Teil IV der Serie
»Das Atlantis der Südsee«
von Walter-Jörg Langbein
Das kleine Rinnsal schlängelte sich mühsam zwischen kleinen und größeren Lavabrocken dahin... und war plötzlich verschwunden. Wohin wohl? Ein leises glucksendes Rauschen schien aus dem Innersten der Erde zu kommen. »Folge der Stimme des Wassers!« raunte mir mein Guide zu.
Es hat lange, sehr lange gedauert, bis er bereit war, mich in ein Geheimnis der Osterinsel einzuweihen. Nie und nimmer, das war die Bedingung, dürfe ich verraten, wer es war, der mich an einen der geheimnisvollsten Orte der Osterinsel geführt hatte. Nie und nimmer dürfe ich auch nur andeuten, wo sich jener Eingang in eine fremde Welt befindet. Erst als ich absolute Verschwiegenheit versprach, wurde mir der »Weg des Wassers« gezeigt.
Mein Guide deutete auf eine Felsspalte im Boden, die das kleine Bächlein aufnahm. Ein gurgelndes Geräusch machte nicht gerade Mut. Mein Guide aber nickte zuversichtlich. Und so zwängte ich mich durch den schmalen Riss im steinharten Boden und stieg nach unten. Mit den Füßen suchte ich Halt, mit den Händen klammerte ich mich fest. Bald schon erkannte ich, wie eng der felsige Abstieg war. Und das gab mir Sicherheit.
Mit dem Rücken presste ich mich gegen rauen Stein, mit Händen, Armen, Knien und Füßen hielt ich dagegen. Das kalte Wasser begleitete mich. Es machte den Fels glitschig. So rutschte ich wiederholt nach unten, ich stürzte aber nicht. Ich fand immer wieder Halt. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Nach Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorgekommen waren, hatte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich hob den Blick, starrte nach oben. Der schmale Einstieg wirkte wie ein blendender Riss in der Dunkelheit.
Mein Rücken, meine Hände, Arme, Ellenbogen, meine Knie, meine Beine... alles schmerzte. Mein innerer Schweinehund gab einen klaren Befehl: Klettere zurück, krieche aus diesem Loch... atme wieder frische Luft. »Folge der Stimme des Wassers!« hatte mir mein Guide geraten. Nach stundenlangen Gesprächen bis spät in die Nacht hatte er mir ein verlockendes Angebot gemacht. Ich würde in die Unterwelt des Osterinsel steigen dürfen. Ich würde – alleine – erleben dürfen, was selbst so manchem Osterinsulaner unbekannt bleiben musste. Wie konnte ich da eine Reise abbrechen, noch bevor sie wirklich begonnen hatte? So widersetzte ich mich dem Wunsch, wieder nach oben ins Licht zu klettern. Ich blieb also stehen.
Wie tief mochte der Schacht sein, dem ich – der Stimme des Wassers folgend – mehr hinabgerutscht als bewusst mehr oder minder senkrecht ins vulkanische Gestein der Osterinsel gefolgt war? Ich reckte mich, streckte meine Arme nach oben... das Tageslicht mochte vier oder fünf Meter über mir schimmern. Oder waren es nur drei? Ich fühlte meinen Puls langsamer werden. Ich spürte die Stille um mich – fast körperlich. Langsam ließ ich mich auf die Knie, tastete mit den Händen den steinernen, teilweise schlammigen Boden ab. Da war es wieder, dieses kleine Rinnsal. In einem schmalen Wasserfall kam es aus dem Licht.... und verschwand. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Ich erkannte so etwas wie einen niedrigen Gang am Grunde des Schachts. Die Stimme des Wassers lockte mich hinein.
Auf allen Vieren kroch ich in den Gang. Bald war es pechschwarz um mich herum. Immer wieder stieß ich mich mit dem Kopf, mit den Schultern, den Armen. Immer wieder schien mein »innerer Schweinehund« die Überhand zu gewinnen. Und doch kroch ich weiter... nur noch ein kleines Stück. Sobald ich mehr Platz haben würde, konnte ich ja wenden und umkehren.... aber in dieser Enge? Im Nachhinein, das muss ich zugeben, muss ich über einen Gedanken lachen, der mir damals immer wieder kam. Kannte ich nicht eine ähnliche Situation aus der Literatur? Tatsächlich fühlte ich mich – so übertrieben pathetisch das jetzt auch für mich klingen mag – wie Arne Saknussem aus Jules Vernes Roman »Reise zum Mittelpunkt der Erde«.
