»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Festungsanlage der »Wolkenkrieger«. |
Peru. Im Norden grenzt die Provinz »Luya« an die Provinz »Chachapoyas« an. Der Name hat Bedeutung: »Chachapoyas«, das waren die mysteriösen »Wolkenkrieger«, von denen wir nicht wirklich viel wissen. Ihre Religion kennen wir kaum. Offenbar glaubten sie an ein Leben nach dem Tode. Hatten sie Priester? Zeremonien? Warum verschwanden sie Spurlos? Ja woher kamen sie? Vielleicht waren es gar Kelten, wie ein kühner Forscher spekuliert?
Die Provinz Luya hat eine sensationelle Festung zu bieten: Kuelap, die einstige Metropole der »Wolkenkrieger«. Als ich vor Jahren mit einigen Freunden Kuelap besuchte, waren wir mit Jeeps unterwegs. Nur so konnten wir weit abgelegene Stätten erreichen. Wir hatten immer einen Zusatzwagen dabei. Meist hatten wir drei Jeeps besetzt, ein vierter fuhr als Ersatzwagen mit. Wenn es zu einer Panne kam, wurde der defekte Jeep repariert, die drei anderen Vehikel fuhren weiter. Über zum Teil halsbrecherische »Straßen« gelangten wir auch in die Nähe der mysteriösen Ruinen. Den Rest des Wegs mussten wir auf Schusters Rappen zurücklegen. Da spürte man rasch, wie dünn die Luft und wie schwer der Rucksack mit den Kameras in einer Höhe von rund 3.000 Metern ist.
Nach Jahrzehnten der Forschung wurde erst ein kleiner Bruchteil von Kuelap untersucht und analysiert. Das soll sich jetzt ändern. Während sich noch vor Jahren kaum Fremde in das schwer zu erreichende Wunder der Baukunst wagten, sollen jetzt Touristenströme das Geld nur so sprudeln lassen. Höchst bequem sollen die Besuchermassen per Gondellift nach Kuelap geschafft werden. Viele Touristen bringt viel Geld, und davon soll der eine oder der andere Dollar auch der Archäologie zugutekommen.
Foto 2: Heute verschlossen... die Innenräume der Externsteine. |
Leider bedeuten Touristenströme auch eine erhebliche Zunahme der Schäden an bedeutsamen Stätten. Abstoßendes Beispiel ist die »Caverna de Quiocta«. Die Höhle war meinst frei zugänglich. Nachdem sich immer wieder Touristen »bedienten« und kostbare Grabfunde als »Souvenirs« mitgehen ließen, wurde die Höhle mit einem Gitter abgesperrt. Sie darf nur noch unter Aufsicht eines Führers betreten werden. Immer wieder erlebe ich, dass Stätten nicht mehr besichtigt werden können. Beispiel: die geheimnisvollen Externsteine bieten ein imposantes Bild. Die »Innenwelt«, ineinander übergehende Kammern, standen jedermann zur Besichtigung offen. Weil es zu Schmierereien kam, wurden sie zur »Tabuzone« Nur mit Genehmigung darf man sie betreten, oder mit »amtlichem« Führer.
Ein angestellter Wächter erklärte mir empört: »Es ist vorgekommen, dass Schüler vor den Augen ihrer Lehrer ihre Namen in die Wände der Kammern geritzt haben. Die Pädagogen sind nicht eingeschritten. Traurige Zustände!
Vor solchem Vandalismus sind ganz besondere »Särge« der Chachapoyas von Karajia sicher. Was für Bergsteiger eine höchst interessante Herausforderung ist, das war für die »Wolkenkrieger« ein Friedhof, den sie »Pueblo de los Muertos«, »Dorf der Toten« nannten. An steiler Felswand gab es bunt bemalte Häuser zur rituellen Bestattung von Toten. Die Bezeichnung »Särge« ist irreführend. Es handelt sich dabei um riesige Tonfiguren, die doch große Ähnlichkeit mit den Statuen der Osterinsel aufweisen. Um zu den »Statuen-Särgen« der Chachapoyas zu gelangen, muss man versierter Bergsteiger sein. Man kann, wenn man das kann, eine senkrecht aufsteigende Felswand empor klettern. Oder man kann, wenn man dazu den Mut hat, sich von oben an der senkrechten Felswand abseilen.
