»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Das Münster um 1926 |
Wir haben gründlich die fischschwänzige »Monsterfamilie« studiert. Direkt daneben wurde vor etwa einem Jahrtausend ein Szenario wie aus einem Fantasy-Film unserer Tage in den Stein geritzt: Da kämpfen Fabelwesen! Ich muss noch einmal Eusebius zitieren, der ganz ähnliche Monster beschrieben hat:
»Menschen mit Schenkeln von Ziegen und Hörnern am Kopfe, noch andere, pferdefüßige, und andere von Pferdegestalt an der Hinterseite und Menschengestalt an der Vorderseite. Erzeugt hätten sie (die Götter) auch Stiere, menschenköpfige, und Hunde, vierleibige, deren Schweife nach Art der Fischschwänze rückseits an den Hinterteilen hervorliefen, auch Pferde mit Hundeköpfen...sowie andere Ungeheuer, pferdeköpfige und menschenleibige und nach Art der Fische beschwänzte, dazu weiter auch allerlei drachenförmige Unwesen und Fische und Reptilien und Schlangen und eine Menge von Wunderwesen, mannigfaltig gearteten und untereinander verschieden geformten.«
Es ist endlich an der Zeit, dass ein Katalog erstellt wird mit all‘ den Kreaturen, den Monstern, die immer wieder weltweit dargestellt wurden! Man möchte gern diese Horrorkreationen ins Reich der Märchen verbannen, möchte hoffen, dass es sie nie gegeben hat...doch in fast allen Museen der Erde finden sich Abbildungen, präzise Darstellungen jener Wesen. So werden im französischen Louvre Miniaturen aufbewahrt, etwa 4200 Jahre alt, die menschenköpfige Stiere darstellen.
Im Eingangsbereich des Ägyptischen Museums von Kairo sah ich in einer Glasvitrine das in Stein gearbeitete Halbrelief fremdartiger Monster. Ihre Leiber erinnern an Pferde , sie haben Löwenfüße, auf unnatürlich langen Hälsen sitzen verhältnismäßig kleine Köpfe, die an Löwenhäupter erinnern. Angriffslustig stehen die beiden Wesen einander gegenüber, scheinen gleich einander angreifen zu wollen. Noch hindern sie kleine, sehr naturgetreu dargestellte Wesen daran, zerren an Stricken...
Monstermischwesen sind auch auf der Osterinsel dargestellt, und zwar in Halbreliefs in Stein, halb Vogel, halb Mensch. Und Monsterwesen wurden vor fast einem Jahrtausend in den Eingang zur einstigen Nikolauskapelle eingearbeitet. Wurden diese rätselhaften Kunstwerke eigenes für das Freiburger Münster gefertigt? Oder wurden sie von einem älteren Bauwerk – etwa einem Tempel – übernommen? Detlef Zinke schreibt in seinem Beitrag zum opulenten Band »Das Freiburger Münster« (1):
Fotos 2-4: Links die Monsterfamilie, rechts Duellanten |
»Dass der aktuelle Versatz der Werkstücke kaum der ursprünglich beabsichtigte ist und einiges wohl erst baulich passend gemacht werden musste – unmotiviert erscheinende Schnittkanten sprächen dafür -, dürfte ohnehin ein übergreifendes Verständnis erschweren.« Wurden also die rätselhaften Reliefs tatsächlich aus einem älteren Bauwerk übernommen und für den Eingang zur einstigen Nikolauskapelle erst passend gemacht? In Südamerika hat man häufig erstaunlich präzise zugeschnittene Steine aus Inkatempeln in christliche Kirchen eingebaut. Auch hier fehlt ein wissenschaftlicher Katalog mit präzisen Auflistungen, in welchen christlichen Kirchen (etwa in Peru!) wo wie viel Inka-Mauerwerk eingebaut wurde. Die Inkas haben ihrerseits ältere Bausubstanz übernommen.
