„Monstermauern, Mumien und Mysterien“
von Walter-Jörg Langbein
Drei Göttinnen werden in den Stein gemeißelt. Die weibliche Dreifaltigkeit steht im Zentrum eines heidnischen Kults, der in einem Tempel zelebriert wird. Römische Truppen marschieren ein und übernehmen das uralte religiöse Zentrum. Sie bauen die Kultstätte um, erweitern sie und verehren die drei heidnischen Götter weiter. Die Römer werden schließlich von frühen Christen abgelöst. Aus den Steinen des römischen Tempels, dessen Vorgängerbau ursprünglich Heiden als Ort der Verehrung diente, errichten sie eine kleine christliche Kapelle. Das steinerne Bildnis der heidnischen Dreifaltigkeit bleibt erhalten.
Foto 1: Die Helenakapelle von Vilvenich. |
Als die christliche Kapelle baufällig wird, entsteht eine „neue“ Kapelle. Die steinerne weibliche Trinität genießt nach wie vor Respekt. Man wagt nicht, sie zu zerstören. Die Christen bauen sie in ihre Kapelle ein. Besser gesagt: Sie verstecken sie im Mauerwerk. In einem opulenten Kostümfilm könnte so ein weiter Bogen zwischen uraltem Heidentum und christlicher Gegenwart gespannt werden.
Die mysteriöse Kapelle hat es einst wirklich gegeben. Sie gehörte zur Gemeinde Inden im Kreis Düren, Nordrhein-Westfalen. Doch die „St.-Helena-Kapelle“ existiert nur noch auf Fotos. Das altehrwürde kleine Gotteshaus wurde im Jahre 2010 abgebrochen. Es musste dem „Braunkohlen-Tagebau Inden“ weichen.
Die „St. Helena-Kapelle“ wurde urkundlich erstmals schon 1318 erwähnt. Und sie hatte ein Geheimnis, das sehr zum Ärger der Geistlichkeit nicht in Vergessenheit geriet. In das Mauerwerk der Kapelle hatte man einen gallo-römischen Weihealtar eingemauert, und zwar so, dass man ihn nicht mehr erkennen konnte. Man hat ihn mit der Rückseite nach außen ins Mauerwerk eingesetzt. Eingeweihte freilich wussten genau, wo der heidnische Altar steckte.
Foto 2: Altar der Aufanischen Matronen |
Die steinerne „St.-Helena-Kapelle“ hatte einen Vorgängerbau, ein bescheidenes kleines Fachwerkgebäude. „Die ursprüngliche Kapelle blieb als nördliches Seitenschiff bestehen.“, schreibt die sachkundige Sophie Lange in ihrem wichtigen Büchlein „Wo Göttinnen des Land beschützen/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein“ (1).
Und die Erbauer der ursprünglichen Kapelle, so weiß Jakob Gerhards zu berichten (2), griffen auf noch älteres „Baumaterial“ zurück: „Außen wie innen enthält ihr Mauerwerk römische Votivsteine, die der Verehrung der göttlichen Mütter dienten.“ Und die Römer hatten bei ihrem Bau auf ein noch älteres Heiligtum zurück gegriffen. Sophie Lange (3): „In Lövenich erzählt die Volksüberlieferung, daß die ost-west-ausgerichtete Kirche ursprünglich eine Heidentempel war. Die ‚heidnische Cultusstätte‘ sei bei der Christianisierung in ein christliches Gotteshaus umgewandelt worden.“
Foto 3: Büste einer Matrone |
Ein Matronenstein wurde in die „St.-Helena-Kapelle“ eingemauert. Ein weiterer Matronenstein wurde unter dem Bonner Münster vergraben, zusammen mit 50 weiteren Weihesteinen (4).
Wie viele Darstellungen von uralten weiblichen Göttinnen-Triaden mögen in dicken Kirchenmauern eingemauert worden sein? Wie viele wurden wohl unter christlichen Sakralbauten vergraben? Es muss einst zigtausende von Altarsteinen mit den drei Muttergöttinnen gegeben haben. Es wurde erst ein Bruchteil wieder gefunden (5).
