»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Fotos 1 und 2: Die Karolinen und Pohnpei |
Die geographischen Fakten: Pohnpei ist die größte der Karolinen-Inseln und gehört zu Mikronesien. Pohnpei übersieht man auf den Karten des Südseeraums leicht. Betrachtet man den kleinen Klecks auf der Karte genauer, so erkennt man: Es handelt sich bei Pohnpei wiederum um eine eigene Inselgruppe. Vom Flugzeug aus gesehen sticht zunächst das gebirgige, grüne Zentrum von Pohnpei ins Auge. Beim Landeanflug fallen weitere Details auf. Schützend umgeben ein schmales steiniges, trostloses Riff und winzig wirkende, oft kaum die schaumigen Meereswogen überragende Felsbrocken das Haupteiland. Die »Felsbrocken« erweisen sich als einzelne kleine Inseln oder Ansammlungen kleiner Eilande, gegen die mächtige Wellenberge anstürmen.
Den Namen Pohnpei, so haben Sprachforscher herausgefunden, kann man übersetzen: »Auf einem steinernen Altar«. In Erinnerung an die alten Götter, die hier einst verehrt wurden, wurden 1984 diverse Schreibweisen wie »Ponape« und »Ponape To« offiziell abgeschafft. In der neuen Verfassung wurde offiziell »Pohnpei« als amtlicher Name festgeschrieben. Welchen Göttern zu Ehren wurde da ein Inselkomplex als »steinerner Altar« bezeichnet? Welchen Göttern wurde hier gehuldigt?
Foto 3: Ein riesiger steinerner Altar? |
Je gründlicher man sich mit der Geschichte von »Pohnpei« beschäftigt, desto deutlicher wird, dass man wenig wirklich gesicherte Informationen zur Vorgeschichte der steinernen Anlage hat. Schriftliche Quellen aus der Zeit vor der »Entdeckung« gibt es keine. Legenden und Mythen wurden mündlich bis in unsere Tage überliefert. Freilich sind die Einheimisch heute recht vorsichtig, wenn es darum geht, Fremde in die Geheimnisse der Vorfahren einzuweihen. Das Wissen der Altvorderen wird nach wie vor von Generation zu Generation weitergereicht. Eingeweiht wurden und werden offenbar immer die jüngsten männlichen Nachkommen. Die älteren erben Landbesitz, der Jüngsten das »geheime Wissen«, etwa über naturheilkundliche Methoden (1). Mündlich überliefert wurde auch der eigentliche, der ursprüngliche Name von Nan Madol. Demnach bezieht sich die neuere Bezeichnung »Nan Madol« auf die Wasserstraßen zwischen den künstlichen Inseln. »Nan Madol« soll so viel wie »Räume dazwischen« bedeuten (2). Der ursprüngliche Name, so lautet die Überlieferung, war »Soun Nan-Leng« (3), zu Deutsch »Das himmlische Riff«.
Foto 4: Die Ruinen von Nan Madol... Aufstieg in den Himmel? |
In Kolonia, der Hauptstadt von »Pohnpei«, kam ich mit einem Geistlichen ins Gespräch. Der Priester hatte gerade einen Gottesdienst in der »Kirche der United Church of Christ in Pohnpei« abgehalten. Eigentlich wollte der geschäftige Mann rasch enteilen, er blieb aber stehen, als ich auf mein Studium der evangelischen Theologie verwies. »Immerhin sind Sie kein Katholik!«, lachte er. Als ich mich nach »seinem« Gotteshaus erkundigte, war er zunächst sehr erfreut. Als ich dann aber auf die Ruinen von Nan Madol zu sprechen kam, wurde er zusehends reservierter. Als ich nach der Bedeutung des Namens »Soun Nan-Leng« fragte, wandte er sich abrupt ab, kam dann aber doch zurück. »Der Name ›Das himmlische Riff‹ führte zu einem weiteren Namen von Nan Madol: ›Ascension Island‹.« Und was das heiße, müsse ich ja wissen. »Ascension« kann man mit »Aufstieg«, »Aufsteigen« und »Himmelfahrt« übersetzen.
Foto 5: Pohnpei, Kolonia Church |
Der Geistliche pflichtete mir bei, lächelte und nickte jovial. Als ich freilich wissen wollte, wer denn seiner Meinung nach von Nan Madol zum Himmel aufgestiegen ist, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. Wütend stapfte er wortlos davon. Mich stimmen diese Namen nachdenklich. Künstliche Inseln im Pazifik auf massivem steinernen Fundament, auf dem massive Bauten errichtet wurden, deren Zweck niemand mehr wirklich kennt, werden als »Das himmlische Riff« bezeichnet, als »Himmelfahrts-Insel«? Mir kommen da jedenfalls unsere alten »Astronautengötter« in den Sinn!