Wohin würde mich die Stimme des Wasser führen, der ich in einem unterirdischen Korridor kriechend, folgte? Was würde ich entdecken? Warum sollte ich weder Taschenlampe noch Photoapparat bei meinem Abenteuer in einer schmalen, natürlich entstandenen Röhre durch die vulkanische Unterwelt der Osterinsel dabei haben? Das Tageslicht war längst weit hinter mir geblieben. Und die Luft war immer stickiger geworden. Einmal mehr stieß ich mit der Stirn schmerzhaft gegen Fels. Ich legte mich auf den Bauch und kroch weiter. Das Rinnsal sammelte sich, wurde tiefer. Schließlich kam es mir immer mehr vor als würde ich in einer eisigen schlammiger werdenden Brühe schwimmen.
Aus der Stimme des »inneren Schweinehundes« war längst die der Vernunft geworden. Aber die Sturheit erwies sich als stärker... meine Sturheit. Und plötzlich änderte sich die Situation schlagartig. Die Stimme des Wassers wurde zu einem lauten Tosen. Die stickige miefige Luft roch plötzlich nicht mehr nach Moder, sondern nach Salz und Seetang. Und die Luft stand nicht mehr drückend, vielmehr wehten mir heftige Luftwirbel entgegen. Die Dunkelheit, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte, wich hellem Tageslicht. Für einen Moment war ich wie geblendet. Vor mir erstreckte sich der weite, weite pazifische Ozean. Meer und Himmel schienen ineinander überzugehen. Und tief unter mir schlugen heftige Wellen an eine Steilklippe. Rhythmisch schoss die weiße Gischt des Meeres zu mir empor.
Ich war der Stimme des Wassers gefolgt... aber was wollte sie mir sagen? Sie hatte mich von einer ausgedörrten steinigen Region der Osterinsel in eine unterirdische Röhre geführt. Anders als bei der »Reise zum Mittelpunkt der Erde« von Jules Verne hatte ich keine urzeitlichen Monster in einer unterirdischen Welt entdeckt. Der Tunnel endete in einer Steilklippe, die viel zu hoch war, als dass ich in die tosende Hölle der brausenden Wogen hätte hinabsteigen können.
Im Laufe von mehreren Besuchen auf der Osterinsel habe ich einige solcher Höhlen besucht. Sie führen unterirdisch mitten in senkrecht zum Meer abfallende Steilküsten. Welchem Zweck dienten sie? Warum krochen die Osterinsulaner einst durch unterirdische Tunnel, die plötzlich abrupt endeten: in Felswänden, die viel zu hoch über der tosenden Brandung lagen, als dass man dort hätte zum Meer hinab gelangen können!
Mir gingen die Worte meines Guides nicht aus dem Sinn. Wie lautete die Botschaft des Wassers.. des Meeres? Ich verstand sie nicht, so sehr ich mir auch auf dem Rückweg durch den Tunnel ans Tageslicht das Hirn zermarterte. Wieder ging es durch die niedrige Stelle im Höhlengang. Und plötzlich näherte ich mich wieder dem senkrechten engen Schacht. Ich blickte zum Spalt im Fels empor, durch den ich in die »Unterwelt« gestiegen war. Geradezu grell war der scharf umrissene Lichtkegel, der wie aus fernem Himmel tief in die Unterwelt hinein leuchtete. Nach einigen Minuten hatten sich meine Augen an die neue Situation gewöhnt. Als ich den steilen Schacht wieder emporklettern wollte, machte ich eine Entdeckung: an der Seite befand sich ein steinernes Relief. Es zeigte ein Bildnis, das die Osterinsulaner so oft verewigt haben: das rundliche Gesicht Make Makes mit den starr, ja glotzend wirkenden Augen.
Immer wieder haben die Künstler der Osterinsel dieses Gesicht in Petroglyphen, in steinernen Reliefs verewigt... im Verlauf von Hunderten von Jahren. Sie ritzten es in den relativ weichen vulkanischen Stein. Unzählige – vielleicht die meisten dieser Darstellungen – sind von der Witterung so stark beschädigt worden, dass sie kaum noch zu erkennen sind. Niemand weiß, wie viele Kunstwerke längst ausgelöscht worden sind. Wird es gelingen, die wenigen, noch gut erhaltenen Exemplare so zu konservieren, dass sie auch noch in Jahrhunderten Zeugnis einer uralten Kultur werden ablegen können?
