Sonntag, 22. Mai 2016

331 »Kamen die Kelten bis nach Peru?«

Teil 331 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Unterwegs nach Kuelap

Das »Hostal el Chillo« liegt in den Anden Nordperus. Wirt Oscar hat es selbst gebaut. Die Unterkunft ist spartanisch. Die Zimmer sind schlicht, aber sehr sauber. Und Oscar weiß viel über die legendären Erbauer der Metropole Kuelap. Wie hießen sie in ihrer eigenen Sprache. Oscar: »Wir wissen es nicht! Die Inka eroberten im 15. Jahrhundert auch den Nordosten Perus, stiegen auf die Berge hinauf und ›entdeckten‹ die wilden Krieger von Kuelap. Die Inka nannten sie ›Chachapoyas‹. Was das genau bedeutet, weiß man nicht wirklich.«

Zwei Übersetzungen finden sich in der wissenschaftlichen Literatur recht häufig: »Wolkenmenschen« und »Nebelwaldkrieger«. Das klingt vernünftig. Kuelap liegt immerhin in einer Höhe von 3.000 Metern über dem Meeresspiegel. Ich habe selbst erlebt, wie die gewaltige Monstermauer urplötzlich im Dunst von Wolkennebel verschwand. Manchmal ragte ein Mauerstück heraus, manchmal schien so etwas wie eine steinerne Wand »im Himmel« zu schweben.

Foto 2: Geheimnisvolles Kuelap

Oscar wartete mit einer kühnen These auf: »Vielleicht nannten die Inka die Krieger von Kuelap so, weil sie die Nebel hoch in den Anden an das nebelige Europa erinnerten? Ja manche behaupten sogar, dass die Chachapoyas gar nicht aus Südamerika stammen, sondern ursprünglich aus Europa kamen. Und das lange Zeit bevor Kolumbus Amerika entdeckte!«


Foto 3: Einer der Eingänge von Kuelap

Bei einem gemütlichen Imbiss diskutierten wir diese These. Oscar: »Vielleicht gab es wirklich schon in der Antike europäische Besucher in Peru. Vielleicht waren es Europäer, die Kuelap bauten, vor vielen Jahrhunderten?« Oscar verwies darauf, dass manche der ersten Chachapoyas für südamerikanische Verhältnisse ungewöhnlich groß waren. So waren Archäologen mehr als verblüfft, als sie Skelette der »Ur-Chachapoyas« fanden, die 1.80 Meter groß waren. Auch sollen sie hellere Haut als die  Inka gehabt haben. Auf derlei Kontakte deuteten, so Oscar, die »Gringuitos«. Gelegentlich werden in Chachapoya-Gefilden hellhäutige, blonde Kinder geboren. Derlei »europäische« Kinder sind uns freilich nicht begegnet.

Foto 4: Er stand auf seines Daches Zinnen

Auf die »Gringuitos« stieß ich erst kürzlich, und zwar bei der Literatur-Recherche in Sachen Chachapoyas. Bei Hans Giffhorn lese ich (2): »Der Anthropologe und Paläopathologe Michael Schultz von der Universität Göttingen – zuständig auch für Altamerikanistik – beschäftigte sich mit Fotos dieser Menschen (3). Sein erster Eindruck: ›Die sehen aus, als wenn sie vor zweihundert Jahren aus Irland eingewandert wären.‹ Doch ihre Familien, so hört man in den Dörfern, hätten schon immer hier gelebt, schon vor der Ankunft der Konquistadoren.«

Man mag zu derlei Spekulationen stehen wie man will: Seetüchtige phönizische Völker wie die Karthager hätten sehr wohl den Atlantik überqueren können. Aber kamen sie schon in der Antike bis nach Südamerika? Wir wissen es nicht. Belege für derlei Fahrten gibt es keine. Am 8.5.2013 berichtete die Tageszeitung »Welt« (4):

Foto 5: Treppe ins Innere von Kuelap
»Wie kamen blonde Weiße vor Kolumbus nach Peru? Als die Konquistadoren in die Anden kamen, staunten sie über die hellhäutigen Chachapoyas. Nach genetischen Untersuchungen ist sich Hans Giffhorn sicher: Es handelt sich um Nachfahren von Kelten. Wer sich die Hinterlassenschaften der Kelten anschauen möchte, fährt naheliegenderweise zu den einschlägigen Orten in Deutschland, nach Frankreich und in andere Länder Westeuropas, um Überreste von Siedlungen, Grabstätten und Verteidigungsanlagen zu finden. Hat er sie alle durch, kann er allerdings auch nach Südamerika fahren, um am Ostrand der Anden Bauwerke und andere kulturelle Errungenschaften jenes frühen europäischen Volkes und seiner Nachfahren zu bewundern – alles aus einer Zeit viele Jahrhunderte vor der ersten Überfahrt von Christoph Kolumbus. Kelten waren nämlich lange vor Kolumbus in der Neuen Welt. Gemeinsam mit Karthagern.«

Sollten tatsächlich Kelten, vielleicht auf Schiffen von Karthagern, bis nach Peru gekommen sein? Sollten Kelten beim Bau der Monstermauer von Kuelap mitgewirkt haben? Tatsächlich ähnelt die Bauweise von Festungsmauern der Kelten Spaniens sehr jener der »Wolkenmenschen«. Allerdings konnte ich auf meinen Reisen zu rätselhaften Orten unseres Planeten immer wieder feststellen, dass weltweit an Orten, zehntausende Kilometer voneinander getrennt, erstaunlich ähnliche Techniken bei der Setzung von Steinmauern verwendet wurden. Bedeutet dies, dass es tatsächlich Kontakte zwischen den unterschiedlichen Kulturen gegeben hat? Oder entwickelten sich weltweit und unabhängig voneinander ganz zufällig verblüffend ähnliche Fähigkeiten?

