Sonntag, 13. Juni 2010

22 »Am Tor zur Südsee«

Teil 22 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Fast senkrecht wächst die steinerne Monstermauer empor. Mutter Natur hat sie geschaffen, als glühend heiße Lava-Massen emporstiegen und erstarrten. Helle Flechten und grünes Moos verleihen dem grauen Lavagestein ein bizarres Aussehen. In den Lavabrei eingeschlossen wurden Felsstückchen, die heute zum Teil als Fremdkörper aus der Wand herausragen.

Man muss nahe an die wuchtige Mauer herantreten, um ihr Geheimnis zu erkennen... Es sind die Konturen einer liegenden Gestalt. Ein langes Ohr am Kopf ist auszumachen. Auge und Nase wurden ebenfalls dargestellt, so wie der Oberkörper. Offensichtlich hat man nur versucht, ein Kunstwerk zu schaffen. Das Experiment muss bereits im ersten Stadium abgebrochen worden sein.

Wichtige Fragen stellen sich: Wer hat diese bescheidenen Umrisse in das Vulkangestein gemeißelt? Wann geschah dies? Warum wurde der klägliche Versuch sofort wieder aufgegeben?


Schon vor Jahrhunderten regte die Südsee die Fantasie manches Forschers an. Längst war es zur Routine geworden, per Schiff von der alten in die neue Welt zu gelangen. Was aber lag jenseits von Amerika? Musste nicht im Westen ein weiterer Kontinent liegen?

Davon war ein gewisser Arnold Roggeveen, ein geschäftstüchtiger niederländischer Weinhändler, im ausgehenden 17. Jahrhundert felsenfest überzeugt. Und diese Landmasse wollte er entdecken. Freilich war es nicht wissenschaftlicher Entdeckergeist, der ihn motivierte. Roggeveen hoffte mit den Bewohnern Handelsabkommen schließen zu können. 1666 plante er seine Expedition ins Unbekannte. Freilich erhielt er, als er einen entsprechenden Antrag stellte, keine Genehmigung. Schon damals war die staatliche Bürokratie sehr mächtig.

Roggeveen musste unzählige Fragen beantworten und immer neue, stets »wichtige« Fragen beantworten. Als er endlich die erforderlichen Urkunden, Beglaubigungen und Einwilligungen zusammen hatte, konnte er sich das Abenteuer finanziell nicht mehr leisten. Der Kampf mit der Bürokratie hatte ihn zum armen Mann gemacht.

Erst ein halbes Jahrhundert später, nämlich am 16. Juni 1721, machte sich sein Sohn Arnold Roggeveen auf den Weg, um den ehrgeizigen Plan des Vaters zu verwirklichen. Die Expedition wurde ein kaufmännischer Misserfolg. Den erhofften Kontinent... gab es nicht. So konnten keine Handelsabkommen geschlossen werden....

Ostern 1722 »entdeckte« Arnold Roggeveen die Insel, die nach eben diesem christlichen Fest benannt wurde... die Osterinsel. Allerdings war Arnold Roggeveen wohl nicht der erste Europäer, der die mysteriöse Insel ausfindig gemacht hatte. Bereits anno 1566 wurde in spanischen Chroniken erstmals über die Entdeckung der Osterinsel durch Alvaro Mendana de Neyra berichtet. Und anno 1578 stieß der spanische Seefahrer Juan Fernandez vor der Küste Chiles im Stillen Ozean auf »ausgedehntes Festland«.

Als »Handelspartner« war die Osterinsel für Roggeveen vollkommen uninteressant. Sie war ein bedeutungsloses kleines Eiland mit eher ärmlicher Bevölkerung. Gewiss: Die stattlichen Statuen des Eilandes legten Zeugnis ab für meisterliche Steinmetzkunst. Aber mit Steinmonstern konnte man keinen Handel treiben....

In der Tat: die Osterinsel ist ein kleines Fleckchen Erde, in Gestalt eines Dreiecks von etwa 24 Kilometern Länge und 13 Kilometern Breite. Einst formten gewaltige Vulkanausbrüche auf dem Grund des Pazifiks das kleine Eiland. Und auch heute noch sind es drei Vulkane (Rano Kao, Maunga Puakatiki und Maunga Terevaka) die das Bild der Osterinsel dominieren.

Als großer Erforscher der Geheimnisse der Osterinsel gilt der Norweger Thor Heyerdahl (1914–2002). In den Jahren 1955 und 1956 erkundete er das Eiland. Seiner Überzeugung nach wurde es einst vom Westen aus besiedelt. In zwei Wellen sollen, so Heyerdahl, Menschen von Südamerika aus die kleine Insel bevölkert haben. Die Mythenwelt der Osterinsel besagt aber etwas ganz anderes. Die Annahme Heyerdahls hat sich inzwischen auch als falsch erwiesen. Dank moderner Genuntersuchungen wissen wir: die Osterinselbevölkerung kam nicht aus dem Westen, nicht aus Peru, sondern aus dem Osten. Daran hat es für die heutigen Osterinsulaner nie den geringsten Zweifel gegeben. Und genau das überliefert die Sagentradition der Osterinsel!