Eine typische Matrone stammt aus Marnheim (Ortsgemeinde im Donnersbergkreis, Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden, Rheinland-Pfalz). Sie hat ein besonders typisches Merkmal, das die Matronen-Muttergottheiten ausmacht: einen unnatürlich großen Kopf. Und just so ein Haupt hat auch die steinerne Staue, die an der Rückseite des Münsters von Hameln angebracht ist. Die Statuette weist deutliche, starke Spuren der Verwitterung auf. Seit vielen Jahren versuche ich in Hameln Näheres über diese seltsame Figur herauszufinden, bislang vergeblich.
Kurz und bündig erklärt „wikipedia“ (6): „Matronen, Matronae (von lateinisch matrona ‚Familienmutter, vornehme Dame‘), Matres (auch Deae Matres) oder Matrae (von lateinisch mater ‚Mutter‘) sind nur in der Mehrzahl, überwiegend in Dreizahl auftretende Muttergottheiten der römischen, germanischen und keltischen Religion. Sie sind einzig durch Inschriften und bildliche Darstellungen bekannt. … Dargestellt werden sie in Form einer sitzenden Dreiergruppe auf Votivsteinen und Altären vor allem in den Nordwest- und Nordost-Provinzen des Römischen Reiches sowie in Gallien, Nordspanien und Norditalien.“
Foto 4: Die Matrone von Hameln |
Es ist scheinbar ein Paradox: Einerseits wurde eine Vielzahl von Steinen mi Abbildungen der „Heiligen Matronen“ gefunden. Andererseits aber beschreibt kein einziger römischer Historiker aus der Glanzzeit der Matronen diese verehrten Frauen. Ein intensives Studium der Weihesteine mit Matronen-Darstellungen verdeutlicht, dass es in erster Linie einfache Soldaten, vereinzelt auch Offiziere niederen Rangs waren, die den Muttergöttinnen huldigten. Offensichtlich waren es die „einfachen Leute“, die vom Kult der drei Matronen besonders angesprochen wurden. Somit waren sie für das junge Christentum eine ernste Konkurrenz. Wurden deshalb schon recht früh Kultorte der „drei Matronen“ übernommen wurden? Wurden deshalb die Tempel der drei heiligen Frauen durch Kapellen und Kirchen ersetzt?
Wo mögen heute noch Matronen zu finden sein? Wie viele mögen an Kirchenmauern – wie in Hameln – angebracht worden sein? Wie viele mögen in der Öffentlichkeit unzugänglichen Krypten verstauben? Wie viele dieser altehrwürdigen Göttinnen hat man in Kirchenwänden eingemauert, wie viele unter Kapellen und Kirchen begraben?
Fußnoten
Foto 5: Muttergöttin von Hameln |
und Rhein“, 1. Auflage, Sonsbeck 1994, Seite 104
2) Gerhards, Jakob: Zur „Matronenverehrung im Kreis Düren“, erschienen in dem „Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte“, Band14, 1974, S.101–110.
3) Lange, Sophie: „Wo Göttinnen des Land beschützen/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein“, 1. Auflage, Sonsbeck 1994, Seite 104
4) Derungs, Kurt und Früh, Sigrid: „Der Kult der drei Heiligen Frauen/ Mythen,
Märchen und Orte der Heilkraft“, 3. Auflage, Grenchen 2014, S. 21
5) Siehe auch Philippson, Ernst Alfred: „Der germanische Mütter- und Matronenkult am Niederrhein“, erschienen in „Germanic Review“, Band19, 1944, S.81–142.
6) Wikipedia-Stichwort „Matronen“, Stand Ostern 2018
Foto 6: Verfasser Langbein |
Foto 1: Die Helenakapelle von Vilvenich. Foto wikimedia commons/ Karl Heinz Meurer
Foto 2: Altar der Aufanischen Matronen, gefunden unter dem Bonner Münster wikimedia commons Foto Hans Weingartz
Foto 3: Büste einer Matrone aus Marnheim (3. Jahrhundert). Foto: wikimedia commons/ Dontworry
Fotos 4 und 5: Die Matrone vom Hamelner Münster. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Verfasser Langbein vor dem Hamelner Münster. Foto: Japanischer Tourist (links!)
435 „Die heidnische Göttin am Münster?“
Teil 435 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 20.05.2018
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