Teil 236 der Serie
»Monstermauern, Mumien und
Mysterien«
von Walter-Jörg
Langbein
»Von Wunderdingen melden die Mären alter Zeit;
Von preisenswerten Helden, von großer Kühnheit,
von Freud‘ und Festlichkeiten, von Weinen und von
Klagen,
von kühner Recken Streiten mögt ihr nun Wunder
hören sagen.« (1)
Der Dom zu Worms bei Nacht. Foto W-J.Langbein |
So beginnt das berühmte Nibelungenlied, das große mittelalterliche Heldenepos, das wohl zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Einer der wirklich wichtigen Schauplätze ist der Königshof zu Worms. In Worms will der legendäre Siegfried um Kriemhild werben. Vor dem Dom kommt es zum dramatischen Streit zwischen den Königinnen. Die beiden Damen sind sich uneins, wer im Rang höher steht. Ist es Siegfried? Ist es Gunther? Ist Siegfried Gunther ebenbürtig? Oder steht er unter dem König, als »Gefolgsmann«? Welche der Damen darf als erste den Dom zu Worms betreten? Wer darf über das Königreich zu Worms herrschen, Gunther oder Siegfried?
»Da saßen beisammen die Königinnen reich
Und gedachten zweier Recken, die waren ohnegleich.
Da sprach die schöne Kriemhild: ›Ich hab‘ einen
Mann,
dem müßten diese Reiche alle sein untertan.‹
Da sprach zu ihr Frau Brunhild: ›Wie könnte das
sein?
Wenn anders niemand lebte als du und er allein.
So möchten ihm die Reiche wohl zu Gebote stehn:
So lange Gunter lebte, so könnt‘ es nimmermehr geschehn.‹« (2)
So lange Gunter lebte, so könnt‘ es nimmermehr geschehn.‹« (2)
Schon in der Schulzeit (3) musste ich mich intensiv
mit dem »Nibelungenlied« auseinandersetzen. Stundenlange Vorträge,
etwa über das Verständnis des Begriffs »Ehre« waren zu ertragen.
Ich muss zugeben, dass mich damals staubtrockene Definitionen von
Begriffen in mittelalterlicher Dichtung kaum interessierten. Was mich
aber faszinierte, kam im Unterricht gar nicht vor: Gab es den
gigantischen Schatz der Nibelungen wirklich? Wurde er tatsächlich im
Rhein versenkt? Wenn ja.. wo? Kann man ihn noch bergen? Und sollte
der unermesslich kostbare Schatz tatsächlich gefunden werden, wem
gehört er dann?
Ich unterbreitete damals meinem Deutschlehrer den Vorschlag, eine Studienreise nach Worms zu unternehmen. Ob es noch Hinweise auf die Nibelungen zu entdecken galt? Leider wurde mein Vorschlag abgelehnt. Ein Jahrzehnt später – im Sommer 1979 – lernte ich meine Frau kennen. Und siehe da: Der Großvater meiner Frau, Dr. Karl Schütze, hat sich viele Jahre seines Lebens mit dem Nibelungenlied auseinandergesetzt. Der Germanist aus Glückstadt hat schließlich eine weitverbreitete Übersetzung des alten Heldenepos publiziert (4). Beim Recherchieren in Sachen Nibelungenlied und Worms stieß ich auf den Mitbegründer der wissenschaftlichen Germanistik. Friedrich Heinrich von der Hagen (1780 – 1856) setzte sich intensiv mit dem Nibelungenlied auseinander. Erst kurz vor seinem Tod erschien seine Arbeit »Nibelungen« (5). Posthum folgte »DerNibelungen Klage« (6). Bei Friedrich von der Hagen entdeckte ich eine kühne Behauptung (7): Demnach soll es in Worms eine »Sigfridskapelle« (8) gegeben haben. Diese Behauptung elektrisierte mich geradezu. So begann meine Recherche in Sachen Siegfried und Worms. Sollte es tatsächlich – wie von Friedrich von der Hagen postuliert – eine »Sigfridskapelle« gegeben haben? Belege dafür fand ich keine, entdeckte aber sehr wohl das sakrale Bauwerk, auf das sich von der Hagen bezieht. Zu meiner großen Enttäuschung wurde das mysteriöse Bauwerk zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgerissen.