Wie wohl die riesigen »Särge« von den Chachapoyas an ihre sicheren Plätze mitten in einer Felswand gebracht worden sein mögen? Und das ohne zu zerbrechen? Anders als die Osterinselriesen sind sie innen hohl und nicht aus Stein. Die »Wolkenkrieger« haben vor Jahrhunderten immer wieder ihre Toten an steilen Felswänden »bestattet«. Zum Teil nutzten sie natürliche Nischen im Fels, zum Teil bauten sie kleine »Plattformen«. So waren ihre Mumien ziemlich sicher vor Grabräubern.
Bei den Sarkophagen von Karajia handelt es sich um überlebensgroße Statuen aus Stroh und Lehm. Im Inneren einer jeden dieser »Särge« in Menschengestalt hockt eine Mumie. Die nach vielen Jahrhunderten nach wie vor gut erhaltenen Toten blicken gen Osten, als erwarteten sie den Sonnenaufgang. Vermutlich glaubten die »Wolkenkrieger« an eine Auferstehung der Toten und brachten die aufgehende Sonne mit dem neuen Leben nach dem Tode in Verbindung. Die Toten warteten im Leib der Riesenstatuen auf ihre Wiedergeburt: in kauernder Embryoposition.
Wie gelangten die »Sarkophage« von Karajia an ihren Bestimmungsort? Sie befinden sich an einer senkrechten Felswand, etwa auf halber Höhe, etwa dreihundert Meter unterhalb des Dorfes Karajia.Ich halte es für ausgeschlossen, dass man die relativ zerbrechlichen, recht großen Figuren von oben abgeseilt hat. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass sie von todesmutigen Chachapoyas nach der Methode Klettermaxe von unten empor geschafft wurden. Vermutlich gab es einmal die Möglichkeit von der Seite aus auf einem natürlichen Felsband zum Aufstellungsort der »Statuen« zu gelangen. Von einem solchen Felsband fehlt heute freilich jede Spur. Vielleicht wurde es unmittelbar nachdem man die riesigen Tonfiguren aufgestellt hatte zerstört. Oder das Felsband wurde nach Eintreffen der marodierenden Spanier abgeschlagen, um die vornehmen Toten zu schützen. Dass es sich bei den so aufwändig bestatteten Toten um hochrangige Angehörige der »Wolkenkrieger«, vielleicht Priester, handelte, das ist wohl anzunehmen. Für Angehörige des »niederen Volks« hätte man keinen so hohen Aufwand getrieben.
Die Sarkophage von Karajia ähneln den Statuen der Osterinsel. Die typische, überlebensgroße Sarkophag-Figur der »Wolkenkrieger« hat ein markantes, scharf zulaufendes Kinn, eine dominierende Nase, tiefliegende Augen, so wie wir das von den Osterinsel-Statuen kennen. Die Osterinsel-Kolosse trugen steinerne, zylindrische »Hüte«. Die Figuren der Chachapoyas weisen oft eine übertrieben ausgeformte Stirnpartie aus. Mag sein, dass da eine Art »Hut« imitiert wurde.
