Sonntag, 30. August 2015

293 »Maria und Jesus am Seil – Mariae Himmelfahrt – Teil 3«

Teil 293 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Foto 1: Mariae Himmelfahrt von Steinle
Maria stieg zum Himmel auf. Die Gottesmutter ließ sich Zeit für ihre Reise von der Erde in den Himmel. Die »Erde«, das war der morsche Holzfußboden einer kleinen Kapelle. Der »Himmel«, das war die steinerne Decke der kleinen Kapelle. Das Himmelsblau bröckelte wohl schon seit vielen Jahren. Das Blattgold der Sterne hatte wohl schon vor vielen Jahren seinen Glanz verloren. An einer Wand hing eine Darstellung der Himmelfahrt Mariae, eine verstaubte Kopie eines alten Ölgemäldes. 

Das Original stammt von Eduard Jakob von Steinle (1810-1886) und befindet sich in der fürstlichen Hauskapelle von Schloss Löwenstein in Kleinheubach. Man sieht einen leeren, vermutlich steinernen Sarkophag, in dem offenbar Maria, die Gottesmutter, aufgebahrt lag. Hoch darüber sieht man Maria auf ihrem Weg in den Himmel.

Und der »Himmelsflug« der Maria wirkte weniger majestätisch als riskant. Ruckelnd und zuckelnd wurde die hölzerne Heiligenfigur an einem Strick gen »Himmel« gezogen. Manchmal entglitt dem greisen Küster das Seil, so dass Maria wieder ein Stück Richtung Erde fiel. Ruckartig blieb sie dann hängen, baumelte hin und her. Dann aber packte der Küster im Dachgebälk wieder fest zu und ließ Maria wieder die himmlische Reise fortsetzen.

»Ursprünglich gab es einen Mechanismus mit Seilwinde und Kurbel…«, erklärte mir der Geistliche, der mindestens genauso alt war wie der greise Küster. »Damals sah das alles sehr viel majestätischer aus! Maria schwebte damals förmlich in den Himmel und wurde dann vom Himmel aufgenommen.«

Foto 2: Etwa so sah die Luke zum Himmel aus

Inzwischen war die Marienstatue am »Himmel« angekommen und wurde vom ächzenden Küster durch eine kleine Luke im Gewölbe gezogen. Sekunden später wurde die Luke geschlossen. Polternd fiel eine mit goldenen Sternen bemalte Klappe in das Loch im Himmel. Von der Decke lösten sich Teile des blauen Himmels und vom verblassenden Blattgold der Sterne. Und hoch oben im Himmel hustete der Küster wie ein leibhaftiger Zeus mit Asthma im Staub des Gewölbes.

Foto 3: Auferstehung von Sonneborn
Später saß ich mit dem Küster und dem Geistlichen im alten Pfarrhaus des kleinen fränkischen Dorfes. Es gab hausgemachten Weißkäse, selbstgebackenes Brot und Bier aus einer dörflichen Privatbrauerei. »Mit der Reformation kam die Wende!«, erklärte mir der Geistliche. »Heiligenfiguren wurden aus unserer kleinen Kapelle entfernt und versteckt, weil übereifrige Anhänger Luthers die alten Figuren verbrennen wollten. 

Untersagt wurde vor allem, die Feier der ›Himmelfahrt Mariae‹, bei der zur Veranschaulichung eine Marienstatue vom Fußboden der Kapelle zur Decke gezogen und durch eine Luke in den Himmel aufgenommen wurde…«

Die kleine Kapelle im oberfränkischen Bergdorf hatte einst zum herrschaftlichen Anwesen eines Adeligen gehört. In dem kleinen Gotteshaus wurden nur Gottesdienste für die Familie des Adeligen und das Dienstpersonal abgehalten.

Es wurde als Zeichen der hochherrschaftlichen Huld angesehen, wenn jemand vom »Gesinde« einen nahen Verwandten aus dem Dorf zur Feier der Himmelfahrt Mariae mitbringen durfte.

