Teil VI der Serie
»Das Atlantis der Südsee«
von Walter-Jörg Langbein
Wie eine Konservierung der uralten Kunstwerke aussehen müsste, auch das ist bekannt: Zunächst müsste der Stein ausgetrocknet werden. Dann müssten konservierende Chemikalien aufgetragen und Risse im Stein wieder gefüllt werden. Zum Schluss müsste durch Auftragen einer Chemikalie ein künftiges Eindringen von Feuchtigkeit in den Stein verhindert werden.
Das nötige Wissen ist vorhanden, doch wird man die nötigen finanziellen Mittel – nach vorsichtigen Schätzungen zwischen zehn und zwanzig Millionen Euros – auftreiben können? Wie intensiv nach Geldgebern gesucht wird, erzieht sich meiner Kenntnis. Bislang sieht es nicht so aus, als ob das Interesse, die Osterinselkunst zu erhalten, besonders groß sei! Und so werden wohl auch weiterhin die noch verbliebenen Petroglyphen (Steingravuren, in Stein geritzte Bilder) nach und nach verschwinden und auch die Statuen den Unbilden der Natur zum Opfer fallen.
Geradezu symbolhaft ist das »Gesicht im Gras«: Da starrt das Antlitz eines Osterinselkolosses gen Himmel. Noch sind die leeren Augenhöhlen zu erkennen, die Augen aus weißem Muschelkalk oder Kalkstein sind längst verschwunden. Bald werden Gras und Buschwerk das Gesicht des Riesen überwuchert haben. Vielleicht wird er so länger erhalten bleiben?
Schlechter sieht die Zukunft für die unzähligen Statuen aus, die umgestürzt und zerbrochen der Witterung ausgeliefert sind. Sie werden wohl nicht mehr zu retten sein. Noch vor Jahren schien die Situation aussichtslos zu sein: Selbst noch perfekt erhaltene Statuen würden wohl nicht gerettet werden können.
Ich sah ein trauriges Bild des Zerfalls... Ein Beispiel: Einst standen mehrere Steinriesen auf einem wuchtigen Podest aus Stein. So kolossal die Figuren waren, so perfekt war das Podest gearbeitet. Wuchtige Steine wurden spiegelglatt abgeschliffen und millimetergenau aneinandergefügt. Mörtel wurde keiner verwendet. Den kolossalen Statuen muss ein gewaltiger Stoß verabreicht worden sein... vielleicht bei einer Apokalypse à la
Emmerichs Film »2012«? Wie auch immer: Die Statuen stürzten alle exakt in die gleiche Richtung. Sie fielen um wie gewaltige Baumstämme. Sie schlugen mit den Köpfen auf, barsten.
Das einst so sorgsam zusammengefügte Fundament ist erheblich beschädigt worden. Teilweise erkennt man noch die perfekt aufeinander passenden Mauersteine. An anderer Stelle dominiert Verfall. Ein niedriger, sehr schmaler Tunnel führt in das Podest. Welchem Zweck mag er einst gedient haben?
Ich spekuliere: Krochen einst Priester der Osterinsel in diesen Tunnel und ließen ihre Stimmen scheinbar aus den Statuen kommen, um die Gläubigen in Ehrfurcht erstarren zu lassen? Nutzten sie solche Tricks, um ihre Machtposition im Volk aufrecht zu erhalten? Ach, könnten wir nur die geheimnisvollen Schrifttäfelchen aus alten Zeiten der Osterinsel endlich wie ein Buch lesen!
Mit dem Gesicht zum Boden sind die Riesen aufgeschlagen. Ihre wuchtigen Leiber sind zerbrochen. Mit dem Mittelteil liegen sie noch auf dem zerfallenden Podest. Ihre Stirnteile haben sich in den Erdboden gebohrt. Ihre mächtigen Hüte sind meterweit weggerollt. Überall sieht man Risse und Sprünge... der Verfall schreitet sehr schnell voran. Wird man in je aufhalten können? Vorsicht ist geboten: Versuche, stark beschädigte Statuen der Osterinsel zu rekonstruieren, können den gegenteiligen Effekt erreichen... und noch größeren Schaden anrichten.
Es gibt Anlass zur Hoffnung: Japanische Wissenschaftler haben vor Ort erste Konservierungsversuche unternommen. Zu diesem Zweck bauten sie um einige wenige der imposanten Kolosse Gerüste und ließen die Statuen unter Konservierungszelten verschwinden. Wird es möglich sein, die berühmten Steinmale für die nächsten Jahrhunderte vor dem Verfall zu bewahren?
