„Monstermauern, Mumien und Mysterien“
von Walter-Jörg Langbein
Die Kreatur wirkte gespenstisch. Auf scharfkantigen Schultern ruhte ein gewaltiger, unnatürlich langer Kopf. Trug das Wesen so etwas wie eine Maske, vielleicht sogar einen Helm? Die Augen starrten mich wie aus tiefen Höhlen durch die kleinen Öffnungen einer Maske oder eines Helms an. Nase und Mund waren kaum zu erkennen, waren nur angedeutet.
Die Augen wirkten bösartig und gemein. Der gewaltige, unnatürlich hohe Schädel hatte seltsame Beulen und Ausbuchtungen, er passte mehr in die Welt eines furchteinflößenden Horrorfilms als in ein Museum auf der mysteriösen Osterinsel. Immer wieder ließ ich den Lichtkreis meiner langsam schwächelnden Taschenlampe über dieses Wesen aus Stein wandern.
„Darf ich nicht doch ein Foto machen?“ Energisch schüttelte der „Chef“ der kleinen Privatpension am Rande von Hanga Roa, der „Hauptstadt“ der Osterinsel, den bärtigen Kopf. Der gutmütige Polynesier wohnte schon sein Jahrzehnten auf „Para Nui“, alias „Isla de Pascua“, à la „Osterinsel“. „Vielleicht kommt das Ding ja eines Tages in unser Museum. Dann kommst Du wieder und machst ein Foto!“ (1) Das war kein wirklicher Trost.
Auf den ersten Blick erinnerte das Ding an die zum Teil gewaltigen Kolosse der Osterinsel. Eines hatten die etwa 1,40 Meter kleine Statue (2) mit den steinernen Riesen gemein: die eher schmächtigen Ärmchen lagen an den Seiten, die nur zu erahnenden Hände waren unnatürlich abgewinkelt, die Finger deuteten Richtung Nabel. Ansonsten aber gab es doch erhebliche Unterschiede. Kann man das Geschlecht der berühmten Osterinsel-Statuen nicht erkennen, so war die kleine Statue eindeutig weiblich. Deutlich auszumachen waren fast üppige Brüste.
Viel markanter aber war der lange, hohe Kopf. Die Figur maß von der Gürtellinie bis zum Hals in etwa 70 Zentimeter (3), genauso wie vom Halsansatz bis zu den „Haaren“. „Wir müssen wieder gehen!“, ermahnte mich „mein“ Pensionschef, der zugleich auch Koch, Empfangschef, Rezeptionist und Reiseführer war. Nirgendwo sonst auf der Welt schmeckte das morgendliche Toastbrot wie bei ihm. Höchstselbst spießte er Scheibe für Scheibe mit einer Gabel auf und hielt sie dann über die Flamme seines Gasherds in der Küche der Privat-Pension. Ich war viele Tage der einzige Gast, durfte mir immer wünschen, was es mittags oder abends zu essen gab. Die vegetarischen Gerichte, die mir zubereitet wurden, schmeckten köstlich.
„Wir müssen wieder gehen...“, ermahnte mich mein Pensionschef, der langsam etwas ungeduldig wird. Meine Uhr zeigte 5 Minuten vor 1 Uhr an. Das Ende der „Geisterstunde“ nahte. Entschlossen trat ich auf die steinerne Monstrosität zu. Die kleine Taschenlampe nahm ich in den Mund, hatte so beide Hände frei. Vorsichtig tastete ich die mysteriöse Skulptur ab. Die Oberfläche war glatt und feinporig, ganz anders als bei den Statuen, die einst zu Hunderten auf Sockeln standen, alle mit dem Rücken zum ewigen Pazifik.
