»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Fotos 1 und 2: Weltenbaum der Maya |
Zum ersten Mal begegnete ich dem mysteriösen Objekt im Jahr 1978. Ein Geistlicher zeigte mir einen kuriosen Gegenstand: Das Ding war etwa dreißig Zentimeter lang und aus sehr dunklem, offenbar sehr hartem Holz geschnitzt. Es war lang und schmal, lief nach unten spitz zu. An den drei abgeflachten Seiten der ›Spitze‹ waren geometrische Figuren zu erkennen, die mich an Schlangen erinnerten. Diese Spitze machte ungefähr eine Hälfte des Fundobjekts aus. Die obere Hälfte bestand aus dem sorgfältig geschnitzten Oberkörper eines menschlichen Wesens, offenbar eines Mannes. Wann genau es zu dem merkwürdigen Fund kam? Nach Angaben des Geistlichen machte er seine Entdeckung 1968.
Foto 3: Ein »Phurba« |
Inzwischen ist der Geistliche verstorben. Was aus dem merkwürdigen »Ding« wurde? Ich weiß es nicht. Wie kam das eigenartige Gebilde unter den Fußboden des Gotteshauses? Es ähnelte auf das Verblüffendste einem »Phurba« aus Tibet! In meiner kleinen Sammlung sakraler Objekte befindet sich ein solcher »Phurba«, aus Holz geschnitzt. Das 23 Zentimeter lange und bis zu fünf Zentimeter breite kleine alte Kunstwerk wurde, wie man mir mitgeteilt hat, in Nepal gefertigt. Mit so einem Dolch hat alter Mythologie zufolge Gott Vajrakila (auch Vajrakumara genannt) Dämonen und Geister gebannt.
Ursprünglich war der »Phurba« wohl von profaner Natur und diente als Hering der Verankerung und Sicherung von Zelten. Im sakralen Bereich markierte man mit einer geweihten Phurba heilige Stätten, etwa Plätze für einen Tempel. Und schließlich gilt er auch als die »Achse der Welt«.
Die Weltachse, im Latein des Christentums »axis mundi« genannt, ist fester Bestandteil des Menschheitserbes. Im Christentum sah man den Kreuzigungshügel von Golgatha bei Jerusalem als Mittelpunkt der Welt an. Auf diesem »Nabel der Welt« stand wie ein heidnischer »Weltenbaum« das Kreuz Christi. In der Tat gab es den »Nabel der Welt« schon Jahrtausende vor dem Christentum.
Im »Mithras-Kult« stand im »Nabel der Welt« eine hohe Leiter, die Terra mit den acht Himmeln verbunden hat. Auch die Maya wussten von einer solchen Verbindung zwischen Erde und Himmel. Die Weltachse – etwa von Palenque – führte in den Himmel. Was verstanden die Maya unter »Himmel«. Verstanden sie darunter ein jenseitiges Reich der Verstorbenen? Oder glaubten sie in weiter zurückliegenden Zeiten an Götter, die tatsächlich leibhaftig in den Himmel empor steigen konnten? Wohin reiste also der Mann von Palenque? Ins All? Ins Totenreich? In den Himmel?
In diesem Zusammenhang denken wir natürlich an die Grabplatte von Palenque unter dem Tempel der Inschriften, an die fantastische Darstellung, die 1968 das Cover von Erich von Dänikens »Erinnerungen an die Zukunft« zierte. Nach wie vor wird gestritten und diskutiert. Steigt da eine Seele empor in den Himmel? Oder fällt der Verblichene hinab ins Totenreich? Oder sehen wir – und diese Sichtweise drängt sich uns auf – einen Astronauten im Raumanzug?
Foto 5 : Ceiba-Baum, Tikal |
Ist es nicht sehr interessant, dass in manchen Überlieferungen der »Nabel der Welt«, also das »Zentrum der Welt« exakt dort festgemacht wird, wo die Verbindung zwischen Himmel und Erde besteht? Sollte auf diese Weise die immense Bedeutung der Orte hervorgehoben werden, wo die Himmlischen vom Himmel herab zur Erde kamen und wo sie wieder gen Himmel auffuhren?
Auch auf der Osterinsel gab es einen »Nabel der Welt«, der durch ein steinernes Ei gekennzeichnet wurde. Auch wenn es meines Wissens nach auf der Osterinsel keine Überlieferung von einer »Weltachse« gab, so waren den Osterinsulaner sehr wohl fliegende Götter bekannt. Deren prominentester Vertreter war der geradezu legendäre Make-Make, der ja den ersten Bewohner vom Atlantis der Südsee zur Osterinsel geflogen haben soll, als seine Heimat in den Fluten des Meeres versank.
