Sonntag, 6. Mai 2018

433 „War Maria Magdalena 'der' Lieblingsjünger Jesu?“

Teil  433 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                        
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Das Abendmahl von Eugène Burnand.
Das Gemälde zeigt Jesus im Kreis seiner Jünger. Jesus hat den Blick gen Himmel gerichtet, er scheint zu beten. Elf Jünger sehen wir. Sie stehen, wie Jesus, hinter einem leeren Tisch. Sechs Jünger machen wir zur Rechten Jesu aus, fünf zu seiner Linken. Entstanden ist das Gemälde um 1900. Es stammt von Eugène Burnand, einem Schweizer Maler (1). Ein Jünger fehlt also. Wenn wir im Evangelium, das nach Johannes benannt wurde, nachlesen, dann können wir die dargestellte Szene zeitlich recht genau einordnen.

Jesus erschreckt seine Jünger, also seine engsten Vertrauten, mit einer Botschaft, die elf von ihnen erschüttert haben muss (2): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ Den Jüngern „wurde bange“, sie „sahen sich untereinander an“ (3). Wen Jesus wohl meinte? Der namentlich nicht genannte „Lieblingsjünger“ wird von Petrus beauftragt zu fragen, wer denn der Verräter sei (4): „Da lehnte der sich (5) an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's?“

Foto 2
Jesus freilich nennt keinen Namen (6): „Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.“ Somit ist klar: Judas ist der Verräter. Jesus treibt Judas zur Eile an (7): „Was du tust, das tue bald!“ Und Judas verlässt die kleine Gesellschaft (8): „Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ Das Gemälde zeigt also Jesus und nur elf Jünger. Judas ist gerade gegangen. 

Noch ist ein Ersatzjünger nicht gewählt. Der Jünger, den Jesus besonders lieb hatte, wird nicht namentlich genannt. Er soll besonders jung gewesen sein. Im Gemälde sehen wir zwei besonders jung wirkende, sprich bartlose Jünger. Der eine steht, vom Betrachter aus, ganz rechts außen im Bild (Foto 2), den anderen sehen wir als zweiten von links außen im Bild (Foto 3). An seinem Kinn: so etwas wie ein Fleck. Ist es eine Beschädigung des Bildes? Oder wollte der Maler dem jugendlichen Jünger noch einen Bart verpassen?

Foto 3
Betrachten wir das Bild genauer, dann fällt uns eine dritte bartlose Person auf. Sie steht im Bild rechts von Jesus, unmittelbar neben Jesus, etwas nach hinten versetzt. Diese Person bedeckt ihr Gesicht mit einer Hand (Fotos 4 und 5). Wenn wir unvoreingenommen sind, müssen wir zugeben: Da steht eine Frau, die weinend ihr Gesicht mit einer Hand bedeckt. Meine Vermutung: Es ist Maria Magdalena. Das wirft ein Problem auf: Wenn wir die Person neben Jesus als Maria Magdalena identifizieren, dann fehlt auf dem Bild nicht ein männlicher Jünger, nämlich Judas. Dann sind nur neun männliche Jünger zu sehen und eine Frau.

Eine „ketzerische“ Lösung des Problems: Maria Magdalena war Jüngerin und gehörte zu den zwölf engsten Vertrauten Jesu. Der vermeintliche Lieblingsjünger war nicht Johannes, sondern eine Frau, nämlich Maria Magdalena!

Im Dezember des Jahres 1945 waren einige ägyptische Bauern etwa elf Kilometer nordöstlich von Nag Hammadi am Fuß des „Jabal al Tarif“-Felshangs unterwegs. Sie suchten Dünger für ihre Felder. Zufällig stießen sie auf einen geheimnisvollen Fund: unter einem Felsbrocken kam ein etwa ein Meter hoher Krug aus rötlichem Ton zum Vorschein. Was mochte er enthalten? Vielleicht einen kostbaren Schatz? Oder einen bösen Geist? Die Hoffnung auf Gold war größer als die Angst vor möglichen Gefahren, also zerschlug man den Krug. Die Enttäuschung war mehr als groß, als nur dreizehn in Leder gebundene Kodizes zum Vorschein kamen. Glücklichen Zufällen ist es zu verdanken, dass zwölf der antiken Kodizes erhalten blieben. Leider wurde „Kodex XII“ zum Großteil als Schürmaterial verwendet.

