»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Der steinerne Koloss wendet dem Meer den Rücken zu
und blickt ins Landesinnere. Warum? Warum starren die steinernen
Kolosse – mit einer Ausnahme – nie aufs Meer hinaus? Sollten sie
etwa Angst vor den Fluten gehabt haben? Galt ihre ganze
Aufmerksamkeit der Besiedlung des Landes? Oder wollten sie
demonstrieren, dass ihnen die Wassermassen herzlich gleichgültig
waren? Wir wissen es nicht. Und die Osterinsulaner schweigen…
Der Riese schaut ins Land. Foto Ingeborg Diekmann |
Die Besiedelung der Südsee vor Jahrhunderten oder
gar Jahrtausenden stellt eine gewaltige seefahrerische Leistung dar.
Die winzigen Eilande in den schier unendlichen Weiten des Pazifik
wirken verloren wie Sterne im gigantischen Universum. Mit
berechtigter Bewunderung stellt Annie Francé-Harrar fest (1): »Es
ist also sehr merkwürdig, daß man den alten Melanesiern und
Polynesiern nicht mehr und nicht weniger zutraut, als die Eroberung
des Stillen Ozeans, und das ist, an ihrer Zivilisation gemessen, eine
unvergleichlich größerer Leistung, als alle europäischen
Entdeckungsfahrten von Marco Polo bis Columbus zusammen.«
Das ist wohl wahr! Wenn man von einer europäischen
Küste einfach gen Westen reist, kommt man zwangsläufig irgendwann
an einer amerikanischen Küste an. Der amerikanische Kontinent ist
nicht zu verfehlen. Wenn man aber von einem mikronesischen Eiland auf
einem kleinen Floß in See sticht und sich gen Osten vorkämpft, dann
grenzt es schon an ein Wunder, wenn die wagemutigen Seefahrer die
winzige Osterinsel treffen. Man muss sich fragen, wie viele
Expeditionen einst losgeschickt wurden und wie wenige wohl eine
rettende Insel erreicht haben mögen! Wie viele dieser frühen
Seefahrer mögen wohl in den Weiten des gar nicht immer so
friedlichen, riesigen Pazifik umgekommen sein? So muss die Entdeckung
und Besiedlung von Inseln im Pazifik von Polynesien aus als gewaltige
Leistung angesehen werden.
Die »Entdeckung« der Südseeinseln durch
»zivilisierte« Europäer war dank modernen Wissens um Navigation
sehr viel einfacher, für die Bewohner der Eilande aber in der Regel
eine Katastrophe. Die Vertreter der vermeintlich so viel höher
stehenden modernen Zivilisationen gaben gern vor, dass den armen,
unwissenden Heiden das segensreiche Christentum nahegebracht werden
sollte. Annie Francé-Harrar konstatiert erschüttert (2): »Das alte
Kolonialwort, daß dem Missionar der Händler, dem Händler der
Soldat folgt, hat für die Südsee in weitestem Maße gegolten.
Auflehnung gegen das oft ungeschickte und gewalttätige Vorgehen
einzelner Missionsbrüder haben nicht selten das Eingreifen von
Kriegsschiffen und den Tod vieler Farbigen (sic) nach sich gezogen.
So geschah es zum Beispiel den Neukaldoniern, die 1862 aus Protest
die Mission von Houagap belagerten (ohne freilich jemandem ein Leides
zuzufügen) und denen aus ›Revanche‹ die Brigg ›Gazelle‹ dann
alle Pflanzungen zerstörte, die Häuptlinge – auch jene, die sich
ergaben – niederschoß, viele Kanaken ums Leben brachte und denen
Land fortnahm, um es unter die europäischen Kolonisten zu
verteilen.«
Osterinselidyll 19. Jahrhundert. Foto Archiv |
In den vergangenen Jahrzehnten lernte ich auf meinen
Reisen in Südamerika wie in der Südsee so manchen Missionar kennen.
Speziell in Südamerika – zum Beispiel in Peru und Bolivien –
setzen sich viele Geistliche für die Interessen der Ärmsten der
Armen ein, was offenbar keineswegs bei den Vertretern der Amtskirchen
nur auf Begeisterung stößt. In der Südsee – auf der Osterinsel,
in Mikronesien und auf den Neuen Hebriden, zum Beispiel – überwog
meiner Beobachtung nach die Verbreitung des christlichen Glaubens.
