Sonntag, 27. Dezember 2015

310 »Die Weihnachtsgeschichte - wortwörtlich«

Teil 310 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: »Weihnacht« um 1900
»Weihnacht! Welch ein liebes, liebes, inhaltsreiches Wort! Ich behaupte, daß es im Sprachschatz aller Völker und aller Zeiten ein zweites Wort von der ebenso tiefen wie beseligenden Bedeutung dieses einen weder je gegeben hat noch heute giebt.«

Mit diesen Worten leitet Karl May anno 1897 seinen Roman Weihnacht (1) ein.

Und in der Tat: Wahrscheinlich sind die zwei Versionen der »Weihnachtsgeschichte« im »Neuen Testament« die bekanntesten und beliebtesten Bibeltexte überhaupt. Von den Evangelisten Markus, Johannes, Matthäus und Lukas finden wir die uns vertraute Weihnachtsgeschichte nur bei Matthäus und Lukas.

Auch heute noch, zu Beginn des dritten Jahrtausends wohnt diesen märchenhaft schönen Texten ein besonderer Zauber inne. Auch wenn das leise Weihnachtsfest immer mehr vom lautstarken Kommerz-Trubel übertönt zu werden droht, so ist »Weihnachten« immer noch stark.

Beneiden wir nicht alle Kinder um ihren naiven Glauben an das Christkind? Oder belächeln wir herablassend die stille Botschaft der Weihnacht? Leider bedarf es heute schon einer tüchtigen Portion Naivität, um an die Nächstenliebe zu glauben. Oder? Ist es wirklich naiv zu meinen, dass Nächstenliebe unser Leben sehr viel schöner macht als der alltägliche Egoismus einer kälter werdenden Gesellschaft?

Ich wünsche allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, eine friedvolle Zeit. Geben Sie der kindlichen Naivität in Ihrem Herzen eine Chance…

Es folgen die Texte aus dem »Neuen Testament« zum Weihnachtsfest, von mir wortwörtlich aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt…..

»Evangelium nach Matthäus«

Kapitel 1


1) (Dies ist) das Buch der Geschichte von Jesus Christus, Sohn Davids und Sohn Abrahams.

Foto 2: Der »Stall« zu Bethlehem...

18) Die Geburt von Jesus Christus geschah so. Während der Zeit, als seine Mutter  dem Joseph zur Ehe versprochen war, da zeigte es sich, dass sie schwanger war vom Heiligen Geist, bevor sie zusammen waren.

19) Jedoch Joseph, ihr Mann, denn er war rechtschaffen und wollte sie nicht öffentlich bloßstellen, dachte daran, sich heimlich von ihr zu lösen.

20) Aber nachdem er die Dinge überdacht hatte, siehe, des Herren Engel erschien vor ihm in einem Traum und sprach zu ihm: »Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht davor, Maria, dein Weib nach Hause zu führen, denn was in ihr empfangen worden ist, das ist vom Heiligen Geist!

21) Sie wird gebären einen Sohn, und du musst ihn Jesus nennen, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.«

22) All dies aber geschah, damit erfüllt werde, was der Herr durch seinen Propheten gesagt hat:

23) »Siehe: die Jungfrau wird schwanger werden und einem Sohn das Leben schenken, und sie wird seinen Namen Immanuel nennen, was so viel heißt, so man es übersetzt, Mit-uns-ist Gott.«

24) Dann erwachte Joseph von seinem Schlaf und tat so, wie der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und er führte sein Weib nach Hause.

25) Aber er erkannte sie nicht bis sie einen Sohn gebar und er nannte seinen Namen Jesus.

Foto 3: .... im Dom zu Paderborn
Kapitel 2

1) Nachdem Jesus geboren worden war in Bethlehem im Lande Judea in den Tagen als Herodes König war, siehe, da kamen Astrologen aus dem Osten nach Jerusalem, die sprachen: »Wo ist der eine, geboren als König der Juden? Denn wir sahen seinen Stern im Osten, und nun sind wir gekommen, um ihm unsere Ehrerbietung zu erweisen!«

3) Als dies König Herodes hörte, da war er erregt und ganz Jerusalem war es mit ihm.

Foto 4: Krippenidyll, Paderborn, etwa 1664

4) und nachdem er alle seine Oberpriester und Schriftkundigen des Volkes hatte zusammenkommen lassen, da begann er sie zu befragen, wo denn der Christos geboren werden würde.

5) Sie sagten zu ihm: »In Bethlehem von Judea, denn so ist es vom Propheten geschrieben worden.

6) Und du, oh Bethlehem aus dem Land von Judah, bist auf gar keinen Fall die unbedeutendste unter den Städten im Bereich Judah, denn aus dir wird hervorgehen ein Regierender, der mein Volk hüten wird, (oh) Israel!«

Foto 5: Maria, Josef und Klein Jesus...
7) Dann ließ Herodes die Astrologen heimlich zu sich kommen und brachte von ihnen sorgfältig in Erfahrung, wann denn der Stern erschienen sei.

8) Und als er sie nach Bethlehem sandte, da sprach er zu ihnen: »Geht und sucht sorgfältig nach dem jungen Kind, und wenn ihr es gefunden habt, dann erstattet mir Bericht, so dass ich gehen und ihm meine Ehrerbietung erweisen kann!«

9) Als sie den König gehört hatten, da gingen sie ihres Wegs und siehe, der Stern, den sie im Osten gesehen hatten, er ging ihnen voran, bis er dorthin kam und stand (über dem Ort), wo das Kind war.

10) Als sie den Stern sahen, da frohlockten sie sehr, in der Tat!

11) Und als sie in das Haus gingen und sahen das junge Kind mit Maria, seiner Mutter, da fielen sie nieder und erwiesen ihm ihre Ehrerbietung. Auch öffneten sie ihre Schätze und versahen das Kind mit Geschenken, Gold, Weihrauch und Myrre.

.... Foto 6: ... im Dom zu Paderborn
12) Jedoch da ihnen göttliche Warnung im Traum geoffenbart wurden, auf dass sie nicht zu Herodes zurückkehren sollten, so gingen sie auf einem anderen Wege in die Heimat zurück.

13) Da sie nun aber heimgekehrt waren, siehe, der Engel des Herrn erschien Joseph in einem Traum und sprach: »Steh’ auf, nimm’ das junge Kind und seine Mutter und flieh’ nach Ägypten, und bleibe daselbst, bis ich dir Nachricht gebe. Denn Herodes macht sich daran zu suchen nach dem jungen Kind – um es zu töten.«

14) So erhob er sich und nahm mit sich das junge Kind und seine Mutter in der Nacht und floh nach Ägypten.

15) Und er blieb dort bis Herodes starb, so dass erfüllt werde, was der Herr durch seinen Propheten gesprochen hat wie folgt: »Aus Ägypten rief ich meinen Sohn!«

16) Als Herodes nun sah, dass er überlistet worden war von den Astrologen, da verfiel er in eine große Wut und er sandte aus und ließ alle Knaben in Bethlehem und in allen seinen Distrikten töten, die zwei Jahre alt und jünger waren, gemäß der Zeit, die er sorgsam von den Astrologen erfragt hatte.

17)  Da wurde erfüllt, was durch Jeremias, den Propheten, gesprochen worden war: »Zu Ramah wurde gehört eine Stimme,  die gar bitterlich weinte und klagte, es war Rachel, die um ihre Kinder weinte, und sie ließ sich nicht trösten, weil sie nicht mehr waren (die Kinder).«

Foto 7: Maria mit Kind... Krippe zu Lügde
19) Als Herodes gestorben war, siehe, der Engel des Herrn erschien Joseph in einem Traum in Ägypten

20) und sprach: »Steh’ auf, nimm das junge Kind und seine Mutter und mache dich auf den Weg in das Land Israel, denn jene, die nach der Seele des jungen Kindes trachteten, sie sind nun tot!«

21) So erhob er sich und nahm das junge Kind und seine Mutter und ging hinein in das Land Israel.

