»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Gestürzter Koloss, zerbrochener Koloss Foto W-J.Langbein |
Die von der Osterinsel bekannten Fotos und Filme
zeigen die mysteriösen Kolosse auf ihren Podesten stehend, mit
rötlichen Steinzylindern auf dem stolz erhobenen Kopf. Was kaum
bekannt ist: In diesem Zustand befinden sich nur wenige Statuen, die
erst im 20. Jahrhundert mit heutiger Technik (Einsatz eines aus Japan
herangeschafften Krans usw.) wieder aufgerichtet worden sind. Die
überwiegende Zahl der Kolosse, die einst auf einem »Ahu« standen,
wurden zu Fall gebracht und liegen nach wie vor am Boden. Die meisten
der schweren Kolosse haben den Fall nicht überlebt und sind meist
mehrfach zerbrochen. Fast immer brach im wahrsten Sinne des Wortes
das Genick. Durch Witterungseinflüsse sind manche der einst so
präzisen Steinmetzarbeiten kaum noch als künstlich geschaffene
Figuren zu erkennen. Am besten erhalten sind die Statuen, die sich
noch im Steinbruch befinden, die – aus welchen Gründen auch immer
– nicht fertig gestellt wurden. Andere Statuen blieben beim
Transport vom Steinbruch an den Bestimmungsort einfach liegen. Wieder
andere wurden halb oder bis zum Kopf eingegraben.
Die Augenhöhlen der »moai paea« blieben beim
Transport leer. Erst wenn sie auf ihren Podesten standen, wurden
ihnen weiße Augäpfel aus Koralle und Pupillen aus Vulkangestein
eingesetzt. Das soll magisch-rituelle Bedeutung gehabt haben. »Sobald
die moai Augen hatten, konnten sie sehen. Dann konnten verstorbene
Könige oder wichtige Ahnen aus dem Geisterreich in die Figuren
schlüpfen und das Leben auf ihrer Heimatinsel beobachten!«,
erklärte mir Carolina Teao (6) nach einem sonntäglichen
Gottesdienstbesuch. Die Osterinsulanerin beteuerte flüsternd: »Die
moai standen auf Pyramiden aus Stein. In den Pyramiden waren
Grabkammern, in denen die Toten ruhten. Die Geister der Toten können
in die Statuen fahren, solange die Statuen intakt sind!«
Dass den Statuen einst Augen eingesetzt worden sind, wurde erst 1978 entdeckt, als der »Ahu Nau Nau« restauriert wurde. Dabei wurde ein zersplittertes Riesenauge – Länge des Ovals immerhin 35 Zentimeter – entdeckt.
Dass den Statuen einst Augen eingesetzt worden sind, wurde erst 1978 entdeckt, als der »Ahu Nau Nau« restauriert wurde. Dabei wurde ein zersplittertes Riesenauge – Länge des Ovals immerhin 35 Zentimeter – entdeckt.
Die Osterinselforscherin Catherine Routledge berichtete (1) bereits
1919 in ihrem Standardwerk »The Mystery of Easter Island« von
»semi-pyramidal Ahus«. Unklar ist, welche »Ahu«-Form die älteste
ist. Allem Anschein nach gab es in ältesten Zeiten primitive
»Steinpyramiden«, kegelförmige Anhäufungen von Steinbrocken.
Angeblich soll es auch mehrstufige Plattformen gegeben haben, auf
denen Statuen standen, mit Grabkammern in den Plattformen. Andere
»Ahus« sollen der Form nach Schiffen geähnelt haben.
