Sonntag, 22. Juli 2018

444 »Wer war zuerst da: Gott oder Göttin?«

Teil 444 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Die Götter wurden zuerst auf hohen Bergen verehrt.

Die Inkas machten Gott »Ychsma« zum Gott Pachacamac. Pachacamac war ein Zerstörer und Erneuerer der Welt. Zwei Katastrophen ließ er über die Welt hereinbrechen, einmal mit Wasser und einmal mit Feuer. Auch der Gott des »Alten Testaments« ließ einmal Wasser über die Welt hereinbrechen (Sintflut) und einmal strafte er mit Feuer, das vom Himmel fiel. Pachacamac war freilich nicht allein, ihm zur Seite stand Pachamama, eine mächtige Erdgöttin. Auch Jahwe, der höchste Gott des Judentums war nicht allein. Was für Pachacamac die Pachamama war, das war für Jahwe Aschera.

2: Pachacamac
Mehr als nur knapp bemessen sind die konkreten Angaben über das Allerheiligste des Jerusalemer Jahwetempels. Falsch ist die Vermutung, dass Salomos Tempel ausschließlich der Verehrung Jahwes diente. Der salomonische Tempel bestand 370 Jahre. Immerhin 236 Jahre davon, also fast zwei Drittel der Zeit, beherbergte er auch eine Ascherah-Statue. Wie war das möglich? Hatte doch Jahwe angeblich selbst nicht nur das Anbeten fremder Götter im Allgemeinen verboten, sondern ganz konkret gefordert:(1) „Du sollst dir keinen Holzpfahl als Ascherahbild errichten bei dem Altar Jahwes!“

Konkretem göttlichem Gebot zum Trotz stand ihre Statue im Allerheiligsten, im Salomonischen Tempel neben Jahwes Altar: Salomos Sohn, König Rehoboam, brachte die göttliche Statue in den Tempel. Sie wurde etwa 35 Jahre lang im Zentrum der Religiosität verehrt. König Asra ließ sie entfernen, König Joash wieder installieren. Nach 100 Jahren sorgte König Hezekiah dafür, dass Ascherah wieder aus dem Heiligtum verschwand. König Manasseh aber brachte sie wieder an ihren angestammten Platz. König Joshiah setzte eine religiöse Reform durch. Ascherah wurde aus dem Tempel verbannt, kehrte aber nach dem Tod des Königs wieder zurück.

Mal war Jahwes Aschera drin, mal war sie draußen, mal wurde sie verehrt, dann wieder war sie verachtet und durfte nicht angebetet werden.

Die Inkas machten Gott »Ychsma« zum Gott Pachacamac. Aber woher kam der Gott? Man kann spekulieren. Pachacamac war ein huaca. Huacas wurden im riesigen Gebiet von Pachacamac unweit vom heutigen Lima gern auf von Menschen geschaffenen künstlichen Bergen verehrt. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass huacas ursprünglich in den Hochanden verehrt und angebetet wurden. Der Glaube wanderte mit den Menschen aus dem Gebirge ins Flachland. Dort wurden künstliche Berge, sprich Pyramiden, errichtet, auf denen huacas angebetet wurden. Ein solcher künstlicher Berg lag beim heutigen Dorf Pachacamac.

Wer war zuerst da? Gott oder Göttin?

3: Pachacamac
War erst Ascherah die alleinige Gottheit der erst später Jahwe beigesellt wurde? Oder war es umgekehrt? Herrschte erst Jahwe und holte er sich Aschera an seine Seite? Pachamama war eine Erdgöttin? Nahm sie sich Pachacamac, ähnlich wie im Ritual der »Heiligen Hochzeit«? »Mein« Guide erklärte mir: »Pachamama war Mutter Erde. Ihr Zeichen war der Mond, sie war die Göttin der Fruchtbarkeit!“ Sie kam aus den Bergen, versicherte mir mein Guide, oder waren die Hochanden die Heimat des männlichen Pachacamac? Eine andere Lösung wurde mir in Lima von einem katholischen Geistlichen vorgeschlagen. Demnach glaubten die »sündigen Heiden« an eine Art Zwittergottheit, die männlich und weiblich zugleich war. In den Ruinen fand man ein »heiliges« Idol, doppelgesichtig, kunstvoll in einen langen Holzpfahl geschnitzt. War es weiblich und männlich zugleich?

4: Pachacamac
Franzisco Pizarro Gonzáles (um 1477; †1541), angeblich ein einfacher Schweinehirt, zerstörte das stolze Reich der Inka. Seine Raubzüge hatten einfache Ziele: Morden, Plündern und Rauben. Im Heiligtum von Pachacamac soll es enorme Goldschätze gegeben haben. Ein Teil davon fiel Pizarros Spießgesellen in die Hände. Die Kunstschätze wurden eingestampft und zu Barren gegossen.

