autoren weltweit die Stimme für die Ärmsten der Armen, für die bis dahin in der feingeistigen Literatur kein Platz war. Charles Dickens griff Themen auf, die damals das elende Leben der Massen nicht nur in England bestimmten: Armut der Unterprivilegierten, Immigration, miserable Lebensbedingungen, keine Chance auf sinnvolle Bildung, Bürden der Bürokratie, unmenschliches Verhalten der vermeintlich christlichen Oberschicht gegenüber jenen, die da unten nur an widerlichsten Lebensverhältnissen zerbrechen konnten, aus bitterer Not geborene Kriminalität und fehlende Möglichkeiten als Straftäter wieder in die ehrbare Gesellschaft aufgenommen zu werden ...

Charles Dickens:
A Christmas Carol
Charles Dickens benannte schonungslos die bis dahin verdrängten Probleme seiner Zeit. Wie Karl May war Charles Dickens unglaublich produktiv. Seine Romane rüttelten auf und fesselten eine stetig wachsende Leserschaft. Dickens publizierte seine Romane in Zeitschriften... in Fortsetzungen. So verschlang man in England von Januar 1837 und April 1839 »Oliver Twist« von Charles Dickens, der häufig seine Stoffe erst während des Schreibens entwickelte. Die ersten Folgen gingen in Druck, während Dickens an den Fortsetzungen schrieb... wie Karl May.

Und Dickens bewirkte etwas: Die breite Öffentlichkeit wurde auf das Elend der Ärmsten aufmerksam. Die Öffentlichkeit reagierte empört und zwang die Politik, endlich etwas gegen die schlimmsten Missstände zu unternehmen. So wurde der reale Slum von London, den Dickens in »Oliver Twist« so realistisch beschrieb ... so wurde die Hölle der Ärmsten der Armen abgerissen. Es ist traurig, dass es erst eines Romanautors bedurfte, um die Menschen aufzurütteln, die bequem lebend das reale Elend ihrer Mitmenschen verdrängten.

Charles Dickens
Charles Dickens wurde am 7. Februar 1812 in Landport bei Portsmouth (Hampshire) geboren, als zweites von acht Kindern. 1817 kam es zum ersten Umzug: nach Chatham in Kent. 1822 zog die Familie wieder weiter: nach London. Vater John Dickens (1786-1851), ein Angestellter im »Navy Pay Office« war versetzt worden. Das karge Salär von Vater Dickens reichte nicht, um die Familie zu ernähren. Schulden waren die Folge, Zinsen konnten nicht bezahlt werden, die Familie wanderte unter unsäglichen Bedingungen ins Gefängnis ... Der elfjährige Charles Dickens musste – elf Jahre alt! - in einer Schuhcremefabrik schuften. Seine Erfahrungen mit der bitteren Armut und der menschenunwürdigen Kinderarbeit sollte Dickens später realistisch in seinem Roman »David Copperfield« beschreiben ... und so auf die schlimmsten Zustände im England des 19. Jahrhunderts aufmerksam machen.

Erst als Vater Dickens aus dem Gefängnis entlassen wurde, konnte Sohn Charles wieder eine Schule besuchen. Das war 1826. Ein Jahr später, 1827 – Charles war 15 – bekam er eine Anstellung als Schreiber bei einem Anwalt. Da ihm eine Schulausbildung verwehrt blieb, war Charles auf eigene Studien angewiesen. Der junge Dickens war häufiger Gast im »British Museum«. Ehrgeizig wie er war, schuftete Dickens im Beruf, machte auf sich aufmerksam ... und brachte es 1829 immerhin zum parlamentarischen Berichterstatter.

Charles Dickens
Charles wollte auf keinen Fall in eine ähnliche Notsituation geraten wie sein Vater. Als sich Charles Dickens 1830 in Maria Beadnell verliebte und bei ihren Eltern um die Hand der jungen Frau anhielt, lernte er die Verachtung der sogenannten höheren Kreise für gesellschaftlich »nieder Schichten« kennen. Maria Beadnell wurde auf eine Mädchenschule in Paris geschickt, die romantische Liaison durch väterliche Gewalt beendet. Jetzt gab es für Charles Dickens nur noch ein Ziel: Er wollte unbedingt gesellschaftlich aufsteigen. Ob er sich damals vorstellen konnte, nicht nur reich, sondern einer der geachtetsten Autoren Englands, ja der Welt zu werden?

