Sonntag, 15. März 2015

269 »Von Mäusen, Schlangen und Drachen Teil 1«

Teil 269 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Der Dom zu Bremen birgt manches Geheimnis....

Pastor Schellenberg kam aus Hamburg. Gern predigte der überzeugte Lutheraner vor uns Studenten des Martin-Luther-Bund zu Erlangen mit dem Eifer eines nordischen Propheten. Und er liebte die großen und kleinen Kirchen seiner Heimat. So erfuhr ich in den 1970er Jahren von der Maus in der Marienkirche zu Lübeck. Im  Abendmahlrelief, aus Sandstein kunstvoll gefertigt, findet sich die Darstellung einer Maus, die an einem Rosenstock nagt. Eine Maus in christlichem Rahmen? Ob sich da vor einem halben Jahrtausend ein Künstler einen Scherz erlaubt hat? Oder gibt es in der Bibel einen Hinweis auf die Kombination Maus-Rosenstock? Machen wir uns auf die Suche….

Kultobjekt Bundeslade...

Die Geschichte der Bundeslade ist spannend wie ein Krimi. Die Bibel schildert sie als kostbares sakrales Objekt mit wundersamen, ja magischen Eigenschaften. So verwundert es nicht,  dass sich auch die Filmindustrie der mysteriösen Truhe annahm. 1981 kam »Raiders of the Lost Ark« (deutscher Titel: »Jäger des verlorenen Schatzes«) in die Kinos. George Lucas schrieb das Drehbuch, Regie führte Steven Spielberg. Harrison Ford stellte den inzwischen zur Kultfigur aufgestiegenen »Indiana Jones«. Wie so oft von Hollywood zelebriert, kämpfen böse Nazis gegen rechtschaffene Amerikaner. Die Nazis wollen unbedingt in den Besitz der Bundeslade gelangen, um so die Welt militärisch unterwerfen zu können. Warum? Weil angeblich eine Armee, die die ominöse Bundeslade vor sich hertragen lässt, angeblich unbesiegbar sein soll. Diesen perfiden Plan will natürlich Indiana Jones vereiteln. Letztlich obsiegt natürlich der Held. Die Welt ist gerettet. Die Bundeslade aber wird zum »top secret«-Objekt und wird in einem scheinbar riesigen Lager deponiert, der amerikanische Geheimdienst untersagt eine wissenschaftliche Untersuchung des biblischen Heiligtums.

In der wechselhaften Geschichte der Bundeslade, wie sie von der Bibel erzählt wird, sind es die Philister, die die »Lade des Bundes« rauben (1). Große Freude löst das Beutestück aber nicht aus. So wurde das Volk von Plagen heimgesucht. Böse Beulen und eine Mäuse-Epidemie peinigen das Volk, die Fürsten des Landes fordern eine Rückgabe der Lade an das Volk Israel (2). Ein »tödlicher Schrecken« – so vermeldet es die Bibel – kam über das Volk und raffte viele dahin. Schließlich wird das unheimliche Kultobjekt an die Israeliten zurück geschickt, zusammen mit einer »Sühnegabe«. Fünf goldene Mäuse sind Teil der kostbaren Zusatzgabe. Sie sollen die Mäuseplage beenden, was offenbar auch geschieht. Fünf Mäuse aus Gold deuten auf eine kultische Bedeutung der Maus hin, deren wahre Bedeutung weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Auf eine einst positive Bedeutung der Maus deutet die heldenhafte Rolle hin die die Maus im byzantinischen »Katz-Mäusekrieg« spielt. Nach Plinius d. Älteren wurden Mäuse vor zwei Jahrtausenden als dämonisch angesehen. Außerdem billigte man ihnen prophetische Fähigkeiten zu.

Göttertriade von Reims

Im französischen Reims fanden Archäologen ein mysteriöses Artefakt. Das steinerne Relief könnte einst Teil eines heidnischen Tempels gewesen sein. Auf dem kunstvollen, leider zum Teil beschädigten plastischen Bild sieht man drei Götter. In der Mitte sitzt ein himmlisches Wesen, als würde es meditieren. Ganz ähnliche Darstellungen kennt man aus der Indus-Region. Die Verwandtschaft mit Shiva ist unübersehbar. Sollte Cernunnos also aus der Indusregion zu den Kelten gelangt sein? 

Die Gestalt im Schneider-Sitz trug wohl einst ein Geweih, das zum Großteil dem Zahn der Zeit zum Opfer fiel. War es wirklich der ominöse Zahn der Zeit, der an dem antiken Kunstwerk nagte? Oder wurden Teile bewusst abgeschlagen? Mit dem Geweih stützte der Gott einst das Tempeldach. Ein Großteil des Geweihs fehlt heute. Seit wann? Wir wissen es nicht. Zurück blieben lediglich zwei kleine Stückchen davon am Kopf, die jetzt den einstigen Gott wie einen Teufel nach christlicher Vorstellung aussehen lassen.

