Teil 245 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 28.09.2014
Die Doppelmadonna im Dom. Foto W-J.Langbein |
Eine Gruppe von Frauen folgt einem Führer, der sie durch den Dom zu Paderborn führt. Ein Murren kommt auf, als der Guide von Maria und dem Sündenfall im Paradies berichtet. »Das richtet sich gegen uns Frauen! An allem Übel sollen wir Frauen schuld sein!« Die streitbare Dame stößt in ihrer Gruppe auf Zustimmung. »Die Schlange hat nun einmal Eva dazu gebracht, den Apfel vom verbotenen Baum zu pflücken. Sie hat ihn Adam gereicht, und der hat abgebissen!« Die Dame schimpft in gedämpftem Ton weiter: »Aber immer sind es wir Frauen, die angeblich die Sünde in die Welt gebracht haben….« Sie fährt fort: »Und wenn ich schon höre.. ›Unbefleckte Empfängnis‹! Empörend! Das heißt doch nichts anderes, als dass bei allen anderen Geburten eine Beschmutzung durch uns Frauen erfolgte!«
Der Führer seufzt. »Aber meine Damen, dies hier ist nur eine Führung durch den Dom. Wir haben wirklich nicht die Zeit, die zentralen theologischen Themen durchzudiskutieren! Ich möchte Ihnen nur kurz aufzeigen, was Sie hier im Dom sehen können!« Murrend folgen die Damen dem Führer. »Herr X von unserem Bibelkreis hat sich doch gut auf den Dom vorbereitet!«, meint eine der Damen anerkennend. »Wir hätten doch lieber einen offiziellen Führer nehmen sollen!«, widerspricht eine andere. Die kritischen Stimmen verstummen. Man will wohl die Führung nicht zu sehr in die Länge ziehen.
Ich folge den Damen und ihrem Führer, der leise flüsternd erklärt, den Dom könne man wie ein Buch lesen. Wirklich? Verstehen wir die Bilder aus Stein oder Farbe wirklich? Oder stülpen wir ihnen nur unser Verständnis von biblischen Schriften über? Lassen wir uns zu sehr von der »amtlichen Theologie« leiten? Von zentraler Bedeutung ist die Mutter Gottes. Die berühmte »Doppelmadonna« hängt hoch über dem Mittelschiff unter dem Schlussstein des Langhausjoches. Das beeindruckende Kunstwerk ist um 1480 entstanden.
Von zentraler Bedeutung ist im christlichen Glauben katholischer wie evangelischer Prägung das Wunder der jungfräulichen Geburt Jesu. So heißt es im großen Credo: »Wir glauben...an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, gezeugt, nicht geschaffen, hat Fleisch angenommen, durch den Heiligen Geist, von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.« Weniger blumig, aber genauso konkret heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis: »Ich glaube...an Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria.«
Karl Barth (1886–1968) alles andere als ein schwärmerischer Katholik, sondern protestantischer Theologe aus der Schweiz, stellte in seinem Werk »Die christliche Dogmatik« fest(1): »Die Kirche weiß wohl, was sie getan hat, indem sie dieses Dogma sozusagen als Wache vor die Tür zu dem Geheimnis der Weihnacht stellte. Sie wird als kirchliche Ordnung verkündigen: Es gehört zum wirklichen christlichen Glauben auch die Bejahung der Lehre von der Jungfrauengeburt.«
Katholiken wie Protestanten bekennen auch heute in den Kirchen betend, wovon in Wirklichkeit ganz offensichtlich allenfalls nur noch eine Minderheit der Gläubigen überzeugt ist. 1999 ergab eine Umfrage unter deutschen Katholiken, dass 60 Prozent nicht mehr an das Dogma von der Jungfrauengeburt glauben (2). Weit höher noch ist vermutlich der Prozentsatz der Christen, die keine Ahnung davon hat, was das Neue Testament über »geboren von der Jungfrau Maria« bekundet.
Die ältesten Dokumente des »Neuen Testaments«, Jahrzehnte vor den vier Evangelien verfasst, sind die diversen Briefe des Apostel Paulus. Paulus ist somit der früheste Zeuge. Er nennt weder Maria noch Joseph als Eltern Jesu. Der Name der Mutter Jesu ist heute auch bibelunkundigen Zeitgenossen geläufig, weniger den Verfassern der Evangelien des »Neuen Testaments«. Bei ihnen spielt sie eine eher untergeordnete Rolle. Evangelist Markus erwähnt Jesu Mutter nur am Rande, ohne ihren Namen zu nennen. Jesus behandelt sie aus heutiger Sicht eher geringschätzig (3). Beim Evangelisten Johannes kommt Jesu Mutter nur zweimal vor, in beiden Fällen (4) wird ihr Name nicht genannt.