Der Küster wusste zu berichten, dass Laternen über der Luke das himmlische Licht veranschaulichen sollten. In dieser göttlichen Herrlichkeit wurde die hölzerne Marienstatue aufgenommen. Wann dies zum letzten Mal geschehen ist? »Offiziell wurde der Brauch mit der Reformation im 16. Jahrhundert verboten, aber noch einige Zeit zelebriert!«, erklärte mir der altehrwürdige Geistliche verschmitzt lächelnd. »Aber jetzt gibt es unsere kleine Kapelle offiziell gar nicht mehr. Sie wird in keiner Liste mehr geführt und seit vielen Generationen nicht mehr für Andachten und Gottesdienste genutzt.«

Foto 4: Jesu Füße ragen aus dem Himmel

Mein Besuch in der damals schon recht maroden Kapelle fand Mitte der 1970er Jahre im Oberfränkischen statt. Damals bestand schon Einsturzgefahr. Ich wollte das kleine Gotteshaus vor wenigen Jahren noch einmal besuchen, wurde aber barsch abgewiesen. Eine solche Kapelle habe es nie gegeben, wurde mir mitgeteilt. Und außerdem befände ich mich auf Privatbesitz, sei unerwünscht. »Verschwinden Sie lieber, bevor die Polizei gerufen wird. Sie wollen doch nicht wegen Landfriedensbruch belangt werden?«

Foto 5: Jesus fährt gen Himmel
Ich resignierte und trat den Rückzug an. Einer der gestrengen Wächter raunte mir noch zu, die Kapelle sei vor »gut dreißig Jahren« abgerissen worden. Ob sich noch jemand an das Ritual mit der Heiligenfigur, die in den »Himmel« gekurbelt wurde, erinnert? Wahrscheinlich nicht. Übrigens: Die Luke nahm einst nicht nur eine Statue der Gottesgebärerin Maria auf. Auch Christi Himmelfahrt wurde in jener kleinen Kapelle einst sehr anschaulich zelebriert. Statt einer Marienfigur wurde eine Christus-Statue am Seil durch die Luke in den Dachboden gezogen.

Jahrzehnte sind vergangen seit jener merkwürdig-mysteriösen Demonstration in einer kleinen oberfränkischen Kapelle. Durch das Hochhieven einer Marienfigur sollte die Aufnahme der Gottesgebärerin in den Himmel dargestellt werden.

Moderne Theologen mögen die Auferstehung und die Himmelfahrt Jesu bis zum letztlich inhaltsleeren Symbol verklausulieren. Sie vergessen dabei, dass es im Artikel 6 des Glaubensbekenntnisses heißt: »Jesus ist aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, des Allmächtigen Vaters.«

Der »Katechismus der katholischen Kirche« ist sehr konkret, was die »Himmelfahrt Mariae« angeht. Da lesen wir (1): »Nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes wurde die heiligste Jungfrau Maria mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen, wo sie schon an der Auferstehungsherrlichkeit ihres Sohnes teilhat und so die Auferstehung aller Glieder seines Leibes vorwegnimmt.«

Da ist ganz eindeutig von leiblicher, körperlicher Aufnahme in den Himmel die Rede und nicht von einer wie auch immer theologischen Verklausulierung ins Belanglose. Man mag eine solche Glaubenslehre für naiv und kindlich halten. Es ist aber unbestreitbar zentraler Bestandteil der katholischen Glaubenslehre.

Foto 6: Aufnahme Mariens im Himmel.
Von Alonso López de Herrera (ca. 1585 - ca.1675) gibt es eine ganze Reihe sakraler Darstellungen, etwa von der körperlichen Himmelfahrt Jesu oder von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Nicht minder konkret sind die herrlichen Gemälde von Pietro Perugino (circa 1446/1450 – etwa 1523), geboren als Pietro Vannucci.
 
Es gibt letztlich keinen wirklichen Unterschied zwischen derartiger christlicher Kunst einerseits und dem naiven Ritual, Heiligenfiguren an einer Schnur in eine Luke zu ziehen, andererseits. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte lernte ich immer wieder »moderne« Theologen kennen, denen »naive« Glaubensvorstellungen nur noch ein herablassendes Lächeln abverlangen. Diesen ach so wissenschaftlichen Theologen scheint dabei aber zu entgehen, dass sie sich im Bemühen um moderne Glaubensformen von den einst zentralen Glaubenslehren verabschieden. Dieses Vorgehen ist in meinen Augen nicht legitim. Schließlich betreiben diese Theologen Etikettenschwindel, indem sie als »christlich« verkaufen, was diese Bezeichnung schon lange nicht mehr verdient. Solche »modernen« Theologen haben sich meiner Meinung nach schon bereits viel zu weit vom christlichen Glauben entfernt. Wirklichen Trost vermögen sie Menschen, die – zum Beispiel – um einen verstorbenen Angehörigen trauern, nicht mehr zu spenden. Sie bieten letztlich nur leere Worthülsen.