Fragen über Fragen sind bis heute nicht beantwortet worden: Warum haben die Künstler auf der Insel am Tor zur Südsee riesige Stauen aus Stein geschaffen? Stand ihnen etwa kein Holz zur Verfügung? Tatsächlich war die Osterinsel zeitweise völlig kahl. Sie muss aber nach Thor Heyerdahl einst dich bewaldet gewesen sein. Wurden die üppig wuchernden Palmen nach und nach alle gefällt, um als Rollen beim Transport der Statuen eingesetzt zu werden?
So wie die uralten Riesenfiguren und die kunstvollen Ritzzeichnungen zu zerfallen drohen... so ist auch der uralte Glaube der Osterinsulaner gefährdet. Seit vielen Jahren wird er christlich verwässert. Einst spielte der »Vogelmensch« - oder war es ein »Vogelgott« eine wichtige Rolle in der Religion der Osterinsulaner... so wie der fliegende Gott Male Make. Auf der Osterinsel wurde nun dieser Urglaube der Osterinsulaner mit christlichen Inhalten und Bildern vermengt.
So wurde aus dem häufig dargestellten »Vogelmenschen« eine Engelsgestalt. Und auch der »Heilige Geist« wird als »Vogelmensch« dargestellt. Wo geschieht das? Im heutigen Aberglauben? Ganz und gar nicht! In der kleinen christlichen Kirche begegnet uns der geheimnisvolle »Vogel« aus dem mysteriösen »Vogelmannkult« immer wieder. In den alten Steingravuren wurde immer wieder so etwas wie ein Mischwesen aus Vogel und Mann verewigt. Diese Gestalt steht im kleinen christlichen Kirchlein: als furchteinflößende Engelsgestalt mit Schnabelfratze. (Foto links!)
Eine andere, ebenfalls fast lebensgroße Holzsatue, stellt Gottesmutter Maria da. Sie hält den Jesusknaben auf dem Arm. Auf ihrem Haupt thront der »heidnische« Vogel aus dem uralten Osterinselkult. Das mythologische Wesen mutierte im christlichen Zusammenhang zum »Heiligen Geist«. So kombinierte die Plastik alten mit neuem Glauben. Doch nur wer den alten Kult der Osterinsel kennt, weiß, dass da der »heidnische« Vogel auf Marias Haupt thront, für den es im Christentum eigentlich keinen Platzgibt! Seltsam: Die starren, fremdartig wirkenden Augen der Gottesmutter erinnern an die Glotzaugen des Osterinselgottes Make Make, wie sie in Steingravuren und Reliefs verewigt wurden. Ein Zufall? Oder schmuggelte der Künstler Hinweise in sein Werk, von denen die amtliche christliche Kirche offiziell nichts wissen darf... nichts wissen will? (Foto links unten!)
Offenbar versuchten die Vertreter des Christentums, den Osterinsulanern den neuen Glauben schmackhafter zu machen, indem sie osterinsulanische Glaubensbilder ins Christentum integrierten. Offenbar waren die alten Gestalten – vor allen anderen Make Make und der »Vogelmensch«/ »Vogelmann« – viel zu stark, als dass christliche Missionare ihn hätten aus dem Gedächtnis der Menschen streichen können!
Auch wenn Missionare versucht haben, den alten Glauben aus den Köpfen und Herzen der Osterinsulaner zu vertreiben: Es gelang ihnen nicht. Schließlich kapitulierten die Christen vor der altehrwürdigen Religion der Osterinsulaner. Wer Augen hat zu sehen, der begegnet überall alten Glaubensbildern im neuen, christlichen Gewand: in der Kirche selbst sogar! Inzwischen sind manche der »heidnischen Darstellungen« im Gotteshaus unter Altardecken verborgen. Andere fristen hinter dicken Kerzen oder breiten Blumenvasen ein tristes Dasein. Verschwunden sind sie aber nicht aus dem christlichen Gotteshaus. Und sie sind den Einheimischen sehr wohl bekannt! Man muss bereit sein, sie zu erkennen... dann nimmt man sich auch wahr!
Am kleinen dörflichen Hafen begegnet uns Petrus. (Foto links unten!) Stolz trägt er einen dicken Schlüssel und eine Bibel. Er steht auf einem steinernen Podest... und das ist mit insgesamt vier »Vogelwesen« aus vorchristlicher Zeit geschmückt, die fast genauso groß sind wie der Heilige Petrus selbst. Alter und neuer Glaube sind als gleichwertig dargestellt. Sollte so der neue Glaube akzeptabeler werden für die Osterinsulaner? Sollte verhindert werden, dass sie wieder in den alten Glauben zurückfielen? (Foto links unten!)