Die Osterinsel ist in ihrer Gesamtheit ein einziges Rätsel. Auf einer fast spitz in die Weiten des Pazifik hinausragenden Klippe im Südwesten des Eilands entstand vor vielen Jahrhunderten eine mysteriöse Kultstätte: Orongo. Zum Meer hin fällt die steile Steinwand fast 300 Meter senkrecht ab. Unweit des Rano Kao Vulkankraters entstanden hier geheimnisvolle steinerne Häuser, die an Bunker erinnern. Flache Steine wurden mörtellos zusammengefügt. Warum haben die seltsamen Häuser so gewaltige, wuchtige Steindecken? Warum sind die Räume so niedrig, dass man sich oft nur eher kriechend als aufrecht darin aufhalten kann? Ich habe einige der Innenräume gemessen: Die »Höhe« lag stets um 1,40 Meter!
Eine Erklärung lautet: Das war kein herkömmliches Dorf, das war eine sakrale Wachstation. Hier lagen Wächter auf der Lauer, die die geheimnisvollen Felszeichnungen vor Beschädigung oder Zerstörung bewahren mussten. Die steinernen Kunstwerke sind höchst geheimnisvoll. Immer wieder taucht das Gesicht des Gottes Make Make auf. Make Make soll es ja gewesen sein, der einem Priester – den er durch die Lüfte entführt hatte – die Osterinsel zeigte: als Zufluchtstätte für die Menschen, die das Atlantis der Südsee noch fluchtartig verlassen konnten!
Orongo, der Name der heiligen Stätte, ist vermutlich eine Variante eines alten Götternamens: Rongo. Kurioser Zufall: Der biblische Gott Jahwe erklärte den Regenbogen zum Symbol des Bundes mit »seinem« Volk, mit Israel. Rongo wurde von den Ur-Osterinsulanern im Regenbogen gesehen. Jahwes Stimme grollte wie der Donner.... Rongo sprach aus dem Donner. Mag sein, dass Rongo ein anderer Name für Make Make ist.
Einst gab es eine Vielzahl von Gemälden in den »Bunkern« von Orongo. Sie zierten die Wände. Ein besonders verehrtes Motiv, das zugleich den christlichen Missionaren ein schmerzhafter Dorn im Auge gewesen sein muss, soll Rongo alias Make Make gewesen sein. Die heiligen Malereien sind heute vor Ort nicht mehr auffindbar. Stundenlang bin ich in den niedrigen Räumen umhergekrochen, habe die Wände mit meiner Taschelampe abgeleuchtet und fand keine Farbspur mehr... von ganzen Gemälden ganz zu schweigen. Viele mögen mutwillig zerstört, einige in Museen gerettet worden sein. Mitte des vergangenen Jahrhunderts – also vor rund 50 bis 60 Jahren – soll es immerhin noch etwa zehn gut erhaltene Motive in den mysteriösen »Bunkerbauten« gegeben haben.
Am Abend meiner »Höhlenexkursion« fragte mich mein Guide, ob ich die Botschaft des Wassers verstanden habe. Verschämt musste ich zugeben: »Nicht wirklich...« Ich fasse die Antwort des Guide zusammen:
»Der Gang durch die Finsternis der unterirdischen Höhle entspricht dem Weg des Unwissenden durch die Dunkelheit der Unkenntnis. Er sieht nichts. Der Unwissende kriecht durch den Gang und wenn er dazu bereit ist, kann er in Steinen wie in einem Buch lesen! Plötzlich steht er an einem Ausgang. Aus der Dunkelheit gelangt er wieder ins Licht. Doch noch kann er nur sehen, er kommt aber nicht weiter! Er erblickt tief unter sich die peitschenden Wogen des Ozeans. Noch kann er nicht den Abstieg wagen. Aber eines Tages wird er es können! Er blickt in die Ferne und sieht die Wogen des Meeres. Weit, weit jenseits des Horizonts gibt es andere Inseln. Eines Tages wird er sie besuchen können. Den Inseln im Meer entsprechen die Sterne am Himmel. Noch scheinen die fernen Eilande unerreichbar zu sein. Doch eines Tages wird es möglich sein, sie zu besuchen... ferne Inseln im Meer ebenso wie ferne Planeten im Meer des Alls. So wie es Menschen auf anderen Inseln im Meer gibt, so sind auch andere Planeten in den Weiten des Alls bewohnt. Eines Tages werden wir sie besuchen können!«
»Der Mensch wird fremde Welten in den Tiefen des Kosmos besuchen?« fragte ich ungläubig den Guide. Der lachte schallend. »Der Mensch wird geboren. Er wächst in der Kinderstube auf, so wie der Vogel im Nest. Kein Vogel bleibt für immer in seinem Nest. Er wächst heran und lernt fliegen. Dann verlässt er sein Nest und erkundet die Umgebung. Er wagt sich immer weiter und weiter weg!« Auch der Mensch werde nicht in seiner »Kinderstube Planet Erde« bleiben, sondern in die Tiefen des Alls vordingen. »Oder möchtest du für immer in deiner Kinderstube sitzen?«
»Das Atlantis der Südsee«
von Walter-Jörg Langbein
Das kleine Rinnsal schlängelte sich mühsam zwischen kleinen und größeren Lavabrocken dahin... und war plötzlich verschwunden. Wohin wohl? Ein leises glucksendes Rauschen schien aus dem Innersten der Erde zu kommen. »Folge der Stimme des Wassers!« raunte mir mein Guide zu.
