Sonntag, 25. Dezember 2016

362 »Monster in alten Kirchen«

Teil  362 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein    
                  

Foto 1: Hoch oben im Hamelner Münster ...

Monstermauern wurden weltweit errichtet, und das schon in grauer Vorzeit. Monstermauern wurden in unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen Zeiten gebaut, und das häufig mit schier unglaublicher Präzision. Tonnenschwere Kolosse wurden mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit millimetergenau aufeinander und ineinander gefügt. Manchmal sind die Fugen zwischen den Steinriesen kaum zu erkennen und so eng, dass selbst eine Rasierklinge nicht dazwischen passt. Wurden zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Regionen immer wieder die gleichen Techniken entwickelt? Wir wissen nicht wirklich, wie gigantische Steinmonster bewegt, bearbeitet, angehoben und ineinander gefügt wurden. Primitiv waren unsere Altvorderen jedenfalls nicht.


Fotos 2 und 3: Fabelwesen im Hamelner Münster

Monsterwesen findet man auf Jahrtausende alten Steinreliefs in fremden Ländern und Kulturen, aber auch bei uns vor der sprichwörtlichen Haustür, wo man sie eigentlich nicht erwartet: in zahlreichen alten Kirchen! Es gibt sie, und man kann sie auch entdecken, so man sie denn auch sucht. Häufig sind sie hoch oben an Säulenkapitellen angebracht, mehr oder minder versteckt vor den Augen der damaligen Menschen. Mit einem guten Teleobjektiv kann man sie aber zum Beispiel im Hamelner  Dom  studieren. Dann staunt man über das wilde Getier, das da – saurierartig – auf Leben und Tod miteinander kämpft.

Foto 4: Die Krypta vom Dom zu Paderborn

Warum wurden hoch oben auf den Säulenkapitellen vom Hamelner Münster derlei Monsterwesen verewigt? In der Krypta des Doms von Paderborn findet sich im Schnitzwerk nicht minder Mysteriöses. Da gibt es zum Beispiel einen Drachen (Foto 5!). Macht er sich für einen Angriff bereit? Oder versucht er, sich für einen größeren Feind so gut es geht unsichtbar zu machen? Die Kreatur kauert geduckt, den Kopf gesenkt, die spitzen Zähne im Maul machen einen gefährlichen Eindruck. Ist dieses Wesen der Fantasie des unbekannten Künstlers entsprungen?

Foto 5: Ein lauernder Drachen in der Krypta

Ein anderes Schnitzwerk (Foto 6) zeigt eine irdischere Szene. Findet da so etwas wie ein Hahnenkampf statt? Hähne von »Bauer Müllers« Hof sind das aber nicht. Es sind irgendwelche kämpferisch veranlagte Vogel-Fabelwesen. Derlei mysteriöse Kreaturen treten seit Jahrtausenden auf unserem Planeten auf, in Stein gemeißelt, in Holz geschnitzt, von München bis Mexico. Natürlich kann man sie alle christlich interpretieren. Quetzalcoatl, der vom Himmel steigt und wieder in den Himmel verschwindet, hat frappierende Ähnlichkeit mit einem Messias, der vom Himmel hoch kam und sich wieder in den Himmel zurück aufmachte. Christliche Interpreten werden auf einen solchen Vergleich mit Empörung reagieren. Das ändert aber nichts daran, dass es schon lange vor der islamischen, christlichen, ja auch vor der jüdischen Zeit Messiasgestalten gab. Sie alle kamen aus dem Himmel, entschwanden wieder im Himmel und versprachen, dereinst wieder auf die Erde zurück zu kommen.

Foto 6: Ein »Hahnenkampf«?

Spätestens seit Erich von Däniken wissen wir, dass derlei »Messiasse« schlicht und einfach kosmische Besucher gewesen sein können, die unsere Vorfahren besuchten, die irgendwann ihre kosmische Reise fortsetzten, nicht ohne ihre Wiederkehr anzukündigen.

Foto 7: »Katze« zwischen »Salamandern«?