Foto 5: Die zwei Paare von Duellanten von Freiburg |
Die sorgsam gearbeiteten Reliefs kommen mir jedenfalls wie Fremdkörper vor, die nicht so recht in den Kontext des Portals zur einstigen Nikolauskapelle passen. Es will mir so scheinen, als habe man diese Elemente irgendwo heraus gesägt, passend gemacht und neu eingesetzt. Glatte, flach polierte Schnittflächen könnten darauf hinweisen, dass nur Teile der Reliefs übernommen wurden. Womöglich erschien die Originalsubstanz der Reliefs den Steinmetzen vielleicht zu unchristlich und wurde in Teilen bewusst zerstört? Haben die mysteriösen Reliefs also womöglich einen heidnischen Hintergrund? Detlef Zinke jedenfalls konstatiert (2): »Eine Art magischer Wirkung geht noch immer von ihnen aus.«
Foto 6: Die zwei Kampfszenen von Freiburg |
Kurz und bündig merkt »Das Münster zu Freiburg im Breisgau« (3) an: »Am Kapitell … eine fischgeschwänzte Sirenenfamilie, daneben zwei Kampfszenen zwischen einem Menschen und einem Greifen und zwei geflügelten Kentauren.« Biblisch ist die Darstellung auf keinen Fall, mir ist auch kein mythologischer Stoff bekannt, der hier in Stein verewigt sein könnte. Insgesamt sind zwei Paare von Duellanten zu erkennen:
Foto 7: Greif contra Mensch |
Da ist einerseits ein mächtiger Vogel Greif, der sich mit einem Menschen duelliert. Der Vogel Greif: ein Mischwesen, eine Mixtur aus Löwe und Greifvogel. Der Mensch hält zur Verteidigung ein Schild vor sich und hebt gleichzeitig sein Schwert hoch über den Kopf. Offenbar fühlt er sich seinem Gegner gewachsen, ja vielleicht überlegen. Wird es ihm gleich gelingen, den Greif – das Untier dürfte in etwa Pferdegröße haben – zu töten?
Foto 8: Greif gegen Greif |
Und da sind andererseits – Paarung Nummer 2 – zwei Kentauren. Auch sie tragen einen mörderischen Zweikampf aus. Sie haben Pferdeleiber mit spitz zulaufenden Flügeln und menschliche Oberkörper. Beide sind mit runden Schilden ausgestattet – und mit Schwertern. Eine der beiden Kreaturen holt mit der Waffe zum Schlag aus, die andere zum Stich. Es gelingt ihm, am Schild vorbei zu stoßen. Der linke Kentaur, scheint mir, wird den Kampf gewinnen. (Foto 8!)
Mischwesen sind mir auf meinen Reisen immer wieder begegnet, zum Beispiel in Indien. Der mächtigste Gott Indiens war – und ist – Shiva. Shiva hatte einen göttlichen Sohn, Ganesha. Ganesha wird schon seit »ewigen Zeiten« als Vermittler zwischen seinem Vater Shiva und den Menschen angesehen. Er wird als Mischwesen dargestellt: auf dem Körper eines Menschen sitzt der Kopf eines Elefanten. Wer Shivas göttlichen Beistand sucht, bittet Ganesha um Hilfe als Kontaktler zwischen einem Irdischen und dem Höchsten. Als besonders glücksbringend gilt es, von einem Elefanten »gesegnet« zu werden. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, diese huldvolle Geste zu empfangen, die schon kleine Elefanten spenden. Sanft legte so ein jugendlicher Repräsentant Ganeshas seinen geschmeidigen Rüssel auf mein Haupt.
Noch ein Beispiel: Auch wenn die Einzelheiten auch in der Bevölkerung der Osterinsel umstritten sind: Es wurde ein »Vogelmensch-Kult« zelebriert, dessen Ursprung in Vergessenheit geraten ist. Bei Orongo stellte man die geheimnisvollen »Vogelmenschen« dar: Seltsame, fast monströs wirkende Mischwesen aus Mensch und Vogel wurden in den Stein geritzt, oft direkt neben Darstellungen des fliegenden Gottes Make Make. Wer waren diese »Vogelmenschen«? Hatten sie einen Bezug zum fliegenden Gott Make Make und den gigantischen Statuen der Osterinsel? Und wann wurden die monströsen Figuren und kuriosen Ritzzeichnungen geschaffen? Und warum finden sich derlei Fabelwesen im Münster zu Freiburg?