Reich verzierter Torbogen zum Dom. Foto W-J.Langbein |
Ich unterbreitete damals meinem Deutschlehrer den Vorschlag, eine Studienreise nach Worms zu unternehmen. Ob es noch Hinweise auf die Nibelungen zu entdecken galt? Leider wurde mein Vorschlag abgelehnt. Ein Jahrzehnt später – im Sommer 1979 – lernte ich meine Frau kennen. Und siehe da: Der Großvater meiner Frau, Dr. Karl Schütze, hat sich viele Jahre seines Lebens mit dem Nibelungenlied auseinandergesetzt. Der Germanist aus Glückstadt hat schließlich eine weitverbreitete Übersetzung des alten Heldenepos publiziert (4). Beim Recherchieren in Sachen Nibelungenlied und Worms stieß ich auf den Mitbegründer der wissenschaftlichen Germanistik. Friedrich Heinrich von der Hagen (1780 – 1856) setzte sich intensiv mit dem Nibelungenlied auseinander. Erst kurz vor seinem Tod erschien seine Arbeit »Nibelungen« (5). Posthum folgte »DerNibelungen Klage« (6). Bei Friedrich von der Hagen entdeckte ich eine kühne Behauptung (7): Demnach soll es in Worms eine »Sigfridskapelle« (8) gegeben haben. Diese Behauptung elektrisierte mich geradezu. So begann meine Recherche in Sachen Siegfried und Worms. Sollte es tatsächlich – wie von Friedrich von der Hagen postuliert – eine »Sigfridskapelle« gegeben haben? Belege dafür fand ich keine, entdeckte aber sehr wohl das sakrale Bauwerk, auf das sich von der Hagen bezieht. Zu meiner großen Enttäuschung wurde das mysteriöse Bauwerk zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgerissen.
Ohne Zweifel meint von der Hagen die
»Johanneskirche«, die bis ins 19. Jahrhundert direkt neben dem Dom
zu Worms stand. Dr. Eugen Kranzbühler widmet ihr, der
»Johanneskirche«, in seinem bemerkenswerten Werk »Verschwundene
Wormser Bauten« (9) im Kapitel »Die Pfarrkirchen« viel Raum (10).
Dr. Kranzbühler (11): »Der Wormser Stadtschreiber Johann
Ludwig Hallungius nennt sie in seinen handschriftlichen Nachrichten
von der Freien Reichsstadt Worms die Johanneskirche ›die älteste,
noch aus dem Heidentum herrührende, unter der Erde zum Götzendienst
mit Altären versehene Kirche. … Ein heidnischer Tempel, der ganz
von Quadersteinen erbaut und gedeckt, unter der Erde rings um mit
einem Gewölb versehen, worein das Licht durch viele bogige hohe
Fenster einfällt.« Hallungius beschreibt den geheimnisvollen Bau
als recht mysteriös: »Vor etlichen solchen Fenstern gegen Morgen
stehen schlechte längliche viereckige Altäre mit Kohlen- und
Schür(?)-Löchern versehen.«
Grundriss der verschwundenen Kapelle. Foto: Archiv W-J.Langbein |
Längliche Altäre mit »Kohlen- und Schür-Löchern«
erinnern ganz und gar nicht an christliche Kirchenbaukunst. Mit einem
klassischen Kirchenschiff hatte der mysteriöse »heidnische Tempel«,
so Stadtschreiber Hallungius (1732-1812), wenig, ja gar nichts
gemein. Das sakrale Gebäude war rund (ein »Circul«), »die schwere
Kuppel«, so Hallungius, ruhte auf steinernen Säulen. Untypisch war
auch, dass die »Johannes-Kirche«, so Hallungius, teils unter-,
teils überirdisch angelegt war. Sie war aus massiven Quadersteinen
ein Stockwerk unter und zwei Stockwerke über der Erde angelegt
worden. Es heißt, dass die Gläubigen »an Altären im
unterirdischen Teil dem Götzen Mercurio opferten«. Sollte die
»Johannes-Kirche« ursprünglich ein römischer Tempel gewesen sein?
Wurde ein runder »Heidentempel« christianisiert, womöglich
umgebaut und erweitert? Nach dem Studium zahlreicher Zeichnungen von
der »Johanneskirche« drängt sich mir der Eindruck auf, dass beim
Bau auf einen Turm aus der Römerzeit in die Anlage integriert wurde.
