Sonntag, 1. Juni 2014

228 »Die Göttin, die aus dem Brunnen kam«

»Das Paradiestor und seine Sphingen Teil 3«,
Teil 228 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein  


Muttergottes mit Jesuskind
Foto Walter-Jörg Langbein


Der Dom zu Paderborn birgt viele Geheimnisse. So heißt es, dass er auf einem uralten heidnischen Wassertempel gebaut wurde. Die frommen Erbauer des Doms haben, womöglich im Auftrag Karls des Großen (auch Sachsenschlächter genannt) ein uraltes vorchristliches Heiligtum zerstört. Darauf – auf den uralten Ruinen – wurde dann der Dom gebaut, der eigentliche Ursprung des sakralen christlichen Bauwerks sollte in Vergessenheit geraten.

Im Zentrum des vorchristlichen Doms stand wohl eine Göttin. Den Namen der uralten Wassergottheit kennen wir nicht mehr. Hinlänglich bekannt ist aber, dass weltweit Quellheiligtümer Muttergöttinnen geweiht waren. Der Überlieferung nach wurde aus der heidnischen Fruchtbarkeitsgöttin die Gottesmutter Maria. In einer Darstellung von Maria mit Jesus-Kind im Dom zu Paderborn schimmert das Bild der Göttin aus heidnischen Zeiten durch. Zur Göttin gehörte einst die heilige Schlange. Im christlichen Bild beißt sie der  Muttergottes in den Fuß. (Siehe Foto! Im Kreis: Das beißende Haupt der Schlange!)

Es riecht muffig. Es ist dunkel. Kleine Falter werfen gespenstische Schatten an klamme Steinwände. Mir fällt eine Zeile ein, die ich bei Edgar Allan Poe gelesen habe (1): »Ich schritt eine lange gewundene Treppe hinab und bat ihn, mir vorsichtig zu folgen.« Nicht Fackeln wie bei Poe spenden spärliches Licht, sondern einzelne matte, altersschwache Glühbirnen.

»Kommen Sie nur!«, fordert mich der alte Herr auf. »Halten Sie sich am Handlauf fest!« Kalt fühlt sich das metallene Geländer der steilen Wendeltreppe an. Die metallenen Stufen ächzen bei jedem Schritt, hallen im schachtähnlichen Raum seltsam wieder.

Wir halten einen Moment inne. »Im Moment befinden wir uns auf gleichem Niveau wie der Boden der Krypta unter dem Dom…« Der Herr fordert mich auf, an die Mauer zu fassen. Sie fühlt sich kühl und feucht an. »Hier gibt es überall unterirdische Quellen!«, erfahre ich. »Da drückt das Wasser durch…«

Blick in die Krypta von Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein

Wir steigen weiter in die Tiefe. Der muffige Geruch wird stärker, dumpfer. Ich muss husten. Weiter geht es in die »Unterwelt« von Paderborn…. »Solche Brunnen gab es früher in fast jedem anständigen Haus…«, lacht mein Führer. Er in unserer Zeit sprudelt das Trinkwasser aus dem Wasserhahn.

»Meine Großeltern haben aus der Quelle Wasser geschöpft… haben es getrunken, zum Kochen verwendet. Es muss sehr sauber gewesen sein!« Er selbst möchte das Risiko nicht eingehen, auch nur einen Schluck aus der einstigen »Hausquelle« zu nehmen. »Wer weiß, was da an Keimen drin herum schwimmt! Was da alles reinsickert, Düngemittel, zum Beispiel, Gülle… Einfach ekelhaft!« Er bückt sich und öffnet eine quadratische Klappe am Boden, etwa einen Meter mal einen Meter. »Ich muss das mal ölen…«, erklärt er mir. Kreischend protestiert das eiserne Scharnier, die Klappe wird an die steinerne Wand gelehnt. Eine wenig vertrauenserweckende Leiter führt weiter in die Tiefe. Ich höre leises Wasserrauschen.

