»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: König Ludwig XV. |
Der Graf von Saint Germain (1), er war vermutlich portugiesischer Herkunft, tauchte um 1740 an verschiedenen Königshöfen Europas auf. Niemand weiß so recht, wann er geboren wurde und ob er vielleicht gar noch lebt. Zahlreichen Zeugen gegenüber behauptete er jedenfalls, mit Hilfe eines »Elixiers« das ewige Leben erlangt zu haben.
Der Mann muss über das Geheimnis der ewigen Jugend verfügen! Im gleichen Jahr setzte er sich mit Erfolg für Friedensverhandlungen zwischen Preußen und Österreich ein. Ein Vertrag kam zustande. 1762 warnte er Vertreter des französischen Hochadels vor der nahenden Revolution. Er habe eine schlimme, alptraumartige Vision von Erniedrigung und Tod der Vornehmen gehabt. Seine teilweise grausamen Schilderungen wurden nicht ernst genommen. Man lachte vergnügt, beklatschte die aufregenden Beschreibungen.Von 1766 bis 1769 war Saint Germain wiederum in Indien. Seltsam: 1768 und 1769 soll er in Deutschland auch noch mehrere Fabriken eröffnet haben.
Foto 2: Madame de Pompadour |
1789 ernannte König Gustav von Schweden den Grafen zu seinem persönlichen Leibarzt. Madame d’ Adhemar schätzte ihn »auf etwa 45 Jahre«, dabei müsste er damals bereits etwa 150 Jahre alt gewesen sein. 1793 war er wieder in Frankreich, spendete Marie-Antoinette letzten Trost vor der Enthauptung. Im Jahr 1836 wurde er auf der Beerdigung von Carl von Essen gesichtet. Da müsste er selbst fast 180 gewesen sein. 1820 soll er sich dem Herzog von Berry gezeigt haben, Stunden vor seiner Erschießung. 1867 nahm er als ein in rätselhafte Geheimnisse Eingeweihter aktiv in Wien am Treffen der »Großen Loge« teil. Als 207-Jähriger?
Foto 3: Carl von Hessen. |
Chanfray behauptete von sich, er sei »der Mann, der Blei in Gold verwandelt« und der niemals stirbt. Die alchemistische »Kunst« des Goldmachens führte er immer wieder staunendem Publikum vor, angeblich ohne zu Tricksen. Selbst »Experten« hätten keinen Schwindel erkennen können. »Böse Zungen« behaupten allerdings, dass sich Chanfray sein Wissen über Saint-Germain lediglich im Gefängnis anlas, wo er eine sechsjährige Strafe wegen eines Raubes und anderer Delikte absaß. In der Gefängnisbibliothek habe er einige Werke über den mysteriösen Grafen entdeckt.
Im Juni 1983 trat der Mann, der behauptete, der Graf von Saint-German zu sein, letztmals öffentlich bei einer Party auf. Angeblich sah er sehr schlecht aus, war hager, hatte schlohweiße Haare und wirkte erschöpft. Obwohl der angeblich Graf in einige Skandale verwickelt war, obwohl er wieder eine Haftstrafe absitzen und durch zum Teil abstruse Behauptungen auf sich aufmerksam machte, blieb er doch ein Liebling der »Promi-Gesellschaft«. So zeigte er dem spanischen Journalisten José María Íñigo ein »Wunderpulver« vor. Angeblich wurde ein toter Hund wieder lebendig, um kurz darauf erneut zu sterben.
Foto 4: »Über die Religion« |
Fans hat Richard Chanfray nach wie vor, die nicht an seinen Tod glauben wollen. Es kursiert das Gerücht, Richard Chanfray sei lediglich spurlos verschwunden und nicht gestorben. Im Internet zumindest lebt er weiter. Wer sucht, der findet bei youtube nach wie vor »Dokumentationen«, in der Regel in spanischer oder französischer Sprache, in denen der umstrittene Chanfray über seine alchemistischen Fähigkeiten spricht und seine Künste demonstriert (4).
Sollte der reale Saint Germain gefunden haben, was Gilgamesch und Alexander der Große suchten, nämlich das Geheimnis vom ewigen Leben? Oder sind die Legenden um den mysteriösen Adeligen Ausdruck unserer Sehnsucht nach dem Wunderbaren einerseits und nach einem Leben ohne Tod. Aber wäre ein »ewiges Leben« nicht irgendwann weniger eine Belohnung als unendlich langweilig?
