Teil 173 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
von Walter-Jörg Langbein
Markttag in Konarak Foto: W-J.Langbein |
Markt in Konarak. Dicht gedrängt steht Bude an Bude. Ärmlich gekleidete Frauen sind viele Kilometer gelaufen, um einzukaufen. Besonders begehrt sind Töpfe und Pfannen. Besser Betuchte bezahlen bar. Andere versuchen, am Markt Obst und Gemüse zu verkaufen, das sie bei glühender Hitze wer weiß wie weit in Kiepen oder Rucksäcken geschleppt haben. Manche Händler lassen sich auf Tauschgeschäfte ein. Oder sie akzeptieren Geld und Naturalien als Bezahlung für ihre Produkte.
Bunte Plastikplanen sollen vor der vom Himmel brennenden Sonne schützen ... und vor eventuell einsetzendem Gewitterregen. Die Schwüle macht das Atmen schwer ... und in der Ferne rumpelt ein Gewitter. Einige Frau eilen zum Sonnentempel, um zur Göttin zu beten. Großmütter erflehen männlichen Nachwuchs für schwangere Enkeltöchter. Männer erbitten Regen für ihre kargen Felder, sonst droht der Familie Hunger. Und viele nehmen den steinalten Tempel im Hintergrund gar nicht wahr, so sehr sind sie in ihre Geschäfte vertieft, so heftig feilschen sie ... Verkäufer mit Kunden und umgekehrt.
Es sind Anhänger des Hindu-Glaubens, die in stiller Andacht im Schatten des Tempels gedankenverloren meditieren ... oder auch nur kurz ausruhen, um sich gleich wieder ins Getümmel des Marktes zu stürzen. Christliche Heilige, Jesus, Maria, Maria Magdalena, Petrus ... sie finden sich auf vielen Hausaltären von Hindus, die sich über Diskussionen zwischen Katholiken und Protestanten über den »wahren Glauben« nur wundern können. Es gibt doch nur eine Welt, nur das Heilige, das so viele Namen und Gesichter hat. »Das Überirdische ... niemand vermag es zu verstehen«, erklärt mir eine junge Marktfrau in hervorragendem Englisch. »Wie kann man sich da streiten, ob Jesus oder Krishna wichtiger ist?«
Der Sonnentempel von Konarak Foto: W-J.Langbein |
Ich verlasse das Marktgetümmel, gehe auf den Sonnentempel zu. Ein Stück des Wegs begleitet mich der zornige Bärtige. Er spuckt in Richtung des Tempels aus und bleibt stehen. Seine Verachtung für den fremden Glauben spricht nicht für eine tolerante Haltung ... Vor einem Jahrtausend gab es in Indien unzählige Tempel unterschiedlichster Größe. In Khajuraho zum Beispiel sollen bis zu einhundert sakrale Bauten Gläubige angelockt haben. Heute sind nur noch fünfundzwanzig erhalten.
Vor tausend und mehr Jahren muss es in Indien eine hochstehende sakrale Baukunst gegeben haben. Hunderte von Tempeln wurden errichtet. Hunderte von Jahren wurde an einzelnen Bauten gearbeitet. Tausende und Abertausende von Statuen wurden mit großer Sorgfalt aus dem Stein gemeißelt. Die Künstler vermochten naturgetreue Wirklichkeit darstellen. Da sehen wir eine Büffelkuh, die zärtlich ihr kleines Kälbchen leckt. Für fundamentalistische Moslems ist die Tempelkunst Indiens ein Gräuel ... böses Teufelszeug, das zerstört werden muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob Gottheiten oder Menschen im Alltag dargestellt werden.
Fotorealismus in Stein Foto: W-J.Langbein |
Für die »Alten Inder« waren Nagas Wesenheiten mit magischen Fähigkeiten, für die christlichen Entdecker dieser Kunstwerke waren es Schlangenwesen, die wie der biblische Teufel in die Hölle gehörten. Doch die biblische Schlange war eben nur für die Christen ein Monsterwesen. In fast allen anderen, älteren Kulturen indes waren sie höchst angesehen ... so auch im »Alten Indien«. So verehren Hindus »Shesha« als heilige Schlange, die die Erde trägt. Zu Deutsch lautet ihr Name »der Bleibende«. Für die Ewigkeit steht die heilige Schlange »Ananta«, die dem »Menschensohn« ein sicheres Lager für den kosmischen Schlaf bietet.
Kurios: In der Bibel (1. Buch Mose Kapitel 3, Vers 15) prophezeit Gott, dass der Menschensohn der Schlange den Kopf zertreten wird. In der weit älteren sakralen Literatur Indiens beschützt die Schlange den Menschensohn ...
Der König der Nagas, so wird es in der buddhistischen Mythologie überliefert, bot Buddha Schutz vor allen Gefahren und Unbilden, als er über einen Zeitraum von Wochen meditierte und schutzlos Sonnenglut und Regensturm ausgesetzt war.
Naga von Konarak Foto: W-J.Langbein |
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es neben den steinernen Nagas auch unzählige aus Holz geschnitzte. Christliche Missionare wetterten gegen den vermeintlichen »Aberglauben«. Als ihre Hasspredigten keinen Erfolg einbrachten, versuchten die Missionare so viele hölzerne Nagas wie nur möglich an sich zu bringen und öffentlich zu verbrennen. Wie viele Nagas wohl noch rechtzeitig versteckt werden konnten?
Nagas begegneten mir auf meiner Indienreise immer wieder: Monsterwesen aus der biblischen Mythologie, die aber in Indien verehrt und nicht verteufelt werden. Mir scheint, dass die biblische Teufels-Schlange nichts anderes darstellt als den Versuch, sehr viel ältere Glaubenswelten zu bekämpfen. Was Jahrtausende lang als positive Lichtgestalt angebetet worden war, das sollte nun als teuflische Ausgeburt der Hölle bekämpft werden. In Indien allerdings hat die glückbringende Schlange – allen Missionierungsveruschen zum Trotz – überlebt! So wie die Monsterwesen in Konarak.
Monstervarianten von Konarak - Fotos: W-J.Langbein |
»Monstern auf der Spur«,
Teil 174 der Serie »Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
erscheint am 19.05.2013
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