Angeblich sollen christliche Fanatiker dafür plädiert haben, die alten Symbole auf dem Podest zu übertünchen. Das aber wurde nicht gestattet! Und so bleibt auch weiterhin Petrus mit Bibel und Schlüssel auf dem imposanten Vogelmann-Sockel stehen. Der bescheidene Hafen verfällt allerdings bzusehends. Petrus aber wendet den verrotenden Booten den Rücken zu und blickt hinaus aufs Meer. Schmunzelnd kommentierte ein Osterinsulaner, Inhaber einer kleinen Pension: »Vielleicht wartet er ja auf Seefahrer von fernen Inseln, die sich bei uns sesshaft machen wollen!«
Abschied von der Osterinsel, das kann auch heißen... Abschied von altem Glauben. Noch ist die Entwicklung aber nicht abgeschlossen. Wird das Christentum den Glauben der Osterinsulaner in sich aufnehmen? Oder wird der Glaube der alten Osterinsulaner so überleben, um irgendwann wieder zu erstarken? Es besteht Hoffnung! Auf der Osterinsel finden alte Traditionen wieder neue Anhänger. Mehr und mehr Jugendliche und Erwachsene lernen wieder die Sprache der Osterinsulaner, die lange als verpönt galt. Nach und nach hört man wieder die alten Gesänge... die alten Überlieferungen. Die alte Welt wurde verdrängt, aber nicht ausgelöscht. Finden die Osterinsulaner zu ihren Wurzeln zurück? Man kann es nur hoffen!
Nach Heyerdahl war die Osterinsel einst von einem dichten Wald überzogen. Die Menschen benötigten das Holz dringend: zum Beispiel für den Bau von Schiffen. Ohne die Schiffe gab es keinen Fischfang. Ohne Fischfang drohten Hungersnöte auf der Osterinsel. Die alten Mythen erinnern an finstere Zeiten: Kam es zum Kannibalismus auf der Osterinsel, als die Menschen keine Fische mehr fangen konnten? Die Menschen müssen aber doch von der Bedeutung von Holz fürs Überleben gewusst haben. Und doch rodeten sie die Insel kahl?
Die Osterinsel ist mit einer Fläche von nur etwa 160 Quadratkilometern überschaubar klein. Von den drei Vulkankegeln aus kann das ansonsten flache Eiland vollkommen überblickt werden. Die Bewohner der geheimnisvollen Insel müssen also frühzeitig erkannt haben, dass die Waldbestände ihrer Heimat zur Neige gingen. Und trotzdem brachen sie ihre Rodungen nicht ab, sondern fällten nach und nach die letzten Palmen?
Überheblichkeit steht uns Menschen der »zivilisierten« Welt nicht zu. Gewiss, unsere Heimat – der blaue Planet Erde – ist sehr viel größer als die Osterinsel. Aber wir können zu Beginn des dritten Jahrtausends unsere »Insel« im All mindestens genauso gut überblicken wie die Osterinsel einst ihre Heimat. Wir wissen von der Bedeutung der einst riesigen Urwälder als »Lunge« der Erde. Mögen Umweltschützer zahlreicher Nationen noch so laut protestieren, so geht die Vernichtung der tropischen Regenwälder nach wie vor weiter. Die Profitgier weniger scheint stärker zu sein als Vernunft.
Jahr für Jahr werden Tropenwälder in gigantischem Umfang abgeholzt! In nur drei Jahren werden Waldflächen von der Größe Deutschlands vernichtet! Beispiel Kambodscha: Vor rund drei Jahrzehnten waren fast drei Viertel des Landes von Tropenwäldern bedeckt. 1996 war mehr als die Hälfe dieser Urwaldbestände verschwunden. Bis heute wird weiter abgeholzt. Der angeblich so zivilisierte Mensch verhält sich heute nicht klüger als die angeblich so »schlichten« Osterinsulaner. Wider besseres Wissen werden die Lungen von Planet Erde zerstört.
Schon manches Mal habe ich die Osterinsel besucht. Ich habe die mysteriösen Monumente des Eilands in der Südsee bestaunt. Ich habe die langsam verfallenden Denkmäler einer uralten Kultur betrauert. Und ich stelle mir heute die Frage: Ist heute unsere Erde in ihrer Gesamtheit eine neue »Osterinsel«? Wird die menschliche Zivilisation von Planet Erde wie einst die Kultur der Osterinsel verschwinden?