22) Aber als er hörte, dass Archelaus regierte als König von Judea an Stelle seines Vaters Herodes, da erfasste ihn Furcht davor, dorthin zu kommen. Und da er darüber hinaus göttliche Warnung im Traum erhielt, da zog er sich in das Gebiet von Galilea zurück,

23) und kam und wohnte in einer Stadt, die da hieß Nazareth, auf dass erfüllt werde, was gesprochen worden war durch die Propheten: »Er wird genannt werden Nazarener.«

»Evangelium nach Lukas«

Foto 8: Hirten auf dem Felde, Marienkirche Lügde
Kapitel  2

1) Nun, in jenen Tagen, da wurde ein Erlass verkündet von Caesar Augustus für die gesamte bewohnte (Erde), sich registrieren zu lassen.

2) Und diese erste Registrierung fand statt da Quirinius Landpfleger von Syrien war..

3) Und alles Volk machte sich auf und reiste, um registriert zu werden, ein jeder in seine eigene Stadt.

4) Natürlich machte sich auch Joseph von Galilea auf in die Stadt Nazareth, nach Judea, in die Stadt Davids, welche genannt wird Bethlehem, da er ein Mitglied des Hauses und der Familie Davids war,

5) um registriert zu werden mit Maria, die ihm zur Ehe wie versprochen gegeben worden war, zu jener Zeit schwanger mit einem Kind.

Foto 9: Von weit her ist der König gekommen... Marienkirche Lügde

6) Als sie dort waren, da kamen die Tage und es war an der Zeit, dass sie gebären sollte.

7) Und sie gebar einen Sohn, den Erstgeborenen, und sie hüllte ihn in Tuch und legte ihn in eine Krippe, denn da war für sie kein Platz im Herbergsraum.

8) Da waren in dieser Gegend auch Hirten, die im Freien lagerten, und die in der Nacht ihre Herden hüteten.

9) Und plötzlich stand des Herren Engel bei ihnen und des Herren Glanz erfüllte sie mit Schein und sie wurden sehr ängstlich.

10) Aber der Engel sagte zu ihnen: »Fürchtet euch nicht, denn, seht, ich verkünde euch gute Botschaft von großer Freude, die alle Menschen haben werden.

Foto 10: Die »Heiligen Drei Könige«, Krippe Marienkirche, Lügde

11) Denn heute ist für euch der Retter geboren, welcher ist Christus der Herr, in Davids Stadt.

12) Und dies ist ein Zeichen für euch: ihr werdet finden ein Neugeborenes, gehüllt in Stoff, liegend in einer Krippe!«

13) Und plötzlich, da war mit dem Engel eine Vielzahl von der himmlischen Armee, preisend Gott und sagend:

14) »Ehre sei Gott in den Höhen bis hinauf zu Gott, und auf der Erde Frieden unter den Menschen und guter Wille!«

15) Und als die Engel von ihnen geschieden gen Himmel waren, da fingen die Hirten an zu sprechen und sie sagten zueinander: »Wir wollen nun sogleich nach Bethlehem gehen zu sehen dieses Ereignis, das stattgefunden hat, was der Herr uns offenbart hat!«

Foto 11: König Caspar, Krippe Lügde
16) Und sie gingen mit Eile und fanden Maria sowie auch Joseph, und das Kind lag in einer Krippe.

17) Als sie es sahen, da verbreiteten sie das Wort, welches ihnen über das junge Kind kundgetan worden war.

18) Und alle, die es hörten, sie staunten über die Dinge, die ihnen von den Hirten erzählt worden sind,

19) aber Maria fing an, all diese Worte zu merken und sie zog daraus Schlussfolgerungen in ihrem Herzen.

20) Dann gingen die Hirten zurück, verherrlichten und lobten Gott für all die Dinge, die sie hörten und sahen, so wie sie ihnen gesagt worden waren.

21) Und als acht Tage sich erfüllt hatten, so dass er beschnitten werden sollte, da nannte man beim
Namen Jesus,  so wie er vom Engel genannt worden war, bevor er  im Mutterleib empfangen war.

Foto 12: Einer der Hirten im Stall, Lügde
Fußnote

1) May, Karl: »Weihnacht/ Reiseerzählung 
von Karl May«, »Historisch-Kritische Ausgabe 
für die Karl-May-Gedächtnis-Stiftung«, 
herausgegeben von Hermann Wiedenroth 
und Hans Wollschläger, Abteilung IV, 
Reiseerzählungen Band 21, Nördlingen 
1987 (Orthographie weitestgehend 
unverändert vom Original übernommen.)

Zu den Fotos 

Foto 1: Cover »Weihnacht« von Karl May.
Fotos 2-12: Walter-Jörg Langbein

311 »Das Ghetto«
Teil 311 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 03.01.2016


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Sonntag, 20. Dezember 2015

309 »Der Genozid«

Teil 309 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Giganten der Osterinsel

Etwa 1500 Menschen wurden von der Osterinsel in die Sklaverei verschleppt. Am 18. August 1863 zeigen die Proteste gegen den menschenverachtenden Sklavenhandel endlich Wirkung. Die wenigen überlebenden Polynesier sollen auf ihre Heimatinseln zurückgebracht werden. 318 Polynesier haben die unbeschreibliche Hölle überlebt. Das Schiff »Bárbara Gomez« mit den Überlebenden an Bord erreicht als erstes Ziel Papeete. Dann geht es weiter Richtung Isla la Pascua. An Bord bricht eine Pocken-Epidemie aus. 85 der 100 Osterinsulaner sterben, nur 15 überleben. In der Heimat angekommen, infizieren die fünfzehn »Geretteten« die schon dezimierte Bevölkerung der Osterinsel. 1 000 Osterinsulaner werden dahingerafft. Vorsichtig geschätzt fielen zwei Drittel der Bevölkerung der »zivilisierten Welt« zum Opfer. Tragischer Weise führt die christliche Rettungsaktion dazu, dass noch mehr »Wilde« sterben.


Foto 2: Die Osterinsel aus dem All. NASA

Noch 1929 schrieb der fast schon als heldenhaft verehrte Pater Sebastian Englert in einem Aufsatz in »Ewige Anbetung« über »Die Indianerseele« (1): »Niemand wird sich darüber wundern, wenn ich sage, daß der Indianer einer tieferstehenden Rasse angehört als wir Europäer. Und wenn ich manchmal etwas derbe oder scharfe Ausdrücke gebrauche, will ich damit die Indianer nicht verachten. Wer in die Mission geht, weiß von vornherein, daß er zu Menschen niederer Kulturstufe geht und daß das Charisma und die Größe des Missionars darin besteht, um sich der Ärmsten der Armen, der geistig und sittlich am tiefsten Stehenden liebevoll anzunehmen….. Der Missionar hat Gelegenheit, das Niedrige und Gemeine, das in der Indianerseele liegt, zu beobachten: Das Falsche, das Verschlagene, das Heimtückisch-Feige, das Verstohlene, das Sinnliche und das Träge, das Energielose und Dummstolze.«

Foto 3: Auch Make Make konnte nicht helfen
Bei einer unserer langen Jeep-Fahrten, die uns kreuz und quer über die Osterinsel führten, zeige ich mich entsetzt über die Verbrechen am Volk der Rapa Nui. Die stolze Insulanerin tritt auf die Bremse und bringt den Jeep nahe bei einem steinernen Koloss auf mächtigem Podest zum Stehen. Sie sieht mich traurig an. »Es war ein Genozid.« Abends legt sie mir eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1878 vor. Demnach lebten anno 1877 nur noch 111 Menschen auf der Osterinsel, 85 Männer und 26 Frauen.

