»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Blick auf die Marktkirche |
Es war ein düsterer Novembermorgen, als ich zusammen mit meinem Kollegen Peter Hoeft die »Marktkirche St. Georgii et Jacobi« in Hannover besuchte. Direkt vor dem altehrwürdigen Gotteshaus herrschte emsiges Treiben. Der Weihnachtsmarkt wurde vorbereitet. Ein großer Kran hob Verkaufsbuden durch die Luft und platzierte sie nur wenige Meter von der ältesten Kirche Hannovers. Anno 1238 wird sie erstmals urkundlich erwähnt. Archäologische Ausgrabungen in den Jahren 1952 und 1989 förderten aber Reste eines Vorgängerbaus zutage, der schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bestand. Kunstvoll bearbeitete Steine, darunter ein prachtvolles Säulenkapitell mit Akanthus-Blättern aus dem 12. Jahrhundert, wurden entdeckt.
Schon vor mehr als zwei Jahrtausenden tauchten Akanthus-Blätter als sakrales Motiv in Verbindung mit Buddha-Statuen auf. Im Mittelmehrraum kannte man Akanthus als Symbol für Leben und Unsterblichkeit. »Unsterblichkeit« hatte freilich in vorchristlichen Zeiten häufig eine andere Bedeutung. Im zyklischen Denken gab es die ewige Wiederkehr des Lebens, Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt. Das Leben wurde als ewig angesehen, weil es immer wieder kam, blieb und ging. In heidnischen Kulten gab es Riten, die diese dem Christentum fremde Vorstellung darstellten.
So erfährt Inanna von Schöpfergott Enki, dass sie die Geheimnisse von Tod und Leben nur ergründet kann, wenn sie selbst Leben, Tod und Wiedergeburt erfährt. Inanna musste heiraten und die Unterwelt hinab steigen. Unzählige Varianten der »Heiligen Hochzeit« gibt es schon seit Jahrtausenden. Sie sind oftmals sehr komplex, basieren aber in der Regel auf dem gleichen Ritual. Himmelskönigin und weltlicher König heiraten, der Gemahl der Göttin stirbt und wird von der Göttin aus der Welt des Todes wieder ins Reich der Lebenden zurückgeholt.
Unvoreingenommen betrachtet spielt sich im zyklischen Kirchenjahr Ähnliches ab: Geburt Jesu, Leben, Sterben und Wiedergeburt. Man kann noch einen Schritt weitergehen und die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu so sehen: Geburt, Leben, heilige Hochzeit mit Maria Magdalena, Tod Jesu, Maria Magdalena besucht das Grab Jesu (»Unterwelt«), Jesus kehrt aus der Unterwelt in die irdische Welt des Lebens zurück.
Der Drachentöter |
Diese Interpretation mag strenggläubigen Christen unserer Tage als ketzerisch erscheinen. Wie weitestgehend alle Theologen lehnen sie derlei Überlegungen zum Thema »Ewiges Leben« ab. Leider wissen die meisten Zeitgenossen im christlichen Abendland ein Privileg nicht hinreichend zu würdigen. Wir leben in einer säkularisierten Welt, in der Religionsfreiheit herrscht. Bei uns gibt es keine fanatischen Fundamentalisten, die alle Andersdenkenden vor »Gericht« zerren können, wo die Todesstrafe droht. Religion ist bei uns Privatangelegenheit und wird nicht von staatlicher Seite überwacht, schon gar nicht bestraft. Unbestreitbar sind unsere christlichen Wurzeln, auch kulturell. Allerdings scheint auf christlicher Seite das Wissen über die nach wie vor größte Weltreligion rapide zu schwinden. Es besteht fraglos die Gefahr, dass immer mehr Zeitgenossen zunehmend die Orientierung verlieren.
Imposant ragt der auf uralten Fundamenten stehende rote Backsteinbau der »Marktkirche St. Georgii et Jacobi« von Hannover in den Himmel. Über dem Westportal besiegt zur Linken ein reichlich martialischer Heiliger Georg den Drachen. Zur Rechten pilgert Jacobus der Ältere. Die Statuen beider Namenspatrone der Marktkirche wurden 1992 vom Braunschweiger Bildhauer Jürgen Weber geschaffen. Der »alte« Jacobus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Dem »alten« Drachentöter hatte der Zahn der Zeit so stark zugesetzt, so dass man ihn »aufs Altenteil« in den nördlichen Chor versetzte. Man wollte ihn nicht länger der giftigen Umwelt aussetzen, die selbst Stein zersetzt.