Einst versank Atlantis in den Fluten.. heißt es in der Überlieferung. Der Ausbruch von Supervulkanen oder der Einschlag großer Meteore mag wiederholt zu weltweiten Apokalypsen geführt haben. Wiederholt stand wohl alles Leben auf unserem Heimatplaneten vor dem Aus. Seit Jahrmillionen bricht ein Vulkan unvorstellbarer Größe aus... Der gesamte »Yellowstone Nationalpark« (Wyoming, Montana, Idaho) – rund 10 000 Quadratkilometer groß – liegt auf einer gigantischen Magmablase, die verdächtig blubbert. Alle 600 000 Jahre bricht dieser Supervulkan aus. Die nächste Katastrophe ist eigentlich überfällig.
Ein Ausbruch dieses echten Höllenpfuhls kann zur Apokalypse führen... mit extremen Temperaturstürzen, ewiger Nacht, einer neuen Eiszeit, Hungersnöten und millionenfachem Sterben. Die Wirklichkeit kann weit schlimmer ausfallen als angeblich schwarzseherische Filmvisionen wie
»2012« von Roland Emmerich. Gewaltige Materiemassen in der Atmosphäre schirmen das wärmende Sonnenlicht ab. Finsternis bricht über die Welt herein. Die Nahrungsmittelproduktion bricht zusammen. Hungersnöte kosten unzählige Menschenleben. Eine neue Eiszeit löst Chaos aus.
Wird Planet Erde auch einmal so veröden wie die Osterinsel? Wird der Wald sterben, werden die Urwälder verschwinden, wird sich die Erde in einen toten Planeten verwandeln? Wird der Mensch die Raumfahrt als Chance nutzen? Einst flohen Menschen vom versinkenden Atlantis der Südsee auf die Osterinsel. Werden künftige Menschen Zuflucht im All suchen und finden, in gigantischen Raumschiffen? Die Pläne für gigantische Weltraumstädte mit künstlicher Schwerkraft liegen schon seit Jahrzehnten vor. Hermann Oberth, Vater der Weltraumfahrt, war davon überzeugt: der Mensch wird in die Weiten des Alls reisen.
Einst nahm der fliegende Gott Make Make Abschied von der Osterinsel. Wird der Mensch der Zukunft Abschied von Planet Erde nehmen? Wird er sich auf die Reise zu neuen Welten aufmachen... so wie einst die Bewohner des »Atlantis der Südsee« eine neue Heimat im Pazifik suchten?
Als ich zum bislang letzten Mal von der Osterinsel Abschied nahm.. hatte ich ein fast mystisches Erlebnis. Bei geheimnisvollem Licht schienen Himmel und Erde miteinander zu verwachsen. Wird die »Grenze« zwischen Erde und Weltall schon bald überwunden werden? Bedenken wir: Vor Jahrtausenden war die Erforschung des Pazifik ohne heutige Technik ein echtes Abenteuer. Rätselhaft ist es nach wie vor, wie die »primitiven« Südseebewohner zum ersten Mal Tausende Kilometer in kleinen Schiffen überwunden haben sollen, um ihnen unbekannte Inselchen in den Weiten des Meeres zu entdecken.
Menschen haben den Mond betreten. Sie haben nach kosmischen Maßstäben einen ersten Schritt ins All gewagt. Die erste wirkliche Reise in die Tiefen des Kosmos steht uns aber erst noch bevor! Wirkliche Astronauten werden zu den Sternen fahren! Die heutigen Pioniere der Raumfahrt sind dabei, die ersten Stufen in den Kosmos zu bauen! Heute muss das Fundament gelegt werden, damit der Mensch morgen wirklich ins All aufbrechen kann. Der Flug zum Mond war erst ein kleiner Schritt für die Menschheit!
Im »Heiligen Land« soll einst Jahwe auf einen Berg hernieder gestiegen und Moses die steinernen Tafeln mit den »Zehn Geboten« ausgehändigt haben. Auf der Osterinsel scheinen sich Himmel und Ede manchmal auf geheimnisvolle Weise nahe zu sein... einander zu berühren. Auf der Osterinsel fühlte ich mich dem Geheimnis des »Atlantis der Südsee« sehr nahe. In sternenklaren Nächten scheint auf der Osterinsel das Weltall so nah wie nirgendwo sonst auf der Welt zu sein.
(Fortsetzungen sind für 2010 geplant! Der Verfasser)
Die anderen Teile der Serie: