Franken-Thriller von Volker Backert,
vorgestellt von
Walter-Jörg Langbein
Einst war das Maintal im Oberfränkischen ein echtes Idyll. Man nannte die Region um Michelau, Lichtenfels und Bad Staffelstein zu Recht den »Gottesgarten«. Als Schulknabe fuhr ich oft vom heimatlichen Michelau zum Gymnasium im etwa fünf Kilometer entfernten Lichtenfels und wieder zurück. Heute grenzt es schon fast an Todessehnsucht, will man diese Strecke mit dem Fahrrad absolvieren. Das einst so schöne Maintal ist förmlich auseinander gerissen worden ... Ein Opfer wurde dem Straßenverkehr gebracht.
Und doch ist das einstige Gottesgärtchen immer noch eine Reise wert: Schloss Banz, Vierzehnheiligen, Staffelberg, die Veste Coburg und so manches Fest zur Sommerszeit locken.
Volker Backert spricht diesen traurigen Sachverhalt in seinem Thriller »Das Haus vom Nikolaus« an:
»›Erst mal drüberfliegen!‹, entschied Charly. Links thronte Kloster Banz, gegenüber ragte Vierzehnheiligen empor. Genau dazwischen hatte die A 73 samt Ein- und Ausschleifungen den einstigen ›Gottesgarten am Obermain‹ plattgemacht.«
In Backerts Thriller wütet ein Serienkiller im Fränkischen. Er sucht sich seine Opfer auf der »Berch Kerwa« in Erlangen, beim »Coburger Samba-Festival«, bei der »Obermain-Beach-and-River-Party« ... kurz gesagt dort, wo recht viele Menschen ausgelassen feiern.
Volker Backert, 1962 in Coburg geboren und am Obermain aufgewachsen, studierte in München und Bayreuth. In Coburg hat er einen Job als »Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit«. Seit Jahren arbeitet er eng mit der Polizei zusammen. So verwundert es nicht, mit welcher Präzision er die Arbeit der Polizei bei der Suche nach einem gefährlichen Serienkiller schildert.
Auch ist ihm die Pressearbeit vertraut. Und so überzeugt er auch mit seiner glasklaren Analyse des Umgangs von Sensationsmedien mit der Realität ... wenn es um die Berichterstattung über blutrünstige Verbrechen geht. »Das Haus vom Nikolaus« - eine mysteriöse »Signatur«, die der Mörder seinen Opfern in den Leib schneidet – ist bestechend in seiner Beschreibung von eigentlich unfassbarer Realität.
Wer glaubt, Serienmörder würden – wie der fiktive Hannibal Lecter – nur in reißerischen Romanen ihr Unwesen treiben, der irrt. Und wer glaubt, dass Serienkiller nur weitab von deutschen Landen Menschen morden, der irrt genauso gewaltig.
Richard Harris erfand die Horrorgestalt Lecter, machte den Arzt und Kannibalen weltberühmt. Anthony Hopkins übernahm die Rolle des psychopathisch-morbiden Mörders in »Das Schweigen der Lämmer«, »Hannibal«, »Roter Drache« und »Hannibal Rising – Wie alles begann« (2007). Was viele Kinogänger nicht wissen: Die Realität ist oft nicht weniger grausam als die Fiktion!
Robert John Maudsley, 1953 geboren, war der wirkliche, der reale Hannibal Lecter. Als jugendlicher, drogenabhängiger Stricher peinigte der Brite einen »Kunden« auf so grausame Weise zu Tode, dass er – ganz ähnlich wie Hannibal Lecter – in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht wurde. Dort begann er eine Mordserie der grausamsten Art.
Hochsicherheitsgefängnisse wurden sein Zuhause. Seit nunmehr fast drei Jahrzehnten ist er im Wakefield-Gefängnis untergebracht, in Einzelhaft, in einer Doppelzelle ohne Fenster. Eine dicke Panzerglasscheibe trennt ihn von den Wächtern, die den gefährlichen Psychopathen ständig beobachten können. Sein Essen wird ihm auf Papptellern gereicht. Nur Plastikgeschirr darf er benutzen, weil ein metallenes Essbesteck in seinen Händen zur tödlichen Waffe würde. Sechs bis acht Wächter, unterstützt von äußerst scharfen Wachhunden, passen auf ihn auf, wenn er seinen »Spaziergang« auf einem streng bewachten Gang absolviert. Die Tiere wurden eigens für Maudsley angeschafft. Ein Kontakt zu Mitgefangenen sollte vermieden werden. Das gelang aber nur bedingt, was einige Mithäftlinge mit dem Leben bezahlen mussten.
Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen mordete der reale Hannibal Lecter im Gefängnis weiter, stets im Hass auf Homosexuelle und pädophile Straftäter. (1) Wiederholt soll es dabei zu Kannibalismus gekommen sein.
Am 5. März 2012 vermeldete »Daily Mirror«, Robert John Maudsley sei »bei schlechter Gesundheit«. Zwei Ärzte behandeln ihn, wohl nicht ohne Angst. Die Bevölkerung muss aber keine Angst haben: Maudsley gehört zu einer kleinen Minderheit von Häftlingen, die unter keinen Umständen je wieder in die Freiheit entlassen werden. Der gefährliche Mörder wird den Rest seiner Tage in Einzelhaft verbringen. Nur so kann die Öffentlichkeit vor der menschlichen Bestie geschützt werden.
Von England nach Deutschland. Auch im »Schatten des Staffelbergs« wurde gemordet... Im Frankenland suchte die Polizei vor Jahrzehnten 357 Tage lang nach dem Mörder von drei jungen Mädchen. Am 2. Weihnachtsfeiertag 1959 schlug der damals sechzehnjährige Manfred Wittmann erstmals zu und fiel über eine 19-Jährige her. Der Täter zwang sein Opfer, sich auszuziehen. Mit seinem Taschenmesser verletzte er die junge Frau schwer. Sie überlebte aber zum Glück. Zu einer Verhaftung kam es damals nicht. Gerüchte kursierten damals, wonach Manfred Wittmann Kratzwunden an den Händen hatte. Wie hatte er sich die Wunden zugezogen?
Fast ein Jahrzehnt verstrich. Dann, am 19. Dezember 1968 ermordete er auf bestialische Weise Nora Wenzl. Zwei weitere, grausame Morde folgten. Am 28. August 1969 tötete er Helga Luther, am 15. November 1969 Sieglinde Heubner. Jetzt erinnerte sich ein Zeuge an den Mordversuch von 1959 ... und an die Kratzspuren an den Händen von Manfred Wittmann. Er wurde verhaftet.
Am 15. Dezember 1971 wurde das Urteil verkündet: drei Mal lebenslänglich für drei Morde »zur Befriedigung seines sadistischen Geschlechtstriebes. Inzwischen wurde die Haft von der Strafvollzugskammer Regensburg auf Bewährung ausgesetzt. Bis zum 30. September 2012 soll, so das Gericht, »eine geeignete Unterbringung« gefunden werden für den inzwischen 69jährigen gefunden werden. Nach fast 42 Jahren Haft, so heißt es, mache eine weitere Inhaftierung des »gesundheitlich schwer Angeschlagenen keinen Sinn«. Eine »geeignete Unterbringung«, etwa bei einer karitativen Organisation, scheint bislang nicht gefunden worden zu sein. Möglicherweise wird Manfred Wittmann in einer Pension untergebracht werden müssen.
In Volker Backerts Roman »Das Haus vom Nikolaus« taucht Manfred Wittmann am Rande, aber mit Namensnennung auf:
»Angespannte Stille herrschte unter den zwölf Kripobeamten. Nur Charly klapperte ungeniert mit der Kaffeetasse, während Polizeidirektor Frank Ritter an einem PC die Tatortfotos studierte. ›Grausam … so was haben wir hier in der Region seit Wittmann in den Sechzigern nicht mehr erlebt.‹«
Volker Backert ist mit »Das Haus vom Nikolaus« ein in höchstem Maße spannender Krimi, ein Thriller von Klasse und Format, gelungen. Autor Backert, wie der Rezensent am Obermain aufgewachsen, hat mit seinem Erstling überzeugt. Wie? Die »Neue Presse«, Coburg, brachte es in einer angemessenen Rezension auf den Punkt (2):
»Gründlich recherchiert, geschickt aufgebaut und flüssig geschrieben, bietet der 250-Seiten-Krimi professionelle Hochspannung, süffisanten Lesestoff und jede Menge Lokalkolorit. Allerdings auch drastische Gewaltszenen und unbehagliche Exkurse in menschliche Abgründe.«
Auch der Rezension des »Nordbayerischen Kurier« kann ich voll inhaltlich zustimmen. Da heißt es (3): »Der Autor Volker Backert hat mit seinem Erstling einen äußerst gelungenen Krimi hingelegt: Spannend konstruiert, gut erzählt, kenntnisreich angelegt und mit einem überraschenden Ende. Backert ist nämlich durchaus Profi: Als Abteilungsleiter für öffentliche Sicherheit arbeitet er eng mit der Polizei zusammen. Ein Umstand, der seinem Krimidebüt wohl tut. Backert hat einen Frankenkrimi geschrieben, der erzählerisch und kompositorisch auf einem hohen Niveau liegt."