Göttertriade von Reims. Rechts hervorgehoben: die Maus

Aus einem Füllhorn ergießt sich Nahrung für zwei nicht näher identifizierbare Tiere, die vor seinem Götter-Thron stehen. Offenbar handelt es sich bei dem Gott um Cernunnos, der bei den Römern als Pluto verehrt wurde. Pluto war der Gott der Gaben. Rechts und links vom Thron sitzen zwei weitere Götter, nämlich Merkur und Apollon. Gott Cernunnos dürfte eine Art Naturgott gewesen sein, verantwortlich für das Leben auf Erden.

Direkt über Cernunnos, quasi im Himmel, ist eine Maus auszumachen. Interessant ist die vorchristliche, »heidnische« Göttertriade… mit Maus. Warum befindet sich Cernunnos, der gehörnte Gott, auf keltischen Darstellungen immer wieder in Gesellschaft einer Maus? Mäuse sah ich im Britischen Museum zu London zusammen mit Apollon und Aphrodite auf Münzen und Gemmen. Was bedeutet die Triade Gott-Göttin-Maus? In japanischen Volkssagen begegnet uns wieder die Maus, als Symbol von Daikaku, Gott des Reichtums. Hatte die Maus einst göttlichen Status?

Ich mutmaße: Einst hatte die Maus eine geradezu sakral-kultische Bedeutung. Das kleine Nagetier galt wohl nicht immer in erster Linie als Schädling, sondern als Symbol oder Attribut von Göttern und Göttinnen.

Maus von Lübeck

Kehren wir zur Maus der Marienkirche zu Lübeck zurück. Nach einer alten Sage gedieh einst ein Rosenbaum an der Marienkirche, der prächtig gedieh. Bald erreichten seine Zweige, Blätter und herrlichen Blüten das Dach. Eines Tages aber starb der herrliche Rosenbaum ab und verdorrte. Schuld sei, so die Sage, eine Maus gewesen, die ihr Nest im Wurzelwerk der Rose gebaut habe. Laut Pastor Schellenberg müsse man die Rose als Symbol des christlichen Glaubens ansehen… und die Lübecker Maus als Bedrohung für eben diesen Glauben! An diese christliche Erklärung erinnerte ich mich wieder, als ich im Dom zu Bremen wiederum auf eine Maus stieß! Die Maus der Lübecker Kirche wird als böse angesehen, als Gefahr für den Glauben. Und dennoch soll es Glück bringen, wenn man den Nager berührt. Das scheinen unzählige Besucher der Marienkirche von Lübeck auch heute noch zu glauben. Mehr oder minder verstohlen greifen sie nach der Relief-Maus, die inzwischen durch ungezählte Hände schwarz wurde.

Leicht ist die Maus von Bremen nicht zu finden. Viele, vielleicht sogar die meisten, Dombesucher gehen achtlos an ihr vorbei. Ja nicht wenigen Bremern ist sie unbekannt. Sie existiert aber, man findet sie – wenn man nur gründlich genug sucht – auf dem Ostchor am Fuße des Portals an der rechten Seitenwand. Da scheint sie an einer Säule nach oben zu klettern. Was aber hat die Maus im Dom zu Bremen zu suchen? Geschaffen wurde sie im elften Jahrhundert.

Ich habe seit Jahren immer wieder nach aussagekräftigen Hintergrundinformationen zur Maus vom Bremer Dom gesucht. Eher prosaisch mutet die knappe »Erklärung« auf der Internetseite des Doms an. Demnach ist »ihre Bedeutung … ungeklärt. Wahrscheinlich diente sie als Zeichen der Werktätigkeit einer bestimmten Handwerkergruppe.« Offen gesagt: Ich empfinde diese Lösung nicht wirklich als einleuchtend. Warum sollte es nur ein einziges »Zeichen der Werktätigkeit einer bestimmten Handwerkergruppe« im Dom zu Bremen geben? Frei erfunden ist eine andere Erklärung: Demnach wurde die Kirchenmaus vom Dom angebracht, damit Handwerksburschen »beweisen« konnten, dass sie wirklich in Bremen waren! Und wie soll das geschehen sein? Wer in der Fremde von der Maus im Dom berichten konnte, musste in Bremen gewesen sein, weil er sonst nichts von der Maus gewusst hätte. Einleuchtend ist das nicht.