Raul Teave, ein stolzer Osterinsulaner, erzählte mir 1992: »Meine Vorfahren kamen vom Atlantis der Südsee. Es versank – im Westen der Osterinsel – in den Tiefen des Meeres. Make Make, der fliegende Gott, brachte die Rettung. Er flog den Priester Hau Maka zur rettenden Insel, zum Nabel der Welt. Er brachte ihn wieder zurück... und so konnten die vom Tode bedrohten Menschen evakuiert werden, auf Rapa Nui, die ›Osterinsel‹!«

Bis heute wird die Erinnerung an Make Make in den Überlieferungen der Osterinsel gepflegt und erhalten. Voller Ehrfurcht betrachten die Osterinsulaner, die sich wieder verstärkt dem alten Glauben zuwenden, die Darstellungen Make Makes. Sie wurden vor vielen Jahrhunderten in den Stein geritzt.
Für Heyerdahls Südamerika-Theroie hat Paul Teave nur ein müdes Lächeln übrig. »An diesen Unsinn hat hier niemand geglaubt! Die Überlieferungen unserer Vorfahren lassen keinen Zweifel: die Urbevölkerung stammt aus der Südsee!« Heute ist die Osterinsel von Europa und Amerika aus betrachtet... das Tor zur Südsee.

»Aber Thor Heyerdahl hat doch das Rätsel der Osterinselriesen gelöst!« wende ich ein. Paul Teave lächelt milde. Seit mehr als 50 Jahren kursieren entsprechende Berichte: Thor Heyerdahl sei es gelungen, eine Handvoll Osterinsulaner einen Osterinselriesen aus dem Vulkangestein meißeln zu lassen. Thor Heyerdahl selbst hat diese Legende ins Leben gerufen. In seinem Buch »Aku-Aku/ Das Geheimnis der Osterisel« (1) wird Heyerdahls Experiment im Bild dokumentiert. Sechs wackere Osterinsulaner schlagen auf das Vulkangestein ein. Schon kann man die Konturen eines der berühmten Osterinselriesen erkennen. Der Bildkommentar erläutert: »Eine Statue wird im Steinbruch des Vulkans ausgehauen.« Blättert man weiter, so sieht man Erstaunliches. Zwölf Osterinsulaner richten »die Figur« auf. Der Text zum Foto vermeldet: »Zwölf Mann haben sie in achtzehn Tagen mit Stangen und Steinen aufgerichtet.«

Die beiden Fotos suggerieren eindeutig: Heyerdahl hat zunächst eine Statue aus dem Fels schlagen und dann aufrichten lassen.

Fakt ist aber: Heyerdahls Experiment ist kläglich gescheitert. Und das hat Thor Heyerdahl im Text seines Buches auch keineswegs verschwiegen. So berichtet er (2), dass bei den Steinmetzen die Begeisterung rasch schwand. Bereits nach drei Tagen gaben sie auf und pflegten ihre zerschundenen, blutigen Hände.

Bis heute hält sich die Legende, es sei Heyerdahls osterinsulanischen Freunden gelungen, eine Steinstatue aus dem Vulkangestein zu schlagen, zu transportieren und aufzustellen. Das aber ist falsch. Heyerdahls Team hat nur eine eher bescheidene Kontur in die Monsterwand geschlagen... und dann aufgegeben! Es ist bei Heyerdahls gescheitertem Versuch geblieben. Auch heute – mehr als ein halbes Jahrhundert später – wartet eine Osterinselfigur im Stein darauf, befreit zu werden. Der Versuch wurde nach wenigen Tagen abgebrochen.. und bis heute nicht fortgesetzt!

Wir müssen zwischen feststehenden Fakten und Vermutungen unterscheiden. Fakt ist: Die Osterinselriesen stammen aus dem Steinruch im Ranu Raraku-Krater.

Fakt ist: Irgendwann stoppten die Steinmetzen ihre Arbeit. Von einem auf den anderen Tag blieb ihre Arbeit liegen. Deshalb findet man heute im Steinbruch Statuen in fast allen Stadien... solche, die eben erst begonnen wurden und solche, die fast schon vollendet worden sind.

Unweit des Steinbruchs fanden sich zahllose primitive Steinwerkzeuge, Faustkeile zum Beispiel. Heißt das, dass die Osterinselriesen mit diesen primitiven Werkzeugen hergestellt wurden? Erinnern wir uns: Heyerdahls Gehilfen scheiterten bei dem Versuch, mit solchen Werkzeugen eine kleine Statue aus dem Stein zu hauen.