Es hat lange, sehr lange gedauert, bis er bereit war, mich in ein Geheimnis der Osterinsel einzuweihen. Nie und nimmer, das war die Bedingung, dürfe ich verraten, wer es war, der mich an einen der geheimnisvollsten Orte der Osterinsel geführt hatte. Nie und nimmer dürfe ich auch nur andeuten, wo sich jener Eingang in eine fremde Welt befindet. Erst als ich absolute Verschwiegenheit versprach, wurde mir der »Weg des Wassers« gezeigt.
Mein Guide deutete auf eine Felsspalte im Boden, die das kleine Bächlein aufnahm. Ein gurgelndes Geräusch machte nicht gerade Mut. Mein Guide aber nickte zuversichtlich. Und so zwängte ich mich durch den schmalen Riss im steinharten Boden und stieg nach unten. Mit den Füßen suchte ich Halt, mit den Händen klammerte ich mich fest. Bald schon erkannte ich, wie eng der felsige Abstieg war. Und das gab mir Sicherheit.
Mit dem Rücken presste ich mich gegen rauen Stein, mit Händen, Armen, Knien und Füßen hielt ich dagegen. Das kalte Wasser begleitete mich. Es machte den Fels glitschig. So rutschte ich wiederholt nach unten, ich stürzte aber nicht. Ich fand immer wieder Halt. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Nach Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorgekommen waren, hatte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich hob den Blick, starrte nach oben. Der schmale Einstieg wirkte wie ein blendender Riss in der Dunkelheit.
Mein Rücken, meine Hände, Arme, Ellenbogen, meine Knie, meine Beine... alles schmerzte. Mein innerer Schweinehund gab einen klaren Befehl: Klettere zurück, krieche aus diesem Loch... atme wieder frische Luft. »Folge der Stimme des Wassers!« hatte mir mein Guide geraten. Nach stundenlangen Gesprächen bis spät in die Nacht hatte er mir ein verlockendes Angebot gemacht. Ich würde in die Unterwelt des Osterinsel steigen dürfen. Ich würde – alleine – erleben dürfen, was selbst so manchem Osterinsulaner unbekannt bleiben musste. Wie konnte ich da eine Reise abbrechen, noch bevor sie wirklich begonnen hatte? So widersetzte ich mich dem Wunsch, wieder nach oben ins Licht zu klettern. Ich blieb also stehen.
Wie tief mochte der Schacht sein, dem ich – der Stimme des Wassers folgend – mehr hinabgerutscht als bewusst mehr oder minder senkrecht ins vulkanische Gestein der Osterinsel gefolgt war? Ich reckte mich, streckte meine Arme nach oben... das Tageslicht mochte vier oder fünf Meter über mir schimmern. Oder waren es nur drei? Ich fühlte meinen Puls langsamer werden. Ich spürte die Stille um mich – fast körperlich. Langsam ließ ich mich auf die Knie, tastete mit den Händen den steinernen, teilweise schlammigen Boden ab. Da war es wieder, dieses kleine Rinnsal. In einem schmalen Wasserfall kam es aus dem Licht.... und verschwand. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Ich erkannte so etwas wie einen niedrigen Gang am Grunde des Schachts. Die Stimme des Wassers lockte mich hinein.
Auf allen Vieren kroch ich in den Gang. Bald war es pechschwarz um mich herum. Immer wieder stieß ich mich mit dem Kopf, mit den Schultern, den Armen. Immer wieder schien mein »innerer Schweinehund« die Überhand zu gewinnen. Und doch kroch ich weiter... nur noch ein kleines Stück. Sobald ich mehr Platz haben würde, konnte ich ja wenden und umkehren.... aber in dieser Enge? Im Nachhinein, das muss ich zugeben, muss ich über einen Gedanken lachen, der mir damals immer wieder kam. Kannte ich nicht eine ähnliche Situation aus der Literatur? Tatsächlich fühlte ich mich – so übertrieben pathetisch das jetzt auch für mich klingen mag – wie Arne Saknussem aus Jules Vernes Roman »Reise zum Mittelpunkt der Erde«.