Im 18. Jahrhundert sah Captain Cook eine »steinerne Plattform«, auf
der unter Steinen ein menschliches Skelett lag. Unklar ist, ob man
die sterblichen Überreste dort platziert hatte, damit die Verwesung
fortschreiten konnte, oder ob Cook ein verfallenes »Ahi«-Grab
beschrieb. Sollten also die Knochen da liegen? Oder kamen sie zum
Vorschein, weil der »Ahu« nur noch eine Ruine war? Der Seefahrer La
Pérouse besuchte ebenfalls im 18. Jahrhundert die Osterinsel. Er
beobachtete und beschrieb »mehrere Pyramiden von Stein«, in deren
Nähe Knochen verstreut lagen. War ein Grab geplündert worden? Hatte
ein feindlicher Clan in der Gruft nach Grabbeigaben wie geschnitzten
Angelhaken gesucht? Ein Geistlicher erklärte mir vor Ort: »Wirklich
wichtig war für die Insulaner nur der Schädel, der Rest des
Skeletts wurde oft recht pietätlos behandelt!« (2)
Solange Tote – sei es auf Holzgestellen, sei es auf steinernen
Plattformen oder Pyramiden – aufgebahrt wurden, lag ein »Tapu«
auf dem Grundstück. So durfte am nahegelegenen Strand nicht gefischt
werden. Gekocht werden durfte auch nur bedingt im Bereich des Toten.
Es bedarf keiner Fantasie, um sich vorzustellen, dass so ein offen
aufgebahrter Leichnam nicht gerade ein ideales Ambiente für leckere
Kocherei geboten hat. Offene Feuer im Umfeld des Toten unterlagen
auch einem »Tapu« waren also auch verboten. Bei Tageslicht durfte
man sich dem Toten nicht nähern, aber in der Nacht? Ein Steinhaufen
mit einem weißen Stein an der Spitze zeigte wie ein Hinweisschild
das »Tapu« an. Wer dagegen verstieß, wer die »Tapu«-Gebote nicht
einhielt, der war des Todes und wurde mit einer Keule erschlagen. Da
auf der Osterinsel lange Zeit Kannibalismus weit verbreitet war, kann
es sein, dass so ein »Tapu«-Übertreter bald den Speisenplan
bereicherte.
Was die Ernährung angeht, so waren Frauen nicht gleichberechtigt.
Frauen mussten ihren Vater, Ehemann oder einen Bruder fragen, wenn
sie Geflügel verzehren wollten. Beim Kannibalismus allerdings gab es
für Frauen kein »Tapu«. Warum auch. Offenbar kämpften Frauen wie
Männer in Kriegen Seite an Seite und teilten sich dann auch die
Beute. Dazu gehörte eben auch das Fleisch der getöteten Feinde.
Anlässe für Kriege gab es viele. Nach einem Mord an einem
Osterinsulaner wurde der Täter ermittelt. Die Angehörigen des
Stamms des Opfers erklärten dann dem Stamm des Mörders den Krieg.
Und der endete mit dem Tod des Mörders. Anschließend feierten die
Sieger bei einem Bankett… und verzehrten den Mörder. Damit hatte
das Blutvergießen aber kein Ende. Denn jetzt sannen die Verwandten
und Stammesangehörigen des Mörders nach Rache. Das Gemetzel wurde
fortgesetzt.
Man zeigte mir im kleinen Osterinselmuseum eine Lithographie aus dem späten (?) 19. Jahrhundert. Sie stellt eine der »semi-pyramidalen« Strukturen dar. Offenbar schichtete man mehrere, nach oben hin kleiner werdende Plattformen aufeinander, so dass eine Art Stufenpyramide entstand. Auf der Lithographie sind zwei halbwegs korrekt dargestellte »moai« mit Steinhüten zu sehen. Allerdings wurden diese Wahrzeichen der Osterinsel – anders als im Bild gezeigt - stets auf die höchste Plattform gestellt.
Man zeigte mir im kleinen Osterinselmuseum eine Lithographie aus dem späten (?) 19. Jahrhundert. Sie stellt eine der »semi-pyramidalen« Strukturen dar. Offenbar schichtete man mehrere, nach oben hin kleiner werdende Plattformen aufeinander, so dass eine Art Stufenpyramide entstand. Auf der Lithographie sind zwei halbwegs korrekt dargestellte »moai« mit Steinhüten zu sehen. Allerdings wurden diese Wahrzeichen der Osterinsel – anders als im Bild gezeigt - stets auf die höchste Plattform gestellt.