Fotos 9 und 10: Der Küstentempel von Mahabalipuram. Göttervehikel in Stein |
Die Kentauren der griechischen Mythologie gelten als unbeherrschte, lüsterne Wesen. Zur Begrüßung der Gläubigen am Eingang einer Kapelle in einem christlichen Gotteshaus sind sie denkbar ungeeignet. Die Kentauren Griechenlands gehen auf hinduistische »ashvins« zurück. Und das waren göttliche Wesen, die zwischen Himmel und Erde pendelten. Ausgiebig werden sie im altindischen Epos »Rig Veda« beschrieben.
Die meiner Meinung nach beste Übersetzung stammt von Hermann Grassmann (Foto 11). Im uralten Epos erfahren wie viel über die Götter uralter Zeiten. Wann sich – zum Beispiel – die geschilderten Himmelsschlachten ereigneten, ist in der Welt der Wissenschaft umstritten und wird heftig diskutiert.
Foto 11: Übersetzung Grassmann |
So führen uns die Fabelwesen im Münster zu Freiburg in die mythische Vergangenheit Indiens. Steinerne Tempel Indiens, wie die von Mahabalipuram, sollen die fliegenden Göttervehikel darstellen. Wie und warum die Kentauren als kunstvolles Relief in ein altehrwürdiges, christliches Gotteshaus gelangten, wir wissen es nicht.
Foto 12: Übersetzung Geldner |
1) Freiburger Münsterbauverein (Hrsg.):
»Das Freiburger Münster«, 2. Auflage,
Regensburg 2011, S. 186
2) ebenda
3) Freiburger Münsterbauverein (Hrsg.): »Das Münster zu Freiburg im Breisgau«, bearbeitet von Heike Mittmann, 4., überarbeitete Auflage, Lindenberg 2007
Anmerkung: Achten Sie beim Quellenstudium darauf, dass Sie mit
einer Übersetzung des Rig Veda arbeiten und nicht mit einer Nacherzählung.
Wenn es um Details geht, sind Nacherzählungen wenig hilfreich. Ich persönlich ziehe ältere Übersetzungen vor. Es ist aber an der Zeit, dass ein technisch versierter Übersetzer eine Neuübersetzung wagt.
4) »RIG VEDA. Übersetzt und mit kritischen und erläuternden Anmerkungen
versehen von Hermann Grassmann in zwei Theilen«, Band 1 Leipzig 1876
(5) Liedkreis 7, Hymnus 2, Vers 5 (Verkürzt 7, 2, 5)
(6) Liedkreis 3, Hymnus 6, Vers 8 (Verkürzt 3, 6, 8)
(7) Liedkreis 1, Hymnus 139, Vers 4 (Verkürzt 1, 139, 4)
(8) Liedkreis 6, Hymnus 62, Vers 1 (Verkürzt 6, 62, 1)
(9) Liedkreis 6, Hymnus 62, Vers 2 (Verkürzt 6, 62, 2)
(10) Liedkreis 1, Hymnus 183, Verse 1 und 2 (Verkürzt 1, 183, 1 und 2)
Foto 13: Rekonstruktion eines Göttervehikels. |
Fotos 2-4: Links die Monsterfamilie, rechts Duellanten. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Die zwei Paare von Duellanten von Freiburg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Die zwei Kampfszenen von Freiburg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Greif contra Mensch. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Greif gegen Greif. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 9 und 10: Der Küstentempel von Mahabalipuram. Göttervehikel in Stein. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Rig Veda in der Übersetzung von Hermann Grassmann. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Eine weitere Übersetzung des »Rig Veda«. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Rekonstruktion eines Göttervehikels. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
372 »Vom Mönch, vom Wolf und von einem Sonnengott«,
Teil 372 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05.03.2017
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