»Das Paradiestor und seine Sphingen
Teil 4«,
Teil 229 der Serie
»Monstermauern, Mumien und
Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Kreaturen aus der Hölle? Foto Walter-Jörg Langbein |
Ich stehe am »Paradiestor«
des Doms zu Paderborn und fotografiere. Ein Geistlicher im Talar bleibt grüßend
stehen. »Warum interessieren Sie sich denn für dieses Eselchen?«, fragt er und
schreitet weiter. »Ein Eselchen ist das nicht…«, widerspreche ich höflich. »Es
hat Flügel! Und die Füße passen auch nicht…« Der Gottesmann kehrt um. »Sie
haben recht! Ein Esel ist das nicht! Das Tier hat Pfoten wie eine Großkatze…«
Kopfschüttelnd betrachtet der Geistliche den steinernen Fries. »Drei von diesen
merkwürdigen Tieren… nebeneinander. Zwei erinnern an Mischungen aus Esel,
Großkatze und Engel…« Er deutet auf das dritte Wesen. »Schade, dass diese
Kreatur so stark beschädigt ist! Es könnte ein gehörnter Stier sein, aber mit
Flügeln….«
Auf ein weiterführendes
Gespräch will der Kleriker sich nicht einlassen. »Das sind teuflische Kreaturen
der Hölle!«, zischt er förmlich, die Hände abwehrend in Richtung Fries
ausgestreckt. »Oben stehen die Heiligen, zu ihren Füßen kriechen die gottlosen
Tiere… in der Hölle!«
Im Land der Pyramiden, im
mysteriösen Reich am Nil, wurden vor mindestens fünf Jahrtausenden
geheimnisvolle Fabelwesen in Form von Plastiken dargestellt, zum Beispiel
Löwe-Mensch-Wesen. Mischwesen tummeln sich in nicht zu überschauender Anzahl
auch im Ägyptischen Museum von Kairo. Letztlich wurden da alle Arten von Tieren
miteinander kombiniert und mit teilweise menschlichen Merkmalen versehen. Diese
kuriosen Fabelwesen gehören zu den »main attractions«, zu den
»Hauptattraktionen« Ägyptens. Eines davon steht unweit von den großen
Pyramiden: die oder der Sphinx.
Wir wissen nicht wirklich,
wie alt die Sphinx im Schatten der Cheopspyramide ist. Unklar ist auch, wie sie
ursprünglich ausgesehen hat. Hatte das Mischwesen einst das Haupt eines Löwen?
Wurde das menschliche Haupt erst später modelliert? Es fällt auf, dass der Kopf
der Sphinx von den Proportionen her zu klein ist. Sah er ursprünglich ganz
anders aus, war er ursprünglich größer? Wurde er kleiner, weil er ummodelliert
wurde, sprich neue Konturen verpasst bekam?
Verwandt mit der Sphinx... die Lamien. Foto Archiv W-J.Langbein |
Bartholomaeus Anglicus ( ca. 1190 bis ca. 1250), franziskanischer Scholastiker und früher Enzyklopädist, verfasste das Sammelwerk »De Proprietatibus rerum«. Er kennt Lamien als »Tiere mit Menschengestalt und Pferdefüßen«.
Manche Lamien scheinen
Zwitter gewesen zu sein. In historischen Darstellungen haben sie gelegentlich
weibliche wie männliche Geschlechtsattribute.
Lamien haben durchaus etwas
Sphinxartiges. Denken wir an Sphinx, kommt uns die ägyptische Sphinx auf dem
Pyramidenplateau in den Sinn. Im griechischen Kulturbereich gab es interessante
Sphinx-Varianten:
·
Die Sphinx als
ein Löwe mit Flügeln und dem Kopf einer Frau,
· die Sphinx als
Frau mit ausgeprägten Brüsten und den Tatzen einer Löwin
· und die Sphinx
als Mischwesen mit einem Schlangenschwanz und Vogelflügeln.
