Teil 71 der Serie
»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Chavin de Huantar muss einst eine wirklich imposante Anlage gewesen sein. Das gewaltige Portal wurde inzwischen wieder teilweise restauriert. Auf zwei wuchtigen Granitsäulen ruhte einst eine riesige Steinplatte von knapp neun Metern Länge. Rechts und links von den Säulen standen einst sauber geglättete Steinplatten. Ein Erdbeben hat wohl das imposante Ensemble zum Einsturz gebracht. Die Trümmer wurden von Archäologen wieder aufgerichtet.
Einst war hinter dem Toreingang eine Pyramide zu sehen. Sie hatte vermutlich eine Seitenlänge von siebzig Metern und eine Höhe von mindestens fünfzehn Metern. Von der Pyramide ist heute nichts mehr vorhanden. Ihre Überreste liegen unter einem natürlich wirkenden Erdhügel verborgen.
Welchem Zweck die Gebäude von Chavin einst dienten, niemand vermag das zu sagen. Falsch ist die willkürlich gewählte Bezeichnung »Castillo«, was so viel wie »Schloss« oder »Burg« bedeutet. Mag sein, dass die geheimnisvollen Bauten Jahrtausende überstanden. Zerstört wurde der stolze Komplex erst im 20. Jahrhundert ... ausnahmsweise nicht von plündernden Eroberern, sondern von den Naturgewalten.
1919 untersuchte der peruanische Archäologe Julio C. Tello gut erhaltene Bauten. Unzufrieden über seine spärlichen Erkenntnisse reiste er wieder ab. Als der Wissenschaftler 1934 nach Chavin de Huantar zurückkehrte ... waren sie zerstört. Ein meist harmlos dahinplätschernder Bach, so nahm er an, hatte sich kurzfristig zu einem Wassermassen führenden Strom entwickelt und verheerende Verwüstungen angerichtet.
Offenbar hatten die Erbauer von Chavin de Huantar von den Gefahren gewusst, die von den Wassermassen aus den Berggipfeln ausgehen können. Sie errichteten nicht nur Pyramiden und Tempel, sie legten auch ein komplexes Schutz-System an. Sie schotteten den Gebäudekomplex mit wuchtigen Steinmonolithen ab. Sie legten Kanäle an, die die sporadisch auftretenden Wassermassen um die Anlage herum führten. Und sie konstruierten ein komplexes Röhrensystem unter den Bauten, das gefährliche Wassermengen unterirdisch ableiten sollte. Es gab Kanäle, die im Falle einer Überflutung mit Gebirgswasser die Fluten sammelten und dann unterirdisch abführten.
Wann versagte dieses System ... und warum? Irgendwann wurde Chavin de Huantar aufgegeben. Die Abwasser-Tunnels wurden nicht mehr gewartet. Verschlammten sie? Wurde das sorgfältig konstruierte System wirkungslos? Allein schon die unterirdischen Abwasserröhren waren eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. 1965 wurden erste Galerien unter Chavin de Huantar entdeckt und freigelegt: keine »simple« Kanalisation, sondern ein weiträumiges System von begehbaren Gängen und merkwürdigen Kammern. Noch ist erst ein Bruchteil der Unterwelt erforscht ... von den zugänlichen Gängen und Räumen! Weite Bereiche müssen erst ausgegraben werden, bevor sie erforscht werden können! Wie groß sie sind ... das weiß niemand!
Mich hat die Unterwelt von Chavin de Huantar mehr fasziniert als die im Schlamm begrabenen Gebäude. Und so suchte ich bei meinen Besuchen immer wieder nach Eingängen zu den mysteriösen Tunneln. Ich wurde mehrfach fündig ... abseits der rekonstruierten Mauern, fern des einst imposanten Tors. Ich bin in mehrere Eingänge geklettert.
Mehrfach musste ich schon nach einigen Metern wieder umkehren, weil wuchtige, von der Decke gestürzte Steinbrocken ein Weiterkommen unmöglich machten. Einmal war der Boden so verschlammt, von eisigem, seitlich hereinquellenden Wasser, dass ich auf eine weitere Erkundung verzichtete.
Großen Eindruck machte auf mich, wie massive Steinbrocken von offensichtlich beachtlichem Gewicht zum Einsatz kamen: als Boden- und Deckenplatten in mannshohen, unterirdischen Gängen, aber auch in mysteriösem Kammern. In einigen Kammern hat man offensichtlich Bodensteine mit großer Gewalt zerschlagen, vielleicht weil man Schätze darunter vermutete? An solchen Stellen kann man erkennen, wie dick solche Bodenplatten oft sind. Der Stein wude von weit her antransportiert.
Den Erbauern war gewiss bekannt, dass die Region von Chavin de Huantar häufig von auch starken Erdbeben heimgesucht wurde. So versuchte man, so erdbebensicher wie nur möglich zu bauen. So soll auch manche Mauer erst vor wenigen Jahrzehnten eingestürzt sein, als Chavin de Huantar als »Steinbruch« missbraucht wurde. Steinquader wurden herausgebrochen und weggeschleppt, andere Steine rutschten nach ... Auch sollen manche Eingänge zugeschüttet worden sein, um bösen Geistern den Besuch in der Welt der Lebenden zumindest zu erschweren.