Ein Drache im Dom zu Paderbnorn, altes Symbol der Göttin.
Foto W-J.Langbein


»Es gab einst Hunderte von Quellen unter der Stadt… auch unter’m Dom!«, erfahre ich. »Dann stimmt die alte Sage?«, will ich wissen. »Vom Brunnen unter’m Dom?« Der alte Herr lacht. »Natürlich! Der alte Seiler hat sie aufgezeichnet!«

Josef Seiler (1823-1877) war fasziniert von alten Erzählungen und Sagen. 1848 erschien sein Werk »Volkssagen und Legenden des Landes Paderborn«. Seiler, der mit Größen wie Richard Wagner und Franz Liszt bekannt war, hielt auch die mysteriöse Geschichte »Der Brunnen im Dom« fest. Sie mutet märchenhaft an. Demnach ruhen im Brunnen unter dem Dom zu Paderborn unermessliche Schätze, Gold und Edelsteine, doch durch einen magischen Bann geschützt. Ein alter Bischof soll vor langer Zeit einen Magier aufgesucht haben. Der Zauberer und der Bischof schlossen sich im Dom ein.

»Staubpulver«, ein »magischer Spiegel« und »Zauberringe« kamen zum Einsatz. Monströse, riesenhafte Gestalten wurden im Spiegel sichtbar, das Wasser im Brunnen schäumte. Plötzlich wich es in die Tiefe zurück. Stufen wurden sichtbar. Der Magier stieg die Treppe hinab. Weit unten in der Tiefe öffnete er eine Tür, in der er verschwand. Als er wieder erschien, füllte sich der Brunnenschacht wieder mit Wasser. Der Magier aber kam nicht mit leeren Händen zurück. Er trug er ein uraltes, schweres, steinernes Bildnis. Die Statue, so heißt es, strömte lieblichen Duft aus. Der Bischof hatte nur eine Erklärung: Das konnte nur die Mutter Gottes sein. Und so stellte der geistliche Würdenträger das »Muttergottesbild« voller Bewunderung ob des Wunders, das er erlebt hatte, »mit eigenen Händen … auf den Hochaltar«.

Ein Teufel im Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein

Der Sage nach wollte nun der Bischof selbst in den Brunnen hinab steigen, da halfen auch die Warnungen des Magiers nicht. Wieder setzte der Zauberer seine geheimnisvollen Kräfte ein, wieder murmelte er unverständliche Formeln, wieder toste das Wasser im Brunnen, wieder wich es zurück. Der alte Bischof, so heißt es, stieg die Treppe hinab, öffnete tief unten im Schacht die Tür. Kaum hatte er sie hinter sich geschlossen, füllte sich der Brunnen wieder mit schäumendem Wasser. Den Bischof hat man nie wieder gesehen. Verschwunden ist, der Sage nach, damals auch der Magier. Ob er das »Muttergottesbild« mit genommen hat?

Bei meinem Quellenstudium in Sachen Dom zu Paderborn stieß ich auf ein Werk (2) von Dr. Dr. Georg Buschan (1863-1942). Der promovierte Mediziner und Philosoph bereiste als Ethnologe Afrika, den Balkan und Ostasien. Der hoch angesehene Wissenschaftler gab das »Centralblatt für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte« heraus. Der Wissenschaftler hält fest, »dass in der Vorzeit Quellen mit der Verehrung von heiligen Quellen in Verbindung standen.« Er führt weiter aus: »Eine solche heilige Quelle hat in germanischer Vorzeit auf dem Grund und Boden bestanden, wo der heutige Dom von Paderborn erbaut wurde. Die geschichtliche Überlieferung berichtet, dass Karl der Große diesen an der gleichen Stelle habe erbauen lassen, an der ein heidnisches Heiligtum gestanden habe, und die Legende fügt hinzu, dass unter ihm 500 Quellen entsprungen seien.«

Merkwürdiges Männchen mir seltsamen »Kugeln«.
Foto W-J.Langbein

Die Sage vom Muttergottesbild aus dem Brunnen im Dom deutet auf ein vorchristliches, matriarchalisches Heiligtum hin. Karl der Große hat es wohl zerstört. Offenbar war er mächtig stolz darauf, den heidnischen Drachen besiegt zu haben. An Drachen erinnern auch die mysteriösen »Sphingen« zu Füßen der Heiligenfiguren am »Paradiestor« des Doms zu Paderborn. Könnte man doch das reich mit seltsamen Kunstwerken geschmückte Tor wie ein Buch lesen! Was würde es uns erzählen?

