Samstag, 14. November 2009

„Bestatten, mein Name ist Tod!“, Teil II

(Auszug)

- unveröffentlicht -
© gcroth, 13.11.2009


...

Hermann beschloss, die alte Kiste von David, die seit seinem Verschwinden, unberührt in der Ecke des Friedhofbüros stand, mit seinem Spaten aufzubrechen. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sie nicht verschlossen war. Modergeruch stieg ihm in die Nase, als er den verstaubten Holzdeckel öffnete. Kein Wunder, unsortiert lagen Knochen, Schlüssel, Zettel, schmutzigen Socken, Fotos, Zigarettenkippen, Tabakreste und leere Rotweinflaschen darin. Ein Dutzend polierte Rattenschädel fischte er angewidert aus dem Durcheinander heraus und legte sie in einer Reihe an die Schreibtischkante.

Hermann hatte sich das Gruseln schnell abgewöhnt, nachdem er Davids Totengräberjob übernommen hatte. Doch beim Anblick vier kleiner Kinderschädel, die unter all dem Gerümpel zum Vorschein kamen, packte ihn das nackte Grausen. Plötzlich hatte er das Gefühl, David würde hinter ihm stehen und ihn jeden Augenblick hinterrücks angreifen. Erschrocken sprang er auf und drehte sich um. Doch da war nichts. Sein Herzschlag raste und der Schweiß brach ihm aus. Hermann wagte kaum zu atmen, während er mit aufgerissenen Augen in die Stille horchte.

„O.K., O.K., David“, Hermann griff nach den Rattenköpfen und warf sie hektisch zurück in die Kiste, „es geht mich ja eigentlich auch nichts an.“ Während er vorsichtig die Kinderschädel zurücklegte, fiel ihm ein Bündel Briefe auf, das unter diversen zerdrückten Farbtuben hervor guckte. Er zögerte, sah sich noch einmal um, ob auch wirklich niemand im Raum war, dann griff er das Bündel, das mit einem schmutzigen Zwirn zusammengehalten war, klappte den Deckel der Kiste zu und schob sie zurück in die Ecke.

„Abschiedsbrief für David“ stand auf dem obersten Cuvert. Hermann setzte sich auf die Pritsche, streifte das Band vom Briefpacken ab und drehte den Brief um. „Susanne, 8. Oktober 1997“ stand dort.
Von einem Abschiedsbrief, den Susanne hinterlassen haben soll, hatte Sieberts ihm nie etwas erzählt. Er öffnete den Brief. Als er das Papier herauszog, fiel ein Ring heraus und rollte über den Boden, quer durch dem Raum und blieb vor der Kiste in der Ecke liegen.

8. Oktober 1997
Hallo David,
wenn du diesen Brief liest, werde ich schon weit fort sein von dir. Weiter noch, als du jemals reisen kannst, in deinem Leben. Ich könnte dir endlose Seiten schreiben und dir erklären, weshalb ich nicht mehr bleiben kann. Aber das alles ist hundertfach gesagt und tausendfach in dir verhallt. Und wenn du, wie schon so oft, sagen wirst, dass du verlassen wurdest, dann soll dieser Brief mein Zeuge sein, dass niemand dich jemals verlassen hat. Denn du bist wie ein Raum ohne Fenster und ohne Türen. Unerreichbar lebst du in einer fremden einsamen Welt, die kein Mensch betreten kann. Du allein könntest diesen Raum verlassen, um Teil des Lebens anderer zu werden, um Freude und Leid teilen zu können, um Freunde und Geborgenheit geben und nehmen zu können. Doch das wird niemals geschehen.

Nein, wenn ich gehe, wirst du genauso einsam sein, wie du es immer warst. Vielleicht wirst du verstehen, dass ich heimlich gehen muss, denn ich möchte nicht das gleiche Schicksal erleiden, wie „die Frau“, die angeblich von einem „Wildtier“ gerissen wurde. Und sei dir gewiss, ich kenne den wahren Grund für ihren Tod. Und eines Tages wird die ganze Wahrheit ans Licht kommen. Das bin ich mir und all denen schuldig, die auf deinem Weg erfroren und verloren gegangen sind.


Totengräber
weinen nicht


Erstickendes Schweigen
der Sprachlosigkeit
eliminiert erbarmungslos
Lebenslust.

Anspruchsloser Ausdruck
der Abwesenheit
vermittelt gnadenlose
Gleichgültigkeit.

Versteckter Schmerz
der Einsamkeit
flieht heimlich
der Welt.

Ausgebremste Wut
der Hilflosigkeit
schleudert abgehackte
Worte.

Verweigernder Rückzug
der Vemeintlichkeit
straft bewegungslos
was Hände reicht.

Alle Mühe war vergebens.

Annehmende Akzeptanz
der Unmöglichkeit
heilt blutende Wunden
der Hoffnungslosigkeit.

Erschöpftes Loslassen
der Ziellosigkeit
erfrischt hoffnungsvoll
zukünftige Zeit.

Einsamkeit
erstarrt.

Leben
bewegt.

Gruß Susanne, die sonnenhungrig nach Leben durstet.


Herrmann war aufgesprungen und lief erregt im Raum hin und her. Seine Gedanken überschlugen sich, immer mehr geriet er in Aufregung, während er die Zeilen wieder und wieder überflog. Das waren doch nicht die letzten Worte einer Selbstmörderin! Abrupt griff er nach seiner Taschenlampe, eilte hinaus in die Dunkelheit, hastete den Kiesweg entlang und blieb atemlos vor Susannes Grab stehen. Er leuchtete den Grabstein ab. Da stand es: Gest. 10. Oktober 1997. Das war zwei Tage, nachdem der Brief geschrieben wurde. Susanne wollte David also verlassen! Sollte der Unfall am Kastanienbaum gar kein Unfall gewesen sein? Wieder und wieder wanderte sein Blick hin und her und verglich das Datum auf dem Stein mit dem Datum des Briefes. Fragen huschten durch seine verwirrten Gedanken. Wo war David geblieben? Warum war er nach Susannes Beerdigung wie vom Erdboden verschluckt? Hatte nichts mitgenommen, außer seinem Motorrad? Er sah sich um. War da ein Geräusch? Er leuchtete mit der Taschenlampe die Umgebung ab und lauschte angestrengt in die Nacht. Eine eigenartige Stimmung lag über dem Friedhof und wieder hatte Hermann das Gefühl, dass etwas Bedrohliches ganz in seiner Nähe war.

© gcroth, 13.11.2009
Fortsetzung im II. Band „Bestatten, mein Name ist Tod!“ Erscheinungstermin: Sommer 2010.
Hier geht es zum Band I, "Bestatten, mein Name ist Tod!"






1 Kommentar:

  1. Das hört sich sehr vielversprechend an.
    Ich freue mich schon auf den zweiten Teil des Bestatter- Buches.

    Mit herzlichem Gruß
    Anna-Lena

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