Wir wissen nicht, wer wann die Urform des Heiligtums
baute, woraus die »Johannes-Kirche« entwickelt wurde. Wir wissen
nicht, wer aus gewaltigen Steinquadern einen unterirdischen Kultort
baute und darauf zwei weitere Stockwerke setzte. Der Ort jedenfalls
war gut gewählt. Der etwa hundert Meter hohe Hügel bot Sicherheit
vor den Hochwasserfluten des Rheins. Schon im dritten vorchristlichen
Jahrtausend siedelten hier Menschen. Schon damals mag es dort einen
Tempel gegeben habe, auf dessen Areal sehr viel später ein rundes
Heiligtum entstand.
Grundriss von Dom und »Sigfridskapelle« (B). Foto: W-J.Langbein |
1808 soll der mysteriöse Rundbau zumindest teilweise noch gestanden haben. Der überirdische Teil wurde damals als »Taufkirche« genutzt, der unterirdische als »Beinhaus«. Im Jahr 1837 allerdings war das seltsame Gebäude abgetragen worden. Ein Privatmann soll noch einige Säulenstücke und Kapitäle besessen haben. Warum wurde die »Johanneskirche«, die an der südlichen Langseite des Doms stand, abgerissen? Wurde nur der überirdische Teil abgetragen? Sind noch Reste des unterirdischen Teils erhalten? Kam der Befehl vom französischen Militär? Anno 1796 wurde der Dom von französischen Truppen zum Magazin degradiert und entweiht.1797 wurde Worms auf Dauer von französischem Militär besetzt und wurde Frankreich zugeschlagen. 1801 wurde das Bistum Worms aufgelöst.
Wie sich die Bilder gleichen: Nur wenige Meter vom
Nordportal des Doms zu Paderborn entfernt steht die geheimnisvolle
»Bartholomäus-Kapelle«, die älter als der Dom ist. Das äußerlich
kleine, unscheinbare Gebäude hatte einen heidnischen Vorgänger, der
wohl auf Befehl Karls des Großen (etwa 747 – 814 n.Chr.)
vollkommen zerstört wurde. Wie das heidnische Heiligtum
ursprünglich im Inneren ausgesehen hat, wir wissen es nicht.
Vermutlich wurde es durch Brandstiftung zerstört. Archäologen
untersuchten penibel genau die spärlichen Überbleibsel. Dank ihrer
geradezu pedantischen Geduld gelang es den Wissenschaftlern, Reste
einer Inschrift zu rekonstruieren und zu entziffern. Da war von einem
Drachen die Rede. Just an dieser Stelle hatten die heidnischen
Sachsen ihren alten Göttern Pferdeopfer dargebracht. Die
Drachen-Inschrift wurde nur wenige Meter nördlich von der
Bartholomäus-Kapelle gefunden. Sie war so bruchstückhaft, dass ihr
Inhalt nur erahnt werden kann. Wurde Karl der Große als Sieger über
das Heidentum der Sachsen gefeiert, als der Unterwerfer des Drachens?
Das Innere der mysteriösen Kapelle. Foto: Archiv W-J.Langbein |
Nur wenige Meter vom Dom zu Worms entfernt stand
eine runde Kirche, die an keltische Heiligtümer erinnerte. Bis ins
erste vorchristliche Jahrhundert siedelten Kelten auf dem Hügel.
Waren es Kelten die den ersten Rundbau auf dem »Domhügel«
anlegten? In der unterirdischen Krypta sollen noch in christlichen
Zeiten heidnische Rituale abgehalten worden sein. Wie lange?
Auf die Kelten folgten die Germanen, auf die
Germanen die Römer. Übernahmen Römer Reste eines keltischen
Rundbaus, um daraus ein Stätte der Verehrung für Gott Mercurius zu
machen? Wie auch immer: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der
Sakralbau zerstört.
Wer freilich zu Beginn des dritten Jahrtausends
Zeugnisse heidnischer Religiosität sucht, findet die Abbildung
dreier heidnischer Göttinnen im christlichen Gewand: mitten im
altehrwürdigen Dom zu Worms am Rhein! Kaum jemand weiß es: Drei
heidnische Göttinnen werden noch heute im Dom verehrt.
Querschnitt der über- und unterirdischen Kapelle. Foto: Archiv W-J.Langbein |
Fußnoten
1) »Das Nibelungenlied/ Übertragen von Karl Simrock, ausgewählt, überarbeitet und mit Anmerkungen ausgestattet von Dr. Karl Schütze«, Breslau, ohne Jahresangabe, S. 5
(Orthographie unverändert übernommen!)
2) ebenda, S. 28 (Orthographie unverändert übernommen!)