Wohin würde mich die Stimme des Wasser führen, der ich in einem unterirdischen Korridor kriechend, folgte? Was würde ich entdecken? Warum sollte ich weder Taschenlampe noch Photoapparat bei meinem Abenteuer in einer schmalen, natürlich entstandenen Röhre durch die vulkanische Unterwelt der Osterinsel dabei haben? Das Tageslicht war längst weit hinter mir geblieben. Und die Luft war immer stickiger geworden. Einmal mehr stieß ich mit der Stirn schmerzhaft gegen Fels. Ich legte mich auf den Bauch und kroch weiter. Das Rinnsal sammelte sich, wurde tiefer. Schließlich kam es mir immer mehr vor als würde ich in einer eisigen schlammiger werdenden Brühe schwimmen.
Aus der Stimme des »inneren Schweinehundes« war längst die der Vernunft geworden. Aber die Sturheit erwies sich als stärker... meine Sturheit. Und plötzlich änderte sich die Situation schlagartig. Die Stimme des Wassers wurde zu einem lauten Tosen. Die stickige miefige Luft roch plötzlich nicht mehr nach Moder, sondern nach Salz und Seetang. Und die Luft stand nicht mehr drückend, vielmehr wehten mir heftige Luftwirbel entgegen. Die Dunkelheit, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte, wich hellem Tageslicht. Für einen Moment war ich wie geblendet. Vor mir erstreckte sich der weite, weite pazifische Ozean. Meer und Himmel schienen ineinander überzugehen. Und tief unter mir schlugen heftige Wellen an eine Steilklippe. Rhythmisch schoss die weiße Gischt des Meeres zu mir empor.
Ich war der Stimme des Wassers gefolgt... aber was wollte sie mir sagen? Sie hatte mich von einer ausgedörrten steinigen Region der Osterinsel in eine unterirdische Röhre geführt. Anders als bei der »Reise zum Mittelpunkt der Erde« von Jules Verne hatte ich keine urzeitlichen Monster in einer unterirdischen Welt entdeckt. Der Tunnel endete in einer Steilklippe, die viel zu hoch war, als dass ich in die tosende Hölle der brausenden Wogen hätte hinabsteigen können.
Im Laufe von mehreren Besuchen auf der Osterinsel habe ich einige solcher Höhlen besucht. Sie führen unterirdisch mitten in senkrecht zum Meer abfallende Steilküsten. Welchem Zweck dienten sie? Warum krochen die Osterinsulaner einst durch unterirdische Tunnel, die plötzlich abrupt endeten: in Felswänden, die viel zu hoch über der tosenden Brandung lagen, als dass man dort hätte zum Meer hinab gelangen können!
Mir gingen die Worte meines Guides nicht aus dem Sinn. Wie lautete die Botschaft des Wassers.. des Meeres? Ich verstand sie nicht, so sehr ich mir auch auf dem Rückweg durch den Tunnel ans Tageslicht das Hirn zermarterte. Wieder ging es durch die niedrige Stelle im Höhlengang. Und plötzlich näherte ich mich wieder dem senkrechten engen Schacht. Ich blickte zum Spalt im Fels empor, durch den ich in die »Unterwelt« gestiegen war. Geradezu grell war der scharf umrissene Lichtkegel, der wie aus fernem Himmel tief in die Unterwelt hinein leuchtete. Nach einigen Minuten hatten sich meine Augen an die neue Situation gewöhnt. Als ich den steilen Schacht wieder emporklettern wollte, machte ich eine Entdeckung: an der Seite befand sich ein steinernes Relief. Es zeigte ein Bildnis, das die Osterinsulaner so oft verewigt haben: das rundliche Gesicht Make Makes mit den starr, ja glotzend wirkenden Augen.
Immer wieder haben die Künstler der Osterinsel dieses Gesicht in Petroglyphen, in steinernen Reliefs verewigt... im Verlauf von Hunderten von Jahren. Sie ritzten es in den relativ weichen vulkanischen Stein. Unzählige – vielleicht die meisten dieser Darstellungen – sind von der Witterung so stark beschädigt worden, dass sie kaum noch zu erkennen sind. Niemand weiß, wie viele Kunstwerke längst ausgelöscht worden sind. Wird es gelingen, die wenigen, noch gut erhaltenen Exemplare so zu konservieren, dass sie auch noch in Jahrhunderten Zeugnis einer uralten Kultur werden ablegen können?