»Wenn man die jüngere Geschichte meiner Heimat verfilmen willen, kann man aus reichlich Material schöpfen…«, schimpft meine kundige Führerin. »Da gibt es reichlich Material für eine ganze Horror-Serie! Vermutlich würde das zu grauenhaft…«

Ich schaue meine Gesprächspartnerin wohl etwas zu zweifelnd an. Sie lacht. »Du hast ja recht. Leider wurde bisher viel zu wenig geforscht. Und wenn recherchiert wurde, dann meist beschönigend! Vieles ist noch unklar! Und so mancher ›Held‹ war in Wirklichkeit eine eher zweifelhafte Gestalt! Zum Beispiel Pater Sebastian Englert (1888-1969)…« Nach Heyerdahl wurde Englert als »ungekrönter König« der Osterinsel bezeichnet (3). Englert, Gymnasiallehrer für alte Sprachen, Sprachforscher, katholischer Geistlicher und Missionar wirkte intensiv auf der Osterinsel. Er setzte sich für den Erhalt der Riesenstatuen ein, erforschte die Mythologie der Osterinsel und versuchte den Leprakranken auf der Insel so gut zu helfen, wie er nur konnte.

Fotos 4 und 5: Osterinsel 1914 und fast ein Jahrhundert später

1917, die Einwohnerzahl der Osterinsulaner war wieder auf 301 angestiegen, grassierte eine Lepra-Epidemie auf der Osterinsel. Abends in meiner Pension lese ich in den handschriftlichen Notizen meiner Führerin. Der Geistliche Rafael Edwards weilte 1917 auf der Osterinsel und missionierte eifrig. Er bemühte sich auch um die Seelen der sterbenden Leprakranken, die unter unsäglichen Bedingungen hausen und mehr vegetieren als leben mussten.

Meine Gesprächspartnerin ist nicht besonders gut auf Rafael Edwards zu sprechen. »Dieser Mann des christlichen Gottes hätte sich etwas mehr um das Leiden und Leben der Leprakranken kümmern sollen als um ihr Seelenheil. Ihm war es doch egal, ob jemand an Lepra starb, Hauptsache, er starb als Christ und hat noch rechtzeitig gebeichtet!«

Foto 6: Autor Langbein in einer der Osterinsel-Höhlen

1917 beschreibt Rafael Edwards das grauenhafte Horrorszenario der »Leprakolonie« auf der Osterinsel. Die besonders hart von Lepra betroffenen Menschen gleichen mehr lebenden Leichen. Sie verfaulen bei lebendigem Leibe, umschwärmt von Moskitos, in ihren klaffenden Wunden fühlten sich Maden heimisch. 
Foto 7: Erkundung einer der Höhlen

Auf Stroh und »Unrat« (Rafael Edwards) liegend dämmerten die entstellten Menschen ihrem Ende entgegen. Immer wieder drang Edwards in Höhlen und Häuser in der Leprakolonie vor, um seelsorgerlich zu helfen. Lange hielt er es nicht zwischen den Kranken aus. Der Gestank der »faulen Ausdünstungen« raubte ihm den Atem, so dass ihm immer wieder fast die Sinne schwanden. Dann taumelte er ins Freie, atmete intensiv ein und aus, um sich wieder in den Gestank der Noch-Lebenden und Schon-fast-Toten zu stürzen. »Lepra wurde von den Mächtigen genutzt, um missliebige Insulaner zum Schweigen zu bringen!«, behauptete verbittert meine Gesprächspartnerin.

Foto 8: Düstere Stimmung...
Wann die ersten Menschen auf der Osterinsel zum ersten Mal an Lepra erkrankt sind, ist unklar. Fest steht, dass eine Rapa Nui Familie – drei Personen – nach Tahiti geflohen war und 1889, an Lepra erkrankt, in die Heimat zurückkehrte. Die drei – Vater, Mutter, Kind – lebten getrennt von der übrigen Bevölkerung in einer Höhle. 1902 oder 1903 waren aber schon so viele Menschen angesteckt, dass abseits von der einzigen Siedlung auf dem Eiland eine Lepra-Kolonie gegründet werden musste.

1938 unterschlug der chilenische Arzt und »Militär-Gouverneur« Spendengelder, die für die Leprakranken unter den Rapa Nui gedacht waren.

Erst 1947 begann man, eine modernere Leprastation aufzubauen, mindestens 58 Jahre nach Ausbruch der Krankheit. Es ist beschämend, dass in den 1950er und 1960er Jahren Leprakranke auf der Osterinsel nur gelegentlich ärztlich versorgt wurden. Es ist beschämend, dass es erst 1993, ein Jahrhundert nach Ausbruch, es Betroffenen ermöglicht wurde, sich in Santiago de Chile operieren zu lassen. Es ist mehr als beschämend, dass die Rapa Nui lange Zeit auf der eigenen Insel wie Gefangene in einem Ghetto gehalten wurden. Aufbegehrende Insulaner wurden zu den Leprakranken gesperrt. Auf diese sollten die Menschen gefügig gemacht werden. Als Strafe für Ungehorsam war Ansteckung mit Lepra vorgesehen. Das ist nicht mehr beschämend, das war verbrecherisch.

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), Großmeister des Horrors, schrieb: »Wir leben auf einer seelenruhigen Insel der Ignoranz inmitten eines Meeres von schwarzer Endlosigkeit und es war nie angedacht, dass wir je auf Reise gehen sollten.«

Einst versank die Urheimat der Osterinsulaner im Meer, dank des fliegenden Gottes Make Make – so überliefert es die Mythologie – konnten sich die Menschen auf die »Isla de Pascua« retten. Dort hätten sie wie in einem Paradies leben können… wenn nicht die »Schwärze« der zivilisierten Welt immer wieder Sklaverei, Elend und Tod gebracht hätte. Fast wäre die Bevölkerung der Osterinsel vollständig auslöscht worden. So kann man, muss man von einem Genozid sprechen.

Foto 9: Hund, Autor und kleiner Riese
Fußnoten

1) Zitat aus Fischer, Hermann: »Schatten auf der Osterinsel/ Plädoyer für ein vergessenes Volk«, 2. Überarbeitete Auflage, Oldenburg 1999, S. 202
2) Pinart, Alphonse: »Voyage à l´Ille de Paques: Le Tour du Monde«, vol. 36, Seiten 225-240, Paris 1878
3) Wikipedia-Artikel über Englert.
4) Edwards, Rafael: »La Isla de Pascua«, Santiago de Chile 1918

Zu den Fotos 

Fotos 1, 3, 7 und 8: Walter-Jörg Langbein
Foto 2/ Die Osterinsel aus dem All. NASA: NASA
Fotos 4 und 5/ Osterinsel 1914 und fast ein Jahrhundert später: Foto 4, 1914, gemeinfrei. Foto 5 Ingeborg Diekmann
Foto 6/Autor Langbein in einer der Osterinsel-Höhlen: Ingeborg Diekmann
Foto 9/ Fotograf unbekannt

310 »Die Weihnachtsgeschichte - wortwörtlich«
Teil 310 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein,                      
erscheint am 27.12.2015


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Montag, 14. Dezember 2015

Von Mikesch, Büchern und seiner Begegnung mit Andrea Sawatzki

Guten Tag, mein Name ist Mikesch!

Auf dem Foto links können Sie sich ein Bild von mir machen. Da sah ich noch ganz entspannt aus, das sollte sich aber sehr bald ändern …

Sie kennen Fido Buchwichtel, den berühmten Literaturkritiker aus dem Wichtelland? Ich sag Ihnen was: den kannte ich einmal! Dieser windige Wichtel hat es tatsächlich geschafft, mein ruhiges Leben durcheinander zu bringen! Und das kam so:

Letzte Woche landete ein Lachmöwenjet auf meiner grünen Wiese, an Bord Fido Buchwichtel. Ein kurzes Hallo von ihm und schon kam er zur Sache. Atemlos berichtete er von seinem Weihnachtsstress als Wichtel und dass »Ein Buch lesen!« auf seine Buchvorstellung zu Weihnachten wartet und er überhaupt keine Zeit dafür habe. 

Was habe ich mit Büchern zu tun? Gut, Die Mäusejagd im Wandel der Zeit von Kasy Karthäuser ist ein Klassiker und wird von mir immer wieder gerne zur Pfote genommen. Aber was und wer ist »Ein Buch lesen!«?

Lange Rede kurzer Sinn: Fido der Wichtel packte mich bei meiner Eitelkeit! Er versprach, dass er meine Dosenöffner überreden würde, mich zu einer Lesung von Andrea Sawatzki einzuschmuggeln! Da wurde ich weich wie Butter in der Sonne. 