Anno 1828, so steht es in den Geschichtsbüchern, entdeckte der russische Kapitän Fedor Lütke die Inselwelt. Viele Einheimische hören das nicht so gern. »Was heißt hier, unsere Heimat wurde 1828 von einem Russen entdeckt? Das ist doch Unsinn! Entdeckt wurde unsere Heimat von unseren Vorvätern vor Jahrtausenden!«
Örtliche Forscher freilich haben herausgefunden, dass Temuen alias Nan Madol, kein Produkt von »Mutter Natur« ist. Temuen alias Nan Madol besteht nämlich aus einem dichten Komplex von künstlich geschaffenen Inseln! Wie viele künstliche Eilande einst mit riesigem Aufwand geschaffen wurden, scheint nicht ganz klar zu sein. Ende der 1990er Jahre sprach man vor Ort von 82 künstlichen Inseln. Allerdings hieß es schon damals, dass es deutlich mehr gewesen sein könnten. So scheint es außerhalb des eigentlichen Nan Madol-Komplexes weitere Inseln zu geben, die von Menschenhand gebaut wurden. In den 2000er Jahren wusste man in Kolonia von »mindestens 92 künstlichen Inseln«. Ich bin davon überzeugt, dass man so manch' weitere Insel in der Art von Nan Madol entdecken wird.
Foto 6: Wie gingen die Baumeister vor? |
Wie gingen die Baumeister vor? Geniale Konstrukteure haben zunächst ein Fundament aus tonnenschweren Steinbalken gelegt - unter Wasser! Das wird wohl bei Ebbe geschehen sein. Dann ist das Meer an manchen Stellen extrem seicht. Trotzdem kann man ob der enormen bautechnischen Leistung nur staunen! Die 92 Inseln sind – ich wiederhole mich – tatsächlich künstlich, von Menschenhand angelegt: Hatte man erst einmal eine Grundmauer errichtet, so wurde sie hauptsächlich mit Steinmaterial, Korallenstaub und Erde aufgefüllt. Auf dieser Basis wiederum wurden riesige Gebäude im Blockhüttenstil aufgetürmt, wobei bis zu neun Meter lange sechs- und achteckige Säulen verwendet wurden. Die künstlichen Inseln, die seit unzähligen Jahrhunderten den Gewalten des tosenden Meeres trotzen, stellen zusammen mit den steinernen Riesenbauten das achte Weltwunder dar: Nan Madol!
Foto 7: Steinerne Bauten |
Nan Madol war einst so etwas wie das steinzeitliche Venedig der Südsee. Zwischen hunderten mächtigen Bauten auf künstlichen Inseln gab es kanalartige Seewege anstatt von Straßen. Die Bewohner von Nan Madol besuchten sich gegenseitig mit dem Boot. Es nimmt nicht Wunder, dass sie ihre in den Weiten der Südsee verlorene Heimat »Nan Madol« nannten, was sich mit »Ort der Zwischenräume« übersetzen lässt. Aber ist das auch wirklich der ursprüngliche Name? Wohl kaum!
Der Weg von Pohnpeis Hauptstadt Kolonia nach Nan Madol ist nichts für Menschen, die schnell seekrank werden. Die Reise muss so angetreten werden, dass man dann am Ziel ankommt, wenn die Flut hoch steht. Und man muss sich wieder auf den Rückweg machen, so lange die Flut noch währt. Sonst sind die seichten Meeresuntiefen um Nan Madol herum nicht zu passieren. Lihp Spegal, der tüchtige Guide, erklärte mir: »Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste: Man fährt langsam aufs Meer hinaus. Dann spürt man jede einzelne Welle und wird durch das dauernde Auf und Ab auf den hohen Wellen seekrank. Die zweite: Man fährt so schnell es geht. Dann fliegt man förmlich über die Wellen dahin. Aber fast jede schlägt kräftig gegen den Boden des Boots. Man wird also tüchtig durchgeschüttelt!«
Foto 8: Lihp Spegal, Kapitän des Rennkahns |
Ich versuchte, mit wachsendem Erfolg, die gewaltigen Schläge so gut es ging abzufedern. Ausgestattet war unser Vehikel mit einem Motor für ein starkes Rennboot.
So brauste unser Kahn nur so dahin, bekam etwa alle zehn Sekunden von einer Welle einen gewaltigen Hieb gegen den wenig vertrauenerweckend aussehenden Boden. Die langen Risse im Kunststoffrumpf übersahen wir dabei geflissentlich. Irgendwann würde der Rennkahn auseinanderbrechen. Sollte mir das widerfahren, so hoffte ich, dass die Haie derweil anderweitig beschäftigt sein würden.
