»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Direkt am steinigen Ufer... |
»Houngan-Man« führte mich als erstes zum »Nabel der Welt«. »Te Pito o Te Henua« nannten die Osterinsulaner ihre Heimat. Häufig wird dieser wohlklingende Ausdruck mit »Nabel der Welt«, manchmal auch mit »Am Ende der Welt« übersetzt.
Vorbei ging es an einem in Trümmern liegenden Osterinselriesen. »Der Moai heißt ›Poro‹!«, erklärte mir »Houngan-Man«. »Noch 1938 stand er auf seiner Plattform, ragte stattliche 9,80 Meter in den Himmel.« Dann erreichten wir unser Ziel: Zunächst sehe ich, nur wenige Schritte von der Meeresbrandung entfernt, ein Steinmäuerchen, etwa kniehoch. Es besteht aus kleinen, unregelmäßigen Steinbrocken und ist nach einer Seite offen. Durch diesen Eingang betritt man den Steinkreis. In dessen Mitte liegt eine eiförmige Steinkugel mit einem Durchmesser von knapp 80 Zentimeter. Um diesen steinernen, rötlichen »Nabel der Welt« herum liegen vier kleinere, nicht ganz so runde, sondern eher flache Steine.
Foto 2: ... der »Nabel der Welt«. |
Der eiförmige Stein, so hörte ich wiederholt vor Ort, habe ursprünglich im Norden der Osterinsel gelegen und wurde, angeblich »vor sehr langer Zeit«, vom »Ahu A Kapu« im Norden zum »Ahu Te Pito Kura« geschafft worden. So ein »ahu« bestand ursprünglich aus einer steinernen Plattform, auf die eine steinerne Rampe führte. Oben auf der Plattform standen stolze »Moais«, die berühmten Kolosse der Osterinsel. Sie trugen »Hüte«, »Frisuren« oder »Helme« aus rotem Stein. Um die Plattform herum, so erklärte mir nicht nur der »Houngan-Man« liegen die Ahnen begraben. Auf diesen Gräbern liegen viele flache Steine. Zudem gehörte einst zu jedem »ahu« ein »rechteckiger Vorplatz für zeremonielle Feste«.
Ein Geistlicher erklärte mir im Gespräch nach dem sonntäglichen Gottesdienst, dass es bei diesen »Festen« um »nach strengen Vorschriften abgehaltene Riten« gegangen sei. Angeblich sind diese Riten auch heute noch Eingeweihten bekannt, Fremde werden allerdings nicht in das Wissen um die Riten und Rituale eingeweiht. Auch nicht alle Jugendlichen lernen, was die Wissenden nur »Würdigen« anvertrauen. »Das müssen wir verstehen!«, meinte der Geistliche. »Aber wir ›Fremden‹ haben den Menschen der Osterinsel in den vergangenen 300 Jahren nur Leid, Elend, Tod und Verderben gebracht! Wissende begegnen uns nach wie vor mit Misstrauen!«
Foto 3: Umgeben von einem Steinmäuerchen ... |
Offenbar ist es mir gelungen. das Vertrauen des »Houngan-Man« zu gewinnen. Er erzählte mir von einer »Voodoo-Zeremonie« die er abhalten würde. Nachdem »Houngan-Man« mich eingeladen hatte, als stiller Beobachter teilzunehmen, spendierte ich fünf Flaschen Whisky einer bekannten Edelmarke und zwei Stangen Zigaretten. »Houngan-Man« versicherte mir, es werde keine Tieropfer geben.
Wie lange dauerte das Ritual? Was war Ritual, was war Vorbereitung?
Ich war als stiller Beobachter von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dabei. Aktiv mitgewirkt haben sieben junge Männer, nämlich vier Chilenen, zwei Peruaner und ein »Houngan-Man«, der die »magische Zeremonie« leitete. Zunächst warteten wir am Steinbruch auf ein »himmlisches Zeichen«. Als ein heftiger Schauer über uns prasselte, verkündete »Houngan-Man«, jetzt könne es los gehen. Jetzt musste nur noch der richtige Ort für das Ritual gesucht werden. In zwei Jeeps ging es über »Stock und Stein« zur Küste. Manchmal konnten wir schlechte Feldwege nutzen, mussten allerdings immer wieder Geröll von der Straße räumen. Und endlich schenkte uns der Himmel den schönsten Regenbogen meines Lebens.