Dass ich im Gegenzug eine Buchvorstellung machen sollte, lief eher unter dem Kleingedruckten. Zumal ja auch von einem Fotoshooting die Rede war. Eigentlich war ja alles gar nicht so schlimm, wenn da nicht diese idiotische Mütze gewesen wäre. Vermutlich wollte Fido Buchwichtel aus diesem Grund den Job nicht machen. Diese Mütze entwürdigt Wichtel und Katzen gleichermaßen. Sehen Sie selbst (Foto rechts).


Dass die Autoren der Schriftstellergemeinschaft Katzenliebhaber und auch Dosenöffner sind, hat mich dann etwas besänftigt. Walter-Jörg Langbein kümmert sich in seiner knapp bemessenen Freizeit um arme Katzen. Füttert und versorgt sie mit Medikamenten. Darum macht es mir auch eine besondere Freude, sein neues Sachbuch »Als Eva noch eine Göttin war« hier vorzustellen. Darin enthüllt Walter-Jörg Langbein verborgenes Wissen in biblischen Schriften. Ein spannendes Sachbuch, das unter dem Weihnachtsbaum nicht fehlen sollte!

Ursula Prem teilt Tisch, Bett und Kühlschrankinhalt mit einer besonders wilden Katze. Nie im Leben würde die sich eine idiotische Weihnachtsmütze überstülpen lassen! Freiheit ist beiden ein wichtiges Gut. Wen wundert’s also, dass Ursula Prem ein besonderes Buch wieder aufgelegt hat: »Das Recht im Irrenwesen: kritisch, systematisch und kodifiziert« die Neuausgabe des 1890 bei Orell Füssli & Co. erschienenen Werkes von Eduard August Schroeder. Dazu schreibt sie Zitat: »Dass es im Ergebnis noch immer keinen Unterschied macht, ob ein Mensch im 19. Jahrhundert der Geisteskrankheit geziehen wurde, oder ob er in heutiger Zeit ihrer bezichtigt wird, unterstreicht nur die traurige Kontinuität des Wirkens der Psychiatrie in ihrem fatalen Zusammenspiel mit der Justiz.« Zitatende

g.c.roth ist auch Dosenöffner. »Mord im ostfriesischen Hammrich: Tödliches Wiedersehen« zeigt Abgründe auf! Irgendwann ist gut gewesen und das Ende des Antagonisten passt zu seinem Lebensstil. 

Krimis schreibt auch Tuna vB. Der »Blauregenmord: Ein Münsterland - Krimi« handelt von einem Ereignis, dass sich gleich hier ums Eck ereignet haben soll. Dazu gibt es sogar eine kostenlose Leseprobe, als E-Book.

Eigentlich wollte ich mich ja weigern, über die Bücher von Sylvia B. zu berichten. Zu ihr gehört nämlich der Lisa, der hat sich neulich an mich rangeschlichen und beinahe wäre ich im Seerosenteich gelandet. Der Lisa ist ein Mobber! Warum ich doch ein E-Book vorstelle? Weil Sylvia B. auch für das Äugelchen Dosen öffnet. Und das Äugelchen hat dem Bonsai die Cannabisernte verschisselt! Das glaubt Ihr mir nicht? Dann lest »Lyrichs Briefe an Lieschen - Hexenhausgeflüster«.


Aber jetzt zu der Lesung mit Andrea Sawatzki. Tatsächlich ist es meinen Dosenöffnern gelungen, mich in die heiligen Hallen der Sparkasse zu schleusen. Sie müssen wissen, dass ich dort kein Konto besitze. Ich handele schließlich mit Mäusen, nicht mit Kohle. Die Lesung war klasse, unglaublich spannend der neue Thriller »Der Blick fremder Augen«.

Im Anschluss signierte Andrea dann ihre Bücher, die Menschen standen geduldig Schlange. Ich habe damit kein Problem, schließlich kann ich stundenlang vor einem Mauseloch ausharren. Als ich aber endlich an der Reihe war, wurde ich doch nervös. Schließlich habe ich keinen ihrer Tatorte verpasst. Als ein Foto von uns beiden gemacht wurde, konnte ich nicht stillsitzen und habe mich verwackelt. Darum hier ein Bild nur mit ihr.

Sie hat mir anvertraut, dass sie lieber Hunde mag, aber bei mir würde sie eine Ausnahme machen. Das ist die Wahrheit, dafür lege ich meine Pfote ins Wasser! Lest selbst, da steht »Für Mikesch« und »Das Böse lauert überall …« (Ich hätte sie fragen sollen, ob sie auch den Lisa kennt …)

Wie dem auch sei, Andrea Sawatzki hat mich den Stress mit der Weihnachtsmütze vergessen lassen.


Und jetzt maunze ich Euch zu, was Fido Buchwichtel an dieser Stelle herausschreien würde:
Mäuse … äähhh … Bücher auf
»Ein Buch lesen!« - Kaufen! Lesen! Weiterempfehlen!


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Sonntag, 13. Dezember 2015

308 »Das Grauen der Osterinsel«

Teil 308 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Aufmarsch einiger Riesen

Als Schüler schrieb ich an die deutsche Botschaft in Santiago de Chile und bat um Unterlagen in Sachen Osterinsel. Monate später besuchte mich ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft im Elternhaus. Er war auf Urlaub im Frankenland. Der freundliche Herr hatte einen Projektor dabei und führte meinen erstaunten Eltern einen Film über die Kolosse der Osterinsel vor. Das war 1968. Ich war damals 14 und hätte nie zu hoffen gewagt, jemals selbst »Isla la Pascua« besuchen zu können. In den vergangenen 25 Jahren war ich wiederholt auf dem geheimnisvollen Eiland.

Ich muss zugeben, dass ich mich sehr lange nur für die berühmten Steinkolosse interessiert habe. Wie wurden sie aus dem Stein gemeißelt? Wie wurden sie transportiert? Wie wurden sie aufgestellt? Ich muss zugeben, dass mich die jüngere Vergangenheit der Osterinsel nie wirklich interessiert hat. Ich muss zugeben, dass ich nur das Idyll der Osterinsel zur Kenntnis nehmen und genießen wollte. Kein anderes Fleckchen unseres Planeten kam mir so paradiesisch still vor. Auf der Osterinsel fühlte ich mich immer wie fern unserer lauten und hektischen Welt. Es kam mir immer so vor, als sei »Isla la Pascua« gar nicht wirklich von unserer Welt, als sei sie eine wunderschöne Oase in der Zeit.

Angeblich soll es an Orten, wo Menschen schlimmes Leid ertragen mussten, spuken. Angeblich sollen dort, wo Menschen ermordet wurden, Geister ihr Unwesen treiben. Wenn dem so wäre, dann müsste die Osterinsel ein Ort des Grauens sein, wie es nur der Großmeister des Horrors, Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) plastisch beschreiben kann (1). Das Grauen in Lovecrafts wird förmlich spürbar dank der Erzählkunst dieses großartigen Schriftstellers, war und ist aber fiktiv. Das Grauen auf der Osterinsel aber, es war – leider – real und wird bis heute gern verschwiegen und verdrängt.

Ich muss zugeben, dass mich die wohlklingenden Namen von Höhlen aus alten Zeiten sehr viel mehr interessierten als die jüngere Historie des Eilandes.  Ich besuchte den Steinbruch, also den Geburtsort der Riesenstatuen, liegende und aufgerichtete Steinkolosse und ich kroch in Höhlen. Ihre Namen ließ ich mir auf der Zunge zergehen, zum Beispiel »Ana Kai Tangata«.  »Ana« bedeutet Höhle, »Kai« zählen und »Tangata« bedeutet »Leute« (»Höhle - zählen - Leute«).