Welchem Zweck zum Teil sehr schmale und dabei sehr hohe Korridore dienten ... niemand vermag das zu sagen. Die Namen, mit denen einzelne unterirdische Tunnelkomplexe versehen wurden, sind willkürlich gewählt.
Da gibt es eine »Galerie der Fledermäuse«. Diese Bezeichnung passt mehr oder minder zu allen Galerien, hausen doch überall Fledermäuse. Ihre Hinterlassenschaften an Wänden und am Boden dürften manchen Besucher abschrecken. Eine weiterer unterirdischer Irrgarten wird als »Galerie des Verrückten« tituliert. Einleuchtender ist die Bezeichnung »Galerie der Treppen« für wieder einen anderen Teil der mysteriösen Unterwelt.
Die »Galerie der Opfergaben« wurde besonders intensiv untersucht. Im Hauptgang wurden unzählige Tonscherben gefunden, die in mühsamer Geduldsarbeit wieder zu fast 700 Keramikgefäßen zusammengefügt werden konnten. Die Tonwaren sind vor vielen Jahrhunderten bewusst zerschlagen worden. Zerschlagen und zersplittert hat man auch Knochen, die mit Erdreich vermengt entdeckt wurden: von Alpakas, Andenhirschen, Beutelratten, Füchsen und Opposums. Gefunden wurden auch zerschlagene Vogelknochen ... und solche von Menschen.
Wurden Mensch und Tier irgendwo oben in der Welt der Lebenden geopfert und zerstückelt? In Sechín – ich darf daran erinnern – gibt es Steingravuren von zerteilten Menschen ... Wurden die so verstümmelten Körper in der »Galerie der Opfergaben« abgelegt? Warum befanden sich fast alle der Knochen im Hauptkorridor der Galerie und nicht in den neun schmalen Kämmerchen? Waren die beengten Räume als Behausungen für Götter oder Geister gedacht, die sich an den im Gang davor liegenden Gaben bedienen konnten? Oder projizieren wir nur unsere Fantasien in Räume und Funde, die wir nicht verstehen können? Suchen wir nur Bestätigung für unser Bild von der Vergangenheit des Menschen?
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Besonders makaber: Die Menschenknochen waren gekocht worden. Gab es rituellen Kannibalismus in Chavin de Huantar, vielleicht in einem Tempel im überirdischen Komplex? Oder fanden grausige Riten in der unterirdischen Welt statt? Oder bereitete man die Opfer als Mahl für Götter oder Geister vor? Wollte man jenen Wesen kein rohes Fleisch zumuten? Warum zerstückelte man die Opfergaben? Falls die göttlichen Wesen in der Vorstellung der Menschen in den in den unterirdischen Kammern hausten: sehr bequem hatten sie es nicht. Die Räume waren sehr schmal, etwa einen Meter, dafür bis zu 2 Meter hoch ... nach unserem heutigen Verständnis recht unpraktisch!
Ich habe zahlreiche Messungen in der »Galerie der Opfergaben« vorgenommen. Der Hauptgang ist bis zu zwei Meter hoch, aber nie breiter als 90 cm! Die Länge beträgt etwa 25 Meter.
Immer wieder enden unterirdische Tunnel abrupt, weil Steinmassen eingebrochen sind. Andere scheinen als blinde Gänge angelegt worden zu sein. Dann heißt es ... umkehren! Immer wieder kommt man an Abzweigungen.. oder besonders niedrige Passagen, die man nur auf dem Bauch kriechend überwinden kann. Und immer wieder versperren Steinbrocken den Weg, warnen vor lebensgefährlicher Einsturzgefahr. Werden wir je Chavin de Huantar verstehen? Es gibt noch sehr viel zu tun für die Forschung!
Platzangst sollte ein Erforscher der Unterwelt von Chavin de Huantar jedenfalls nicht haben ... und auch keine allzugroßen hygienischen Ansprüche stellen!
»Die Lanze zwischen Himmel und Hölle«,
Teil 72 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05.06.2011
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»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Das Tor zur Pyramide Foto W-J.Langbein |
Einst war hinter dem Toreingang eine Pyramide zu sehen. Sie hatte vermutlich eine Seitenlänge von siebzig Metern und eine Höhe von mindestens fünfzehn Metern. Von der Pyramide ist heute nichts mehr vorhanden. Ihre Überreste liegen unter einem natürlich wirkenden Erdhügel verborgen.
Welchem Zweck die Gebäude von Chavin einst dienten, niemand vermag das zu sagen. Falsch ist die willkürlich gewählte Bezeichnung »Castillo«, was so viel wie »Schloss« oder »Burg« bedeutet. Mag sein, dass die geheimnisvollen Bauten Jahrtausende überstanden. Zerstört wurde der stolze Komplex erst im 20. Jahrhundert ... ausnahmsweise nicht von plündernden Eroberern, sondern von den Naturgewalten.