Der katholische Katechismus ist auch sehr klar in seinen Aussagen über die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Da lesen wir (2): »Diese letzte Stufe der Verherrlichung bleibt eng mit der ersten verbunden, das heißt mit der Herabkunft vom Himmel in der Menschwerdung. Nur wer ›vom Vater ausgegangen‹ ist, kann ›zum Vater zurückkehren‹: Christus. ›Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn‹ (Johannes 3,13).«

Die leibhaftige Himmelfahrt Jesu wird am Altar von Bad Segeberg etwa 1501 bis 1525 dargestellt. Man sieht die kleine Anhängerschar Jesu versammelt, während der »Messias« gen Himmel schwebt. Genauer gesagt: In der bunt bemalten Schnitzerei ist Jesus schon fast ganz in den Himmel aufgenommen worden, nur seine Füße ragen noch heraus.

Foto 7: Engel empfangen Jesus im Himmel.
Unter der Auferstehungsszene finden sich erklärende Worte in lateinischer Sprache: »Sanctus sanctorum christus petit alta potorum«, zu Deutsch »Der Allerheiligste Christus entschwebt in die Höhen der Herrscher«.

Heutige Theologie verabschiedet sich vom christlichen Glauben, wenn sie den Spagat zwischen moderner wissenschaftlicher Erkenntnis und traditionellem Glauben versucht. Die einen glauben. Die anderen belächeln Glauben und ersetzen doch nur allzu oft religiösen durch pseudowissenschaftlichen Glauben.

Ich erinnere mich an das mysteriös-naive Ritual in der kleinen Kapelle, als der greise Küster eine Marienstatue am Seil in den Himmel des kleinen Gotteshauses zog. Ich verkneife mir arroganten Spott ob solch »naiven« Glaubens. Religiöser Glauben kann nur naiv sein. Sonst ist es kein Glauben mehr. Man kann glauben oder auch nicht. Der Versuch, religiösen Glauben wissenschaftlich zu verklausulieren, der kann allerdings nur scheitern. Dabei darf man den modernen christlichen Theologen durchaus gute Absichten zubilligen: Sie glauben, den alten Glauben in eine Zeit der modernen Wissenschaften retten zu können, indem sie ihn zu »Symbolhaftem« machen und so letztlich doch aufgeben. Es ist durchaus legitim, sich von alten Glaubenslehren zu verabschieden. Nur darf man dabei nicht so tun, als würde man sie in neuem Gewand beibehalten.

Die Vorstellung, dass Maria als Gottesgebärerin in den Himmel aufgenommen wurde, ist keine christliche »Erfindung«. Fast identische Darstellungen sind sehr viel älter und wurden von frühen christlichen Theologen übernommen und neu etikettiert. Die Suche nach Maria, der Gottesmutter, führt uns ins antike Griechenland, nach Ephesus… und zu Göttinnen aus frühesten Zeiten!

Fußnoten

(1) »Katechismus der katholischen Kirche«, München 1993, S. 281, Artikel 974
(2) ebenda, S. 203, Artikel 661

Zu den Fotos

Foto 1: Foto Creative Commons/ Altera levatur; Gemälde von Eduard Jakob von Steinle (1810-1886)
Foto 2: Etwa so sah die Luke zum Himmel aus. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Auferstehung von Sonneborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Jesu Füße ragen aus dem Himmel. Kirche Sonneborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Jesus fährt gen Himmel. Gemälde von Alonso López de Herrera. Public Domain/ gemeinfrei
Foto 6: Aufnahme Mariens im Himmel. Gemälde von Maria Alonso López de Herrera. Public Domain/ Gemeinfrei.
Foto 7: Engel empfangen Jesus im Himmel. Perugino. Public Domain.

294 »Maria und die Biene –
Mariae Himmelfahrt – Teil 4«
Teil 294 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 06.09.2015


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