Kehren wir in die Unterwelt der Krypta des Paderborner Doms zurück. Ein weiteres Schnitzwerk (Foto 7!) zeigt in der Mitte ein katzenartiges Wesen, rechts und links davon schlängeln und ringeln sich zwei Salamander (?) oder Schlangen mit Beinen. Beide »Reptilien« attackieren den »Tiger«. Sie beißen von rechts und links das Katzentier. Natürlich gibt es ein schönes Zauberwort zur Erklärung: »allegorische Darstellung«. Das Etikett »Allegorie« ist schnell zur Hand, sobald es gilt, geheimnisvolle Darstellungen zu erklären. Freilich werden auf diese Weise oft Fragen nicht beantwortet, sondern Antworten vermieden. Sobald man ein kurioses Kunstwerk nicht erklären kann, hilft die Etikettierung »Allegorie« über die Notwendigkeit, wirklich nach einer Bedeutung zu suchen, hinweg.

Regelrecht wild geht es auf einem anderen geschnitzten Szenebild in Holz zu. Beim genaueren Hinschauen machen wir gleich sechs kämpfende Wesen aus. Die sechs sind dermaßen ineinander verschlungen. Mir ging es jedenfalls so, dass ich gar nicht so leicht erkennen konnte, wie viele Wesen da im Knäuel der Leiber auszumachen sind. Welche Flügel gehören zu welcher Kreatur gehören? Welcher Kopf gehört zu welchem Leib?

Fotos 8a und 8b: 6 »Monster« an der Kirchenbank

Mischwesen wie ägyptische Sphingen sind meist unschwer zu definieren. Da sitzt zum Beispiel ein menschliches Haupt auf dem Leib eines Tieres. Mischwesen sind in der Regel Mixturen aus verschiedenen real existierenden Lebewesen. Beim Anblick dieses Getümmels von sechs Kreaturen habe ich so meine Schwierigkeiten. Was sind da für Tiere involviert?

Wir alle kennen die Kraft der Fantasie. Man muss nur in den bewölkten Himmel blicken, und schon formieren sich Wilken zu Landschaften oder Gesichtern. Wir bilden aus zufälligen Anordnungen von Wolken konkrete Bilder, die so freilich nur in unserer Vorstellung existieren. Im Fall der Schnitzereien an den Bankenden in der Krypta des Doms zu Paderborn verhält es sich anders. Da sind wirklich von Menschenhand geschaffene Darstellungen von Wesen. Und doch wirkt auch hier unsere Fantasie beim »Erkennen« mit. Wir wissen: Da (Fotos 08a und 08b) wurden Lebewesen verewigt. Was aber wollte der unbekannte Künstler konkret darstellen?

Foto 8c: »Monstersuchbild« an der Kirchenbank

Zentral im Getümmel (Foto 8c!) gelegen ist das Gesicht eines Hominiden, vielleicht eines Affen (Nr.1). Vorne links könnte so etwas wie ein schlecht gelauntes Schwein vom Betrachter aus gesehen nach links blicken. Erkennen wir einen Rüssel? Bei Nr. 3 bietet sich der Vergleich mit einem Hund oder Wolf an.

Auf einem Schlangenleib sitzt ein Tierkopf (Nr. 4). Aber: Was für ein Tier bekam da einen so unpassenden Leib verpasst? Nr. 5 ist noch schwerer einzuschätzen. Hat dieses Wesen nur eine etwas seltsam geformte Nase? Oder ist das ein Schnabel, der nicht so recht zum Gesicht zu passen scheint? Mächtige gefiederte Schwingen verdecken den Leib des Tieres. Wenn es ein vogelartiges Tier sein sollte, das da ins dunkle Holz geschnitzt wurde, macht der Schnabel durchaus Sinn. Zu guter Letzt: Nr.6 hat wiederum Schwingen aufzuweisen.

Bleiben wir kritisch uns selbst gegenüber! Sobald wir uns konkret bestimmte Tiere vorstellen, meinen wir immer mehr Merkmale zu sehen, die just zu unserer Vorstellung passen. Wir sehen, was wir sehen wollen. Experimentieren wir also mit unserer Fantasie. Dann »verändern« sich vor unseren Augen die Tiere, aus einem Schnabel mag ein weit geöffneter Rachen werden, aus dem Kopf einer Echse der eines Vogels.