Anbetung des Neugeborenen im Stall zu Bethlehem. Foto W-J.Langbein |
Ein Kuriosum am Rande: Johannes weist darauf hin (5), dass bei Jesu Kreuzigung seine Mutter (deren Name nicht genannt wird) und deren Schwester zugegen waren. Und die hieß angeblich Maria. Sollte Jesu Großmutter ihre beiden Töchter beide Maria genannt haben?
Maria als Name taucht in der Form Mirjam gelegentlich bei Matthäus und bei Lukas auf. Die entsprechenden Verse sind bei Matthäus vielleicht, bei Lukas aber mit großer Wahrscheinlichkeit erst später eingefügt worden.
Es muss gefragt werden, ob Jesu Mutter wirklich »Maria« hieß. Oder handelte es sich ursprünglich gar nicht um einen Eigennamen, sondern um ein höchst bedeutsames Wort oder ein Wortspiel? Um es zu begreifen, benötigt man freilich einige Hintergrundinformationen.
Jesu Mutter war offensichtlich bereits schwanger, bevor Joseph sie ehelichte (6) und zwar, so Matthäus, »vom Heiligen Geist« (7). Aus der Sicht profan denkender damaliger wie heutiger Zeitgenossen musste ein vor-, somit also außerehelicher Geschlechtsverkehr stattgefunden haben. Das aber galt als höchst verwerflich. Denn zu Jesu Zeiten gab es nicht die Unterscheidung zwischen Verlobung und Heirat. Sobald eine Frau einem Mann versprochen war, war sie verlobt mit ihm und musste treu sein. Starb der Mann noch vor der Eheschließung, galt sie als Witwe. So war Jungfräulichkeit selbstverständliche Voraussetzung für die Heirat. War die Frau nicht mehr unberührt, galt dies als Ehebruch.
Maria und ihr toter Sohn. Foto W-J.Langbein |
Zurück zu Joseph. Seine Verlobte war schwanger. Wer kam als potenzieller Vater in Frage? Etwa gar Joseph selbst? Er war sich keiner Schuld bewusst und vermutete seinerseits unkeuschen Lebenswandel seiner Verlobten. Er dachte daran, sie zu verlassen (8).War ihm die junge Frau schon vor der Eheschließung untreu geworden? Man bedenke: Es ging nicht nur um Josephs eventuell verletzte Eitelkeit als Mann! Vor- wie außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde mit dem Tod bestraft!
Um Klarheit zu gewinnen, musste in solchen Fällen ein merkwürdiger »Test« durchgeführt werden. Die seltsame Prozedur ist angeblich von Gott selbst ersonnen und seinem Propheten Moses diktiert (9) worden. Demnach wurde die verdächtigte Braut oder Ehefrau vor den örtlichen Priester gezerrt. Der füllte einen irdenen Krug mit Wasser, gab Staub vom Boden der Stiftshütte hinzu und sprach: »Hat kein Mann bei dir gelegen und bist du deinem Mann nicht untreu geworden, dass du dich unrein gemacht hast, so soll dir dies bittere Wasser nicht schaden.« Dann musste die Frau, die der Untreue beschuldigt wurde, die ekelhafte Brühe trinken. Überstand sie das ohne Schaden zu nehmen, galt sie als unschuldig. Die aus heutiger Sicht mehr als merkwürdige Prozedur hieß »mar jam«, bitteres Wasser. Wurde Jesu Mutter in der beschriebenen Weise geprüft? Ist ihr vermeintlicher Name nichts anderes als eine Verballhornung von mar jam – Mirjam?
Wenig Handfestes wissen wir über die Mutter Jesu, die uns in schönen Darstellungen auch im Dom zu Paderborn immer wieder begegnet. Aus der schlichten Maria des »Neuen Testaments« wurde im Verlaufe der Kirchengeschichte die Himmelskönigin. Die hoch unter dem Schlussstein des zweiten Langhausjoches hängende Doppelmadonna wird gerade von zwei Engeln mit goldenen Flügeln gekrönt. Die fliegenden Himmelsboten senken gerade eine mächtige goldene Krone auf das Haupt der Himmelskönigin.
