Das moderne Märchen "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry las ich vor einigen Jahrzehnten das erste Mal und gestern erneut. Zunächst habe ich mich gut eine Stunde mit den hübschen Illustrationen befasst, die der Hand des Autors entstammen und viel über ihn selbst zu erkennen geben. De Saint-Exupéry hat sich das innere Kind bewahrt und gewährt ihm in diesen Zeichnungen kreativen Freiraum.
Die Geschichte möchte ich nicht wiedergeben, weil sie in vielen Rezensionen und auch bei Wikipedia verkürzt nachzulesen ist. Soviel nur: der Erzähler ist in der Sahara notgelandet, trifft dort auf den kleinen Prinzen, der von einem fernen Astroiden zur Erde gekommen ist, um Freunde zu suchen. Auf dem Weg zur Erde hat er andere Astroiden besucht und dort Menschen, sogar ein Tier kennengelernt, denen allen gemeinsam ihre Einsamkeit ist, die aus unterschiedlichen Gründen die Folge ihres Charakters bzw. Tuns darstellt.
Ich habe mir einige Sätze im Buch unterstrichen, die mich besonders berührten, vielleicht, weil mir in meinem Leben ähnliche Zeitgenossen begegnet sind: "Ich kenne einen Planeten, auf dem ein puterroter Herr haust. Er hat nie den Duft einer Blume geatmet. Er hat nie einen Stern angeschaut. Er hat nie jemand geliebt. Er hat nie etwas anderes als Additionen gemacht. Und den ganzen Tag wiederholt er wie du: Ich bin ein ernsthafter Mann! Und das macht ihn ganz geschwollen vor Hochmut. Aber das ist kein Mensch, das ist ein Schwamm."
Wie oft begegnen uns solche Technokraten, die ganz geschwollen vor Hochmut die Nöte ihrer Mitmenschen, die Schönheit der Natur sowie die Heiterkeit von Kindern nicht sehen und oft Entscheidungen treffen, die andere ins Unglück stürzen, weil ihr Zahlen- und Regelwerk, ihr auswenig gelerntes Wissen für sie das Maß aller Dinge ist und nicht der Mensch? Leider viel zu oft, nicht wahr?
Ein weiterer Gedanke, der mir zwar gefallen hat, den ich aber mit Skepsis betrachte, ist folgender: "Die Autorität beruht vor allem auf Vernunft. Wenn du deinem Volk befiehlst zu marschieren und sich ins Meer zu stürzen, wird es revoltieren."
Dem ersten Teil des Gedankens stimme ich widerspruchslos zu: "Die Autorität beruht vor allem auf Vernunft." Den zweiten Teil stelle ich in Frage, weil die NS-Zeit zeigt, das ein Volk durchaus mittels manipulativer Maßnahmen so weit zu bringen ist, dass es billigend einen totalen Krieg in Kauf nimmt, der den Verlust von allem was ihm etwas bedeutet, zur Folge haben kann.
In jeder Generation ist erneut Aufklärung notwendig, um Rattenfängern keine Chance zu geben und autoritären Handlungsweisen den Boden zu entziehen. Ein Mensch der Autorität besitzt, ist niemals autoritär. Machtmißbrauch ist das Ergebnis einer Schwäche, ist die Folge von Mangel an Persönlichkeit, die die Grundvoraussetzung von wahrer Autorität ist.
Asteroid des kleinen Prinzen als Brunnen im „Museum of The Little Prince“ in Hakone, Japan ©Arnaud Malon |
Nachdenklich stimmte mich die Illustration des Eitlen. Er erinnerte mich an einen Menschen, den ich einst kannte und dem gleichgültig war, welche Freunde er hatte. Hauptsache war, dass sie ihn bewunderten.
Der wichtigste Satz, den ich im Buch fand, las ich auf Seite 93: " Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Leider verschließen immer mehr Menschen ihr Herz und je älter sie werden, um so weniger bereit sind sie, mit dem Herzen zu sehen. So entgeht ihnen vieles, was notwendig ist, um zu zufriedenstellenden Erkenntnissen zu gelangen. Alles bleibt Stückwerk.
Lange habe ich über den Dialog des kleinen Prinzen mit dem Fuchs nachgedacht, der dem Prinzen mitteilt, dass dieser ihn zähmen müsse, damit er für ihn und der Prinz für den Fuchs einzig sei in der Welt. "Zähmen, das ist eine in Vergessenheit geratene Sache," sagte der Fuchs. "Es bedeutet sich vertraut machen."
"Sich vertraut machen" haben viel Menschen in unserer schnelllebigen Zeit leider tatsächlich vergessen. Beziehungen werden gewechselt wie die Unterwäsche, das Gegenüber wird nicht mit dem Herzen betrachtet, sondern nur beäugt und taxiert, welchen Nutzen es bringen kann.
Man muss wieder zu staunen beginnen und sich täglich all des Schönen erfreuen, dann ist man auch bereit, mit dem Herzen zu schauen. Die vorliegende Lektüre hilft dabei, nicht zuletzt, weil sie an das Kind, das in jedem Menschen nicht aufgehört hat zu leben, appelliert.
Das scheint mir manchmal wie mit dem Virus zu sein, das Jahre in einem Menschen schlummert, bevor er an der Gürtelrose, dem Herpes zoster, erkrankt. Das Virus hat genauso wenig aufgehört, in dem Menschen zu leben, wie vielleicht die eigene Kindheit. Vielleicht hilft das Buch, die wieder aus der Versenkung zu holen.
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