Die Osterinsel ist in ihrer Gesamtheit ein einziges Rätsel. Auf einer fast spitz in die Weiten des Pazifik hinausragenden Klippe im Südwesten des Eilands entstand vor vielen Jahrhunderten eine mysteriöse Kultstätte: Orongo. Zum Meer hin fällt die steile Steinwand fast 300 Meter senkrecht ab. Unweit des Rano Kao Vulkankraters entstanden hier geheimnisvolle steinerne Häuser, die an Bunker erinnern. Flache Steine wurden mörtellos zusammengefügt. Warum haben die seltsamen Häuser so gewaltige, wuchtige Steindecken? Warum sind die Räume so niedrig, dass man sich oft nur eher kriechend als aufrecht darin aufhalten kann? Ich habe einige der Innenräume gemessen: Die »Höhe« lag stets um 1,40 Meter!
Eine Erklärung lautet: Das war kein herkömmliches Dorf, das war eine sakrale Wachstation. Hier lagen Wächter auf der Lauer, die die geheimnisvollen Felszeichnungen vor Beschädigung oder Zerstörung bewahren mussten. Die steinernen Kunstwerke sind höchst geheimnisvoll. Immer wieder taucht das Gesicht des Gottes Make Make auf. Make Make soll es ja gewesen sein, der einem Priester – den er durch die Lüfte entführt hatte – die Osterinsel zeigte: als Zufluchtstätte für die Menschen, die das Atlantis der Südsee noch fluchtartig verlassen konnten!
Orongo, der Name der heiligen Stätte, ist vermutlich eine Variante eines alten Götternamens: Rongo. Kurioser Zufall: Der biblische Gott Jahwe erklärte den Regenbogen zum Symbol des Bundes mit »seinem« Volk, mit Israel. Rongo wurde von den Ur-Osterinsulanern im Regenbogen gesehen. Jahwes Stimme grollte wie der Donner.... Rongo sprach aus dem Donner. Mag sein, dass Rongo ein anderer Name für Make Make ist.
Einst gab es eine Vielzahl von Gemälden in den »Bunkern« von Orongo. Sie zierten die Wände. Ein besonders verehrtes Motiv, das zugleich den christlichen Missionaren ein schmerzhafter Dorn im Auge gewesen sein muss, soll Rongo alias Make Make gewesen sein. Die heiligen Malereien sind heute vor Ort nicht mehr auffindbar. Stundenlang bin ich in den niedrigen Räumen umhergekrochen, habe die Wände mit meiner Taschelampe abgeleuchtet und fand keine Farbspur mehr... von ganzen Gemälden ganz zu schweigen. Viele mögen mutwillig zerstört, einige in Museen gerettet worden sein. Mitte des vergangenen Jahrhunderts – also vor rund 50 bis 60 Jahren – soll es immerhin noch etwa zehn gut erhaltene Motive in den mysteriösen »Bunkerbauten« gegeben haben.
Am Abend meiner »Höhlenexkursion« fragte mich mein Guide, ob ich die Botschaft des Wassers verstanden habe. Verschämt musste ich zugeben: »Nicht wirklich...« Ich fasse die Antwort des Guide zusammen:
»Der Gang durch die Finsternis der unterirdischen Höhle entspricht dem Weg des Unwissenden durch die Dunkelheit der Unkenntnis. Er sieht nichts. Der Unwissende kriecht durch den Gang und wenn er dazu bereit ist, kann er in Steinen wie in einem Buch lesen! Plötzlich steht er an einem Ausgang. Aus der Dunkelheit gelangt er wieder ins Licht. Doch noch kann er nur sehen, er kommt aber nicht weiter! Er erblickt tief unter sich die peitschenden Wogen des Ozeans. Noch kann er nicht den Abstieg wagen. Aber eines Tages wird er es können! Er blickt in die Ferne und sieht die Wogen des Meeres. Weit, weit jenseits des Horizonts gibt es andere Inseln. Eines Tages wird er sie besuchen können. Den Inseln im Meer entsprechen die Sterne am Himmel. Noch scheinen die fernen Eilande unerreichbar zu sein. Doch eines Tages wird es möglich sein, sie zu besuchen... ferne Inseln im Meer ebenso wie ferne Planeten im Meer des Alls. So wie es Menschen auf anderen Inseln im Meer gibt, so sind auch andere Planeten in den Weiten des Alls bewohnt. Eines Tages werden wir sie besuchen können!«
»Der Mensch wird fremde Welten in den Tiefen des Kosmos besuchen?« fragte ich ungläubig den Guide. Der lachte schallend. »Der Mensch wird geboren. Er wächst in der Kinderstube auf, so wie der Vogel im Nest. Kein Vogel bleibt für immer in seinem Nest. Er wächst heran und lernt fliegen. Dann verlässt er sein Nest und erkundet die Umgebung. Er wagt sich immer weiter und weiter weg!« Auch der Mensch werde nicht in seiner »Kinderstube Planet Erde« bleiben, sondern in die Tiefen des Alls vordingen. »Oder möchtest du für immer in deiner Kinderstube sitzen?«
Mein Guide wiederholte: »Die Inseln der Südsee stehen für die Inseln im All. Früher glaubten manche Menschen, nur die eigene Insel sei bewohnt. Falls es überhaupt weitere Inseln geben sollte, so könnten diese nur unbewohnt sein! Das klingt naiv, ja dumm. Aber es gibt auch heute noch Menschen in der ›zivilisierten Welt‹, die der festen Überzeugung sind, dass es außer Planet Erde keine anderen Planeten im All gibt... und wenn doch, dann nur unbewohnte!