Foto 4: Weinende Frau... rechts von Jesus.

Zunächst wurden die kostbaren Dokumente unter mehreren Bauern verteilt. Weil man sie aber für wertlos hielt, bekam sie Muhammed Ali. Der vertraute sie Abd al Masih, einem koptischen Priester, an. Dessen Schwager Raghib Andrawus zeigte sie in Kairo dem Arzt George Sobhi, der sich sofort an das „Amt für Altertümer“ wandte. Eine „Aufwandentschädigung“ in Höhe von 300 Pfund wurde gezahlt, die alten Texte wurden zu Besitz des ägyptischen Staates. Im „Koptischen Museum“ von Kairo fanden sie am 4. Oktober 1946 ein sicheres „Zuhause“.
   
Foto 5
Mancher Theologe hat sich inzwischen wohl gewünscht, die Kodizes wären gar nicht gefunden worden. Denn als die Texte aus dem Koptischen übersetzt wurden, stieß man auf einige unliebsame Informationen aus dem Leben Jesu.

Im „Philippus-Evangelium“ heißt es, zitiert nach seriöser Quelle (9): „Die Sophia ... ist die Mutter der Engel und die Gefährtin des Soter (Heilands/ Erlösers). Der Soter liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger und er küsste sie oftmals auf ihren Mund. Die übrigen Jünger gingen zu ihnen, um Forderungen zu stellen. Sie sagten zu ihm: ‚Weswegen liebst du sie mehr als uns alle?‘“
   
Weltbekannt wurden diese Zeilen durch Dan Brown, der sie in seinem Weltbestseller „Sakrileg“ zitierte. Da es an der Echtheit des Textes keinen Zweifel geben konnte, spielte man seine Bedeutung herunter. Derlei Aussagen seien für eine seriöse Jesusforschung belanglos, weil sie erst Jahrhunderte nach den Ereignissen im „Heiligen Land“ formuliert worden seien. Typisch für die Ablehnung der unbequemen Textstelle durch Brown-Kritiker ist das bayerische „Sonntagsblatt“ (10). Demnach stammt das „Philippus-Evangelium“ angeblich „aus dem vierten Jahrhundert“.  Als zeitnahes Dokument könnte man es dann wirklich nicht mehr bezeichnen. Wer es auch verfasst haben mag, ein Zeitzeuge kann es im vierten Jahrhundert nicht gewesen sein. In Wirklichkeit ist das „Philippus-Evangelium“ aber wesentlich älter. Wilhelm Schneemelcher: „Isenbergs Datierung auf die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts dürfte doch um ein knappes Jahrhundert zu spät liegen. Die ältere und vielgeäußerte Ansicht, die das Philippus-Evangelium noch im zweiten Jahrhundert abgefasst sein lässt, dürfte erheblich wahrscheinlicher sein.“

Foto 6: Das Abendmahl, gemalt von Philippe de Champaigne

Wenn man  den erotischen Aspekt der kurzen Passage einmal unberücksichtigt lässt, ergibt sich eine ganz konkrete Aussage: „ Der Soter (der Messias) liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger.“ Das „Philippus-Evangelium“ benennt eindeutig und klar, was das „Evangelium nach Johannes“ nur andeutet oder umschreibt: der anonyme „Jünger, den Jesus liebte“ bekommt einen Namen: Es ist Maria Magdalena! Jesu Lieblingsjünger war also kein Mann, sondern eine Frau. Diese klare Aussage ist wirklich höchst explosiv: Am Ende des „Evangeliums nach Johannes“ heißt es, der Lieblingsjünger Jesu habe das vierte Evangelium verfasst. Zieht man das Philippus-Evangelium hinzu, dann wird aus dem anonymen Verfasser nicht Johannes, sondern eine Frau, nämlich Maria Magdalena.

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Maria Magdalena als engste Vertraute, als Jüngerin, die Jesu allen anderen vorzog – ein auch heute noch ketzerischer Gedanke? In der sakralen Malerei von Eugène Burnand bis Philippe de Champaigne finden sich immer wieder recht feminine Jünger an der Seite Jesu. Der Maler Philippe de Champaigne (*1602 in Brüssel; † 1674 in Paris), Vertreter des französischen Barock, setzte in seinem Bildnis vom Abendmahl auch eine „Jüngerin“ neben Jesus. Es lohnt sich, mit offenen Augen und unvoreingenommen Kapellen und Kirchen zu besuchen. Man entdeckt immer wieder Mysteriöses.

Literaturempfehlung

Im voranstehenden Beitrag „War Maria Magdalena der Lieblingsjünger Jesu?“ konnte ich das spannende Thema nur anreißen. Viele Jahre habe ich mich mit provokanten Thesen über Jesus und Maria Magdalena beschäftigt und einige Bücher dazu  geschrieben. Wer sich näher mit meinen Gedanken auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich meine Werke „Maria Magdalena/ Die Wahrheit über die Geliebte Jesu“, „Als Eva noch eine Göttin war“ und „Das verlorene Symbol und die Heiligen Frauen“.


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Fußnoten
1) Burnand (* 30. August 1850 in Moudon; † 4. Februar 1921 in Paris) studierte 1868–1871 Architektur in Zürich, dann Malerei in Genf und Paris und 1876–1877 in Rom. Von ihm stammt eine Darstellung der Bergpredigt auf den Chorfenstern der reformierten Kirche von Herzogenbuchsee. Herzogenbuchsee (berndeutsch Herzogebuchsi, von den Einheimischen Buchsi genannt) ist eine politische Gemeinde im Verwaltungskreis Oberaargau des Kantons Bern in der Schweiz. Zum 1. Januar 2008 wurde die Fusion mit der Gemeinde Oberönz vollzogen. Die neue Gemeinde trägt weiterhin den Namen Herzogenbuchsee. Zwischen 1907 und 1912 wurden mehrere seiner Zeichnungen für die Banknoten der Schweizerischen Nationalbank verwendet.

Das Abendmahl-Gemälde von Burnand erschien zusammen mit weiteren Werken des Künstlers in  „Zehn farbige Kunstblätter“, Verlag für Volkskunst, Stuttgart 1900.

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2) Evangelium nach Johannes Kapitel 13, Vers 21
3) ebenda, Vers 22
4) ebenda, Verse 23 und 24
5) Also der „Lieblingsjünger“
6) Evangelium nach Johannes Kapitel 13, Vers 26
7) ebenda, Vers 27
8) ebenda, Vers 30
9) Schneemelcher, Wilhelm: „Neutestamentliche Apokryphen“, Band I, Tübingen 1990, S.161
10) Ausgabe vom 2.4.2006


Zu den Fotos
Foto 1: Das Abendmahl von Eugène Burnand. Foto Wikimedia Commons
Foto 2: Einer der jungen Jünger, rechts außen. Foto Wikimedia Commons
Foto 3: Der andere junge Jünger, links. Foto Wikimedia Commons
Foto 4: Weinende Frau, rechts von Jesus. Foto Wikimedia Commons
Foto 5: Die weinende Jüngerin. Foto Wikimedia Commons
Foto 6: Das Abendmahl, gemalt von Philippe de Champaigne. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: „Maria Magdalena/ Die Wahrheit über die Geliebte Jesu“
Foto 8:  „Als Eva noch eine Göttin war“
Foto 9: „Das verlorene Symbol und die Heiligen Frauen“

434 „Göttinnen - eingemauert und vergraben“
Teil  434 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                        
von Walter-Jörg Langbein,                      
erscheint am 13.05.2018


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