Margarete Niggemeyer hat einen vorzüglichen Führer zu einer Vielzahl von geheimnisvollen Kreaturen im Paderborner Dom verfasst. »Lob der Schöpfung – Die Tier- und Pflanzenwelt im Hohen Dom zu Paderborn« heißt das empfehlenswerte Werk (1). Leider ist es nur noch antiquarisch erhältlich. Für alle, die das Rätselhafte im Dom zu Paderborn suchen, ist das wichtige Werk der ideale Führer. Unter der Zwischenüberschrift »Fabelwesen an Bänken« schreibt die Autorin (2): »In der Krypta schmücken vielfach Fabeltiere als Ornament die Bankenden. … Diese Fabelwesen verschlingen sich gegenseitig, ihre Köpfe legen sie aneinander, bedecken mit ihren Flügeln den Körper oder stoßen mit ihren Schnäbeln aneinander. Andere wiederum verschlingen ein schlangenartiges Tier.«

Fotos 9 und 10: Teufel im Drogenrausch und springender Drachen

Die Krypta unter dem Dom ist als Ort der Stille und des Gebets gedacht. Natürlich habe ich beim Studium der Schnitzwerke Rücksicht auf Gläubige genommen. Fotografiert habe ich – ohne Blitz – nur, wenn ich allein in der Krypta war. So verbrachte ich manche Stunde im Raum unter dem Dom, der vor einem Jahrtausend vielleicht Reliquienschreine enthielt.

Margarete Niggemeyer macht uns auf noch eine Besonderheit aufmerksam (3): »Die Holztür vor den Orgelpfeifen in der Krypta ist ebenfalls mit Fabelwesen geschmückt.« Es sind zwei Darstellungen in die hölzernen Türen eingefügt worden (Fotos 9 und 10!), die an Laubsägearbeiten erinnern. Ein Teufel sitzt da, das Haupt geneigt, an einer Pflanze saugend. Ob er auf diese Weise ein natürliches Rauschmittel konsumiert? Teile des Teufels sind offenbar abgebrochen. Ich meine aber ein typisches Teufelsmerkmal erkennen zu können, den Bocksfuß.

Daneben ist ein munteres Fabelwesen unterwegs, eine Art Sphinx mit Drachenkopf und dem Leib eines Pferdes. Zacken am Hals des Tieres erinnern an Saurierdarstellungen.

Foto 11: Favelwesen im Handlauf

Besonders leicht übersehen wird am Handlauf der Treppe, die die Unterwelt der Krypta mit dem Kirchenschiff verbindet – natürlich ein Fabelwesen… Fazit: Fabelwesen allenthalten. Was aber mögen sie bedeuten? Sind es die berühmt-berüchtigten Allegorien? Wir fragen uns, wann ein bestimmtes Kunstwerk geschaffen wurde. Wichtiger aber scheint mir aber, wann geheimnisvolle Motive zum ersten Mal aufgetaucht sind und in welcher Form sie über die Jahrhunderte hinweg immer wieder zum Einsatz kamen. Frappierend ist es meiner Meinung nach, dass Drachen- und Monstermotive weltweit in unterschiedlichsten Kulturen zu unterschiedlichsten Zeiten in unterschiedlichsten Ländern auftauchen. Wer hat den Urdrachen wann und wo erfunden?

Foto 12: Raum der Stille, Raum des Gebets

Fußnoten

1) Margarete Niggemeyer: »Lob der Schöpfung – Die Tier- und Pflanzenwelt im Hohen Dom zu Paderborn«, Paderborn 2011
2) ebenda, S. 29 rechts unten
3) ebenda

Zu den Fotos
Foto 1: Hoch oben im Hamelner Münster ...
Fotos 2 und 3: Fabelwesen im Hamelner Münster
Foto 4: Die Krypta vom Dom zu Paderborn
Foto 5: Ein lauernder Drachen in der Krypta
Foto 6: Ein »Hahnenkampf«?
Foto 7: »Katze« zwischen »Salamandern«?
Fotos 8a und 8b: 6 »Monster« an der Kirchenbank
Foto 8c: »Monstersuchbild« an der Kirchenbank
Fotos 9 und 10: Teufel im Drogenrausch und springender Drachen
Foto 11: Fabelwesen im Handlauf
Foto 12: Raum der Stille, Raum des Gebets