Die Dommaus von Bremen

Nach weiterem Recherchieren wurde ich endlich fündig. Zoodirektor a.D. Dr. Götz  Ruempler, anno 1936 in Wilhelmshaven geboren, hat sich intensiv mit der mysteriösen kleinen Maus beschäftigt. Dr. Ruempler, in Bremen aufgewachsen, war von 1987 bis 1989 Präsident des Verbands deutscher Zoodirektoren. Aus seiner Feder stammt das wirklich bemerkenswerte Büchlein »Die Bremer Dom-Maus« (4). Dr. Ruempler weist darauf hin, dass die Bremer Kirchenmaus lange Zeit nur einheimischen Eingeweihten bekannt war (5): »Bis vor 30 Jahren war die Dom-Maus außerhalb des St. Petri-Doms unbekannt. Etwa 1955 erfuhr ich als Domchorsänger, daß es im Dom an versteckter und wenig auffälliger Stelle eine Maus aus Stein gibt.  Als ich sie endlich gefunden hatte und dem Informanten begeistert davon berichtete, nahm er mir das Versprechen ab, darüber nicht öffentlich zu reden um das Wissen um die Maus als Geheimnis der ›Eingeweihten‹ zu bewahren.«

Was hat diese Geheimniskrämerei zu bedeuten? Warum sollte die Existenz der Dom-Maus nur Eingeweihten vor Ort bekannt sein? Dr. Ruempler bietet eine christlich-theologische Erklärung für die Dom-Maus an (6): »Damit handelt es sich bei den Ostchor-Portalen ursprünglich um Eingangspforten in den alten Dom. Hier hatte die Dom-Maus ihre besondere Bedeutung: Sie sollte Hexen und Teufel, für die im Mittelalter Maus und Ratte sinnbildlich standen, am Betreten des Gotteshauses hindern, sollte dem Bösem, Dämonischen den Zugang verwehren – also praktisch ein Bannzeichen, um Kirche und Gläubige vor allem Schlechten, vor der Sünde, vor Teufelswerk zu bewahren.«

Nehmen wir an, dass die Maus am Eingang des Doms zu Bremen sozusagen Wache schob und dem Bösen den Eintritt ins Gotteshaus verwehrte. Dann muss die Maus aus christlicher Sicht als eine positive Kraft verstanden worden sein. Positiv war die Maus wohl auch als Tier des Cernunnos. Stammt also die Maus als christliches Symbol aus sehr viel älteren, sprich heidnischen Quellen? Wie dem auch sei… Die Dom-Maus von Bremen ist keineswegs eine exotische Rarität, wie man vielleicht meint. Dr. Ruempler weist eindrucksvoll nach (7), dass Darstellungen von Mäusen in Kirchen gar nicht so selten sind! Wo finden sich Mäusedarstellungen in Kirchen? Einige Beispiele sollen genügen…..

»Auf dem Chorgestühl der Kirche St. Pierre in Poitiers (Westfrankreich) aus der Mitte des 13. Jahrhunderts ist das Motiv von Katze und Maus sehr lebensnah in Holz geschnitzt.« (8)

»Auf einer Wandkonsole der gotischen Deutschhauskirche in Würzburg entdecken wir eine Katze beim Mäusen.« (9)

»Das Münster in Ulm hält auf seinem Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert eine Überraschung bereit: Eine Eule trägt eine erbeutete Maus in ihren Fängen.« (10)

»Kirche Les Jacobines in Toulouse; Maus im Eichenblattwerk des Südportals (13. Jahrhundert).« (11)

Fußnoten

(1): Siehe 1. Buch Samuel Kapitel 5, Vers 1
(2): ebenda, Vers 11
(3): Siehe 1. Buch Samuel Kapitel 6, Verse 1-18
(4): Ruempler, Götz: »Die Bremer Dom-Maus/
Geschichte, Geschichten und ›Mäuse-Latein‹«,
Band 3 der Schriftenreihe der Stiftung Bremer
Dom e.V., 2. durchgesehene Auflage, Bremen 2010
(5): ebenda, Seite 9
(6): ebenda, Seite 45
(7): ebenda, Seiten 37-44, Kapitel »Mäuse in Kirchen vom Spätmittelalter bis in unsere Zeit«
(8): ebenda, S. 38
(9): ebenda, S. 39
(10): ebenda, S. 40
(11): ebenda, S. 43

Fotos

Der Dom zu Bremen birgt manches Geheimnis.... : Foto Walter-Jörg Langbein
Kultobjekt Bundeslade: gemeinfrei, 16. Jahrhundert, Umbrien
Göttertriade von Reims: wiki commons/ Garitan
Maus von Lübeck: wiki/ public domain
Die Dom-Maus von Bremen: wiki commons/ Godewind
Buchcover Ruempler: Verlag/ amazon

270 »Von Mäusen, Schlangen und Drachen Teil 2«
Teil 270 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 22.03.2015






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