Schwimmend konnten die Urbewohner der See, die Pazifik genannt wird, keine fernen Inseln erreichen. Sie mussten Schiffe bauen und die Kunst der Navigation erlernen. Der ›zivilisierte Mensch‹ von heute ist dabei, ›Schiffe‹ zu bauen, mit denen er zu fernen Inseln im All gelangen kann!« Die Mitteilungen des Guide deckten sich zum Teil mit meinem Wissen aus langjährigem Literaturstudium der Südseemythologie. Alte Südseeüberlieferungen belegen, so wusste ich aus meinem Literaturstudium, dass der Weltraum als ›kalter leerer Raum‹ bekannt war. Und in dieser weiten Leere vermutete man ›Inseln‹, andere Welten. Dort wiederum wähnte man tatsächlich Leben! In der »Polynesian Mythology« findet sich ein deutlicher Hinweis auf diesen Sachverhalt. Da lesen wir von einem Rehua, der eine Reise zu den Himmeln antritt:
»›Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?‹ -›Ja, sie sind bewohnt.‹ antwortete man. ›Kann ich zu diesen Himmeln gelangen?‹ fragte er. ›Nein, du wirst sie nicht erreichen können, da diese Himmel von Tane erbaut sind.‹«Rehua erreicht den zweiten Himmel und fragt wiederum ein Wesen, das er dort antrifft: »›Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?‹ - ›Ja, aber du wirst sie nicht erreichen können, da sie von Tane erbaut wurden.‹« Im dritten Himmel wiederholt sich das gleiche Spiel: Wieder erfährt der neugierige Rehua, dass auch der nächst höhere Himmel bewohnt sei. Und das gilt, so bringt er in Erfahrung, für alle »Himmel«! Südseeinseln verglich man mit Inseln im All. So wie Inseln in den Meeren unseres Planeten bewohnt sind, so galten die Planeteninseln im Universum ebenfalls als besiedelt. Und wer über entsprechende Technologie verfügt, der kann diese fernen Inseln im All auch erreichen.
Schwimmend konnten die Urbewohner der See, die Pazifik genannt wird, keine fernen Inseln erreichen. Sie mussten Schiffe bauen und die Kunst der Navigation erlernen. Der ›zivilisierte Mensch‹ von heute ist dabei, ›Schiffe‹ zu bauen, mit denen er zu fernen Inseln im All gelangen kann!« Die Mitteilungen des Guide deckten sich zum Teil mit meinem Wissen aus langjährigem Literaturstudium der Südseemythologie. Alte Südseeüberlieferungen belegen, so wusste ich aus meinem Literaturstudium, dass der Weltraum als ›kalter leerer Raum‹ bekannt war. Und in dieser weiten Leere vermutete man ›Inseln‹, andere Welten. Dort wiederum wähnte man tatsächlich Leben! In der »Polynesian Mythology« findet sich ein deutlicher Hinweis auf diesen Sachverhalt. Da lesen wir von einem Rehua, der eine Reise zu den Himmeln antritt:
»›Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?‹ -›Ja, sie sind bewohnt.‹ antwortete man. ›Kann ich zu diesen Himmeln gelangen?‹ fragte er. ›Nein, du wirst sie nicht erreichen können, da diese Himmel von Tane erbaut sind.‹«Rehua erreicht den zweiten Himmel und fragt wiederum ein Wesen, das er dort antrifft: »›Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?‹ - ›Ja, aber du wirst sie nicht erreichen können, da sie von Tane erbaut wurden.‹« Im dritten Himmel wiederholt sich das gleiche Spiel: Wieder erfährt der neugierige Rehua, dass auch der nächst höhere Himmel bewohnt sei. Und das gilt, so bringt er in Erfahrung, für alle »Himmel«! Südseeinseln verglich man mit Inseln im All. So wie Inseln in den Meeren unseres Planeten bewohnt sind, so galten die Planeteninseln im Universum ebenfalls als besiedelt. Und wer über entsprechende Technologie verfügt, der kann diese fernen Inseln im All auch erreichen.
