»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Giganten der Osterinsel |
Etwa 1500 Menschen wurden von der Osterinsel in die Sklaverei verschleppt. Am 18. August 1863 zeigen die Proteste gegen den menschenverachtenden Sklavenhandel endlich Wirkung. Die wenigen überlebenden Polynesier sollen auf ihre Heimatinseln zurückgebracht werden. 318 Polynesier haben die unbeschreibliche Hölle überlebt. Das Schiff »Bárbara Gomez« mit den Überlebenden an Bord erreicht als erstes Ziel Papeete. Dann geht es weiter Richtung Isla la Pascua. An Bord bricht eine Pocken-Epidemie aus. 85 der 100 Osterinsulaner sterben, nur 15 überleben. In der Heimat angekommen, infizieren die fünfzehn »Geretteten« die schon dezimierte Bevölkerung der Osterinsel. 1 000 Osterinsulaner werden dahingerafft. Vorsichtig geschätzt fielen zwei Drittel der Bevölkerung der »zivilisierten Welt« zum Opfer. Tragischer Weise führt die christliche Rettungsaktion dazu, dass noch mehr »Wilde« sterben.
Foto 2: Die Osterinsel aus dem All. NASA |
Noch 1929 schrieb der fast schon als heldenhaft verehrte Pater Sebastian Englert in einem Aufsatz in »Ewige Anbetung« über »Die Indianerseele« (1): »Niemand wird sich darüber wundern, wenn ich sage, daß der Indianer einer tieferstehenden Rasse angehört als wir Europäer. Und wenn ich manchmal etwas derbe oder scharfe Ausdrücke gebrauche, will ich damit die Indianer nicht verachten. Wer in die Mission geht, weiß von vornherein, daß er zu Menschen niederer Kulturstufe geht und daß das Charisma und die Größe des Missionars darin besteht, um sich der Ärmsten der Armen, der geistig und sittlich am tiefsten Stehenden liebevoll anzunehmen….. Der Missionar hat Gelegenheit, das Niedrige und Gemeine, das in der Indianerseele liegt, zu beobachten: Das Falsche, das Verschlagene, das Heimtückisch-Feige, das Verstohlene, das Sinnliche und das Träge, das Energielose und Dummstolze.«
Foto 3: Auch Make Make konnte nicht helfen |
Bei einer unserer langen Jeep-Fahrten, die uns kreuz und quer über die Osterinsel führten, zeige ich mich entsetzt über die Verbrechen am Volk der Rapa Nui. Die stolze Insulanerin tritt auf die Bremse und bringt den Jeep nahe bei einem steinernen Koloss auf mächtigem Podest zum Stehen. Sie sieht mich traurig an. »Es war ein Genozid.« Abends legt sie mir eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1878 vor. Demnach lebten anno 1877 nur noch 111 Menschen auf der Osterinsel, 85 Männer und 26 Frauen.
»Wenn man die jüngere Geschichte meiner Heimat verfilmen willen, kann man aus reichlich Material schöpfen…«, schimpft meine kundige Führerin. »Da gibt es reichlich Material für eine ganze Horror-Serie! Vermutlich würde das zu grauenhaft…«
Ich schaue meine Gesprächspartnerin wohl etwas zu zweifelnd an. Sie lacht. »Du hast ja recht. Leider wurde bisher viel zu wenig geforscht. Und wenn recherchiert wurde, dann meist beschönigend! Vieles ist noch unklar! Und so mancher ›Held‹ war in Wirklichkeit eine eher zweifelhafte Gestalt! Zum Beispiel Pater Sebastian Englert (1888-1969)…« Nach Heyerdahl wurde Englert als »ungekrönter König« der Osterinsel bezeichnet (3). Englert, Gymnasiallehrer für alte Sprachen, Sprachforscher, katholischer Geistlicher und Missionar wirkte intensiv auf der Osterinsel. Er setzte sich für den Erhalt der Riesenstatuen ein, erforschte die Mythologie der Osterinsel und versuchte den Leprakranken auf der Insel so gut zu helfen, wie er nur konnte.
Fotos 4 und 5: Osterinsel 1914 und fast ein Jahrhundert später |
1917, die Einwohnerzahl der Osterinsulaner war wieder auf 301 angestiegen, grassierte eine Lepra-Epidemie auf der Osterinsel. Abends in meiner Pension lese ich in den handschriftlichen Notizen meiner Führerin. Der Geistliche Rafael Edwards weilte 1917 auf der Osterinsel und missionierte eifrig. Er bemühte sich auch um die Seelen der sterbenden Leprakranken, die unter unsäglichen Bedingungen hausen und mehr vegetieren als leben mussten.
Meine Gesprächspartnerin ist nicht besonders gut auf Rafael Edwards zu sprechen. »Dieser Mann des christlichen Gottes hätte sich etwas mehr um das Leiden und Leben der Leprakranken kümmern sollen als um ihr Seelenheil. Ihm war es doch egal, ob jemand an Lepra starb, Hauptsache, er starb als Christ und hat noch rechtzeitig gebeichtet!«
Foto 6: Autor Langbein in einer der Osterinsel-Höhlen |
1917 beschreibt Rafael Edwards das grauenhafte Horrorszenario der »Leprakolonie« auf der Osterinsel. Die besonders hart von Lepra betroffenen Menschen gleichen mehr lebenden Leichen. Sie verfaulen bei lebendigem Leibe, umschwärmt von Moskitos, in ihren klaffenden Wunden fühlten sich Maden heimisch.