Foto 4: »Voodoo-Zauber« für den Weltfrieden? |
Wir hatten, so kam es uns vor, genau die Stelle erreicht, an der der Regenbogen das Land berührt hatte. Aus Steinbrocken unterschiedlicher Größe errichteten wir nach den Anweisungen des Priesters nur wenige Meter vom Strand entfernt ein etwa fünfzehn Zentimeter hohes Mäuerchen. Das Ergebnis mehrstündiger Schufterei, die mir blutige Hände bescherte: ein steinernes Quadrat, etwa zweimal zwei Meter »groß«. Es war nur dem »Houngan-Man« erlaubt, das Innere des »Tempels« betreten. Im Zentrum des Quadrats legte er Pappe aus. Darauf zeichnete er mit kalkähnlichen weißlichen kleinen Steinkörnern ein kleines Quadrat. Von Zentrum aus führten vier Linien durch die Ecken des Quadrats zu kleinen Häufchen aus dem gleichen Material. Im geometrischen Zentrum des Quadrats platzierte der »Houngan-Man« einen eiförmiger Stein, den er gefunden hatte. Das war der »Altar«. Erst jetzt begann die eigentliche »Zeremonie«.
»Ich beginne mit dem Opfer!«, verkündete »Houngan-Man«. Die von mir gestifteten Whiskyflaschen standen zur Verfügung. »Houngan-Man« nahm einen kräftigen Schluck und goss den Rest größten Teil des hochprozentigen Getränks ins Meer. Dann kamen die Zigaretten ins magische Spiel. Eine Zigarette steckte sich der »Houngan-Man« an, alle anderen zerfetzte er und streute sie auf die Pappe. Ein batteriebetriebener Kassettenrekorder kam zum Einsatz. Songs von Elvis Presley erklangen. Die sechs Männer aus dem Team des »Houngan-Man« begleiteten die Musik auf drei großen und drei kleinen Trommeln. Mit kleinen eisernen Schlegeln droschen sie auf ihre Instrumente ein. Vier Stunden Sang Elvis, vier Stunden wurde getrommelt, vier Stunden murmelte »Houngan-Man« Gebete. Und vier Stunden benötigten angeblich vier Erdgeister, um aus den vier Himmelsrichtungen zu erscheinen. Der »Houngan-Man« schien sie zu sehen, für mich blieben sie unsichtbar. Der Rekorder wurde abgestellt, Elvis verstummte.
Der »Houngan-Man« warf weißliche, kalkähnliche Steinchen in die vier Himmelsrichtungen, bekreuzigte sich, drehte sich dabei einmal im Kreis. Ich habe es mir genau eingeprägt: Während er gen Osten blickte, berührte er mit einer Hand seine Stirn. Als er gen Westen schaute, berührte er seine Brust, gen Norden schauend seine linke rechte Schulter, gen Süden blickend seine rechte Schulter. Dabei schrie er etwas wie »Linsahmawu, Vuvulivhawe« und segnete die Erde. Eine lange, für mich unverständlich Litanei schloss sich an. Laut rief der »Houngan-Man« wohlklingende Namen angeblich wichtiger Geister.
Schließlich setzte er sich und ließ einen monotonen Sprechgesang vernehmen. Das zog sich eine gefühlte Ewigkeit hin. Nach etwa drei Stunden entzündete er Priester vier Kerzen, die er um den Altarstein platzierte.
Foto 6: Echter Zauber ... |
Endlich verstummte die Musik. Der »Houngan-Man« löste nach und nach Steine aus der quadratischen Umrandung und warf sie ins Meer. Er tat das bedächtig, routinemäßig. Er schrie für mich Unverständliches, vielleicht Zaubersprüche oder Namen von Geistern. Schließlich hatte selbst die Sonne genug und versank im Meer. Die kleine Mauer war Stück für Stück im Meer versunken. Das Team hatte dabei den »Houngan-Man« tatkräftig unterstützt. Ich durfte nicht mitmachen. Der »Houngan-Man« beendete endlich die Zeremonie, indem er den letzten Stein und die Pappe ins Meer warf.