Betritt man die Marktkirche, so fällt der Blick auf den Altar, der wohl schon 1470 bis 1485 fertiggestellt werden konnte. Wer ihn geschaffen hat, wir wissen es nicht. Es sind keinerlei Dokumente aus seiner Erstehungszeit erhalten geblieben. Mindestens drei Künstler schnitzten biblische Bilder in Lindenholz. Im Zentrum steht die Kreuzigung Jesu zwischen den beiden »Räubern«. Zwanzig kleinere Kunstwerke erzählen Jesu »Geschichte« vom Einzug in Jerusalem bis zu Jesus als Richter über die Lebenden und die Toten am Ende der Zeit. Angeordnet sind die fast gleichgroßen Einzelbilder in zwei Reihen zu je zehn Feldern übereinander.
Jesus reitet in die Stadt |
Die Unsinnigkeit dieser Behauptung ist augenscheinlich. Niemand kann auf zwei Eseln gleichzeitig sitzen, geschweige denn reiten. Als ich in Erlangen evangelische Theologie studierte, fragte ich »meinen« Professor nach diesem Widerspruch. Der verwies mich auf den Kirchenlehrer Thomas von Aquin (etwa 1225 bis 1274). »Lesen Sie mehr Thomas von Aquin als diesen Däniken! Thomas von Aquin war zwar Dominikaner und leider kein Lutheraner, hat aber vieles richtig gesehen! Das Ganze ist symbolisch zu verstehen! Die Eselin steht für die Synagoge, das Eselfohlen für das freie Heidenvolk. Jesus wird sinnbildlich sowohl vom alten Judentum als auch vom noch nicht bekehrten Heidentum getragen!« Sehr überzeugend ist die Erklärung von Thomas von Aquin nicht!
Die Evangelien schildern den Einzug Jesu wie den Empfang eines heutigen »Superstars«. Aus Platzmangel müssen sich die Künstler mit zwei Männern am Tor Jerusalems begnügen, die das jubelnde Volk darstellen. Einer der beiden breitet seinen Umhang am Boden aus. Drei weitere Männer werden als Jesu Jünger Petrus, Jakob und Johannes identifizieren. Jacobus der Ältere (links im Eck stehend) trägt bereits die Mütze, die erst viele Jahrhunderte zur Standardausrüstung jedes männlichen Pilgers gehören sollte. Die berühmte »Jakobs-Muschel« indes fehlt.
Vertreibung der Geldwechsler |
Auf den »Einzug in Jerusalem« folgt als nächste, kunstvoll geschnitzte Szene, die »Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel durch Jesus«. Wir sehen den wütenden Jesus. Mit einer Art Geißel bedroht er drei Geldwechsler, die ihr Geld zusammengerafft haben und vor dem zornigen Jesus fliehen. Auf eindrucksvolle Weise illustriert der Altar von Hannover, was im Evangelium nach Johannes steht (5): »Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um.«
Die Darstellung von Hannover… welchem Evangelium folgt sie eigentlich? Es gibt nämlich eklatante Widersprüche in den vier Evangelien, auch was die Chronologie der Ereignisse angeht. Wann kam es zur »Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel in Jerusalem«? Professor Helmut Merkel antwortet kurz und bündig (6): »Bei den Synoptikern (Markus, Matthäus und Lukas) steht sie am Anfang der letzten Lebenswoche Jesu, während Johannes sie an den Anfang der Wirksamkeit Jesu stellt.«
Es war ein düsterer Novembermorgen, als ich zusammen mit meinem Kollegen Peter Hoeft die »Marktkirche St. Georgii et Jacobi« in Hannover besuchte. Im Gotteshaus herrschte emsiges Treiben. Es wurde musiziert und gesungen. Vor dem Gotteshaus wurden Buden für den Weihnachtsmarkt aufgebaut. Die Händler würden bald vor der Kirche agieren und Geschäfte machen, nicht mehr im »Haus des Vaters« selbst. Die Geldwechsler gehörten auch noch zu Jesu Zeiten zum Tempelkult. Im Tempel selbst galt eine besondere Währung, die tyrische Doppeldrachme. Nur in dieser Währung konnte die Tempelsteuer bezahlt werden. Besucher des Tempels mussten also ihr Geld in Tempelwährung umtauschen. Wahrscheinlich benötigte man das »Tempelgeld« auch, um im Tempel Opfertiere zu kaufen. Die »Geldwechsler« waren fester Bestandteil des Tempelkults.
Kann man den Altar wie ein Buch lesen? |
(1) Evangelium nach Johannes Kapitel 12, Verse 12 bis 19
(2) Evangelium nach Matthäus (Kapitel 21, Verse 1-11)
(3) Evangelium nach Matthäus Kapitel 21, Verse 6 und 7
(4) Der Prophet Sacharja Kapitel 9, Vers 9, vom Verfasser aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen
(5) Evangelium nach Johannes, Kapitel, Vers 15
(6) Merkel, Helmut: »Bibelkunde des Neuen Testaments«, Gütersloh 1978, Seite 100
Zu den Fotos:
Kann man den Altar wie ein Buch lesen?: gemeinfrei Bernd Schwabe
Alle übrigen Fotos: Walter-Jörg Langbein
284 »Judas war kein Verräter«,
Teil 284 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 28.06.2015
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