Kenntnisreich ist Backerts Werk in jeder Hinsicht: in Sachen Ermittlungsarbeit der Polizei bei der Jagd nach einem Serienkiller, in Sachen Erstellung eines Täterprofils. Realistisch ist er auch in Sachen tagtäglicher Polizeiroutine. Spätestens als der Verdacht, ein Serienkiller könne »aktiv« sein, publik und von der Sensationspresse genüsslich zelebriert wird, arbeitet die Polizei unter wachsendem Erfolgsdruck. Schlagzeilen treiben die zunächst im Trüben fischenden Ermittler an. Die Politik will Erfolge sehen. Kaum gerät jemand unter Verdacht, droht verfrühter Jubel. Polizeiobrigkeit und Politik möchten so rasch wie möglich den Verdächtigen ... den Schuldigen präsentieren. Das Risiko ist groß. Leicht kann verfrüht der Falsche zum Täter erklärt werden. Und dann hat der wahre Killer freie Hand.
Es stimmt einfach alles: Der geschickte Aufbau des Romans vom Anfang bis zum packenden Finale hat mich überzeugt. Die Spannung wächst von Seite zu Seite, ohne dass das auf Kosten von Logikfehlern geht. Backert versteht es meisterlich, stets realitätsnah zu bleiben. Er stellt so manchen amerikanischen Megabestseller in den Schatten!
Mir ging es so: Ich habe Backerts »Haus vom Nikolaus« zu lesen begonnen, weil der Thriller in meiner fränkischen Heimat spielt. Ich wollte – durchaus kritisch – überprüfen, in wieweit reale Szenarien beschrieben werden. Würde ich das schöne Frankenland erkennen? Mich hat bald das liebevoll-präzise Lokalkolorit begeistert. Dann aber geriet ich in den Sog der Handlung. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich musste einfach weiter und weiter lesen. Ich wurde förmlich in den Strudel der immer schneller ablaufenden Handlung gezogen.
Lesend folgte ich dem Geschehen von Tatort zu Tatort im Oberfänkischen, von grausiger Mordtat zu grausiger Mordtat, in die Finsternis der Seele eines Serienmörders. Mörder und Polizei arbeiten beide gegen die Zeit. Der psychopathische Mörder hat sein Ziel im Auge, seinen finalen »Höhepunkt« in einer Mordserie. Der wahnsinnige Kranke will seine Macht demonstrieren: seinen Opfern gegenüber, aber auch der Polizei gegenüber. Am Schluss möchte er als triumphierender Allmächtiger erkannt, anerkannt werden.
Die Polizei ist im Nachteil. Der Täter ist ihr immer um Schritte voraus. Die Polizei kommt ihm langsam auf die Spur. Wird es den Ermittlern gelingen, den Täter einzuholen? Kann die Polizei zugreifen, noch bevor ein weiterer Mord geschieht? Ist es möglich, den Täter zu manipulieren? Kann man ihn durch gezielte Pressemeldungen beeinflussen? Ist es möglich, den nächsten Mord zu verhindern ... oder zumindest hinauszuzögern? Oder muss die Polizei ohnmächtig weitere Untaten geschehen lassen?
Positiv fällt auf: Die Gewaltszenen, die Backert beschreibt, sind durchaus drastisch, aber nie reine Effekthascherei, nie übertrieben, nie Selbstzweck. Natürlich will ich das überraschende Ende nicht verraten. Klar ist, dass am Ende das Gute obsiegt, sprich der blutrünstige Serienmörder zur Strecke gebracht wird. Natürlich wird sein letztes Opfer noch gerade rechtzeitig befreit.
Eigentlich lese ich so gut wie keine Krimis oder Thriller. Aber »Das Haus vom Nikolaus« habe ich in einem Rutsch verschlungen. Ich weiß jetzt, wer der Mörder ist. Das Ende war für mich überraschend, obwohl ich als Autor vieler Kurzkrimis »vom Fach« bin. Ich frage mich, wann es erste Hinweise auf den Täter gab, die ich womöglich übersehen habe. Auf alle Fälle werde ich »Das Haus vom Nikolaus« ein zweites Mal lesen – und jetzt in Ruhe genießen!