Aus dem griechischen
Kulturraum stammt auch ein anderer Klassiker der monströsen Art, die Harpyie.
Schon Homer hat sie beschrieben, Hesoid kannte sie auch. Harpyien setzten
einst in den legendären Berichten über die Argonauten dem blinden König Phineus
zu. Sie rauben sein Essen oder machen es zumindest für den menschlichen Verzehr
ungenießbar. Die Harpyie war ein monsterhaftes Mischwesen, hatte den Leib eines
Vogels, meist eines Adlers, und das Haupt einer Frau.
Wen es ins »British Museum«
verschlägt bekommt mit einigem Glück einen Fries eines Denkmals aus Xanthos in
Lykien zu Gesicht. Es zeigt Harpyien, die der Kreatur vom Nürnberger
Stadtwappen recht ähnlich sind.
Eine Kreatur aus der Familie der Harpyien. Foto Archiv W-J.Langbein |
Heute neigen Wissenschaftler
dazu, derlei Kreaturen als reine Hirngespinste oder »symbolisch gemeinte
Darstellungen« abzutun. Die mit reichlich Phantasie ausgestatteten
Dichter sollen einfach unterschiedliche Tiere mit Menschen kombiniert haben, um
ganz außergewöhnliche Wesen zu erschaffen, die in sich ganz unterschiedliche Fähigkeiten
vereinten. Aber waren diese mysteriösen Wesen wirklich nur Produkte der
menschlichen Erfindungsgabe?
Warum hört man nicht auf die
antiken Historiker, die sich ganz konkret zu den monströsen Schöpfungen äußern?
Historiker Eusebius zum Beispiel lässt auch nicht den geringsten Zweifel
aufkommen: Monströse Mischwesen, Geschöpfe der Götter, hat es ganz real und in
Fleisch und Blut gegeben:
»Menschen mit Schenkeln von
Ziegen und Hörnern am Kopfe, noch andere, pferdefüßige, und andere von
Pferdegestalt an der Hinterseite und Menschengestalt an der Vorderseite.
Erzeugt hätten sie (die Götter, Ergänzung des Autors) auch Stiere,
menschenköpfige, und Hunde, vierleibige, deren Schweife nach Art der
Fischschwänze rückseits an den Hinterteilen hervorliefen, auch Pferde mit
Hundeköpfen...sowie andere Ungeheuer, pferdeköpfige und menschenleibige und
nach Art der Fische beschwänzte, dazu weiter auch allerlei drachenförmige
Unwesen und Fische und Reptilien und Schlangen und eine Menge von Wunderwesen,
mannigfaltig gearteten und untereinander verschieden geformten.«
»Die Chronik« des Eusebius
sei jedem Zeitgenossen wärmstens empfohlen, der sich für die Epochen unserer
Historie interessiert, die auch heute noch von der Schulwissenschaft tabuisiert
werden. Die Entwicklung der heutigen Menschheit hat linear zu erfolgen. Von der
Amöbe bis zum Jetztmenschen ging es angeblich immer nur aufwärts. Sehr frühe
Hochkulturen, die in Kataklysmen vor Ewigkeiten ausgelöscht wurden, haben in
der offiziellen Geschichtsschreibung keinen Platz.
Die mysteriöse Harpyie fand
auf geheimnisvolle Weise und aus unerfindlichen Gründen ihren Weg ins große
Stadtwappen der Stadt Nürnberg. Monsterhafte Wesen fanden ihren Weg aber auch
nach Paderborn, wo sie am »Paradiestor« mit bestechender Detailfreude in den
Stein graviert wurden: als eine endlose Kette von Vogel Greifen, die gen Himmel
steigen und wieder vom Himmel herab kommen, als merkwürdige Mischwesen mit
Leibern von nicht immer definierbaren Vierbeinern mit Gesichtern oder Köpfen
von Menschen. »Stiere, menschenköpfige« wurden laut Eusebius von den Göttern
erzeugt. Solche Kreaturen haben unbekannte Künstler vor vielen Jahrhunderten am
Paradiestor zu Paderborn im Stein verewigt. Woher hatten sie ihr Wissen?