Zu diesen fernen Welten kann man nicht nur reisen... wenn man die entsprechenden »Verkehrsmittel« besitzt. Wesen von diesen fernen Welten können auch zur Erde gelangen. Sollten tatsächlich in der Vergangenheit kosmische Besucher aus dem All einst zur Erde gekommen sein? Was auf den ersten Blick phantastisch klingen mag, das wird durch einen knappen Text bestätigt, den Egbert Richter-Ushanas – ein Experte auf dem Gebiet der geheimnisvollen Osterinselschrift – erstmals von der Tafel »Aruka Kurenga« (einer uralten Holztafel mit geheimnisvollen Zeichen) übersetzt: »Durch den Himmel gestürzt kam Hotu Matua von jenem Land in dieses Land, und er ließ sich nieder im Nabel des Himmels.«
Stellen wir uns vor, ein Außerirdischer kommt aus den Tiefen des Alls, als Besucher auf unseren Planeten. Ein Wesens namens Pourangahua wird in alter polynesischer Mythologie so zitiert: »Ich komme, und eine unbekannte Erde liegt unter meinen Füßen. Ich komme, und ein neuer Himmel dreht (sich) über mir. Ich komme auf diese Erde und sie ist ein friedlicher Rastplatz für mich. O Geist des Planeten!« Sprach so ein Außerirdischer, der einst aus dem Himmelsozean kam und der Erde einen Besuch abstattete?
Stellen wir uns vor, ein Außerirdischer kommt aus den Tiefen des Alls, als Besucher auf unseren Planeten. Ein Wesens namens Pourangahua wird in alter polynesischer Mythologie so zitiert: »Ich komme, und eine unbekannte Erde liegt unter meinen Füßen. Ich komme, und ein neuer Himmel dreht (sich) über mir. Ich komme auf diese Erde und sie ist ein friedlicher Rastplatz für mich. O Geist des Planeten!« Sprach so ein Außerirdischer, der einst aus dem Himmelsozean kam und der Erde einen Besuch abstattete?
Für die Besatzung eines Raumschiffs, die unzählige Lichtjahre zurückgelegt haben mag, um unseren Heimatplaneten zu erreichen... muss unsere Heimat wie ein herrlicher Edelstein in einem unendlichen Meer aus Nichts erschienen sein, wie eine unschätzbare Kostbarkeit. Wie aber gehen wir mit unserer Heimat um? Wir zerstören Planet Erde scheinbar mutwillig... Und wir wollen »intelligente Wesen« sein?
Mein mühsam-abenteuerlicher Weg durch die Unterwelt - so verstand ich erst im Nachhinein - sollte eine spirituelle Reise sein: durch die Dunkelheit ins Licht. Taschenlampe und Fotoapparat hätten nur abgelenkt, gestört. Es war vergleichbar mit einem Aufnahmeritus. Nicht der Intellekt wurde angesprochen, sondern tieferes Empfinden.
.
Hier gibt es die vorherigen Teile der Blogserie:
Packend geschrieben, dieser Beitrag vereint in perfekter Weise fachliche Information mit fesselnder Erzählkunst!
AntwortenLöschenDen Hinweis auf den Roman von Jules Verne finde ich sehr gut. Obwohl die Verhältnisse in der Südsee mit jenen des isländischen "Snäfells" wohl nicht vergleichbar sind, wird in beiden Fällen die achtungsvolle Demut vor der Natur und ihrem Schöpfer hervorgerufen. Ich freue mich schon auf den nächsten literarischen Sonntag!
Danke für den Kommentar! Ich fühle mich verstanden! Je mehr ich mich mit den Geheimnissen unseres Planeten beschäftige, desto größer wird mein Respekt vor dem Unbekannten. Wissenschaft lässt leider nur zu oft die achtungsvolle Demut vermissen, die wirklich großen Wissenschaftlern zueigen ist! Nochmals: Danke für den Kommentar! Morgen fange ich mit Teil V meiner Südsee-Serie an.
AntwortenLöschen