Ich kann »Das Haus vom Nikolaus« nur wärmstens empfehlen. Auch was Krimis angeht, muss es nicht immer nur »Amikost« sein! Und ein Besuch im Frankenland ... lohnt sich wirklich. Die Basilika von Vierzehnheiligen ist eine Perle sakraler Baukunst. Sie liegt am Jakobsweg ... und just in der Region, in die uns Volker Backert mit seinem Roman entführt!
Fußnoten
1 Die Angaben über Robert John Maudsley, seine Haftbedingungen und Straftaten variieren in den zahlreichen Berichten. Jaques Bauval hat ein Buch über den Serienmörder verfasst.
Bauval, Jaques: Der wahre Hannibal Lecter, Augsburg 2003
2 »Neue Presse«, Coburg, 08.07.2010
3 »Nordbayerischer Kurier«, Bayreuth, 2.10.2010 (links: Vierzehnheiligen, Foto Ingeborg Diekmann)
Volker Backert: Das Haus vom Nikolaus, Emons Verlag 2010, 254 Seiten, Euro 9,90
Volker Backert: Das Haus vom Nikolaus, Emons Verlag, kindle-Edition 2011, Euro 8,49
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Walter-Jörg Langbein
Blick in den Gottesgarten Foto: W-J.Langbein |
Und doch ist das einstige Gottesgärtchen immer noch eine Reise wert: Schloss Banz, Vierzehnheiligen, Staffelberg, die Veste Coburg und so manches Fest zur Sommerszeit locken.
Volker Backert spricht diesen traurigen Sachverhalt in seinem Thriller »Das Haus vom Nikolaus« an:
»›Erst mal drüberfliegen!‹, entschied Charly. Links thronte Kloster Banz, gegenüber ragte Vierzehnheiligen empor. Genau dazwischen hatte die A 73 samt Ein- und Ausschleifungen den einstigen ›Gottesgarten am Obermain‹ plattgemacht.«
In Backerts Thriller wütet ein Serienkiller im Fränkischen. Er sucht sich seine Opfer auf der »Berch Kerwa« in Erlangen, beim »Coburger Samba-Festival«, bei der »Obermain-Beach-and-River-Party« ... kurz gesagt dort, wo recht viele Menschen ausgelassen feiern.
Schloss und Kloster Banz - Foto: W-J.Langbein |
Auch ist ihm die Pressearbeit vertraut. Und so überzeugt er auch mit seiner glasklaren Analyse des Umgangs von Sensationsmedien mit der Realität ... wenn es um die Berichterstattung über blutrünstige Verbrechen geht. »Das Haus vom Nikolaus« - eine mysteriöse »Signatur«, die der Mörder seinen Opfern in den Leib schneidet – ist bestechend in seiner Beschreibung von eigentlich unfassbarer Realität.
Wer glaubt, Serienmörder würden – wie der fiktive Hannibal Lecter – nur in reißerischen Romanen ihr Unwesen treiben, der irrt. Und wer glaubt, dass Serienkiller nur weitab von deutschen Landen Menschen morden, der irrt genauso gewaltig.
Richard Harris erfand die Horrorgestalt Lecter, machte den Arzt und Kannibalen weltberühmt. Anthony Hopkins übernahm die Rolle des psychopathisch-morbiden Mörders in »Das Schweigen der Lämmer«, »Hannibal«, »Roter Drache« und »Hannibal Rising – Wie alles begann« (2007). Was viele Kinogänger nicht wissen: Die Realität ist oft nicht weniger grausam als die Fiktion!
Robert John Maudsley, 1953 geboren, war der wirkliche, der reale Hannibal Lecter. Als jugendlicher, drogenabhängiger Stricher peinigte der Brite einen »Kunden« auf so grausame Weise zu Tode, dass er – ganz ähnlich wie Hannibal Lecter – in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht wurde. Dort begann er eine Mordserie der grausamsten Art.
Hochsicherheitsgefängnisse wurden sein Zuhause. Seit nunmehr fast drei Jahrzehnten ist er im Wakefield-Gefängnis untergebracht, in Einzelhaft, in einer Doppelzelle ohne Fenster. Eine dicke Panzerglasscheibe trennt ihn von den Wächtern, die den gefährlichen Psychopathen ständig beobachten können. Sein Essen wird ihm auf Papptellern gereicht. Nur Plastikgeschirr darf er benutzen, weil ein metallenes Essbesteck in seinen Händen zur tödlichen Waffe würde. Sechs bis acht Wächter, unterstützt von äußerst scharfen Wachhunden, passen auf ihn auf, wenn er seinen »Spaziergang« auf einem streng bewachten Gang absolviert. Die Tiere wurden eigens für Maudsley angeschafft. Ein Kontakt zu Mitgefangenen sollte vermieden werden. Das gelang aber nur bedingt, was einige Mithäftlinge mit dem Leben bezahlen mussten.
Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen mordete der reale Hannibal Lecter im Gefängnis weiter, stets im Hass auf Homosexuelle und pädophile Straftäter. (1) Wiederholt soll es dabei zu Kannibalismus gekommen sein.
Am 5. März 2012 vermeldete »Daily Mirror«, Robert John Maudsley sei »bei schlechter Gesundheit«. Zwei Ärzte behandeln ihn, wohl nicht ohne Angst. Die Bevölkerung muss aber keine Angst haben: Maudsley gehört zu einer kleinen Minderheit von Häftlingen, die unter keinen Umständen je wieder in die Freiheit entlassen werden. Der gefährliche Mörder wird den Rest seiner Tage in Einzelhaft verbringen. Nur so kann die Öffentlichkeit vor der menschlichen Bestie geschützt werden.
Der Staffelberg - Foto: W-J.Langbein |
Fast ein Jahrzehnt verstrich. Dann, am 19. Dezember 1968 ermordete er auf bestialische Weise Nora Wenzl. Zwei weitere, grausame Morde folgten. Am 28. August 1969 tötete er Helga Luther, am 15. November 1969 Sieglinde Heubner. Jetzt erinnerte sich ein Zeuge an den Mordversuch von 1959 ... und an die Kratzspuren an den Händen von Manfred Wittmann. Er wurde verhaftet.
Am 15. Dezember 1971 wurde das Urteil verkündet: drei Mal lebenslänglich für drei Morde »zur Befriedigung seines sadistischen Geschlechtstriebes. Inzwischen wurde die Haft von der Strafvollzugskammer Regensburg auf Bewährung ausgesetzt. Bis zum 30. September 2012 soll, so das Gericht, »eine geeignete Unterbringung« gefunden werden für den inzwischen 69jährigen gefunden werden. Nach fast 42 Jahren Haft, so heißt es, mache eine weitere Inhaftierung des »gesundheitlich schwer Angeschlagenen keinen Sinn«. Eine »geeignete Unterbringung«, etwa bei einer karitativen Organisation, scheint bislang nicht gefunden worden zu sein. Möglicherweise wird Manfred Wittmann in einer Pension untergebracht werden müssen.
In Volker Backerts Roman »Das Haus vom Nikolaus« taucht Manfred Wittmann am Rande, aber mit Namensnennung auf:
»Angespannte Stille herrschte unter den zwölf Kripobeamten. Nur Charly klapperte ungeniert mit der Kaffeetasse, während Polizeidirektor Frank Ritter an einem PC die Tatortfotos studierte. ›Grausam … so was haben wir hier in der Region seit Wittmann in den Sechzigern nicht mehr erlebt.‹«
Fahrt durch den Gottesgarten - Foto: W-J.Langbein |
»Gründlich recherchiert, geschickt aufgebaut und flüssig geschrieben, bietet der 250-Seiten-Krimi professionelle Hochspannung, süffisanten Lesestoff und jede Menge Lokalkolorit. Allerdings auch drastische Gewaltszenen und unbehagliche Exkurse in menschliche Abgründe.«
Auch der Rezension des »Nordbayerischen Kurier« kann ich voll inhaltlich zustimmen. Da heißt es (3): »Der Autor Volker Backert hat mit seinem Erstling einen äußerst gelungenen Krimi hingelegt: Spannend konstruiert, gut erzählt, kenntnisreich angelegt und mit einem überraschenden Ende. Backert ist nämlich durchaus Profi: Als Abteilungsleiter für öffentliche Sicherheit arbeitet er eng mit der Polizei zusammen. Ein Umstand, der seinem Krimidebüt wohl tut. Backert hat einen Frankenkrimi geschrieben, der erzählerisch und kompositorisch auf einem hohen Niveau liegt."