Spät am Abend erklärte mir der Priester, er habe einen Voodoo-Ritus zelebriert, vier Erdgeister herbeigerufen. »Sie mussten von weit, weit her kommen, deshalb mussten wir ihnen viel Zeit lassen.« Er habe die Geister beschworen, sie inständig gebeten, von der friedlichen Kraft der Osterinsel gespeist in alle vier Himmelsrichtungen auszuschwärmen und positive Energie über die Erde zu verteilen. Wie er mir weiter versicherte, würde er ähnliche Zeremonien in verschiedenen Staaten Südamerikas, aber auch auf einigen anderen Südseeinseln abhalten. So würde er für den Weltfrieden arbeiten. Leider habe sein Vater mit »bösen Geschäften« in Brasilien viel Unheil angerichtet. Auf dem Totenbett habe er ihn, seinen Sohn gebeten, durch Voodoo-Magie sein Unrecht so weit wie möglich wieder ungeschehen zu machen. »Ich erbte ein nicht unerhebliches Vermögen, ließ mich auf Haiti zum Voodoo-Priester ausbilden und erfülle nun schon seit Jahren den letzten Willen meines Vaters.«
Foto 7: ... oder doch nur ... |
Als ich spät abends wieder in meinem Hotelzimmer müde von einem langen Tag das Licht löschte, konnte ich dennoch lange nicht einschlafen. Was hatte ich erlebt? Ein wirkliches magisches Voodoo-Ritual, einen Beitrag zum Weltfrieden? Oder war ich Betrügern aufgesessen? Insgesamt hatte ich fast drei Tage ich mit den geheimnisvollen sieben Männern verbracht. Sie haben kein Geld gefordert, ich habe nichts bezahlt, ein »Trinkgeld« lehnten sie entrüstet ab. Verdient haben sie mit der mysteriösen Prozedur also nichts.
Fotografieren durfte ich nicht. Der Voodoo-Priester selbst hat in einer kurzen »Verschnaufpause« am Nachmittag mit meinem Fotoapparat einige Aufnahmen vom »Altarstein« mit der seltsamen Symbolzeichnung gemacht.
Bevor wir uns verabschiedeten, fragte ich »Houngan-Man« nach den Zombies von Haiti. »Stecken die Voodoo-Priester dahinter?« Mein Gesprächspartner wurde sehr ernst. »Es gibt weiße und schwarze Magie. Ehrbare Voodoo-Priester tun nichts Böses. Sie helfen den Menschen. Sie setzen sich nicht über Leben und Tod hinweg. Manche Voodoo-Zauberer aber überschreiten Grenzen, die kein Mensch auch nur antasten dürfte. Sie kennen das Geheimnis der Zombies. Rechtschaffene Voodoopriester wenden es aber nicht an, schwarzmagier hingegen schon.« Ich fragte nach: »Worin besteht das Geheimnis?« Eisiges Schweigen war die Antwort.
Jahrzehnte sind seit jenem merkwürdigen Ritual auf der Osterinsel verstrichen. Bis zum heutigen Tage weiß ich nicht wirklich, wie ich es bewerten soll.
Foto 8: ... Hokuspokus? |
Zu den Fotos
Foto 9: Kugel, Pulver, Zigaretten ... |
Foto 2: ... der »Nabel der Welt«. Foto: Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Umgeben von einem Steinmäuerchen ... Foto: Walter-Jörg Langbein
Foto 4: »Voodoo-Zauber« für den Weltfrieden? Foto: Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Die schwarze Kugel im Zentrum des »Zaubers«. Foto: Walter-Jörg Langbein
Foto 6-8: Echter Zauber oder doch nur Hokuspokus? Foto(s): Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Kugel, Pulver, Zigaretten ... Foto Walter-Jörg Langbein
449 »Putsch auf der Osterinsel?«,
Teil 449 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 26.08.2018
Besuchen Sie auch unser Nachrichtenblog!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
+++ Aus aktuellem Anlass +++
Schon von zwei Seiten kam nun der Hinweis, dass es beim Absenden von Kommentaren aus dem Browser Firefox zu Problemen kommen kann: Der Kommentar wird dem Nutzer dann zwar als versandt gemeldet, landet aber im Nirgendwo. Wir empfehlen Ihnen deshalb nach Möglichkeit die Nutzung von Google Chrome oder des Microsoft Internet Explorers. Bei diesen Browsern sind solche Schwierigkeiten unserem Kenntnisstand nach bisher nicht aufgetreten.
Zur Formatierung Ihrer Kommentare stehen Ihnen einige HTML-Befehle zur Verfügung. Eine Vorlage zum Abkopieren >>gibt es hier.