Sonntag, 4. September 2011

85 »Der Lebensbaum in der Wüste«

Teil 85 der Serie
»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Auf der Osterinsel erlebte ich mehrere Male, wie sich ein dramatisch grollender Himmel und eine sattgrüne Erde zu berühren schienen. Die Natur bot so eine geradezu ideale Naturbühne für ein mysteriöses Schauspiel ... für eine Voodoozeremonie. »Houngan-Man« leitete die Zeremonie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Himmel und Erde
Foto: Walter-Jörg Langbein
»Houngan-Man« erklärte mir die Geheimnisse der Osterinsel, die mir das Eiland in ganz anderem Licht erscheinen ließen. Ob seine Version die richtige ist? Ich weiß es nicht. Die Statuen der Osterinsel, so bedeutete er mir, stecken nicht zufällig zu einem großen Teil in der Erde und ragen mit steinernem Haupt in den Himmel empor. »Die Vulkane der Osterinsel verbinden Erde und Himmel. In der Spitze geht der feuerspeiende Berg in den Himmel über.« Die Statuen – aus Vulkangestein – »verbinden ebenfalls Erde und Himmel«.

Dankbar denke ich an aufschlussreiche Gespräche mit dem »Magier« zurück. Immer wieder greife ich auf meine handschriftlichen Notizen, die ich von der Osterinsel mitgebracht habe, zurück. Dann kommt es mir vor, als wäre ich eben erst auf der Osterinsel gewesen ...Wenn dem Menschen die Natur fremd wird, wenn der Mensch meint, die Natur beherrschen zu können ... so der »Houngan-Man«, gehe die Einheit von Erde und Himmel verloren. »Die steinernen Statuen waren der Versuch, Himmel und Erde wieder miteinander zu verbinden ... so wie der Turm zu Babel!«

Ich werfe ein: »Aber hat nicht Gott diesen Turm zerstört?« So stehe es in der Bibel, antwortet der Magier. »Aber die Bibel wurde von Männern des Patriarchats geschrieben! Männliches Machtstreben wollte die Natur unterwerfen und hat den Menschen von der Natur entfremdet. Die Zerstörung des Tempels bedeute Zerstörung der einst heilen, heiligen Natur.

Verbindung von
Erde und Himmel
Foto:
W-J.Langbein
Kurzzeitig gerät der »Houngan-Man« in Rage. »Wer meint, die Natur ausbeuten zu können ... der stört den Kreislauf zwischen Erde und Himmel ... zwischen dem Meer auf Erden und dem Meer des Himmels! Wer dieses Gleichgewicht stört, kann kurzfristig zu Macht und Reichtum kommen ... Langfristig stellt die Natur aber das alte Gleichgewicht wieder her ... auch wenn sie den Menschen wie einen Parasiten auslöschen muss!«

Das alte Wissen von den Kräften von Mutter Erde verbietet eine Ausbeutung der Natur ... so der »Houngan-Man«. »Im Patriarchat wird dieses Wissen den Menschen vorenthalten!« In der Bibel werde dieses Wissen als »göttlich« bezeichnet und den Menschen vorenthalten. Die Schlange stehe für die Göttin des Matriarchats, die den Menschen das Wissen um die Geheimnisse der Natur zugänglich machen will ... was der Gott des Patriarchats verbiete. Im »Alten Testament« heißt es (1): »Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.«

Mir kamen die Interpretationen biblischer Texte damals – im Oktober 1992 – reichlich skurril vor, wie ich zugeben muss. Das gab ich auch dem »Magier« zu verstehen. Der »Houngan-Man« nickte nur väterlich-milde. »Du wirst noch Jahrzehnte brauchen, um zu verstehen ...« Bei unserer letzten Begegnung gab er mir so etwas wie eine Prophezeiung mit auf den Weg.

»Das Geheimnis der ewigen Natur ist der Lebensbaum. Du wirst ihm dreimal begegnen ... und erst dann wirst du wirklich verstehen ...« Ich muss zugeben: fast 20 Jahre sind seit der letzten Begegnung mit dem »Houngan-Man« verstrichen ... und ich verstehe das große Geheimnis immer noch nicht. Mir ist allerdings der »Lebensbaum« erst zwei Mal begegnet ...