In der Ana Kai Tangata  Höhle. Foto Jürgen Huthmann

In »Ana Kai Tangata« wurden die mutigen Männer gezählt, die den »Vogelmann-Kult« zelebrierten. Sie musste eine steile Klippe zum Meer hinab klettern, durch haireiches Gewässer zu einer winzigen Insel schwimmen. Es galt, das erste Ei einer Rußseeschwalbe heil zur Osterinsel zu bringen. Nicht wirklich klar ist bis heute, was das für den Sieger bedeutete. Wurde er zum »Osterinselpapst«? Möglich. Oder traten die sportlichen Schwimmer für ihre Stammeshäuptlinge an?

Ich muss zugeben, ich liebte die Gesänge der Osterinsulaner in ihrer vokalreichen, so sanft klingenden Sprache. Aber wollte ich wirklich alles hören und verstehen, was sie uns mitteilen? Begierig notierte ich Überlieferungen von Make Make dem großen, fliegenden Gott der Osterinsel. Ich ließ mir immer wieder erklären, wie Make Make Menschen schuf, wie er ihm treu ergebene Menschen belohnte und wie er ungehorsame Menschen bestrafte. Da war die Rede davon, dass Make Make böse Menschen durch die Lüfte trug und auf einem winzigen Eiland aus nacktem Fels aussetzte. Da wurde berichtet, wie die Menschen aus dem Reich des »Atlantis der Südsee« erfuhren: durch einen Priester, den Make Make entführte und nach einer Himmelsreise auf der Osterinsel absetzte.

Ich interessierte – ich muss es zugeben – die fantastisch anmutende Zeit vor der Entdeckung der Osterinsel durch ach so zivilisierte Europäer. Das Grauen der Osterinsel unter »christlicher Herrschaft« verdrängte ich. Mag sein, dass es in der mythischen Zeit der Osterinsel Menschenfresserei gab. Die wirkliche Zeit des Grauens setzte aber erst ein, als sich Vertreter der »zivilisierten Welt« die Osterinsel aneigneten und die Geschicke der Menschen bestimmten.
Die reale Geschichte der Osterinsulaner ist nach dem Auftauchen von Vertretern der »zivilisierten Welt« von Grausamkeit und Brutalität geprägt.

1805. Der Schoner Nancy ankert vor der Osterinsel in der »Cooksbay«. Die Besatzung geht an Land, fällt über die ahnungslosen Osterinsulaner her. Wie viele Einheimische brutal niedergemetzelt werden, wir wissen es nicht. Ein zeitgenössischer Bericht beschreibt eine »blutige Schlacht«. Die Insulaner haben keine Chance, die Amerikaner sind ihnen dank ihrer Schusswaffen überlegen.

Männer und Frauen werden an Bord der Nancy, Heimathafen New-London, USA, gezerrt und gefesselt. Sie sollen als Sklaven auf der Insel »Más Afuera« (heute Alejandro Selkirk Insel, Juan-Fernández-Archipel) angesiedelt werden. Dort sollen sie für ihre »Besitzer« Seehunde jagen. Drei Tage lang hält man die Osterinsulaner in Fesseln. Als man schließlich den Männern die Eisen löste, stürzten sie sich in die Fluten.

Ein Boot wird zu Wasser gelassen, soll die Flüchtigen wieder einfangen. Das gelingt nicht. Die Männer tauchen, ertrinken lieben als dass sie in die Sklaverei gehen.

1811. »Pindos«, ein amerikanischer Walfänger, ankert vor der Osterinsel. Männer gehen an Land, fassen Frischwasser. Als die Wasservorräte ausreichen, fallen die Matrosen über die Einwohner der Osterinsel her. Sie haben es auf Frauen abgesehen, die sie brutal vergewaltigen und an Bord der »Pindos« verschleppen.

Dort »tobte sich die Besatzung in aller Scheußlichkeit aus«, wie ein zeitgenössischer Bericht vermeldet (2). Die schwer misshandelten,  übel zugerichteten Frauen werden schließlich über Bord geworfen. Und dienen als lebende Zielscheiben für »Schießübungen«.

»Offensichtlich hatten deine Vorfahren keinerlei Rechte im 19. Jahrhundert…«, sagte ich aufrichtig bedauernd zu der bildschönen Osterinsulanerin, die mich mehrere Tage lang kreuz und quer auf der Insel herumfuhr und mir auch Höhlen zeigte, die für »Schnell-Schnell-Touristen« zu weit abseits von den Kurztouren liegen. Traurig sah mich die Schöne an. »Meine Vorfahren hatten im 19. Jahrhundert keine Rechte. Daran hat sich im 20. Jahrhundert nichts geändert!«


Riesen aus Stein in Reih' und Glied....


Die Menschen lebten in Angst auf »Isla la Pascua«. Nahte ein Schiff, versteckten sie sich in den zahlreichen Höhlen, um nicht als Sklaven verschleppt oder »nur« vergewaltigt zu werden. Im Herbst 1862 schaffte Peru die Sklaverei ab, offiziell und aus »humanitären Gründen«. An den realen Verhältnissen änderte sich aber nichts. Die Menschenhändler wollen auf ihre immensen Profite nicht verzichten. Sie treiben ihr »Handwerk« weiter, verschleppen weiter Menschen aus dem polynesischen Raum. Weiter werden Menschen auf der Osterinsel gefangen. Weiter werden die Menschen nach Peru geschafft, wo sie unter unsäglichen Bedingungen schuften müssen.

Da der Sklavenhandel aber inzwischen verboten ist, dürfen die Sklaven nicht mehr als Sklaven bezeichnet und auch nicht mehr verkauft werden. Also bekommen die Sklaven »Arbeitsverträge« und »dürfen« in Südamerika »einwandern«. Als Sklavenhandel noch offiziell erlaubt war, wurden die Sklaven auf Märkten feil geboten und wie Ware hin und her geschoben. Das ist nun nicht mehr statthaft. Stattdessen werden jetzt die Arbeitsverträge verkauft und gekauft. Wer einen »Arbeitsvertrag« erwirbt, der kauft de facto den dazugehörigen Sklaven mit, auch wenn der Sklave jetzt nicht mehr Sklave genannt wird.

Weihnachten 1862 liegen acht Schiffe vor der Osterinsel. Fast 100 Mann gehen an Land, locken die Insulaner an den Strand. Netze werden über die Menschen geworfen, sie werden gefesselt und von den Sklavenhändlern an Bord ihrer Schiffe gezerrt. Da noch Platz für weitere Sklaven ist, wird regelrecht Menschenjagd betrieben. Wer sich widersetzt, wird kaltblütig ermordet. Ein gewisser de Aguirre, Kapitän des spanischen Schiffs »Cora« tötet Osterinsulaner mit gezielten Schüssen. Auch der Koordinator der scheußlichen, verbrecherischen Aktion, ein gewisser Juan Maristany, erschießt eigenhändig Gefangene, weil sie sich seiner Meinung nach nicht schnell genug auf die Schiffe verladen lassen.

Einigen Flüchtenden gelingt es, sich in einer großen Zuckerrohranpflanzung zu verstecken. Zunächst schießen die Sklavenjäger ziellos, doch die Menschen zeigen sich nicht. Also wird die Plantage angezündet. Es kommt zu einem blutigen Gemetzel. Die Einheimischen bewerfen ihre Peiniger mit Steinen, die Vertreter der »Zivilisation« setzen bedenkenlos ihre Schusswaffen ein. Fünf der verbrecherischen Sklavenjäger kommen ums Leben, die Zahl der ermordeten Insulaner ist nicht bekannt.

Wir können das Grauen, das Vertreter der »zivilisierten Welt« –  auch – auf der Osterinsel inszenierten nicht mehr vollständigen in seiner abartigen Abscheulichkeit erfassen. Zu spärlich sind die überlieferten Dokumente. Nackte Zahlen lassen Schlimmstes über die Umstände, unter denen die Sklaven schuften mussten, erahnen. Die menschenunwürdigen Zustände auf den Guanofeldern der Chincha-Inseln führten dazu, dass die meisten der Sklaven nicht lange überlebten. Größer waren die Überlebenschancen der Sklaven auf den Haciendas allerdings nicht. Im Chillón-Tal zum Beispiel starben 64 von 100 Sklaven, die aber nicht mehr als Sklaven bezeichnet werden durften. Sklaverei war ja schließlich verboten.