3) »Meranier Gymnasium«, Lichtenfels, etwa 1970
4) »Das Nibelungenlied/ Übertragen von Karl Simrock, ausgewählt, überarbeitet und mit Anmerkungen ausgestattet von Dr. Karl Schütze«, Breslau, ohne Jahresangabe. Mir liegt Dr. Karl Schützes Exemplar vor, das zahlreiche handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen aufzuweisen hat.
5) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Nibelungen«, Berlin 1855
6) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Der Nibelungen Klage«, München 1919
7) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Anmerkungen zu der Nibelungen Not«, Frankfurt am Main, 1824, S. 131
8) Schreibweise »Sigfrid« so übernommen!
9) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905
10) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905, S. 16-53
11) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905, S. 17
»Drei Göttinnen«,
Teil 237 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 03.08.2014
Sehr geehrter Herr Langbein,
AntwortenLöschenirgendwie zog mich Ihr Text heute Morgen als Erstes an, wegen des Nibelungenliedes, dann auch wegen der Andeutungen Ihres persönlichen Werdeganges, Ihre Suche.
Mir fiel dann das Wort "Ehre" auf und ich erinnerte mich eines Beitrages im Vorfeld des Gerichsprozesses jetzt zu Regensburg, wo ein Journalist schrieb, es geht um die "Ehre der Justiz". So wird eigentlich nicht ein Einzelschicksal verhandelt, es steht irgendwie mehr auf dem Spiel.
Dieses Ringen um die Vorstellungen des Göttlichen ist im Menschen veranlagt. Als sich Ihr Hinweis auf den Beitrag "Gott der Zerstörung" fand, las sich das auch wie ein Anklingen eigener Erlebnisse in der Begegnung mit Ost, West, aber auch die Haltung des Islam.
Als wir nach einem langen Prozeßtag in Regensburg neben der Evangelischen Kirche im Zentrum einen lebendigen Krsna-Devotee sahen, es zu einer kurzen Begegnung gab, da war der lebendige, zufällige Schnittpunkt zwischen Ost und West. In Ihrem Reisebericht zu Indien klingt diese tiefe innere Ruhe wieder, welche die Einheimischen (noch) haben. Ich selbst war noch nie in Indien, verband mich jedoch mit vielen Reiseberichten, angefangen mit Sven Hedin, seinen Schilderungen zu Tibet. Und tatsächlich erlebte ich auch in Regensburg tibet. Lamas, die ihre Rituale mit enem großen Sand-Mandala durchführten.
Ihr Bericht zu dem "Gott der Zerstörung" erinnert mich an eine Zeile eines Gedichtes, wo ich schrieb, der Gott der Zerstörung naht. Er naht, weil tatsächlich auch etwas Berechtigtes aus Sicht des Islam im Götzendienstvorwurf besteht.
Ich schreibe deshalb, weil letzte Nacht ein Erleben war, wie das englische Königtum die eigentlich beherrschende innere Kraft der Welt ist. Die Inthronisation von der jetzigen Königin war ein geheimnisvoller Akt überirdischer Mächte. Das jetzige Miterleben wurde ausgelöst durch Menschenbegegnunen während des Gericht-Prozesses, so als gäbe es zwischen England und Regensburg einen inneren Bezugspunkt und da fällt mir ein, der Bischof Erhard von Regensburg war doch ein schottischer Bischof. Das Ringen zwischen dem schottischen Christentum, ein esoterisches Christentum und dem römischen Christentum, wie Rudolf Steiner es beschreibt. Rom siegte über das Esoterische. Ihr Beitrag heute Morgen inspiriert, noch mehr die tieferen Aspekte herauszuarbeiten, soweit sie erkennbar und erlebbar sind. Die Art und Weise, wie der Gutachter, der Psychiater, die Worte "die Ideologie Rudolf Steiners" aussprach, mitten im Gerichtssaal, zeigt, seine esoterischen Hinweise zu Christentum, zu Brahma, Vishnu und Shiva, sind das "rote Tuch" für den staatlich-christlichen Überbau Bayerns, seinem religiös-staatlichem Verständnis, seinem Menschenbild, da passt Herr Mollath nicht hinein!
Es ringt sich viel mehr als nur Recht und Gesetz. Es ringt sich das Menschenbild.
Ich erlebe Ihren Text sehr geehrter Herr Langbein als sonntägliche Morgengabe,
die Mut macht, der tiefere Sinn des Menschseins wird nicht verloren gehen,
danke!