Im Domführer von Margarete Niggemeyer (10) lesen wir: »Wer durch das Mittelschiff in den Dom hinein- oder wieder herausgeht, hat Maria im Blick: Sie ist Weggefährtin für alle, die auf dem Pilgerweg des Lebens und des Glaubens unterwegs sind. Inmitten der Apostelfiguren an den Pfeilern (des Paradiestores, Ergänzung Langbein) erscheint sie als Königin der Apostel.«
Königin der Apostel. Foto W-J.Langbein |
Die Doppelmadonna im Kirchenschiff schwebt über allen Besuchern des Gotteshauses. Ehrfurchtsvoll blickt der Gläubige zur Himmelskönigin empor.
Noch einmal darf ich Margarete Niggemeyer zitieren (11): »Zwei Engel halten eine Krone über dem Haupt Mariens, die auf einer Mondsichel und einer Schlange steht, deren Kopf sie als ›neue Eva‹ zertritt.«
Bei jedem meiner Besuche im Dom zu Paderborn habe ich lange das geheimnisvolle Bildnis der Doppelmadonna sorgsam studiert. Durch mein 400-Millimeter-Teleobjektiv erkenne ich kleinste Einzelheiten, zum Beispiel Risse im Gesicht der Himmelskönigin. Deutlich ist die Mondsichel auszumachen, auf der die Madonna mit einem Fuß steht. Die Mondsichel stellt die christliche Himmelskönigin in eine uralte Tradition von Himmelsköniginnen und Göttinnen, die gern mit der Mondin identifiziert wurden.
Ich erkenne auch die Schlange, die einen menschlichen Kopf hat. Soll die alte Wissensbringerin mit dem Satan gleichgesetzt werden? Nicht erkennen kann ich den zweiten Fuß Mariens, mit dem Maria angeblich den Kopf der Schlange zertritt! Groß und beschuht ist der rechte Fuß Marias, ein zweiter Fuß ist nirgendwo auszumachen, schon gar nicht in der Nähe des Schlangenkopfes!
Marias Fuß auf der Mondsichel. Foto W-J.Langbein |
Ein Mönch hastet an mir vorbei. Ich frage ihn nach dem »zweiten Fuß« der Madonna. »Den können Sie von hier unten nicht erkennen!«, erklärt er mir milde. »Suchen Sie die Marienkapelle hier im Dom auf, betrachten Sie sorgsam die Maria an der Tür zur Kapelle. Alle ihre Fragen werden dort Antworten finden!« Dem Rat des Mönchs folgend mache ich mich auf die Suche nach der Marienkapelle. Wenige Minuten später stehe ich vor dem Bildnis an der Tür, auf Holz gemalt. Werde ich wirklich die Antworten auf meine Fragen finden?
Fußnoten
1) Barth, Karl: Die kirchliche Dogmatik, Band I,2, 8. Auflage, Zürich 1990, S. 198
2) Augstein, Rudolf: Jesus Menschensohn, 3. Auflage, Hamburg 1999, S. 50
3) Siehe Das Evangelium nach Markus Kapitel 3, Verse 31-35
4) Das Evangelium nach Johannes Kapitel 2, Verse 1-12 und Kapitel 19, Verse 25-27
5) Das Evangelium nach Johannes Kapitel 2, Vers 25
6) Das Evangelium nach Matthäus Kapitel 1, Vers 18
7) ebenda
8) ebenda, Vers 19
9) Das 4. Buch Mose Kapitel 5, Verse 12-31
10) Niggemeyer, Margarete: »Der Hohe Dom zu Paderborn«, 3. Auflage, Paderborn 2012, S. 23 rechts oben
Tür zur Marienkapelle. Foto W-J.Langbein |
Sorger, Karlheinz: »Was in der Bibel wichtig ist/
Grundthemen des Alten und
Neuen Testaments«, München 1992
Theissen, Gerd: »Die Entstehung des Neuen Testaments als
literaturgeschichtliches Problem«, Heidelberg 2007
Alle Fotos wurden vom Verfasser
im Dom zu Paderborn
aufgenommen.
»Maria und die Schlange«
Teil 2
Teil 246 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05.10.2014
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