Foto 7: Erkundung einer der Höhlen |
Auf Stroh und »Unrat« (Rafael Edwards) liegend dämmerten die entstellten Menschen ihrem Ende entgegen. Immer wieder drang Edwards in Höhlen und Häuser in der Leprakolonie vor, um seelsorgerlich zu helfen. Lange hielt er es nicht zwischen den Kranken aus. Der Gestank der »faulen Ausdünstungen« raubte ihm den Atem, so dass ihm immer wieder fast die Sinne schwanden. Dann taumelte er ins Freie, atmete intensiv ein und aus, um sich wieder in den Gestank der Noch-Lebenden und Schon-fast-Toten zu stürzen. »Lepra wurde von den Mächtigen genutzt, um missliebige Insulaner zum Schweigen zu bringen!«, behauptete verbittert meine Gesprächspartnerin.
Foto 8: Düstere Stimmung... |
Wann die ersten Menschen auf der Osterinsel zum ersten Mal an Lepra erkrankt sind, ist unklar. Fest steht, dass eine Rapa Nui Familie – drei Personen – nach Tahiti geflohen war und 1889, an Lepra erkrankt, in die Heimat zurückkehrte. Die drei – Vater, Mutter, Kind – lebten getrennt von der übrigen Bevölkerung in einer Höhle. 1902 oder 1903 waren aber schon so viele Menschen angesteckt, dass abseits von der einzigen Siedlung auf dem Eiland eine Lepra-Kolonie gegründet werden musste.
1938 unterschlug der chilenische Arzt und »Militär-Gouverneur« Spendengelder, die für die Leprakranken unter den Rapa Nui gedacht waren.
Erst 1947 begann man, eine modernere Leprastation aufzubauen, mindestens 58 Jahre nach Ausbruch der Krankheit. Es ist beschämend, dass in den 1950er und 1960er Jahren Leprakranke auf der Osterinsel nur gelegentlich ärztlich versorgt wurden. Es ist beschämend, dass es erst 1993, ein Jahrhundert nach Ausbruch, es Betroffenen ermöglicht wurde, sich in Santiago de Chile operieren zu lassen. Es ist mehr als beschämend, dass die Rapa Nui lange Zeit auf der eigenen Insel wie Gefangene in einem Ghetto gehalten wurden. Aufbegehrende Insulaner wurden zu den Leprakranken gesperrt. Auf diese sollten die Menschen gefügig gemacht werden. Als Strafe für Ungehorsam war Ansteckung mit Lepra vorgesehen. Das ist nicht mehr beschämend, das war verbrecherisch.
1938 unterschlug der chilenische Arzt und »Militär-Gouverneur« Spendengelder, die für die Leprakranken unter den Rapa Nui gedacht waren.
Erst 1947 begann man, eine modernere Leprastation aufzubauen, mindestens 58 Jahre nach Ausbruch der Krankheit. Es ist beschämend, dass in den 1950er und 1960er Jahren Leprakranke auf der Osterinsel nur gelegentlich ärztlich versorgt wurden. Es ist beschämend, dass es erst 1993, ein Jahrhundert nach Ausbruch, es Betroffenen ermöglicht wurde, sich in Santiago de Chile operieren zu lassen. Es ist mehr als beschämend, dass die Rapa Nui lange Zeit auf der eigenen Insel wie Gefangene in einem Ghetto gehalten wurden. Aufbegehrende Insulaner wurden zu den Leprakranken gesperrt. Auf diese sollten die Menschen gefügig gemacht werden. Als Strafe für Ungehorsam war Ansteckung mit Lepra vorgesehen. Das ist nicht mehr beschämend, das war verbrecherisch.
Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), Großmeister des Horrors, schrieb: »Wir leben auf einer seelenruhigen Insel der Ignoranz inmitten eines Meeres von schwarzer Endlosigkeit und es war nie angedacht, dass wir je auf Reise gehen sollten.«
Einst versank die Urheimat der Osterinsulaner im Meer, dank des fliegenden Gottes Make Make – so überliefert es die Mythologie – konnten sich die Menschen auf die »Isla de Pascua« retten. Dort hätten sie wie in einem Paradies leben können… wenn nicht die »Schwärze« der zivilisierten Welt immer wieder Sklaverei, Elend und Tod gebracht hätte. Fast wäre die Bevölkerung der Osterinsel vollständig auslöscht worden. So kann man, muss man von einem Genozid sprechen.
Foto 9: Hund, Autor und kleiner Riese |
1) Zitat aus Fischer, Hermann: »Schatten auf der Osterinsel/ Plädoyer für ein vergessenes Volk«, 2. Überarbeitete Auflage, Oldenburg 1999, S. 202
2) Pinart, Alphonse: »Voyage à l´Ille de Paques: Le Tour du Monde«, vol. 36, Seiten 225-240, Paris 1878
3) Wikipedia-Artikel über Englert.
4) Edwards, Rafael: »La Isla de Pascua«, Santiago de Chile 1918
Zu den Fotos
Fotos 1, 3, 7 und 8: Walter-Jörg Langbein
Foto 2/ Die Osterinsel aus dem All. NASA: NASA
Fotos 4 und 5/ Osterinsel 1914 und fast ein Jahrhundert später: Foto 4, 1914, gemeinfrei. Foto 5 Ingeborg Diekmann
Foto 6/Autor Langbein in einer der Osterinsel-Höhlen: Ingeborg Diekmann
Foto 9/ Fotograf unbekannt
310 »Die Weihnachtsgeschichte - wortwörtlich«
Teil 310 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 27.12.2015
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