Karl May, Sohn armer Webersleute, versuchte gesellschaftliche Anerkennung zu finden: als Lehrer. Doch kleinste »kriminelle« Verfehlungen, vorwiegend Bagatelldelikte, brachten dem Vater von »Old Shatterhand« und »Winnetou« ins Gefängnis. Noch in der Haft plante May eine Zukunft als Schriftsteller. Karl May gelang der Aufstieg zum wohlhabenden Romanautor. Immens fleißig, kreierte er geradezu ausufernde Fortsetzungsromane ... wie Charles Dickens. Dickens allerdings blieb das Gefängnis erspart.

Karl May
Charles Dickens schreib ab 1831 für die »True Sun«, wirkte am »Parlamentsspiegel« mit und erhielt schließlich eine Anstellung beim »Morning Chronicle«. 1836 erregte Dickens mit seinen »Pickwick Papers« (»Die Pickwickier«), die in Fortsetzungen erschienen, Aufsehen.

Charles Dickens hatte den richtigen Weg eingeschlagen: Er wollte durch seine aufrüttelnden Werke etwas tun, um das Los der Ärmsten der Armen zu verbessern. Und er wollte für sich den gesellschaftlichen Aufstieg erreichen. Beides gelang ihm. Seine Werke schildern einerseits hart unglaubliche Missstände ... Sein ganz besonderer, häufig zynischer Humor kennzeichnen sein Werk. Und sein Werk machte Dickens zum Publikumsliebling, ja für viele seiner Zeitgenossen zur Lichtgestalt.

Mit dem Erfolg kamen aber auch die Neider. Dickens wurde vorgeworfen, andere Werke geguttenbergt, sprich plagiiert, zu haben. Einige Empörung löste Dickens' Trennung von seiner Frau Catherine aus ... nach über zwanzigjähriger Ehe und – auch als Vater war Dickens sehr produktiv – zehn gemeinsamen Kindern. Charles Dickens meinte, ohne seine neue große Liebe, die junge Schauspielerin Ellen Ternan, nicht leben und schreiben zu können. Im Haus der Schauspielerin, so heißt es, sei er am 9. Juni 1870 gestorben.

Oliver Twist
Sein Publikum blieb Charles Dickens allen Skandalen zum Trotz treu. Wie ein Star aus unseren Tagen wurde er bejubelt, nicht nur in England, sondern auch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Von Amerika war Dickens allerdings bitter enttäuscht. Hatte er sich doch die USA als ein freiheitliches und tolerantes Land erhofft ... als einen Hort gesellschaftlicher Harmonie und Gerechtigkeit im Gegensatz zum England der Adelsherrschaft und der krassen Klassenunterschiede. Die Realität aber sah anders aus als erträumt: Wie in England gab es auch in den USA klares Klassendenken. Statt sozialer Gerechtigkeit gab es auch hier krasse Unterschiede zwischen Arm und Reich ... und Sklaverei!

Am 9. Juni 1865 wäre Charles Dickens fast bei einem tragischen Zugunglück ums Leben gekommen. Moralapostel sahen in der Bahnkatastrophe göttliche Bestrafung für Dickens' »sittliche Verfehlung«. Geschah die Entgleisung doch, als Dickens von seiner Geliebten Ellen Ternan zurückkam. Dickens kümmerte sich zunächst rührend um Verletzte, denen er erste Hilfe leistete. Dann barg er das Manuskript seines letzten vollendeten Werkes aus den Trümmern, »Unser gemeinsamer Freund« (»Our mutual friend«). Dickens' letzter Roman, »Das Geheimnis des Edwin Drood« («The Mystery of Edwin Drood«) blieb unvollendet.

DavidCopperfield
Vor zweihundert Jahren wurde einer der Riesen der Weltliteratur geboren ... Charles Dickens. Seine letzte Ruhestätte fand der scharfe Kritiker frömmelnder Lügen ausgerechnet in der Londoner »Westminster Abbey«, wo Englands Monarchen seit ewigen Zeiten gekrönt und beigesetzt werden. Ob sich Charles Dickens in deren nobler Gesellschaft wohlgefühlt hätte ... das ist zu bezweifeln. Ein Trost wäre es ihm wohl gewesen, dass ganz in seiner Nähe eine Statue zu Ehren eines anderen literarischen Giganten Englands aufgestellt wurde ... das Standbild von William Shakespeare!

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(Abb. 1-5: Creative Commons - Wikipedia)

2 Kommentare:

  1. Hi, eine gute Darstellung von Carles Dickens. Ich liebe seine Bücher sehr! Mein favorite ist immer noch von all seinen Werken »A christmas carol«

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    Antworten
    1. Walter-Jörg Langbein7. Februar 2012 um 13:45

      Vielen Dank für die lieben Worte! Leider wurde der große Charles Dickens nur 58 Jahre alt... Sein letzter Roman blieb unvollendet!

      Walter-Jörg Langbein

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