Die Statuen der Osterinsel werden – und diese Erklärung scheint mir die vernünftigste zu sein – im Zusammenhang mit einem Totenkult gesehen. Das trifft auch auf die geheimnisvollen Sarkophage der »Wolkenkrieger« zu. Noch eine Gemeinsamkeit: Gruppen von Statuen wurden auf der Osterinsel häufig (nicht immer)in der Nähe von Wasser aufgestellt, so wie auch Gruppen der »Chachapoya-Särgen«. Die Materialien, aus denen die Sarkophage bestehen, Stroh und Lehm, konnten mit der C-14-Methode datiert werden. Sie wurden in der Zeit um die Jahre 1460 bis 1470 hergestellt. Das war noch bevor die Inkas in jene Region vorgedrungen sind. Nach der umstrittenen schulwissenschaftlichen Datierung sind in der Zeit von 1400 bis 1600 sehr viele der Osterinselriesen entstanden. Es könnte also sein, dass »Wolkenkrieger-Sarkophage« und zumindest einige Osterinsel-Statuen zur gleichen Zeit entstanden sind. Gab es eine Verbindung zwischen Peru und Osterinsel in jener Zeit?
Der scheinbar größte Unterschied: Die Osterinselriesen befanden sich auf Plattformen auf ebener Erde und nicht an senkrechten Felswänden. Die Bestattung in riesigen Statuen in Menschengestalt wurde schon anno 1791 in »Mercurio Peruano« erstmals erwähnt. Es dauerte aber fast zwei Jahrhunderte, bis sich die Wissenschaft interessiert zeigte. Anno 1965 war es der deutsch-peruanische Archäologen Federico Kauffmann Doig, der die Sarkophage von Karajia »entdeckte«.
Es sind zwar unzählige Osterinselriesen beschädigt oder zum Teil mehrfach zerbrochen. Es sind aber noch viele der Kolosse intakt. Sie wurden alle von den Podesten gestürzt. Wer oder was ist dafür verantwortlich? Ich glaube es waren Erdbeben. Trauriger ist es um die »Wolkenkrieger-Sarkophage« an Felswänden bestellt. Bis heute wurde kein zweiter intakter Komplex dieser Art entdeckt. Gefunden wurden auch einige aufgebrochene und geplünderte Sarkophage. Es soll aber eine ganze Reihe gegeben haben. Immer wieder sind offenbar solche Sarkophage Opfer von Erdbeben geworden. Die Erschütterungen der Naturgewalten brachten sie zu Fall. Sie stürzten aus den Felswänden und zerbarsten am Boden.
Bei einem meiner Besuche im dörflichen Museum in Hanga Roa stieß mich auf einen sehr knappen, aber sehr konkreten Hinweis. Verfasst und veröffentlich hat ihn William Thomson, Zahlmeister der »USS Mohican« Ende des 19. Jahrhunderts. In wenigen Tagen untersuchte und beschrieb das Team der »USS Mohican« weit über einhundert Zeremonial-Plattformen rund um die Insel.
Eine Sensation, die heute so gut wie vergessen ist: Thomson beschreibt Steinstatuen, die (wie die Riesen-Sarkophage der »Wolkenkrieger«) in luftiger Höhe auf einem kleinen Vorsprung an einer senkrechten Steinwand standen. Sie sind spurlos verschwunden.
Eine Sensation, die heute so gut wie vergessen ist: Thomson beschreibt Steinstatuen, die (wie die Riesen-Sarkophage der »Wolkenkrieger«) in luftiger Höhe auf einem kleinen Vorsprung an einer senkrechten Steinwand standen. Sie sind spurlos verschwunden.
Foto 7: »Wolkenkrieger« mit Helm. |
Zu den Fotos
Foto 1: Festungsanlage der »Wolkenkrieger«.
Foto 2: Heute verschlossen... die Innenräume der Externsteine.
Fotos 3 und 4: Riesenfiguren im Vergleich – Wolkenkrieger (links), Osterinsel (rechts)
Foto 5: Sarkophage in Menschengestalt ...
Foto 6: … tragen Tote wie Embryos im Leib.
Foto 7: »Wolkenkrieger« mit Helm.
455 »Ahurikiriki und das Geheimnis der verschwundenen Statuen«,
Teil 455 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 07.10.2018
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