Angeblich fiel den Plünderern ein geschnitzter Pachacamac-Pfahl (erinnert an die biblische Ascherah, die häufig als Pfahl bezeichnet wurde). Das den Inkas heilige Kultobjekt wurde vernichtet. Ein weiteres wurde bei Ausgrabungen gefunden und ist in einem kleinen Museum in Pachacamac zu sehen. Er erinnert am ehesten an einen Totempfahl mit seinem Schnitzwerk.

Der Überlieferung nach gelang es den Inkas, einen Großteil der Goldschätze Pachacamacs im Wüstenboden um Pachacamac zu vergraben. Unglaublich kunstvoll gestaltete Kostbarkeiten warten angeblich auch heute noch darauf, wieder entdeckt zu werden.

Was als gesichert gilt: Über einem »heiligen Raum« wurde einst eine Pyramide errichtet, auf deren höchster Stufe das mehrere Meter hohe hölzerne Idol von Pachacamac stand. Vor Ort erklärte mir ein Mitarbeiter des kleinen Museums, dass sich oben auf der Pyramide wohl ein Tempel befand. Im Zentrum dieses Tempels, so dieser Museumsmitarbeiter, stand das Pachacamac-Idol. Solche »Heiligtümer« gab es auf den pyramidenartigen Aufschüttungen der »Moundbuilder«, der »Hügelbauer«, auf den Tempeln Zentralamerikas (Beispiel: »Tempel der Inschriften«, Palenque, Mexico) und auf den berühmten Zikkurats (2) in Mesopotamien. Der babylonische Ausdruck Zikkurat lässt sich mit »Himmelshügel, hoch aufgetürmt und Götterberg« übersetzen. So ein Zikkurat war wohl das Vorbild für den »Turm zu Babel«. Betrachtet man die Rekonstruktionen des legendären Zikkurat von Ur, dann würden die gut ins Areal von Pachacamac passen. Auch in Indien gab es einst ganz ähnliche Gebäude mit langen Rampen und Aufbauten, die angeblich der Beobachtung von Sonne, Mond und Sternen dienten.


Fotos 5 und 6: Pachacamac (oben) und Zikkurat von Ur (unten).

Meiner Meinung nach wurden die Riesenscharrbilder von Nazca geschaffen, um den Himmlischen »da oben« ein Zeichen zu geben. Und weltweit wurden Türme und Pyramiden gebaut, um den »Himmlischen« näher zu kommen. Die »Tempel« auf Türmen und Pyramiden waren Begegnungsstätten für »Himmlische« und »Irdische« (3). Göttinnen und Götter wurden hoch oben in den Bergen verehrt. Wo es keine gab, da schuf man künstliche Berge. Auf diese künstlichen Berge setzte man Tempel, zu denen Rampen und Treppen führten. Im Inneren wurden Kammern angelegt, sei es um ehrwürdige Tote dem Rang entsprechend beizusetzen, sei es um »heiligen Büchern« Schutz zu gewähren. In Palenque gibt es nicht nur den durch Erich von Däniken weltberühmt gewordenen »Tempel der Inschriften«, Palenque bietet eine komplexe Ansammlung von »künstlichen Bergen«. Ein typisches Beispiel ist der wirklich sehr schöne »Tempel des Laubkreuzes«. Die steinerne Pyramide thront auf einem künstlich aufgeschütteten Berg, sozusagen als ein künstlicher Berg auf einem künstlichen Berg.

Foto 7: »Tempel des Kreuzes« (rechts vorn)

Mitten im Urwald schlummerten Jahrhunderte lang die Ruinen von Palenque. Wie die mysteriöse Ruinenstadt bei den Mayas ursprünglich hieß, das ist bis heute nicht mit Sicherheit bekannt. Gegründet wurde Palenque im 7. oder 8. Jahrhundert n. Chr.  Unklar ist auch, wann und warum Palenque von den Mayas scheinbar plötzlich aufgegeben wurde. Irgendwann zwischen 900 n. Chr. und 1400 n. Chr. wurde die Tempelstadt verlassen.

Die Mayas, Erbauer von Palenque, hatten ein zyklisches Weltbild. Eine Epoche folgte auf die andere. Am Anfang jeder Epoche steht eine (nicht die!) Schöpfung, an ihrem Ende eine (nicht die!) Zerstörung. Auf jede Zerstörung folgt aber immer wieder ein Neuanfang. Anders als Juden, Christen und Moslems glaubten die Mayas nicht an einen absoluten Endpunkt in der Apokalypse. Für sie kam es nach dem Untergang immer wieder zu einer neuen Auferstehung.

Foto 8: Gottheit Shiva tanzt.