Foto 6: Mauer von Kuelap

Anerkennend konstatiert die seriöse »Wienerzeitung« (5): »Doch Giffhorn bleibt nicht bei einem Vergleich der Architektur stehen. Er schmiedet eine beeindruckende Kette an Indizien: Trophäenkopfkult, Steinschleudern, Schädelbohrungen, dazu DNA-Analysen heute lebender hellhaariger Einheimischer mit Chachapoya-Vorfahren bis hin zum Phänomen präkolumbianischer Tuberkulose (nach gängiger Auffassung wurde die Tuberkulose durch die Europäer eingeschleppt) stützen die Annahme des Kulturwissenschaftlers, die Chachapoyas seien keltischer Herkunft.«
Hans Giffhorn stellt in zutreffender Weise fest (6): »Giffhorn … ist nun wahrlich kein pan-germanischer oder pan-keltischer Spinner ...«

In der Tat: Der 1942 geborene deutsche Kulturwissenschaftler ist ein seriöser Gelehrter. Er unterrichtete »Visuelle Kommunikation« an der Pädagogischen Hochschule Göttingen, wurde 1981  Universitätsprofessor für Kulturwissenschaften an den Universitäten Göttingen und bis zu seiner Emeritierung in Hildesheim. Er beharrt auch nicht selbstgerecht auf der Richtigkeit seiner kühn anmutenden These. Er versteht sie als Diskussionsansatz, »in der Hoffnung, dass dadurch sachliche Diskussionen und weitere Forschungen angeregt werden.«

Die Chachapoyas wurden offenbar um das Jahr 1475 von den Inka militärisch besiegt. Kurz darauf trafen die Spanier ein, eine mordende und plündernde Bande. Die Chachapoyas müssen die Inka abgrundtief gehasst haben. So kämpften Chachapoyas auf Seiten der spanischen Eroberer gegen die Inka.

Es ist tragisch: 1549 lebten noch 90.000 Chachapoyas. 1475 dürften es noch 500.000 gewesen sein. Der Krieg mit den Inkas, die spanischen Banden, aber auch Masern und Pocken forderten einen sehr hohen Blutzoll!

Foto 7: Typisches Kuelap-Mauerwerk

In Leimembamba lagerten zur Zeit meines Besuchs rund 200 Mumien in einem angeblich »klimatisierten« Raum. Man versicherte mir vor Ort, dass es sich nur um ein Provisorium handele. Man wolle einen weiteren Verfall der Mumien durch Temperaturveränderungen vermeiden. Die Aufbewahrung der Mumien empfand ich als unwürdig. Da lag die noch sehr gut erhaltene Mumie eines Babys auf einer Art Krepppapier in einem schäbigen Pappkarton, der einst Bierflaschen enthalten hatte.

Foto 8: Toter Chachapoya
In Kisten aus Holz kauerten Mumien in Embryohaltung. Inzwischen wurden die Mumien aber in ein eigens errichtetes, modernes Museum überstellt. Ob allerdings die Aufbewahrung eines ihrer Toten in einer Glasvitrine aus Sicht der Chachapoyas so viel würdevoller, so viel angemessener ist als die Unterbringung in einer klimatisierten Rumpelkammer, das wage ich zu bezweifeln.

Was bleibt, das sind Fragen wie: Wer waren die Chachapoyas? Woher kamen sie? Zu welchem Zweck wurde die Festung Kuelap mit der zwanzig Meter hohen Monstermauer gebaut?

Fußnoten

1) Siehe auch Lerche, Peter: »Chachapoyas«, Lima 1966
2) Giffhorn, Hans: »Wurde Amerika in der Antike entdeckt?« München, März 2014. Zitiert habe ich die eBook-Ausgabe!
3) Gemeint sind Fotos von »Gringuitos«.
4) Meine Quelle ist die Online-Version des zitierten Artikels!
5) Meine Quelle ist die Online-Version des Artikels »Die Kelten kamen bis nach Peru«  der »Wienerzeitung« vom 20.9.2013
6) ebenda
7) Giffhorn, Hans: »Wurde Amerika in der Antike entdeckt?« München, März 2014. Zitiert habe ich die eBook-Ausgabe, »Zur Entstehung dieses Buches«

Zu den Fotos

Foto 9: Ein/ Ausgang von Kuelap
Foto 1: Unterwegs nach Kuelap. Foto Ingeborg Diekmann.
Im Bild zu sehen: Unsere kleine Reisegruppe mit gelädegängigen Fahrzeugen. Ein »Ersatzfahrzeug« war immer dabei, so dass wir im Falle einer Panne nicht aufgehalten wurden.

Foto 2: Geheimnisvolles Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 3: Einer der Eingänge von Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein. Die sehr schmalen Zugänge konnten von wenigen Kämpfern effektiv verteidigt werden. Offenbar wurde Kuelap nie von den Inka erobert.

Foto 4: Er stand auf seines Daches Zinnen. Foto Walter-Jörg Langbein (Schiller: Der Ring des Polykrates)

Foto 5: Treppe ins Innere von Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 6: Mauer von Kuelap.Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 10
Foto 7: Typisches Kuelap-Mauerwerk. Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 8: Toter Chachapoya. Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 9: Ein/ Ausgang von Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein

Foto 10 (links): Gottheit oder Geist? Schnitzwerk aus Kuelaps rätselhafter Vergangenheit. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein

332 »Der Schrei der Mumie«,
Teil 332 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 29.05.2016


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