Vordergründig betrachtet kann man derlei Bemühungen frommer
Glaubensbrüder allenfalls belächeln, aber doch nicht negativ
bewerten. Allerdings geht die Überzeugungsarbeit für das
Christentum auf Kosten alter Glaubenswelten.
Es besteht die Gefahr, dass die »Heiden« ihre Wurzeln verlieren, der eigenen Kultur entfremdet werden. Dieser Prozess ist ein schleichender. Nicht selten wird der christliche Glaube im Gewand der einheimischen Kulte und Religionen angeboten. Im Bereich des mysteriösen »John-Frum-Kults« der Südsee etwa agieren christliche Missionare und deren Gehilfen recht effektiv. Sie bieten nicht etwa den Jesus des »Neuen Testaments« als Alternative zum verehrten »John Frum« an, sondern lassen als »John Frum« verkleidete Jesusse bei Zeremonien auftreten. So verschwinden die Unterschiede zwischen »John Frum« und »Jesus« und Anhänger von »John Frum« sind sehr viel geneigter, »Jesus Frum« anzunehmen.
Es besteht die Gefahr, dass die »Heiden« ihre Wurzeln verlieren, der eigenen Kultur entfremdet werden. Dieser Prozess ist ein schleichender. Nicht selten wird der christliche Glaube im Gewand der einheimischen Kulte und Religionen angeboten. Im Bereich des mysteriösen »John-Frum-Kults« der Südsee etwa agieren christliche Missionare und deren Gehilfen recht effektiv. Sie bieten nicht etwa den Jesus des »Neuen Testaments« als Alternative zum verehrten »John Frum« an, sondern lassen als »John Frum« verkleidete Jesusse bei Zeremonien auftreten. So verschwinden die Unterschiede zwischen »John Frum« und »Jesus« und Anhänger von »John Frum« sind sehr viel geneigter, »Jesus Frum« anzunehmen.
Schon vor fast einem Jahrhundert monierte Annie
Francé-Harrar arbeiten manche Missionare durchaus wissenschaftlich
und publizieren interessante Werke über die Glaubenswelten alter
Südseevölker. Aber, so Annie Francé-Harrar (3) »da sie wirklich
und in allem ein Staat im Staate sind, der niemandem Rechenschaft
gibt, so handeln sie nur nach ihren vorgeschriebenen
Glaubensinteressen, die ihnen gebieten, das natürliche
Eingeborenenleben von Grund auf zu ändern, die alten Künste und
Gebräuche abzuschaffen, das Selbstbewußtsein des Farbigen zu
brechen und ihm dem Dienst bei seinem ›weißen Bruder‹ geneigt zu
machen.«
Alte, für die Südsee typische, religiös fundierte
Kultur wurde zerstört. Das so entstandene Defizit wurde und wird
aber durch neue Religionsformen oft nur vordergründig behoben. So
entstand ein Mangel an Verbundenheit zu den eigenen Wurzeln. Auch
erschienen die christlichen Missionare in der Südsee nicht immer als
wirklich glaubwürdig, speziell dann nicht, wenn sich
unterschiedliche christliche Gruppierungen – katholische,
protestantische, amerikanische Sekten – untereinander bekämpften.
Bei meinem Besuch in Tahiti erfuhr ich, dass Ende des 19. Jahrhunderts nicht wenige, vormals hoch angesehene Einheimische nur den Suizid als Ausweg sahen. Die Missionsarbeit hat sich – polemisch ausgedrückt – als durchschlagender Erfolg erwiesen. Die alten Glaubenswelten waren gezielt ins Lächerliche gezogen, als Teufelswerk verurteilt und planmäßig zerstört worden. Die einst im alten Glauben tief verwurzelten »Heiden« standen vor dem Trümmerhaufen ihrer geistigen Welt. Sie waren zur Überzeugung gebracht worden, dass ihre alten Götter tot waren. Sie konnten aber die neuen Götter nicht als »Ersatz« akzeptieren.