Im Jahre 1864, so viel scheint sicher, waren alle Statuen von den
»Begräbnisplattformen« gestürzt worden. Anno 1838 soll Admiral du
Petit-Thouars noch einen der Osterinselkolosse auf einem Ahu stehend
gesehen haben. Alfred Metraux geht nach Quellenlage davon aus, dass
zwischen 1838 und 1864 die letzten Statuen gefallen sein müssen. Die
»semi pyramidal Ahus« verfielen nach und nach oder wurden mutwillig
zerstört. Ahus wurden aber auch in neuerer Zeit von Chilenen
verwüstet (3). Zerstört worden ist alter Volksglaube der
Osterinsulaner – durch christliche Missionare. Einzig der
wichtigste Gott der Osterinsel, Make-Make, überdauerte die Zeiten.
Seine »Kolleginnen und Kollegen« gerieten weitestgehend in
Vergessenheit.
Die Osterinsulaner wurden bewusst ihrer religiösen und heimatlichen
Wurzeln beraubt. Man vertrieb sie von ihren angestammten Wohngebieten
und zwang sie in ein Dorf. Zeitweise waren sie wie Gefangene, die
Dorf nur mit Genehmigung verlassen durften. Das importierte Vieh
hatte mehr Rechte als die Osterinsulaner!
Als die ersten christlichen Kreuze aufgestellt wurden, wunderten sich
die Insulaner sehr. Wieso hing da ihr Make-Make am Kreuz? Als ihnen
der biblische Gott als der einzige Gott angepriesen wurde, gab es für
die Insulaner keinen Zweifel mehr! Wenn der Bibel-Gott der mächtigste
Gott war, dann musste er ihr Make-Make sein. So opferten die
Insulaner dem Bibel-Gott, wie sie das bislang für Make-Make getan
hatten. Dass de facto ein heidnischer Gott nach alter Väter Sitte
verehrt und mit Opfergaben beschenkt wurde, nahm die christliche
Geistlichkeit – grummelnd vielleicht – hin. Es war alles gut,
solang die Osterinsel offiziell in den amtlichen Statistiken als
»Katholiken« geführt werden konnten. Solange durften auch
heidnische Darstellungen in der christlichen Kirche in christlichem
Gewand die einheimischen Gläubigen anlocken.
Make-Make wurde in alten Überlieferungen auch als zorniger,
eifersüchtiger Gott beschrieben, so wie Jahwe im »Alten Testament«
der Bibel. Weinend erklärte mir eine greise Osterinsulanerin,
Make-Make, Make-Make fresse die Seelen von Toten. »Deshalb wurden
die Statuen auf die Gräber gestellt! Sie boten den Geistern der
Verstorbenen Schutz vor dem strafenden Make-Make!«
Make-Make war der große Schöpfergott. Er kreierte Menschen, aber auch ein Mischwesen, einen Gott-Mensch-Vogel. War er auch für seltsame Kreaturen verantwortlich, deren Abbilder auf alten Holzschnitzereien der Osterinsel erhalten geblieben sind? 1992 erwarb ich auf der Osterinsel die Kopie einer Gravur, die einen Eidechsen-Menschen zeigt. Das Wesen nimmt die typische Haltung einer Eidechse ein, hat eidechsenhafte Klauen als Greifinstrumente und einen Schwanz, gleichzeitig aber auch menschliche Attribute. Derlei monströs anmutende Mischwesen zierten häufig kunstvolles Schnitzwerk. Sie wurden vorwiegend am Kopf von hölzernen Statuetten eingeritzt. Waren es Kreaturen aus der »Werkstatt« von Make-Make?