Kenntnisreich ist Backerts Werk in jeder Hinsicht: in Sachen Ermittlungsarbeit der Polizei bei der Jagd nach einem Serienkiller, in Sachen Erstellung eines Täterprofils. Realistisch ist er auch in Sachen tagtäglicher Polizeiroutine. Spätestens als der Verdacht, ein Serienkiller könne »aktiv« sein, publik und von der Sensationspresse genüsslich zelebriert wird, arbeitet die Polizei unter wachsendem Erfolgsdruck. Schlagzeilen treiben die zunächst im Trüben fischenden Ermittler an. Die Politik will Erfolge sehen. Kaum gerät jemand unter Verdacht, droht verfrühter Jubel. Polizeiobrigkeit und Politik möchten so rasch wie möglich den Verdächtigen ... den Schuldigen präsentieren. Das Risiko ist groß. Leicht kann verfrüht der Falsche zum Täter erklärt werden. Und dann hat der wahre Killer freie Hand.
Es stimmt einfach alles: Der geschickte Aufbau des Romans vom Anfang bis zum packenden Finale hat mich überzeugt. Die Spannung wächst von Seite zu Seite, ohne dass das auf Kosten von Logikfehlern geht. Backert versteht es meisterlich, stets realitätsnah zu bleiben. Er stellt so manchen amerikanischen Megabestseller in den Schatten!
Volker Backert |
Lesend folgte ich dem Geschehen von Tatort zu Tatort im Oberfänkischen, von grausiger Mordtat zu grausiger Mordtat, in die Finsternis der Seele eines Serienmörders. Mörder und Polizei arbeiten beide gegen die Zeit. Der psychopathische Mörder hat sein Ziel im Auge, seinen finalen »Höhepunkt« in einer Mordserie. Der wahnsinnige Kranke will seine Macht demonstrieren: seinen Opfern gegenüber, aber auch der Polizei gegenüber. Am Schluss möchte er als triumphierender Allmächtiger erkannt, anerkannt werden.
Die Polizei ist im Nachteil. Der Täter ist ihr immer um Schritte voraus. Die Polizei kommt ihm langsam auf die Spur. Wird es den Ermittlern gelingen, den Täter einzuholen? Kann die Polizei zugreifen, noch bevor ein weiterer Mord geschieht? Ist es möglich, den Täter zu manipulieren? Kann man ihn durch gezielte Pressemeldungen beeinflussen? Ist es möglich, den nächsten Mord zu verhindern ... oder zumindest hinauszuzögern? Oder muss die Polizei ohnmächtig weitere Untaten geschehen lassen?
Positiv fällt auf: Die Gewaltszenen, die Backert beschreibt, sind durchaus drastisch, aber nie reine Effekthascherei, nie übertrieben, nie Selbstzweck. Natürlich will ich das überraschende Ende nicht verraten. Klar ist, dass am Ende das Gute obsiegt, sprich der blutrünstige Serienmörder zur Strecke gebracht wird. Natürlich wird sein letztes Opfer noch gerade rechtzeitig befreit.
Eigentlich lese ich so gut wie keine Krimis oder Thriller. Aber »Das Haus vom Nikolaus« habe ich in einem Rutsch verschlungen. Ich weiß jetzt, wer der Mörder ist. Das Ende war für mich überraschend, obwohl ich als Autor vieler Kurzkrimis »vom Fach« bin. Ich frage mich, wann es erste Hinweise auf den Täter gab, die ich womöglich übersehen habe. Auf alle Fälle werde ich »Das Haus vom Nikolaus« ein zweites Mal lesen – und jetzt in Ruhe genießen!
Ich kann »Das Haus vom Nikolaus« nur wärmstens empfehlen. Auch was Krimis angeht, muss es nicht immer nur »Amikost« sein! Und ein Besuch im Frankenland ... lohnt sich wirklich. Die Basilika von Vierzehnheiligen ist eine Perle sakraler Baukunst. Sie liegt am Jakobsweg ... und just in der Region, in die uns Volker Backert mit seinem Roman entführt!
Fußnoten
1 Die Angaben über Robert John Maudsley, seine Haftbedingungen und Straftaten variieren in den zahlreichen Berichten. Jaques Bauval hat ein Buch über den Serienmörder verfasst.
Bauval, Jaques: Der wahre Hannibal Lecter, Augsburg 2003
2 »Neue Presse«, Coburg, 08.07.2010
3 »Nordbayerischer Kurier«, Bayreuth, 2.10.2010 (links: Vierzehnheiligen, Foto Ingeborg Diekmann)
Volker Backert: Das Haus vom Nikolaus, Emons Verlag 2010, 254 Seiten, Euro 9,90
Volker Backert: Das Haus vom Nikolaus, Emons Verlag, kindle-Edition 2011, Euro 8,49
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