Die berühmte christliche Dreifaltigkeit empfanden sie als drei neue Götter (Mehrzahl), die ihrem Leben keinen neuen Sinn gaben. (4)
Bei meinem Besuch in Tahiti erfuhr ich, dass Ende des 19. Jahrhunderts nicht wenige, vormals hoch angesehene Einheimische nur den Suizid als Ausweg sahen. Die Missionsarbeit hat sich – polemisch ausgedrückt – als durchschlagender Erfolg erwiesen. Die alten Glaubenswelten waren gezielt ins Lächerliche gezogen, als Teufelswerk verurteilt und planmäßig zerstört worden. Die einst im alten Glauben tief verwurzelten »Heiden« standen vor dem Trümmerhaufen ihrer geistigen Welt. Sie waren zur Überzeugung gebracht worden, dass ihre alten Götter tot waren. Sie konnten aber die neuen Götter nicht als »Ersatz« akzeptieren.
Die berühmte christliche Dreifaltigkeit empfanden sie als drei neue Götter (Mehrzahl), die ihrem Leben keinen neuen Sinn gaben. (4)
In das Leben der Osterinsulaner griff die
»christliche Welt« im 19. Jahrhundert vor allem in Gestalt von
Sklavenhändlern ein, die einen Großteil der Bevölkerung
verschleppten 1862 sollen rund 5 000 Osterinsulaner verschleppt und
versklavt worden sein. Die Geknechteten starben unter unmenschlichen
Bedingungen in großer Zahl. Die wenigen Überlebenden, die
schließlich auf die heimatliche Osterinsel zurückkehren durften,
brachten Epidemien mit, denen fast die gesamte Bevölkerung des
Eilands zum Opfer fiel. Ironie des Schicksals: Die todbringende
Heimkehr überlebender Sklaven erfolgte auf Betreiben der
katholischen Geistlichkeit. Das Christentum hat so fast die gesamte
Bevölkerung der Osterinsel ausgelöscht.
Ausgelöscht wurde auch weitestgehend die Geschichte
eines mysteriösen Inselvolks, das einst – so wird es überliefert
– aus dem Westen der Südsee Zuflucht auf der Osterinsel fand, weil
die eigene Heimat in den Fluten der Südsee versank. Weitestgehend
verdrängt und vergessen wurden die Erinnerungen an Götter und
Göttinnen der Osterinsel. Die meisten Wissenden wurden einst als
Sklaven verschleppt oder kamen bei Epidemien ums Leben. Und dennoch
wurden noch Mythen überliefert, auswendig gelernt und
weitergereicht. Ich bin davon überzeugt, dass es auch heute noch
einzelne Eingeweihte auf der Osterinsel gibt, die Fremden gegenüber
Stillschweigen wahren. Ob eines Tages die »sprechenden Hölzer«
wieder zum Reden gebracht werden können?
Eines der »sprechenden Hölzer«. Foto wiki commons, gemeinfrei |
Bischof Tepano Janssen interessierte sich in den
1860-er Jahren für die hölzernen Täfelchen mit geheimnisvollen
Schriftzeichen. Bruder Eyraud sollte nun, vom Bischof beauftragt,
möglichst viele der Schrifttäfelchen einsammeln. »Seine Bitte kam
leider zu spät.«, stellt Jacek Machowski (5) fest. »Die
fanatischen Missionare nämlich, die in diesen Tafeln einen
Gegenstand heidnischen Kults entdeckt zu haben glaubten, hatten die
Tafeln erbarmungslos vernichtet und sie unter anderem als Feuerholz
in der Missionsküche verwandt.«
Vermutlich würde so manches Geheimnis der
Osterinsel geklärt, wenn wir wieder den »sprechenden Hölzern«
lauschen könnten. Angeblich dienten sie einst beim Vortragen
der alten Mythen und Sagen als Gedächtnisstütze. Nur Auserwählte
sollen die Kunst beherrscht haben, die Botschaften der Holztafeln zu
entschlüsseln. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll
es eine Schule gegeben haben, in der die Zeichen und ihre Bedeutung
gelehrt wurden. Die Wissenden aber wurden in die Sklaverei
verschleppt, starben unter den Lasten der Arbeit.. oder wurden von
Krankheiten dahingerafft. Bedenkt man, dass aus unserer
»zivilisierten Welt« nur Tod und Verderben aufs Eiland in der
Südsee kamen, wäre es ein Wunder, wenn heutige Wissende uns
»Zivilisierte« einweihen würden…..