Eine alternative Erklärung bietet sich an: Vor Jahrtausenden schufen unbekannte Künstler mit unbekannter Technologie die Statuen der Osterinsel. Damit kein Missverständnis auftaucht: Das muss keine außerirdische Technologie gewesen sein! Es mag vor Jahrtausenden auf der Osterinsel Wissende gegeben haben, die über Fähigkeiten verfügten, die wir heute sogenannten »Steinzeitmenschen« nicht mehr zutrauen!


Spekulieren wir weiter: Aus unbekannten Gründen hörten die Erschaffer der Statuen von einem Moment auf den anderen mit der Arbeit auf. Zurück blieben fertige und unvollendete Statuen. Jahrhunderte später versuchten Osterinsulaner, mit Hilfe von primitiven Steinfäustlingen die begonnen Statuen zu vollenden. Sie schlugen mit ihren primitiven Werkzeugen auf den Stein ein... und gaben bald wieder auf. Mit ihren primitiven Mitteln hätten sie Jahre benötigt, um eine einzige Staue aus dem Stein zu hauen. Um bis zu eintausend solcher Figuren herzustellen, wären wahre Arbeiterheere erforderlich gewesen.

Die Osterinsel aber war schon immer nur sehr dünn besiedelt. Arbeiterheere gab es nie. Natürlich hätten die vielen Steinmetzen auch ernährt werden müssen. Ein zweites Herr an Bauern wäre erforderlich gewesen. Eine solche Bevölkerungsdichte aber hat es nachweislich niemals auf der Osterinsel gegeben.

Spekulieren wir weiter: Die mühselige, wieder aufgenommene Arbeit im Steinbruch erbrachte (Jahrhunderte nachdem die ursprünglichen Arbeiten im Steinbruch abrupt abgebrochen worden waren) keine nennenswerten Ergebnisse... nur blutige Hände, zersplitterte und stumpfe Fäustlinge... und Frust. Man gab auf. Die nutzlosen Werkzeuge wurden achtlos weggeworfen. Mitte des 20. Jahrhunderts scheiterten Heyerdahls Gehilfen bei einem ähnlichen Versuch. Und doch gilt es als »bewiesen«, dass die Statuen mit Steinfäustlingen aus dem Vulkan gemeißelt wurden.

In grauer Vorzeit versank das Atlantis der Südsee in den Tiefen des Pazifiks. Make Make brachte die Rettung und wies den Weg zur Osterinsel. Sieben Seefahrer überprüften erst die Richtigkeit von Make Makes Rettungsplan. Sie lotsten schließlich den Exodus in die neue Heimat. Sieben Statuen, die als einzige aufs Meer hinaus blicken (nach Westen!), stellen die sieben mutigen Seeleute dar.
Heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus, leben wir in einer Zeit der weltumfassenden Probleme und Krisen. Länder wie Griechenland stehen vor dem Bankrott. Die Ölpest im Golf von Mexiko, ausgelöst durch die Explosion der Plattform Deepwater Horizon von BP, könnte so etwas wie ein modernes Menetekel sein. Haben wir uns schon so sehr an Katastrophenmeldungen gewöhnt, dass die Millionen und Abermillionen von Litern Öl, die ins Meer fließen, mit stoischer Gelassenheit aufgenommen werden?

Auf der Osterinsel wurden nach und nach alle Palmen gefällt. Ob damals auch kritische Stimmen zu hören waren, die vor dem Raubbau mit der Natur warnten? Wenn es sie gab, verhallten ihre Stimmen ohne Wirkung. Dabei konnte jeder erkennen, dass es bald keinen Palmenwald mehr geben würde, so überschaubar die Osterinsel ist. Die Palmen wurden trotzdem alle geschlagen. Hungersnöte waren die Folge. Fruchtbares Ackerland wurde ins Meer gespült. Es konnten keine Boote mehr gebaut werden. Fischfang war so gut wie unmöglich geworden. Auswandern konnten die Osterinsulaner auch nicht mehr. Es gab kein Entkommen mehr aus der Katastrophe.

Verhalten wir uns klüger als die Osterinsulaner? Wir sind dabei, die Grundlagen für ein Überleben der Menschheit geradezu planmäßig zu zerstören! Dabei ist unsere »Insel« Erde für uns heute ebenso überschaubar geworden, so wie es die Osterinsel einst für ihre Bewohner war.

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Fußnote 1) Thor Heyerdahl: »Aku- Aku. Das Geheimnis der Osterinsel«, Ullstein Sonderausgabe, Frankfurt 1972, Bildteil zwischen Seiten 104 und 105

Fußnote 2) ebenda, S. 93
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»Vom fliegenden Gott zu John Frum«,
Teil 23 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 20.6.2010


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