1919 untersuchte der peruanische Archäologe Julio C. Tello gut erhaltene Bauten. Unzufrieden über seine spärlichen Erkenntnisse reiste er wieder ab. Als der Wissenschaftler 1934 nach Chavin de Huantar zurückkehrte ... waren sie zerstört. Ein meist harmlos dahinplätschernder Bach, so nahm er an, hatte sich kurzfristig zu einem Wassermassen führenden Strom entwickelt und verheerende Verwüstungen angerichtet.
Einer der Abwasserkanäle Foto W-J.Langbein |
Wann versagte dieses System ... und warum? Irgendwann wurde Chavin de Huantar aufgegeben. Die Abwasser-Tunnels wurden nicht mehr gewartet. Verschlammten sie? Wurde das sorgfältig konstruierte System wirkungslos? Allein schon die unterirdischen Abwasserröhren waren eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. 1965 wurden erste Galerien unter Chavin de Huantar entdeckt und freigelegt: keine »simple« Kanalisation, sondern ein weiträumiges System von begehbaren Gängen und merkwürdigen Kammern. Noch ist erst ein Bruchteil der Unterwelt erforscht ... von den zugänlichen Gängen und Räumen! Weite Bereiche müssen erst ausgegraben werden, bevor sie erforscht werden können! Wie groß sie sind ... das weiß niemand!
Bunkerartiger Eingang Foto W-J.Langbein |
Mehrfach musste ich schon nach einigen Metern wieder umkehren, weil wuchtige, von der Decke gestürzte Steinbrocken ein Weiterkommen unmöglich machten. Einmal war der Boden so verschlammt, von eisigem, seitlich hereinquellenden Wasser, dass ich auf eine weitere Erkundung verzichtete.
Großen Eindruck machte auf mich, wie massive Steinbrocken von offensichtlich beachtlichem Gewicht zum Einsatz kamen: als Boden- und Deckenplatten in mannshohen, unterirdischen Gängen, aber auch in mysteriösem Kammern. In einigen Kammern hat man offensichtlich Bodensteine mit großer Gewalt zerschlagen, vielleicht weil man Schätze darunter vermutete? An solchen Stellen kann man erkennen, wie dick solche Bodenplatten oft sind. Der Stein wude von weit her antransportiert.
Tonnenschwere Decksteine wirken bedrohlich ... Foto W-J.Langbein |
Welchem Zweck zum Teil sehr schmale und dabei sehr hohe Korridore dienten ... niemand vermag das zu sagen. Die Namen, mit denen einzelne unterirdische Tunnelkomplexe versehen wurden, sind willkürlich gewählt.
Da gibt es eine »Galerie der Fledermäuse«. Diese Bezeichnung passt mehr oder minder zu allen Galerien, hausen doch überall Fledermäuse. Ihre Hinterlassenschaften an Wänden und am Boden dürften manchen Besucher abschrecken. Eine weiterer unterirdischer Irrgarten wird als »Galerie des Verrückten« tituliert. Einleuchtender ist die Bezeichnung »Galerie der Treppen« für wieder einen anderen Teil der mysteriösen Unterwelt.
Eine der Kammern Foto W-J.Langbein |
Wurden Mensch und Tier irgendwo oben in der Welt der Lebenden geopfert und zerstückelt? In Sechín – ich darf daran erinnern – gibt es Steingravuren von zerteilten Menschen ... Wurden die so verstümmelten Körper in der »Galerie der Opfergaben« abgelegt? Warum befanden sich fast alle der Knochen im Hauptkorridor der Galerie und nicht in den neun schmalen Kämmerchen? Waren die beengten Räume als Behausungen für Götter oder Geister gedacht, die sich an den im Gang davor liegenden Gaben bedienen konnten? Oder projizieren wir nur unsere Fantasien in Räume und Funde, die wir nicht verstehen können? Suchen wir nur Bestätigung für unser Bild von der Vergangenheit des Menschen?
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Eine niedrige Passage Foto W-J.Langbein |
Ich habe zahlreiche Messungen in der »Galerie der Opfergaben« vorgenommen. Der Hauptgang ist bis zu zwei Meter hoch, aber nie breiter als 90 cm! Die Länge beträgt etwa 25 Meter.
Immer wieder enden unterirdische Tunnel abrupt, weil Steinmassen eingebrochen sind. Andere scheinen als blinde Gänge angelegt worden zu sein. Dann heißt es ... umkehren! Immer wieder kommt man an Abzweigungen.. oder besonders niedrige Passagen, die man nur auf dem Bauch kriechend überwinden kann. Und immer wieder versperren Steinbrocken den Weg, warnen vor lebensgefährlicher Einsturzgefahr. Werden wir je Chavin de Huantar verstehen? Es gibt noch sehr viel zu tun für die Forschung!
Platzangst sollte ein Erforscher der Unterwelt von Chavin de Huantar jedenfalls nicht haben ... und auch keine allzugroßen hygienischen Ansprüche stellen!
WJL in der Unterwelt Foto Ingeborg Diekmann |
Teil 72 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05.06.2011
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