Make-Make soll – auch – ein Seelenfresser gewesen sein. Manche
Osterinsulaner sehen das heute positiv. So schützte Make-Make seine
Gläubigen vor Angriffen durch bösartige Geister, die womöglich
schon zu Lebzeiten Verbrecher gewesen waren. Mord- und Totschlag
galten auch auf der Osterinsel als schlimme Untaten, Kannibalismus
aber scheint eine akzeptierte Form der Ernährung gewesen zu sein
(4). Nach Osterinselforscher Hippolyte Roussel waren es erst
christliche Missionare, die diesen alten, unsäglichen Brauch
verboten haben. Es wird überliefert, dass Krieger »Kai-tangatas«
(Kannibalen) waren. Getötete Feinde, so heißt es, wurden verspeist.
Gefangene, so wird berichtet, wurden in speziellen Hüten verwahrt
und im Rahmen von Siegesfeiern im Angesicht der stolzen Riesenstatuen
verzehrt. Kapitänleutnant Geiseler beschreibt (5) in seinem Buch
»Die Oster-Insel«, anno 1883 in Berlin erschienen, dass
Kriegsgefangene für »besondere Anlässe« aufgespart und dann zu
Ehren der Götter getötet und verzehrt wurden!
Kriege zwischen einzelnen Stämmen gab es im Lauf der Geschichte auf
der Osterinsel immer wieder. So soll nach langem Gemetzel der
Tuu-Clan als Sieger in den heimischen Bezirk auf dem Eiland
zurückgekehrt sein. Die Tuu-Krieger haben, so ist überliefert, ihre
besiegten Gegner, die Hotu-iti, regelmäßig überfallen. Sie
schleppten die getöteten Feinde zum Strand und transportierten sie
in ihren Kanus nach Hause. Die Leichname wurden unter den Kriegern
verteilt… und verzehrt. Im Gegenzug belagerten die Hoto-iti die Tuu
in ihren Höhlen, hungerten sie aus. Die Tuu mussten sich ergeben…
und einige von ihnen wurden verzehrt. (8)
Zu kannibalistischen Exzessen soll es häufig in Höhlen gekommen
sein. Dort, unter der Erde, verspeisten siegreiche Krieger ihre
erschlagenen Feinde. Es heißt, sie glaubten auf diese Weise noch
stärker zu werden, weil sie die Energie der Toten in sich aufnahmen.
Auch sollte so den Gefallenen in gewisser Weise ein »Weiterleben«
ermöglicht werden…Womöglich konnten sie dann auch als Geister
ihren Mördern nicht mehr schaden.
Fritz Felbermayer überliefert eine ausführliche Legende zum Thema
Kannibalismus, betitelt »Der große Krieg zwischen den Stämmen der
›Miru‹ und ›Tapahotu‹« (6). In der Einleitung lesen wir (7):
»Die mächtigen Stämme nützten die Kriege, um sich mit
Menschenfleisch zu versehen, denn in den vergangenen Zeiten herrschte
Kannibalismus unter den Bewohnern der Insel. Die Stärkeren suchten
jedwelchen Vorwand, um Konflikte mit den kleineren Stämmen
herbeizuführen und so in Kämpfen zu dem von ihnen begehrten
Fleischgenuß zu kommen.«
1) Routledge, Catherine S.: »The Mystery of Easter Island«, London
1919, S. 172
2) Métraux, Alfred: Ethnology of Easter Island, Honolulu, Hawaii, 1971, S. 115, siehe »Funeral Rites«!
3) ebenda, siehe S. 86-88, »Destruction of the Images«
4) ebenda, siehe S. 150 und 151: »Cannibalism«
5) Geiseler, Kapitänleutnant: »Die Osterinsel«, Berlin 1883, S. 30
6) Felbermayer, Fritz: »Sagen und Überlieferungen der Osterinsel«, Nürnberg 1971, Seiten 51-63
7) ebenda, S. 51, linke Spalte, Zeilen 6-12 (Orthographie unverändert übernommen!)
8) Auch diese Geschichte wird in unterschiedlichen Varianten erzählt. Mal gehen die einen, mal die anderen als Sieger hervor. Zu Kannibalismus aber kam es in allen Versionen.
»Alte Götter, neue Götter, tote Götter…«,
Teil 234 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 13.7.2014
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