Das Grauen auf der Osterinsel – verantwortlich: »zivilisierte« Sklavenjäger – fand auf dem Festland Südamerikas seine Fortsetzung… verantwortlich: »zivilisierte« Haciendabesitzer.  So unsäglich waren die Verbrechen, dass schließlich Vertreter der katholischen Kirche protestierten und eine Rückkehr der überlebenden Sklaven in die Heimat forderten.

Fußnoten

1) Obwohl H.P. Lovecraft schon im Alter von 47 Jahren starb, hinterließ er ein umfangreiches Werk der einzigartigen Horrorliteratur. Eine kleine Auswahl…. Lovecraft, H.P.: »Chronik des Cthulhu-Mythos I«, »Chronik des Cthulhu-Mythos II«, »Die lauernde Furcht – 24 Horrorgeschichten«, »Gesammelte Werke Band 1: Der kosmische Schrecken« und »Gesammelte Werke Band 1: Der kosmische Schrecken«, »Gesammelte Werke Band 2: Namenlose Kulte«.

2) Mazière, Francis: »Insel des Schweigens«, Berlin 1967

Zu den Fotos...

»In der Ana Kai Tangata  Höhle.« Foto Jürgen Huthmann
Alle übrigen Fotos: Walter-Jörg Langbein


 309 »Der Genozid«,
Teil 308 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 20.12.2015


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Sonntag, 6. Dezember 2015

307 »Nikolaus und die goldenen Äpfel«

Teil 307 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Vierzehnheiligen anno 1909

Es war ein bitter-kalter Abend im schweizerischen Solothurn. Bei einem leckeren Käsefondue und »geistigen« Getränken erzählte unser freundlicher, sympathischer Gastgeber: »Wir haben heute den 6. Dezember. Bei euch in Deutschland spricht man vom ›Nikolaus-Tag‹!« Den Nikolaus soll es wirklich gegeben haben, konnte ich einwerfen. Genauer gesagt vereint der Heilige Nikolaus angeblich zwei historische Persönlichkeiten in sich: den Bischof Nikolaus von Myra (vermutlich 4. Jahrhundert) und den Abt von Sidon gleichen Namens. Im 6. Jahrhundert wurde aus diesen beiden realen Persönlichkeiten der fiktive wundertätige Bischof von Myra.

»Bei uns in der Schweiz heißt der ›Heilige Nikolaus‹ allerdings ›Samichlaus‹!«, so fuhr unser Gastgeber fort. »Und der hat seinen Ursprung in vorchristlichen Zeiten!« Das stimmt! »Samichlaus« lässt sich vom keltischen Samonios herleiten, dem Allerseelen der Heiden. Am 1. November gedachten die Kelten der Toten. Das Halloween-Fest ist übrigens keine Erfindung der Amerikaner. Es stammt aus dem Keltischen, wurde durch Auswanderer in die »Neue Welt« gebracht.

Der Heilige Nikolaus von Worms
Zu Samonios wurden die lebensnotwendigen Herdfeuer gelöscht und wieder entzündet. Auf diese Weise wurde der »sterbenden« und wieder neu »auflebenden«  Natur gedacht. »Samichlaus« alias Sami-Klaus, war ein keltischer Heiliger, der das Samonios Fest zelebrierte (»Sami«) und der in einer »Klause« lebte.  

Zunehmend stehen zu Halloween auch in unseren Breiten gespenstisch wirkende hohle Kürbisköpfe in Fenstern und vor Türen, mit leuchtenden Augen und Mündern. Das »Feuer« in hohlen Kürbissen mit eingeschnitzten Gesichtern mag an diesen alten heidnischen Brauch erinnern.

Im »Samichlaus« (alias »Nikolaus«) der Schweiz lebt uralter heidnischer Glaube weiter, wenn auch stark christlich übertüncht! Auch in Österreich hat der ach so katholisch-fromme Nikolaus ältere, sprich keltische Wurzeln. Georg Rohrecker schreibt in seinem Buch »Die Kelten Österreichs – Auf den Spuren unseres versteckten Erbes« (1): »Wo heute in den Ostalpen Nikolauskirchen stehen, waren ursprünglich Kultplätze, bei denen es um Fruchtbarkeit und ewiges Leben ging. Wobei Nikolaus .. insbesondere auch die Rolle eines schützenden Begleiters der verstorbenen Seelen und Garanten für ihre Wiedergeburt zufiel.«

Der keltische Bewahrer des Lebens und der Wiedergeburt lebt auch heute noch in christlichen Bildnissen weiter. Auf frommen Gemälden beschenkt der Heilige Nikolaus die drei Heiligen Jungfrauen mit goldenen Äpfeln. Eigentlich ganz unchristlich bietet er den drei Heiligen Jungfrauen das ewige Leben an. Er präsentiert es ihnen in christlichem Gewand. So verwundert es nicht, dass der Heilige Nikolaus nach frommer Legende Tote wieder zum Leben erwecken konnte. Nach einer alten Überlieferung kehrten einst drei Studenten in der Herberge eines Gastwirts ein. Der erschlug die jungen Männer, beraubte sie und zerstückelte ihre Leichname und pökelte sie zusammen mit Schweinefleisch ein.

Kurz darauf erschien der Heilige Nikolaus als Gast. Dienstbeflissen setzte ihm der mörderische Wirt Pökelfleisch vor. Nikolaus erkannte sofort, was Grausiges geschehen war und erweckte die zerhackten und eingepökelten Mordopfer wieder zum Leben. Da muss man wohl wirklich von einem echten Wunder sprechen!

Nach einer anderen Legende hatte einest ein armer Mann drei Töchter. Da er ihnen keine Aussteuer mitgeben konnte, wollte er sie zur Prostitution drängen. Davon freilich erfuhr der Heilige Nikolaus. Er schenkte dem Vater drei goldene Äpfel, so dass den drei Töchtern das Schicksal der Prostitution erspart blieb.

Kurios mutet eine Darstellung der Geschichte vom Nikolaus, den drei Schwestern und den drei goldenen Äpfeln aus dem frühen 16. Jahrhundert an. Man sieht den gramgebeugten Vater. Er scheint noch zu überlegen, wie er seinen drei Töchtern den Weg in die Prostitution ersparen kann. Die drei Töchter allerdings sind schon recht freizügig dargestellt. Es sieht so aus, als würden sie ihre Reize schon zur Kundenwerbung einsetzen. Ob das Kunstwerk aus Salzburg eine Vision des Vaters darstellt, von der befürchteten Zukunft seiner Töchter? Gerade rechtzeitig noch erscheint der Nikolaus. Er ist dabei, einen der goldenen Äpfel zu werfen.

Wie stark heidnisches Glaubensgut war, das beweist die Vitalität der alten keltischen Schutzgottheiten. Da sie nicht wirklich aus dem Volksglauben verdrängt werden konnten, wurden sie »christianisiert«. So wurden aus alten Schutzgöttern der heidnischen Art christliche »Nothelfer«. Die »Vierzehn Nothelfer« werden in zahlreichen Regionen verehrt. Besonders bekannt ist »Vierzehnheiligen« im oberfränkischen »Gottesgarten«.

Der Fachmann erkennt unschwer im Heiligen Dionysius den heidnischen Dionysos/ Bacchus wieder. Keltenexperte Georg Rohrecker (2): »Da Dionysos/ Bacchus von offiziell christlichen Herrschern nicht verehrt werden konnte, wurde mit Dionysius ein Hybride aus ›heidnischen‹ und katholischen Komponenten geschaffen.« So lebt also ein heidnischer Gott als »Saint Denis«, alias »Dionysius«, alias »Dennis« alias »Denys« im katholisch-christlichen Heiligenhimmel weiter. Einst wurde er als Heros der Mond- und Sternengöttin verehrt. Später stieg er in der Hierarchie zum Gott der Fruchtbarkeit und des Weins auf. Er wurde als Sohn des Zeus und Mondgöttin Semele verehrt. Dem erstarkenden Christentum sollte er weichen, blieb dann aber ob seiner Beliebtheit als christlicher Nothelfer erhalten.