363 »Übergang zur Anderswelt«,
Teil  363 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 01.01.2017


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Sonntag, 18. Dezember 2016

361 »Gargoylen und Monster in der Unterwelt«

Teil  361 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein



Fotos 1 und 2: Gorgoylen am Dom zu Bamberg

Sie begegneten mir auf meinen Reisen immer wieder: Monströse Gargoylen, in Stein verewigte mysteriöse Kreaturen, die aus großer Höhe auf uns Menschen herabblicken. Und das seit vielen Jahrhunderten. Christliche Dome und Kathedralen tragen sie in luftiger Höhe womöglich schon seit einem Jahrtausend. Auf heidnischen Tempeldächern sollen sie schon vor Jahrtausenden gehaust haben. Sie inspirierten die Macher von Walt Disney zu einer Fernsehserie, von der in den 1990ern mehrere Staffeln produziert wurden. Deutscher Titel der Reihe: »Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit«.

In der gruseligen Fantasiewelt waren Gargoylen lebende Kreaturen, die tagsüber zu Stein erstarren. Tagsüber waren sie bewegungsunfähig, schutzlos ihren Feinden ausgeliefert. Erst nach Einbruch der Dunkelheit konnten sie zum Leben erwachen und auf mächtigen Schwingen zu den Menschen kommen. Die aber hießen sie nicht willkommen, verachteten und fürchteten sie wegen ihres Aussehens.  Dabei waren die Film-Gargoylen mächtige, höchst intelligente Flügelwesen, die als ein ehrbarer schottischer Clan die Menschen beschützen. In  der Fernsehserie erwachen die Geflügelten anno 1994 wieder in der für sie mehr als befremdlichen Welt des modernen New York. Seit fast fünf Jahrzehnten bieten uns Horrorfilme wie »Gargoyles« (1972), »Gargoyles – Flügel des Grauens« (2004) und »Reign of the Gargoyles« (2007) Gargoylen als grässliche Kreaturen an.

Fotos 3 und 4: Monster starren herab?

Die steinernen Gargoylen der Realität werden von so manchem Zeitgenossen heute übersehen. Selbst emsige Besucher christlicher Gotteshäuser nehmen sie oft gar nicht wahr. Dabei hocken sie hoch oben und erfüllten vordergründig einen recht profanen Zweck: Vor einem Jahrtausend gab es keine Dachrinnen mit Fallrohren, so wie wir das heute kennen. Regenwasser gefährdete das Mauerwerk der großen Sakralbauten. Um das Wasser erst gar nicht eindringen zu lassen, leitete man es zu den Gargoylen, die es in weitem Bogen vom Dach weg spien. Warum aber gestaltete man die Gargoylen besonders gern und häufig als monströse, furchteinflößende Wesen? Man wollte, um ein Sprichwort leicht abzuwandeln, den Teufel mit Beelzebub nicht aus, sondern vertreiben.

Foto 5: Monster oder Menschenfreund?

Die Fernsehserie »Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit« nimmt ihren Ausgangspunkt im späten 10. Jahrhundert. In der Realität jener Zeit herrschte im christlichen Europa große Furcht vor Dämonen. Noch in der Epoche der Gotik (12. Jahrhundert bis etwa 1500) lebten böse Dämonen im Volksglauben fort. »Bavaria Antiqua« schreibt über »Heilige und Dämonen« (1): »Zu einfach wäre es, würde man nun glauben, daß mit der Gotik die Furcht vor den Dämonen insgesamt gewichen sei. Solch tief eingewurzelten Vorstellungen konnten und sollten nicht ausgerottet werden; sie blieben wirksam, wenn auch mit verminderter Intensität.«

Foto 6: Blick in die Krypta des Doms von Paderborn

Die Menschen fühlten sich von Dämonen bedroht. Derlei Ängste wurden wohl gern von Predigern gemehrt und genährt, die zugleich auch Schutz vor den bösartigen Mächten versprachen. Sicherheit vor der angeblich allgegenwärtigen Gefahr würde die Kirche bieten, speziell natürlich in den Gotteshäusern. Freilich würden die schrecklichen Wesen versuchen, den Menschen in die Kirchen zu folgen. Wie konnte man nun die sakralen Schutzräume dämonenfrei halten? Achim Hubel gibt in »Heilige und Dämonen« die Antwort (2):

Foto 7: Monströses Schnitzwerk?