Osterinselschrift... Foto wiki commons, gemeinfrei |
Fußnoten
1) Francé-Harrar, Annie: »Südsee/ Korallen –
Urwald – Menschenfresser«, Berlin 1928, S.143 Hinweis: Die Zitate werden,
auch in der Orthografie, unverändert wiedergegeben und nicht nach Regeln der
Rechtschreibreformen »korrigiert«. Unverändert übernommen wurden
auch Begriffe, die der heutigen
politischen »Korrektheit« nicht mehr entsprechen.
2) ebenda, S. 160
3) ebenda
4) ebenda, S. 161: ».. denn die alten Götter seien
tot, und es hätte für sie keinen Sinn mehr zu leben«.
5) Machowski, Jacek: »Insel der Geheimnisse/ Die
Entdeckung und Erforschung der Osterinsel«, Leipzig 1968, S. 12
Wenn er nur sprechen könnte... Foto W-J.Langbein |
Literaturempfehlungen
Bacon, Edward (Herausgeber): Versunkene
Kulturen/ Geheimnis und Rätsel früher Welten,
Volksausgabe, München 1970
Bahn, Paul und Flenley, John: Easter Island,
Earth Island/ A message from our past
for the future of our planet, London 1992
Barthel, Thomas S. et al.: 1500 Jahre Kultur
der Osterinsel/ Schätze aus dem Land des Hotu Matua/
Ausstellungskatalog, Mainz 1989
Berg, Eberhard: Zwischen den Welten/
Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg Forsters, Berlin
1982 (Die Osterinsel:
Verschiedene Grade von Cultur S. 99-101)
Blumrich, Josef F.: Kasskara und die sieben
Welten, Wien 1979
Brown, John Macmillan:
The Riddle of the Paific, Honolulu, Hawaii, Nachdruck 1996
Diamond, Jared: Kollaps/ Warum Gesellschaften
überleben oder untergehen, erweiterte Neuausgabe,
Frankfurt 2011 (Teil 2/ Kapitel 2:
Schatten über der Osterinsel, S. 103-154)
Felbermayer, Fritz: Sagen und Überlieferungen
der Osterinsel, Nürnberg 1971
Francé-Harrar, Annie: Südsee/ Korallen –
Urwald – Menschenfresser, Berlin 1928 (Osterinsel S.
143-152)
Heyerdahl, Thor: Aku-Aku/ Das Geheimnis der
Osterinsel, Berlin 1972
Lee, Georgia:
The Rock Art of Easter Island/ Symbols of Power, Prayers to the Gods, Los Angeles 1992
Machowski, Jacek: Insel der Geheimnisse/ Die
Entdeckung und Erforschung der
Osterinsel, Leipzig 1968
Ein steinernes Idol und Pferde am Strand. Foto W-J.Langbein |
Mann, Peggy: Land
of Mysteries, New York 1976
Métraux, Alfred:
Ethnology of Easter Island, Honolulu, Hawaii, 1971
Orliac, Catherine und Michel:
Mysteries of Easterisland, London 1995
Petersen, Richard:
The Lost Cities of Cibola, Phoenix 1985 (Island
of Mystery, chapter 10, pages 219 fff.)
Richter-Ushanas, Egbert: Die Schrifttafeln
der Osterinsel in der Lesung Metoros und Ure Vaeikos,
Bremen 2000
Rosasco, Jose Luis und Lira,
Juan Pablo: Easter Island The Endless
Enigma, Santiago
1991
Routledge, Katherine:
The Mystery of Easter Island, 1919, Nachdruck Kempton 1998
Winkel, Karl zum: Köpfe, Schlangen,
Pyramiden in Lateinamerika/ Alte Kulturen von Mexiko bis zur
Osterinsel, Heidelberg 2001
Teil 235 der Serie
»Monstermauern, Mumien und
Mysterien«
von Walter-Jörg
Langbein,
erscheint am 20.7.2014
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