Der christianisierte Dionysius, in Frankreich brachte er es zum Nationalheiligen, endete als Märtyrer. Auf dem Montmatre (zu Deutsch: »Märtyrerberg«) wurde ihm, dem ersten Bischof von Paris, das Haupt abgeschlagen. Noch im Tod bewirkte er, so überliefert es die fromme Legende, ein Wunder: Er hob seinen Kopf auf und marschierte noch ganze sechs Kilometer gen Norden. Und wo er schließlich sein abgeschlagenes Haupt ablegte, so die Legende weiter, ließ der fränkische Dagobert im frühen 7. Jahrhundert die erste Abtei »St. Denis« bauen.

Dionysius, Corvey.
Der frommen Legende nach stellte Dionysius in der Disziplin »Gehen nach Enthauptung« den Piraten Klaus Störtebeker in den Schatten. Nach einer alten Legende machte der Bürgermeister von Hamburg Kersten Miles dem zum Tode verurteilten Piraten Klaus Störtebeker ein gruseliges Angebot. Er werde allen Piraten die Freiheit schenken, an denen Störtebeker nach seiner Enthauptung vorbeigehen würde. Klaus Störtebeker, so heißt es weiter, akzeptierte und wankte nach seiner Hinrichtung kopflos an elf seiner Gefährten vorbei. Der Henker brachte den Piraten zu Fall. Und der Bürgermeister brach sein Versprechen, alle 73 Seeräuber wurden geköpft. Während Dionysius sechs Kilometer kopfloses Gehen geschafft haben soll, brachte es Störtebeker dank der Hinterlist des Henkers nur auf wenige Meter.

Den »Heiligen Nikolaus« identifiziert Georg Rohrecker (3) als »ehemaligen Wasser- und Fruchtbarkeits-Heros«. Selbst der angebliche Geburtsort des Nikolaus – Patara – wurde mit Bedacht gewählt. In Patara, heute Türkei,  nahm der Apollon-Kult seinen Ausgangspunkt. Apollon Patroos lockte Volksmassen nach Patara. Unzählige Menschen pilgerten zu seinem Orakel. Rohracker (4): Nikolaus »wurde daher sicher mit voller Absicht in die großen Fußstapfen des antiken Licht-, Weisheits- und Heilergottes Apollon gestellt, den Caesar mit dem keltischen (Gott) Belenus verglich.«

Bis heute gibt es meiner Meinung nach keinen einzigen Lehrstuhl an einer Universität, der sich meiner Meinung nach mit Recht mit dem Namen »Theologie« schmücken dürfte. Theologie bedeutet übersetzt und sinngemäß übertragen »Wort von Gott«, oder »Reden von Gott«. Ein Lehrstuhl, der diese Bezeichnung verdienen würde, dürfte nicht konfessionell gebunden sein. In Erlangen, zum Beispiel, wird keineswegs christliche Theologie im allgemeinen Sinn betrieben. Es wird vielmehr ein ganz spezielles Christentum gelehrt. Katholische Theologie bleibt außen vor. In Erlangen beschäftigt man sich ausschließlich mit evangelisch-lutherischer Theologie, also mit einem verschwindend  kleinen Segment von Theologie.

Auch in Vierzehnheiligen, Oberfranken,
Ich wünsche mir eine überkonfessionelle Theologie, die sich wertfrei mit allen möglichen, unterschiedlichen Formen des religiösen Glaubens auseinandersetzt. Konfessionell gebundene Theologie kann gar nicht wissenschaftlich sein, weil sie Dogmen hat, an denen nicht gerüttelt werden darf. Wissenschaft aber muss stets dazu bereit sein, bislang als richtig angesehene Erkenntnisse über Bord zu werfen. Wissenschaft hinterfragt sich stets selbst. Theologie tut das nicht. Oder besser gesagt: Wissenschaft sollte stets dazu bereit sein, sich zu hinterfragen und neue Erkenntnisse zu akzeptieren. Das aber tut sie nur ungern. Sie ist in gewisser Hinsicht… theologisch.

Im Vergleich zur »Theologie« des Islam ist allerdings die christliche geradezu revolutionär und fortschrittlich-wissenschaftlich. Da wird offen darüber diskutiert, welche Jesus-Worte aus dem »Neuen Testament« wirklich echt sind. In der christlichen Theologie an den Universitäten wird versucht zu ergründen, welche »Jesus-Zitate« in Wirklichkeit erst später Jesus in den Mund gelegt wurden. Eine ähnlich kritische Auseinandersetzung mit dem Koran kommt in manchen, vom Islam dominierten Ländern einem Selbstmord gleich. So wagt es kein muslimischer »Theologe« auch nur eine Sure wissenschaftlich zu hinterfragen.

Der »Heilige Nikolaus«, heute oftmals in Personalunion mit dem Weihnachtsmann und als »Coca-Cola-Santa-Claus«, beschenkt die Kinder. Der »Heilige Nikolaus« schenkte einem armen Vater mit drei Töchtern drei goldene Äpfel. Ur-christlich ist diese Geschichte nicht. Sind doch die drei goldenen Äpfel Symbol der heidnischen Muttergöttinnen-Dreifaltigkeit. Die Äpfel sind aus heidnischer Mythologie hinlänglich bekannt, als Äpfel des ewigen Lebens. Helden wie Herkules versuchten in den Besitz dieser Wunderäpfel zu gelangen. Und der prall mit Gaben gefüllte Sack, den Santa Claus heute da und dort noch in die guten Stuben schleppt, ist ebenso ein uraltes heidnisches Symbol: für die unerschöpfliche Fülle, die die Muttergöttin zu bieten hat… und für das ewige Leben.

... werden die »Vierzhen Nothelfer« angerufen
Fußnoten


1) Rohrecker, Georg: »Die Kelten Österreichs – Auf den Spuren unseres versteckten Erbes«, Wien 2003, S. 143
2) Rohrecker, Georg: »Kelten, Götter, Heilige – Mythologie der Ostalpen«, Wien 2007, S. 124 unten und S. 125 oben
3) ebenda, S. 159
4) ebenda



Vierzehnheiligen, vom Zug aus fotografiert

Zu den Fotos

Die beiden Innenaufnahmen von Vierzehnheiligen (»Auch in Vierzehnheiligen, Oberfranken,werden die ›Vierzehn Nothelfer‹ angerufen«) stammen von Ingeborg Diekmann, Bremen. Alle übrigen Aufnahmen: Walter-Jörg Langbein und Archiv Walter-Jörg Langbein.

308 »Das Grauen der Osterinsel«,
Teil 308 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 13.12.2015

 
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Sonntag, 29. November 2015

306 »Das Medaillon und eine Göttin«

Teil 306 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: »Geboren« vor 100 Millionen Jahren...

Vor 150 Millionen Jahren: Wo heute der Hermann aus Metall sein Schwert gen Himmel reckt… wogt ein Meer. Am Grund sammeln sich seit Ewigkeiten Sedimente ab, die sich langsam verdichten. Im Raum Horn-Detmold verläuft ungefähr die Küste…. vor 150 Millionen Jahren.

Vor 100 Millionen Jahren haben sich die Ablagerungen in Sandstein verwandelt. Fachbezeichnung heute: Osningsandstein, »Geburtszeit« Erdzeitalter der Unterkeide. Die sandigen Ablagerungen deuten auf Küstennähe hin.

Vor 70 Millionen Jahren: Durch Bewegungen der Erdkruste wird der ursprünglich flach am Boden liegende Sandstein von der Horizontalen in die Senkrechte geschoben. Gewaltige tektonische Kräfte sind am Werk.  Der Sandstein wird nicht nur aufgestellt, das Gestein wird auch gebrochen und zerklüftet.

Foto 2: Drachenszene...  Foto 3: Drachenkopf

Vor 70 Millionen Jahren werden die nun senkrecht stehenden Steinmassen durch Wasser und Wind freigelegt. Die Externsteine entstehen, die Kräfte der Natur formen sie zu Steinsäulen.  Sie ragen bis zu vierzig Meter hoch aus dem Untergrund. Wasser dringt in die Steine ein, gefriert im Winter, sprengt mit Urgewalt Steinpartien unterschiedlicher Größe ab.