Foto 4: Das „monströse Wesen“ aus Basalt. |
Vor drei Millionen Jahren durchbrach erstmals in der Region der heutigen Osterinsel glühend heiße Lava den Grund des Meeres. Gewaltige Lavamassen wurden empor geschleudert. Ein Vulkankegel wurde aufgetürmt. Vor zwei Millionen Jahren kam es zu einem weiteren Vulkanausbruch, wieder erhob sich ein Kegel aus dem Meer. Damit endet nicht die Vulkantätigkeit. Immer wieder gebiert die Erde aus ihrem glühenden Inneren vulkanische Riesen. Und so formiert sich langsam die Osterinsel: als das Resultat von Magma-Eruptionen aus dem Erdinneren. Der Vulkanismus lässt im Inneren der Osterinsel immer wieder Hohlräume entstehen. Nicht wenige dieser Höhlen wurden von den Insulanern entdeckt. Sie dienten als Kultstätten „im Leib von Mutter Erde“. Ob hier matriarchalisch orientierte Religionen zelebriert wurden?
Vor zweieinhalb Jahrtausenden, so gilt als gesichert, gab es zum letzten Mal vulkanische Aktivität auf der Osterinsel. Eher unansehnlich ist der kleine Puku-puhipuhi-Kegel im Osten des Eilandes. Übersetzt man diesen Namen des Vulkans, so heißt er „der Keuchende“ oder „der Schnaufende“. Der Name belegt eindeutig, dass die Osterinsulaner den Vulkan noch aktiv erlebt haben müssen. Das heißt: Die Osterinsel muss schon vor mindestens 2500 Jahren besiedelt gewesen sein. Das widerspricht der gängigen Lehrmeinung. Die Gelehrtenwelt ist sich nicht einig, wann die ersten Menschen auf die Osterinsel kamen.
Unterschiedliche Daten werden für die Ankunft des legendären Königs Hotu Matua genannt: 500 n. Chr., 1000 n. Chr. und 1500 n. Chr. Die letzte vulkanische Aktivität gab es aber 500 v. Chr. Und schon damals müssen Menschen auf der Osterinsel gelebt haben, die noch aktiven Vulkanismus beobachten konnten. Die Geschichte der Besiedlung des Eilands muss also wesentlich weiter in die Vergangenheit zurückreichen als angenommen.
Die Osterinsel ist eine vulkanische Insel. Deshalb ist es doch ganz normal, dass erkaltetes Vulkangestein als Material für die weltberühmten Statuen verwendet wurde.
Foto 5: Kopf des „monströsen Wesen“ aus Basalt. |
Im Oktober 1982 durfte ich in einem Bretterverschlag außerhalb von Hanga Roa, direkt am Pazifik, eine mysteriöse Statuette bestaunen, die so gar keine Ähnlichkeit mit den Riesenstatuen hatte. Zur Geisterstunde untersuchte ich die steinerne Kreatur so gut und gründlich ich konnte. „Das Material ist so glatt...“, stellte ich fest. „Ich habe zu Hause ein Foto von einer großen Statue, die aus dem gleichen Material gefertigt wurde...“ Ein letzter Versuch, das mysteriöse Ding doch noch im Foto festhalten zu dürfen, scheiterte kläglich. Zurück ging's, es war inzwischen 1.30 Uhr zur kleinen Privatpension.
Wie versprochen zeigte mir „mein“ Pensionswirt, der figurmäßig in Richtung Buddha tendierte, ein vergilbtes Schwarzweißfoto. Es zeigt eine „typische“ Osterinselstatue an Bord der Fregatte „HMS Topaze“. „1868 haben die Engländer unseren steinernen Freund entführt und nach England verschleppt!“ beklagte mein Gastgeber.
Bis heute heißt die Basalt-Statue „Hoa-haka-nana-ia“ im Londoner Museum in der Ur-Sprache der Osterinsulaner . Aber was heißt das? Die Osterinsulaner sind sich einig. Man könne, sagen sie, den Namen mit „Gestohlener Freund“ übersetzen. Im „British Museum“, so behauptete ein Kurator im Gespräch mit mir, bedeute „Meister Wellenbrecher“. Der seltsame Name freilich sei „frei erfunden“, weil man nicht so gern daran erinnert werde, dass die wertvolle Statue gestohlen wurde. Warum bringt man sie dann nicht in ihre Heimat zurück?