Foto 9: Uferbefestigung aus »Steinsäulen« |
In rasender Fahrt ging es vorbei an kleinen dicht bewaldeten Inselchen. Da und dort sieht man eine windschiefe Hütte darauf errichtet. Ein paar Pfähle wurden in den Boden gerammt. Ein Wellblechdach als Regenschutz und Schattenspender angebracht. Diese »Bauten« passen nicht in die Natur. Schon haben wir die kleinen Eilande hinter uns gelassen. Immer wieder musste das Tempo stark gedrosselt werden. Dann zuckelten wir wieder einmal über eine seichte Untiefe. Bunte Seesterne leuchteten vom greifbar nahen Boden. Geschickt hob dann Guide Lihp Spegal den Außenbordmotor hoch. »Sonst streift er mir am Boden an!«, erklärte er lachend in gut verständlichem Englisch und fügte hinzu: »Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wir hätten eine tonnenschwere Basaltsäule im Boot, um sie nach Nan Madol zu transportieren! Wir würden garantiert an einer dieser Untiefen hängen bleiben!«
Gnadenlos brannte die Sonne vom Firmament, wenn es nicht wieder einmal in Strömen regnete. Sonnenbrände entstehen, mag man sich noch so intensiv mit Sonnencreme einschmieren, alle Tage wieder. Die Schmerzen sind aber rasch vergessen. Denn unser Ziel ist das achte Weltwunder, das steinzeitliche Venedig der Südsee.
Foto 10: Ein Trümmerhaufen aus Stein |
Schon dem flüchtigen Beobachter drängen sich Fragen auf, sobald er sich per Boot dem geheimnisvollen Ziel nähert. Sie konnten bislang nicht zufrieden stellend beantwortet werden. Warum wurde im Meer vor der südöstlichen Küste von Temuen ein steinzeitliches »Disneyland« geschaffen? Warum geschah dies nicht stattdessen auf der Hauptinsel von Pohnpei, also auf Temuen selbst? Etwa im Norden, im Distrikt Sokehs. Hier wachsen vieleckige Steinsäulen wie monströse Haare aus dem Boden: erstarrte Lava. Diese natürlichen Riesenbalken wurden abgeschlagen, wie auch immer über weite Distanzen transportiert und zu gewaltigen Bauten nach dem »Blockhütten-Prinzip« aufgetürmt.
Heutige »Aufklärer« der populärwissenschaftlichen Sorte neigen dazu, die großen Rätsel der Vergangenheit einfach wegzuerklären. Dies geschieht auch in Sachen Nan Madol. Da wird so getan, als sei es geradezu ein Kinderspiel gewesen, das Baumaterial für die Monsterbauten von Nan Madol zu gewinnen. Weil angeblich die Basaltpfeiler allesamt so, wie sie später verbaut wurden, fix und fertig vor Jahrmillionen entstanden.
Fotos 11 und 12: Steinsäulen unter Wasser. |
Fußnoten
1) Ashby, Gene (Hrsg.): »A Guide to Pohnpei/ An Island Argosy by George
Ashby«, 2. revidierte Auflage, Kolonia 1993, Seite 236
2) »Nan Madol« = »spaces between«, nach Shah, Amish: »Built by levitation«, Manuskript, undatiert, Archiv Walter-Jörg Langbein
3) Ashby, Gene (Hrsg.): »A Guide to Pohnpei/ An Island Argosy by George
Ashby«, 2. revidierte Auflage, Kolonia 1993, Seite 346
4) Brown, John Macmillan: »The Riddle of the Paific«, Honolulu, Hawaii,
Nachdruck 1996.
Zu den Fotos
Fotos 1 und 2: Die Karolinen und Pohnpei. Foto 1 (links): wikimedia commons, gemeinfrei. Foto 2 (rechts) Pohnpei. Aotearoa, Polen.
Foto 3: Ein riesiger steinerner Altar? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Die Ruinen von Nan Madol... Aufstieg in den Himmel? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Pohnpei, Kolonia Church. Foto wikimedia commons/ public domain/ National Oceanic Atmospheric Administration
Foto 6: Wie gingen die Baumeister vor? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Steinerne Bauten... Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Lihp Spegal, Kapitän des Rennkahns. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Uferbefestigung aus »Steinsäulen«. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Ein Trümmerhaufen aus Stein. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 11 und 12: Steinsäulen unter Wasser. Fotos Walter-Jörg Langbein
422 »Nan Madol - das Mirakel der Südsee«,
Teil 422 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18.02.2018
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