Pachacamac, ein huaca,  wurde auf einem von seinen menschlichen Anhängern errichteten künstlichen Berg verehrt und angebetet. Wie Shiva im Hinduismus war Pachacamac ein Zerstörer und ein Erneuerer. Shiva steht für die Kraft der Zerstörung UND die Kraft des Wiederaufbaus. Man spricht von der »Doppelnatur Shivas«. Shiva ist keineswegs nur der Gott der Zerstörung. Er ist keineswegs nur der vernichtende Gott des Bösen. Er ist auch der Gott, der die neue Welt vorbereitet, den Neuanfang nach dem Ende. Das hölzerne Idol von Pachacamac könnte man auch als eine Darstellung Shivas ansehen, was die Dualität, die Zweigesichtigkeit angeht.

Pachacamac wird mit Leben und Tod in Verbindung gebracht, mit Erde und Unterwelt, mit dem Mond. Meiner Meinung nach ist der jüngere Pachacamac die männliche Form der kulturhistorisch sehr viel älteren Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit, deren Symbol der Mond ist. Womit wir wieder bei Maria angelangt wären, die so oft auf einer Mondsichel stehen dargestellt wird.

Foto 9: »Mondgöttin« Maria
Am Anfang war die Urgöttin, davon ist Lexikonautorin Barbara G. Walker überzeugt (4). Aus dieser »Übergöttin« entwickelten sich zahlreiche »Untergöttinnen«. Die Expertin: »Im Laufe der Jahrhunderte zerlegten die Schriftgelehrten die Gestalt der Großen Göttin in unzählige ›Göttinnen‹ und gaben diesen all die unterschiedlichen Namen und Titel, unter denen die Göttin in verschiedenen Zeiten bei den verschiedenen Völkern angerufen wurde.«
 
Die Heilige Frauen waren mächtig aus sich heraus. Sie waren auf keinen Partner angewiesen. Wenn sie einen Gefährten hatten, dann waren sie ihm in jeder Hinsicht überlegen. Das führte zu Konstruktionen, die heute,gelinde gesagt, kurios anmuten. Barbara G. Walker in ihrem Lexikon »Das Geheime Wissen der Frauen« (5): »Sie ist nicht nur dessen Mutter, die Urheberin seiner Existenz, sondern auch die Gottheit, die die ganze Schöpfung mit dem kraftvollen Blut des Lebens durchdringt. Die Götter konnten nur mächtig werden, weil sie an der Weisheit und Kraft der Göttin teilhatten.«

Ich fasse zusammen: Am Anfang, zu mythischen Zeiten gab es die allmächtige Göttin,  die Heilige Frau, die kraftvolle Weiblichkeit als dominante Vorherrschaft über das Universum verkörperte. In einer Welt, die vom Prinzip der weiblichen Göttlichkeit durchdrungen war, dürfte das alltägliche Leben ähnlich ausgesehen haben. Es war die Frau, die den Menschen das Leben schenkte. So wie in Ägypten die alljährlichen, regelmäßigen Nilüberschwemmungen dem Land Fruchtbarkeit schenkten, so kam alles Leben immer wieder aus der Frau. Auf Nilflut mit Fruchtbarkeit folgte wieder Trockenheit, die Wüste breitete sich aus. Auf jedes Leben folgte der Tod. Doch wie neuerliche Nilüberschwemmungen neuerliche Fruchtbarkeit brachten, so sah man auch das Leben als sich immer und immer wieder neu abspielenden Zyklus an: Auf die Geburt folgte das Leben, der Tod beendete einen Lebenszyklus, dem sich wiederum neues Leben anschloss.

Foto 10: Schätze unter'm Wüstenboden?

(1) Das 5. Buch Mose Kapitel 16, Vers 21
(2) Es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Schreibweisen: Zikkurrat, Ziggurat, Ziqqurrat und Schiggorat
(3) Ephraim George Squier: »Peru - Reise- und Forschungs-Erlebnisse in dem Lande der Incas«, Leipzig 1883
(4) Walker, Barabara: » Das Geheime Wissen der Frauen«, Frankfurt 1993, S. 323

(5) Ebenda, S. 323

Zu den Fotos
Foto 1: Die Götter wurden zuerst auf hohen Bergen verehrt. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 2-4: Das Pachacamac-Idol aus Holz. Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6. Foto 6 oben Pachacamac, Foto 6 unten Zikkurat von Ur, wikimedia commons GDK
Foto 7: »Tempel des Kreuzes« (rechts vorn). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Gottheit Shiva tanzt. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Maria als »Mondgöttin« in der Marienkirche zu Lügde. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Schätze uter'm Wüstenboden? Foto Walter-Jörg Langbein

445 »Das Mekka Südamerikas«,
Teil 445 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 29.07.2018



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