Der deutsche Philosoph, Zoologe und Freidenker Ernst Haeckel (*1834; †1919) leugnete die Vorstellung, ein individueller Mensch könne ewig leben. Er berief sich auf Aristoteles (*384 v.Chr; †322 v.Chr.): »Schon Aristoteles leugnete die Ewigkeit des Individuums in jeder Beziehung: er behauptete, ewig könnte vielleicht die Art oder Gattung sein, die aus den gleichartigen Individuen gebildet werde; allein, das Individuum selbst sei vergänglich, es entstehe neu während des Zeugungsaktes und gehe beim Tode wieder zugrunde.«
Der Physiker schreibt Prof. Markolf H. Niemz (* 1964) leugnet nicht die ewige Existenz des Lebens, wohl aber das ewige Leben des Einzelnen als Individuum (5): »Das Jetzt ist. Es hat weder Anfang noch Ende, sondern währt immerzu. … Wir irren gewaltig, wenn wir glauben, Raum und Zeit seien real, die Ewigkeit sei dagegen eine Illusion. In Wahrheit verhält es sich genau anders herum. Der Raum und die Zeit sind Illusionen, aber die Ewigkeit ist real.«
Foto 4: »Über die Religion« |
Um es pointiert zu formulieren: Nach der Philosophie des Physikers Prof. Niemz existiert alles in einem Computerspeicher aus Licht. Dieser Lichtspeicher, aus dem wir kommen und in den wir zurückkehren, nimmt jeden Gedanken auf und nichts geht verloren. Das empfinde ich als Trost: Jeder Mensch lernt sein ganzes Leben lang und jede Erkenntnis bereichert das in jeder Hinsicht unvorstellbare universale Es. Nichts geht verloren.
Der deutsche evangelischer Theologe, Philosoph und Pädagoge Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (*1768; †1834) hat in einem Satz die modernste Umschreibung von »Unsterblichkeit« erfasst. Wohl weil er seiner Zeit sehr weit voraus war, wagte er sein Werk anno 1799 erst nur anonym zu publizieren. Schleiermacher schreibt (6): »Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.«
Fußnoten
1) Terhart, Franjo: »Das Geheimnis der Eingeweihten/ Was spirituelle Persönlichkeiten uns erschließen«, Kreuzlingen 1996 (›Saint Germain/ Vom Geheimnis der Unsterblichkeit‹, S. 158-161)
2) https://www.youtube.com/watch?v=OTjeiTWIMHM (Stand: 28.05.2019)
3) http://www.thefullwiki.org/Richard_Chanfray (Stand 28.05.2019)
4) https://www.youtube.com/watch?v=wiT_Dtitn-U (Stand: 28.05.2019)
5) Niemz, Prof. Markolf H.: »Ichwahn: Ein Physiker erklärt, warum Abgrenzung gegen unsere Natur ist. Der Schlüssel für ein neues Miteinander«, Ludwig-Verlag/ Random Hose, München 2017, e-Book-Ausgabe, Position 982 und Position 985
6) Schleiermacher, Friedrich: »Über die Religion/ Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«, Printausgabe Hamburg 1958, eBook Berlin 2016, Seite 80/ Position 1137
Foto 5: 2 Ausgaben von Schleiermachers »Über die Religion«. |
Weiterführende Literatur
Allgeier, Kurt: »Niemand stirbt für ewig«, Zürich 1988
Delacour, Jean-Baptiste: »Aus dem Jenseits zurück«, Düsseldorf 1974
Ditfurth, Hoimar von: »Wir sind nicht von dieser Welt«, Hamburg 1981
Fair, Charles: »Das fehlprogrammierte Gehirn«, München 1971
Grabow, Sandra: »Der Graf von Saint Germain«, Beitrag zu »Unknown Reality«, Frankfurt/ Oder, Januar/ Februar 1996
Jessen, Willers: »Der Graf Saint-Germain« 1907, Nachdruck Jahrbuch Heimatgemeinschaft Eckernförde Heft 5, Eckernförde 2004
Krassa, Peter: »Der Wiedergänger/ Das zeitlose Leben des Grafen Saint-
Germain«, München 1998
Volz, Gustav Berthold (Hrsg.): »Der Graf von Saint Germain – das Leben eines Alchemisten nach großenteils unveröffentlichten Urkunden«, Dresden 1923
Wambach, Helen: »Leben vor dem Leben«, München 1979
Wegener, Franz: »Der Freimaurergarten. Die geheimen Gärten der Freimaurer des 18. Jahrhunderts«, Gladbeck 2008
Zu den Fotos
Foto 1: König Ludwig XV. Foto gemeinfrei
Foto 2: Madame de Pompadour. Foto gemeinfrei
Foto 3: Carl von Hessen. Foto gemeinfrei
Foto 4: Schleiermachers Buch »Über die Religion«. Foto gemeinfrei
Foto 5: 2 Ausgaben von Schleiermachers »Über die Religion«.
500. »Hinter'm Horizont«
Teil 500 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18. August 2019
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