Foto 6 : Riese aus Stein |
Die Vergangenheit der Osterinsel ist nebulös und mythenumrankt. Die neuere, jüngere Vergangenheit dieses herrlichen Eilands ist zwar weitestgehend bekannt, wird aber nach wie vor gern verdrängt. Ob das daran liegt, dass den Menschen von »Rapa Nui« bis weit ins 20. Jahrhundert hinein entsetzliches Leid zugefügt wurde? Wiederholt wurde das kleine Inselchen überfallen, wurden vor allem Männer in die Sklaverei verschleppt. In der Fremde kamen die meisten der Entführten ums Leben. Sie starben an Erschöpfung, fielen Krankheiten zum Opfer. Als schließlich die letzten Überlebenden in die Heimat zurückkehren durften, brachten sie Krankheiten mit, so dass fast die gesamte Bevölkerung dahingerafft wurde.
So ist es nur zu verständlich, dass die Einheimischen den Erforschern der alten Geschichte der Osterinsel mit Misstrauen begegneten. Von Fremden hatten die Vorfahren nie Gutes erfahren. Sollte man den Nachkommen der Peiniger von einst die geheimen Überlieferungen aus uralten Zeiten offenbaren? Die Entzifferung der Osterinselschrift wurde keinem der Fremden anvertraut. Und wie sieht es mit den heiligen Überlieferungen aus?
Bei meinem ersten Besuch auf der Osterinsel im Oktober 1992 erzählte mir weit nach Mitternacht der
Foto 7 : Make-Make, fliegender Gott der Osterinsel |
»Chef« meiner kleinen Pension, dass die berühmten Osterinselkolosse auch so etwas wie »Weltachsen« seien und Unterwelt und Himmel miteinander verbänden. Die Unterwelt werde durch Kammern in den Sockeln dargestellt, auch durch Gräber. Was die meisten Besucher der Insel nicht wissen: Es gab einst eine Verbindung zwischen Bestattungen von Menschen und den Plattformen, die als Fundamente für die Statuen dienten. Mag sein, dass direkt unter diesen Plattformen einst besonders würdige Insulaner bestattet wurden. Fest steht, dass es in unmittelbarer Nähe der Plattformen Gräber gab.
Die hohe Statue stehe für die Welt der Lebenden, aber auch für die Verbindung zwischen Erde und Himmel. Und die roten Zylinder auf den Häuptern der Osterinselkolosse symbolisierten den Himmel. In der Literatur fand ich allerdings eine derartige Interpretation der Osterinselriesen nicht.
Fotos 8 und 9 : Zwei »Weltachsen«: Maibaum und auf der Grabplatte von Palenque |
Auch in unseren Gefilden gibt es Brauchtum, das nach wie vor gepflegt wird. Es hat seinen Ursprung in der »heidnischen« Weltachse. Und die wird auch heute noch, besonders im ländlichen Bereich des Freistaats Bayern aufgerichtet. Man nennt sie im Volksmund – Maibaum. Über den Ursprung des Maibaums kann man nur spekulieren. Geht der Brauch auf germanische Baum-Rituale zurück? Ist der heutige Maibaum vage Erinnerung an die von den Germanen in Wäldern verehrten Götter? Oder liegt der Ursprung des christlichen Brauchs des Maibaum-Aufstellens sehr viel weiter zurück in der Vergangenheit? Hat man Stein durch Holz ersetzt? Richtet man heute Maibäume auf, so wie man vor Jahrtausenden mit sehr viel größerem Aufwand gewaltige Menhire in die Senkrechte brachte?
Vor Jahrtausenden wurden riesige Steinmonolithen bewegt, transportiert und mühsam platziert. Warum? Zu welchem Zweck?
Foto 10 : Die Katchinas pendelten zwischen Himmel und Erde |
Literatur zum Thema Osterinsel
Lee, Georgia: »The Rock Art of Easter Island/ Symbols of Power, Prayers to the Gods«, Los Angeles 1992
Foto 11: »Phurba« |
Mann, Peggy: »Land of Mysteries«, New York 1976
Mazière, Francis: »Insel des Schweigens/ Das Schicksal der Osterinsel«, Frankfurt 1966
Métraux, Alfred: »Ethnology of Easter Island«, Honolulu, Hawaii, 1971
Orliac, Catherine und Michel: »Mysteries of Easterisland«, London 1995
Zu den Fotos:
Fotos 1 und 2: Weltenbaum der Maya. In Foto 2 (rechts) habe ich den Weltenbaum markiert. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Ein »Phurba«. Foto 3 zeigt den gleichen »Phurba« wie Foto 11, aus anderer Blickrichtung. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Wohin reiste der Mann von Palenque? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5 : Ceiba-Baum, Tikal. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6 : Riese aus Stein. Im Bild: Statue, Hund, Autor Langbein. Foto privat
Foto 7: Make-Make, fliegender Gott der Osterinsel. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 8 und 9 : Zwei »Weltachsen«: Maibaum und auf der Grabplatte von Palenque. Foto 8: Heidi Stahl. Foto 9: Walter-Jörg Langbein
Foto 10 : Die Katchinas pendelten zwischen Himmel und Erde. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: »Phurba«. Foto 11 zeigt den gleichen »Phurba« wie Foto 3, aus anderer Blickrichtung. Foto Walter-Jörg Langbein
329 »Gesar, der Göttliche mit Menschenhaut«,
Teil 329 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 08.05.2016
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