So entsteht vor rund 70 000 000 Jahren das bizarre Felsgebilde, das heute Millionen von Touristen anlockt…. Die Externsteine. So formen Naturgewalten ein steinernes Denkmal, das seit Jahrtausenden Menschen anlockt.

Vor rund 13 000 Jahren sind die Externsteine Ziel von Jägern und Sammlern. Sie benutzen den Bogen als Jagdwaffe und primitives Werkzeug aus Feuerstein. Ihre Steingeräte werden im 20. Jahrhundert bei Ausgrabungen bei den Externsteinen entdeckt. Feste Behausungen kennen diese Menschen der Ahrensburger Kultur noch nicht. Sie nutzen natürliche »Überdachungen« –  Felsüberhänge – als Wetterschutz. So finden sie bei den Externsteinen Unterschlupf, eine gewisse Sicherheit vor Unwettern. Zu fragen ist: Waren die Externsteine für die Steinzeitmenschen auch so etwas wie ein »Heiligtum«? Gab es vor 13 000 Jahren schon so etwas wie natürliche Höhlen in den Externsteinen, die später – wann? – zu einem Kammersystem erweitert wurden? Umstritten ist bis heute, wann diese Kammern genutzt wurden.

Fotos 4 und 5: Das Kammersystem im Externstein...

Wann wurden erstmals in der Kuppelkammer – in der Skizze gelb markiert – Feuer entfacht und warum? Geschah dies im 1. Jahrtausend vor Christus oder später? Wurden Tote verbrannt? Oder hatten die ersten Feuer profanere Zwecke? Brachte man den Stein durch massive Befeuerung förmlich zum »Glühen«, um ihn dann mit Wasser abzuschrecken? Erweiterte man auf diese Weise die Kuppelgrotte? Durch den Kälteschock platzt heißes Gestein ab…

Welchem Zweck diente das »Blutloch« –  in der Skizze rot markiert? Diente es der Luftzufuhr für die Feuer in der Kuppelkammer? Entstand das mysteriöse Relief des »Wächters« – 2 im Skizzenplan – in vorchristlichen Zeiten oder erst später? Hatte das rätselhafte »Kreuzabnahmerelief« – 4 im Skizzenplan – einen vorchristlichen Vorläufer, der umgearbeitet wurde?

Foto 6: Das Kreuzabnahmerelief mit Autor Langbein

Unbestreitbar aber sind das Kammersystem (inklusive Kuppelkammer!), das Wächterrelief und das Kreuzabnahmerelief künstlich, von Menschenhand geschaffen. Schriftliche Quellen gibt es nicht. In alten Märchen wird immer wieder eine Verbindung zwischen Externsteinen und dem Teufel hergestellt. Meiner Überzeugung nach ist das ein deutlicher Hinweis auf heidnisches Brauchtum, das von christlichen Missionaren »verteufelt« wurde.

Heidnischen Ursprungs ist auch ganz ohne Zweifel das Medaillon, das vor 1822 an einem der Externsteine gefunden wurde. Es zeigt eine weibliche Gestalt, die fast vollkommen von einer sehr schmalen Mondsichel eingerahmt wird. Am Kopf trägt sie eine weitere, kleine Sichel. Die Frau – Göttin oder Priesterin – zeigt ihre geöffneten Hände. Betet sie? Segnet sie? Die kleine  Mondsichel am Kopf könnte auf die Venus hindeuten. Mond… Venus… Göttin oder Priesterin auf einem Medaillon… deutlicher können Hinweise auf einen vorchristlichen Kult kaum ausfallen! Die kleine Venussichel befindet sich hinter dem Haupt der mysteriösen weiblichen Gestalt. Es handelt sich also auf keinen Fall um auf dem Haupt sitzende Hörner!

Fotos 7, 8 und 9: Das Medaillon mit der »Göttin«

Leider konnte ich zum geheimnisvollen Bildnis nichts Näheres in Erfahrung bringen, außer dass es vor 1822 an einem der Externsteine gefunden wurde. Das Medaillon wird auch als »Kupferplakette« bezeichnet. Aus christlicher Sicht könnte man das Medaillon als Anspielung auf die Offenbarung des Johannes (1) verstehen.

In der »Elberfelder« Übersetzung lesen wir: »Und ein großes Zeichen erschien im Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.« Die »Neue Genfer Übersetzung« formuliert leicht abgewandelt: »Nun war am Himmel etwas Außergewöhnliches und Bedeutungsvolles zu sehen: eine Frau, die mit der Sonne bekleidet war; unter ihren Füßen war der Mond, und auf dem Kopf trug sie eine Krone aus zwölf Sternen.«

Die »Frau« ist auf dem Medaillon ebenso zu sehen wie »der Mond zu ihren Füßen«, Sonne und Sterne freilich sucht man vergeblich. Interessant ist, dass in der Offenbarung des Johannes auf das Erscheinen eines Drachens hingewiesen wird (2):

»Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind fräße.«

Foto 10: Mondsichel, Venus und »Göttin«

Von der Theologie wird diese Beschreibung gern auf Maria, die Gottes-Mutter, bezogen, deren Kind – Jesus – vom Teufel bedroht werden würde. Der Drache findet sich auf dem Relief der Externsteine, unter der Darstellung der »Kreuzabnahme«. Aber ist es wirklich der Drache im christlichen Sinne? Oder interpretieren wir ein heidnisches Bild um? Wir können ein Buch lesen und die Botschaft der Buchstaben, Worte und Sätze erschließen sich uns. Bilder aber bieten sehr viel Platz für Spekulationen. Bildliche Darstellungen christlicher Geschichten aus dem »Neuen Testament« verstehen wir nur, weil wir die Geschichten bereits kennen. Ohne Kenntnis der Evangelien wären die bildlichen Darstellungen unverständlich. Heidnische Bilder können also völlig falsch verstanden werden, wenn wir sie nach christlichem Verständnis interpretieren!

Fotos 11 und 12: Rücken und Beine des Drachens

Mir stellt sich immer wieder eine Frage: Betrachten wir das Medaillon und das Kreuzabnahme-Relief voreingenommen durch eine christliche Brille? Sehen wir voreilig Christliches, wo Heidnisches gezeigt wird, weil wir christliche Bilder im Kopf haben? Etwas Drachenartiges darf nach christlicher Weltsicht nur als Teufel gesehen werden. Sind wir beim Betrachten viel stärker von unseren christlichen Wurzeln beeinflusst als wir ahnen, ja als uns lieb ist?

Sollen wir Christliches erkennen, wo ursprünglich Heidnisches gemeint war? Ist die »Drachenszene« unter der »Kreuzabnahme« von einem sehr viel älteren heidnischen Bild-Relief überig geblieben?

Wurde das »Kreuzabnahme-Relief« aus einem älteren, heidnischen Bildnis erarbeitet? Wurde ein heidnisches Motiv mit Hammer und Meißel umgestaltet, retuschiert sozusagen? Unzählige Male stand ich vor dem Kreuzabnahmerelief. Je nach Sonnenstand verändern sich die Bilder. Die Konturen des »Drachenmotivs« unter dem Kreuzbild sind seltsam verschwommen. Der Drache wendet uns anscheinend seinen Rücken zu. Seine Beine und kräftigen Füße sind noch am besten zu erkennen…

Foto 13: »Mini-Hermann«

Fußnoten

(1) »Offenbarung des Johannes« Kapitel 12, Vers 1

(2) »Offenbarung des Johannes« Kapitel 12, Verse
3 und 4, zitiert nach Bibel-Ausgabe »Luther 1984«



Zu den Fotos:

Fotos 1, 2 und 3: Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Barbara Kern
Fotos 7, 8, 9 und 10: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 11, 12 und 13: Walter-Jörg Langbein



307 »Nikolaus und die goldenen Äpfel«,
Teil 307 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 06.12.2015



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