»Nach wie vor hatten die dämonischen Fabelwesen ihre apotropäische, das heißt abwehrende Bedeutung, die allen bösen Geistern das Betreten des Kirchenraums unmöglich machen sollte. Diese Aufgabe kam den Wasserspeiern zu, die beim Regensburger Dom wie bei allen gotischen Kathedralen an den Obergeschossen nebeneinander gereiht sind.«  Die steinernen Monster sollten also andere monströse Dämonen daran hindern, den Gottesdienstbesuchern Leid zuzufügen. Die Gargoylen. Und gleichzeitig dienten sie im wahrsten Sinne des Wortes der Kirche, nämlich als besiegte, unterworfene Dämonen müssen sie das Mauerwerk der Gotteshäuser schützen und Wasser vom Mauerwerk weg speien. So werden sie gezwungen, die Kirchen zu schützen, die sie am liebsten zerstört hätten.

Fotos 8 und 9: Monströses in der Krypta von Paderborn

»Der Kölner Dom«, so lese ich in einer Buchvorstellung (3), »verfügt über Wasserspeier vom 13. bis zum 21. Jahrhundert. Dämonenabwehr und Ereignisse aus der Stadtgeschichte spiegeln sich in den Wasserspeiern wieder, die am Kirchbau zur fließenden Grenze zwischen Heidentum und christlichem Glauben werden.« Von der christlichen Kirche wurden die oft so gar nicht christlichen Wasserspeier in der Tat nicht erfunden. Sie waren schon in der Antike bekannt und zierten dort Tempeldächer (4). Ob freilich die »alten Heiden« mit furchteinflößenden Figuren aus Stein wirklich andere teuflische Wesen von ihren Gotteshäusern fernhalten wollten? Oder stellten die fremdartigen Wesen nicht doch Gottheiten dar, die verehrt und angebetet wurden? Wurden im Verlauf der Christianisierung aus mächtigen und verehrten Göttinnen und Göttern gefährliche, furchteinflößende Monster?

Zurück zu den Gargoylen unser Kathedralen und Kirchen. Gargoylen soll(t)en den Dom zu Paderborn ebenso schützen wie das Münster von Ulm, den Dom zu Regensburg ebenso wie die Kathedrale von Notre Dame, das Ulmer Münster wie den Stephansdom in Wien. Die Angst vor lauernden Dämonen scheint sehr groß gewesen zu sein.

Foto 10: Untier frisst sich selbst (Krypta Paderborn)

Ich gebe zu, lange Zeit den Gargoylen von Paderborn kaum Beachtung geschenkt zu haben. Völlig übersehen habe ich eine ganze Reihe von »monsterhaften«, die an völlig unerwarteter Stelle im Dom verewigt worden sind. Diese drachenähnlichen Kreaturen wurden nicht in Stein gemeißelt an der Außenseite des Doms angebracht. Sie wurden vielmehr aus Holz geschnitzt und befinden sich im Inneren des uralten christlichen Sakralbaus, genauer gesagt in der Unterwelt, in der Krypta.

Bei meinem bislang letzten Besuch des Doms zu Paderborn suchte ich als erstes die Krypta auf. Ihre Form, so heißt es, geht im Wesentlichen auf das Jahr 1100 zurück. Sie wurde allerdings im 13. Jahrhundert erneuert und umgestaltet wurde. Die Krypta von Paderborn gilt als eine der größten Hallenkrypten in Deutschland. Nur die Dome von Bamberg und Speyer haben vergleichbare »Unterwelten« zu bieten. Im Dom selbst herrschte emsiges Treiben. Man bereitete ein großes Konzert vor. Scheinwerfer wurden durch das Kirchenschiff geschoben, Lautsprecherboxen aufgestellt. Techniker legten Kabel. Andere hantierten an einem Mischpult. Das konzentrierte Arbeiten verursachte erheblichen Lärm, der auch noch in der unterirdischen Krypta, wenn auch gedämpft, zu vernehmen war.