Entsprang es der Phantasie?
Ein Monsterwesen von Paderborn... Rechtes Foto: Vergrößerung der »Kopfpartie«, Fotos W-J.Langbein |
Wie kommt es, dass Kreaturen
ganz ähnlicher »Machart« am Fries des Doms zu Paderborn verewigt wurden? Die
mysteriösen Darstellungen in Stein sollten endlich einmalgründlich untersucht
werden. Es lohnt sich, einmal zu recherchieren, wo es ähnliche Darstellungen
gibt. Am Münster zu Freiburg gibt es ebenso Mischwesen in Stein. Da kämpfen
Kentauren – Mensch/Pferd-Mischwesen gegen Menschen. Da begegnen wir einem
weiteren Mischwesen, dem Vogel Greif. Alexander der Große tritt eine
Himmelsreise an, in die Lüfte emporgehoben von zwei Greifen!
Überall begegnen sie uns,
die Mischwesen, die laut Eusebius ein Werk der Götter waren. Hat es sie
wirklich gegeben, wie der antike Historiker postuliert? Gehen alte Mythen, die
sich um diese monströsen Wesen ranken, auf wahre Begebenheiten zurück? Diese
Frage ist berechtigt in einer Zeit, in der sich Wissenschaftler anschicken, auf
gentechnischem Wege Mischwesen zu erschaffen. Noch sind derartige Experimente
stark durch Gesetze reglementiert oder gar verboten. Ich bin aber davon überzeugt,
dass in geheimen Forschungslabors die Entwicklung sehr viel weiter
fortgeschritten ist als wir erfahren.
Wenn Eusebius von den
Monsterwesen als Kreationen der »Götter« spricht, dürfen wir dann eine kühn
anmutende Spekulation wagen? Experimentierten die »Götter« in Sachen
Gentechnologie? Kreierten sie Wesen, wie sie zum Beispiel im Münster von
Freiburg und im Dom zu Paderborn in Stein verewigt wurden? (Zum Vergleich: Das
Foto zeigt oben und unten Mischwesen von Paderborn, in der Mitte von Freiburg!)
Von oben nach unten: Paderborn, Freiburg, Paderborn. Fotos W-J.Langbein |
Empfehlenswerte Quellen
Die Welt der Monsterwesen aus alten Zeiten wird bis
heute sträflich vernachlässigt.
Wer Quellenstudium betreiben möchte, sei auf folgende Werke verwiesen. Es handelt sich dabei allerdings nur um eine bescheidene kleine Auswahl! Interessant ist, dass in uralten Enzyklopädien über das Leben monströse Fabelwesen als reale Kreaturen beschrieben werden, als Bestandteil der Gesamt-Zoologie von Planet Erde.
Albertus
Magnus: De Historia Animalium, Lyon 1562
Bartholomäus,
Anglicus: De Proprietatibus Rerum, London 1935
Claudius
Aelanius: De Historia Animalium, Lyon 1562
Karst, Josef: Eusebius’ Werke, Band V, Die Chronik,
Leipzig 1911
Kircher, Athanaius: Mundus Subterraneus, ohne
Ortsangabe, 1665
Münster, Sebastian: Cosmographey, Basel 1598
Mischwesen auf einem alten Mosaik. Privatbesitz. Foto: W-J.Langbein |
»Adam und Eva von der Osterinsel«,
»Das
Paradiestor und seine Sphingen Teil 5«,
Teil 230 der
Serie
»Monstermauern,
Mumien und
Mysterien«
von
Walter-Jörg
Langbein,
erscheint am
15.06.2014
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