Bis zu zwanzig Osterinselstatuen sollen einst aus Basalt gemeißelte worden sein. Bis heute wurde aber auf der gesamten Osterinsel nur der Steinbruch der „Lava-Riesen“ an den Hängen des „Hanga Roa“-Kraters gefunden, einen Basalt-Steinbruch scheint es aber auf dem Territorium der heutigen Osterinsel nicht gegeben zu haben. Woher stammte dann der Basalt für die großen Statuen aus dem harten Material?
Immer wieder bekam ich von Osterinsulanern zu hören, es habe einst einen großen Basalt-Steinbruch gegeben. Das sei schon sehr sehr lange her. Damals sei „Isla la Pascua“ noch sehr viel größer gewesen. Große Teile der Osterinsel aber seien im Meer versunken, weil der Pazifik große Gebiet des Eilands wieder verschlungen habe. Wann aber soll das geschehen sein? Wann versanken Teile der Osterinsel im Pazifik, und mit ihnen der Steinbruch für die Basalt-Statuen?
Erinnern wir uns: Nach der Mythologie der Osterinsel kamen die Ur-Bewohner des Eilands von einem im Westen gelegenen Königreich, das wie ein Atlantis der Südsee im Meer versunken ist. Dank des fliegenden Gottes Make Make konnte die Bevölkerung des von einer Sintflut heimgesuchte Landes umgesiedelt werden und auf der Osterinsel weiter leben.
Gab es eine „Sintflut“? Es gab einen dramatischen Anstieg des Meeresspiegels, dem die Basalt-Steinbrüche zum Opfer gefallen sein könnten. Allerdings liegt dieses katastrophale, apokalyptische Ereignis rund 10.000 Jahre zurück! Sollte das heißen, dass vor mehr als 10.000 Jahren die ältesten Statuen der Osterinsel geschaffen wurden? Ein Gedanke, der recht kühn zu sein scheint. Mehrere ältere Einheimische indes versicherten mir, sich gut an die Besuche von Jacques Cousteau (*1910, †1997) erinnern zu können. Der berühmte Marineforscher habe bei seinen Tauchgängen in einiger Entfernung von der Küste der Osterinsel auf dem Meeresboden Basalt entdeckt. Cousteau habe berichtet, dass seltsame „Löcher“ im Basalt offenbar künstlich, von Menschenhand geschaffen seien. Hat Cousteau einen der verschwundenen Basalt-Steinbrüche entdeckt?
Foto 8: Die berühmten Kolosse der Osterinsel. |
Zu den Fotos
Foto 1: Der „gestohlene Freund“ aus Basalt. Foto: Wikimedia commons/ James Miles
Fotos 2 + 3: Der gestohlene Freund unterwegs nach England. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Das „monströse Wesen“ aus Basalt. Zeichnung Grete C. Söcker/ Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Kopf des „monströsen Wesen“ aus Basalt. Zeichnung Grete C. Söcker/ Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Augenpartie des „monströsen Wesens“. Zeichnung Grete C. Söcker / Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Der „gestohlene Freund“ im „British Museum“ aus anderer Perspektive. Foto: Wikimedia commons/ James Miles
Foto 8: Die berühmten Kolosse der Osterinsel. Foto Walter-Jörg Langbein
Fußnoten
1) Angeblich soll sich heute im kleinen Museum der Osterinsel eine solche steinerne Kreatur befinden. Ich kann aber nicht mit Sicherheit feststellen, ob es sich dabei um „meine“ Statuette handelt.
2) Schätzwert!
3) Schätzwert!
Ein herzliches Dankeschön....
..... geht an Grete C. Söcker, die für mich mein „monströses Wesen aus Stein“ zeichnerisch rekonstruierte! So hat es ausgesehen! So habe ich es in Erinnerung! DANKE, Grete C. Söcker!
429 „Lasst die toten Riesen in den Gräbern!“,
Teil 429 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 08.04.2018
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