Foto 11: Die Krypta im Dom von Paderborn....

Undefinierbare Geräusche erwiesen sich später nicht als Geisterspuk, sondern als kreischende Sägen.  Während im Kirchenschiff das Konzert vorbereitet wurde, wurde auch noch an den Außenwänden des Doms nämlich massiv restauriert. Da wurde Stein gesägt, da wurde gehämmert und gemeißelt. »Wenn wir erst einmal fertig sind, werden in den nächsten hundert Jahren keine Restaurierungsarbeiten mehr anfallen!«, versicherte mir am 4. Oktober 2016 ein Facharbeiter mit riesigem Bohrer und Schutzbrille. »Die Arbeiten erfordern viel Fingerspitzengefühl. Wir sind bemüht, angegriffene Steine zu restaurieren. Manche sind aber so marode, dass sie ganz ersetzt werden müssen. Andere wiederum müssen teilweise entfernt werden. Da müssen wir dann millimetergenau zugeschnittene Steinstücke einsetzen!«

In der Krypta konzentrierte ich mich auf die geschnitzten Fabelwesen an den Enden der Kirchenbänke. Im Halbduster waren diese Monster der Unterwelt kaum zu erkennen, eher nur zu erahnen. Um sie zu fotografieren musste ich mich in die Hocke begeben, und das stundenlang. Am nächsten Tag plagte mich Muskelkater an höchst ungewöhnlicher Stelle.

Foto 12: ... bietet Geheimnisvolles ...

Worin bestand wohl die Aufgabe dieser Wesen in der »Unterwelt« des Doms, die durchaus mit den Gargoylen verwandt zu sein scheinen. Hatten eine ähnliche Aufgabe wie die Gargoylen in luftiger Höhe? Eine Erklärung für das monströse Schnitzwerk: Die Kreaturen an den Enden der Bänke sollten Dämonen, die den Wasserspeiern trotzend, trotzdem in den Dom eingedrungen abschrecken. Auf diese Weise sollten die Menschen auf den Bänken geschützt werden. Leuchtet diese Erklärung ein?

Am Ende einer der Kirchenbänke kämpfen zwei Drachenwesen miteinander. Beide gehören offensichtlich der gleichen Art an, bekannte Tiere aber sind sie nicht. Beide haben – wie  Saurier – lange Hälse, beide gehen dem Gegner gezielt an die Gurgel, beide haben Flügel und Pfoten  wie Raubtiere.

Ein anderes Fabelwesen braucht keinen Gegner. Es ist sich selbst genug, kämpft offensichtlich mit sich selbst. Es versucht augenscheinlich den eigenen Schwanz zu verschlingen. Auch diese Kreatur hat Flügel, seine Pfoten – man sieht nur eine – passen am ehesten zu einem Raubtier. Statt eines Mauls hat es einen mächtigen Schnabel. Auch dieses Untier findet sich in keinem Werk über die bekannten Tiere unseres Planeten.

Foto 13: ... im Schnitzwerk von Kirchenbänken

Fußnoten

1) Hubel, Achim: »Heilige und Dämonen« in »Bavaria Antiqua«, München 1978, Seite 25
2) ebenda, Seite 26
3) Schymiczek, Regina E. G.: »Über deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt/ Zur Entwicklung der Wasserspeierformen am Kölner Dom«, »Europäische
Hochschulschriften«, Reihe 28, Kunstgeschichte, Frankfurt am Main, Berlin u.a., 2004
4) ebenda

Zu den Fotos
Fotos 1 und 2: Gorgoylen am Dom zu Bamberg. Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 3 und 4: Monster starren herab? Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Monster oder Menschenfreund? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Blick in die Krypta des Doms von Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Monströses Schnitzwerk? Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 8 und 9: Monströses in der Krypta von Paderborn. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Untier frisst sich selbst (Krypta Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Die Krypta im Dom von Paderborn.... Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: ... bietet Geheimnisvolles ... Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 13: ... im Schnitzwerk von Kirchenbänken. Foto Walter-Jörg Langbein

362 »Monster in alten Kirchen«
Teil  362 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 25.12.2016


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