Wer »Drachen« sucht, wird im Dom zu Paderborn fündig. Kaum ein Besucher des Gotteshauses ahnt auch nur, dass der Drache die christliche Verballhornung uralter Göttinnen aus vorchristlichen Zeiten sind. Ein besonders schönes Exemplar findet sich als sakrale »Laubsägearbeit« in einer Tür im Bereich der Krypta… und dicht bei… macht der gehörnte Teufel selbst seine Aufwartung. Der kleine Drache wirkt geradezu anmutig, erinnert an ein munter über Wiesen springendes Reh oder Pferd. Und der Teufel macht einen harmlos-nachdenklichen Eindruck.

Seltsame Gestalten im Dom zu Paderborn...
am Paradiestor. Foto W-J.Langbein

Rätsel über Rätsel bietet der Dom zu Paderborn….. Da wäre zum Beispiel die Darstellung eines Männchens, das im Stein in seltsamer Pose verewigt wurde. Es scheint zu knien. Es hat jedenfalls ein Bein angewinkelt, das andere lang ausgestreckt. Ob das Männchen dem seltsamen Tier bewusst Platz bietet? Jedenfalls bietet es sein lang nach hinten gestrecktes Bein ausreichend Platz. Auf diesem Bein sitzt ein sehr großer Vogel mit mächtigem Schnabel. Das Männchen blickt nach vorn, greift mit einem Arm nach hinten und hält ein Bein des Vogels. Eine Erklärung für diese seltsame Darstellung gibt es nicht. Mir scheint, dass altes Wissen im und am Dom zu Paderborn verewigt wurde, das im Lauf der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist. Werden wir je wieder diese alten Kunstwerke wie ein Buch lesen können?

Das Männchen mit dem Vogel am Paradiestor.
Foto W-J.Langbein


Fußnoten


1) Poe, Edgar Allan: Das Fass Amontillado
2) Buschan, Georg: Altgermanische Überlieferungen in Kult und Brauchtum der Deutschen, München 1936


» Monster aus Stein - Das Paradiestor und seine Sphingen Teil 4«,
Teil 229 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 08.06.2014




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3 Kommentare:

  1. Donny Gschwind kommentiert: »Das finde ich immer wieder interessant. Es sind ganz bestimmte Motive denen ich mich schon seit einiger Zeit nachgehe. Der Zusammenhang zwischen Drachen und dem Element Wasser findet sich in einer Vielzahl von Legenden und Mythen. Aber auch der Aspekt einer weiblichen Gottheit oder einer Heiligen, die damit in direkter Verbindung stehen, findet sich immer wieder. Sei es die Heilige Margaretha, die oftmals auf dem Rücken eines Drachen dargestellt wird (gelegentlich explizit auch auf einem Wasserdrachen) oder in Ostasien mit der "Göttin" Guanyin, die ebenfall auf dem Rücken eines Wasserdrachens steht. In Japan firmiert sie unter dem Namen Kannon, wo ihr zu Ehren eine riesiege Statue errichtet wurde, die zur sechsthöchsten der Welt zählt. Auch sie steht auf dem Drachen und hält eine Wasserflasche in der Hand.«

    Vielen Dank für den wirklich interessanten, ergänzenden Kommentar! - Walter

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  2. Hallo Walter - immer wieder interessant bestaetigt zu sehen worauf unsere 'moderne' Kultur gebaut wurde ... nicht immer auf der Wahrheit, ich moechte fast sagen, das meiste ist erfunden, von 'nearsighted' Leuten wie Karl der Grosse. Wie viel haben wir dadurch verloren?

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  3. Die Figurentwicklungen an den Kathedralen der Welt waren auch ein großes Thema von Prof. Otto Karow in seinen Studien. Diese haben alle einen Bezug zu alten Legenden wie der Ekliptik und alten Göttervorstellungen und unerklärlichen Ereignissen, die weltweit ähnlich zu beobachten sind und so in die Gebäude einflossen, auch als Übernahme der nun christlichen Welten und ihrer Vorgänger und Dämonen....

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