Der Lebensbaum in der Wüste
Foto W-J.Langbein
Jahre nach meiner so besonders interessanten Visite auf der Osterinsel war ich mit einer kleinen Gruppe von Leserinnen und Lesern in einem Motorboot unterwegs. Wir fuhren an der peruanischen Küste entlang, unterwegs zum mysteriösen »Dreizack von Pisco«, der auch als »Kandelaber« bezeichnet wird.

Ich erinnere mich: Von Pisco waren wir mit einem Minibus zum Hafen von Paracas gefahren. Von dort aus setzten wir unsere Reise im röhrenden Motorboot fort. In scheinbar rasender Fahrt über mächtige Wellen, die wie mit Riesenfäusten gegen den Rumpf unseres Bootes pochten, passierten wir »Puerto San Martin«. Wir umrundeten eine kleine Insel. Und plötzlich sahen wir etwas, das uns wie ein magisches Zeichen vorkam: den »Kandelaber« von Pisco. Er sieht so aus, als habe ein Riese dieses große Bildnis in den trockenen Wüstenboden gekratzt.

Unterschiedlichste Erklärungen sind in der Literatur zu finden, unterschiedlichste Interpretationen wurden und werden immer wieder vorgetragen ... so wie auch die absurdesten Größenangaben im Internet kursieren.

Was aber soll das Riesenbild – 180 Meter misst seine Höhe, 70 Meter seine Breite – darstellen? Wenn ich mich daran erinnere, wie wir in unserem Boot auf die riesige Erdzeichnung am sanft ansteigenden Hang zufuhren... drängt sich mir (m)eine Interpretation auf: Der »Kandelaber« scheint Meer und Himmel, Erde und Himmel miteinander zu verbinden. Bei Miloslav Stingl lese ich (2): »Andere erblicken darin (im Kandelaber) keinen Kaktus, sondern jenen sagenhaften ›Baum des Lebens‹«. Ich glaube: mir ist in der Bucht von Pisco der vom »Houngan-Man« prophezeite »Lebensbaum« begegnet ... ein riesiger Lebensbaum ... in der Wüste.

Deckengemälde in der Kilianskirche
Foto: W-J.Langbein
Ostern 2011 besuchte ich wieder einmal die Kilianskirche zu Lügde. Nachdem sie monatelang geschlossen und renoviert worden war, durfte sie nun wieder besucht werden. Die Kilianskirche gehört zu den ältesten Gotteshäusern Deutschlands. Ihre Anfänge reichen weit ins erste nachchristliche Jahrtausend zurück. Schon 784 soll Karl der Große im Vorgängerbau der Kilianskirche Weihnachten gefeiert haben. Ostern 2011 betrat ich nach langer Zeit wieder einmal die Kilianskirche ... und nahm so manches Foto auf ... auch von der Decke des Gotteshauses.

Dabei ärgerte ich mich über eine von der Decke hängende, für mein Empfinden hässliche und sehr störende Lampe. Wie ich auch das Teleobjektiv gen Decke richtete ... immer kamen der Lampenschirm nebst Glühbirne und die Aufhängung der Lampe ins Bild. Hätte man die zweifelsohne wichtige Beleuchtung nicht an anderer Stelle anbringen können?

Wieder zuhause studierte ich den kleinen, sehr empfehlenswerten Kirchenführer »Die Kilianskirche in Lügde« (3). Und da lese ich (4): »Die Kirche wurde im Stile der im Weserraum und auch am Hellweg üblichen Dekorationsmalereien ausgeschmückt. Die Kreuzgewölbe wurden durch ochsenblutrote, leider fast nicht mehr vorhandene, spiegelbildliche Gratbänder gegliedert und mit Lebensbäumen versehen. Im südlichen Mittelschiff ist noch Eva mit Schlange in der ursprünglichen Malerei erhalten.«

Eva mit Lebensbaum
und Schlange
Foto: W-J.Langbein
Die Eva war mir beim Fotografieren ... wegen meines kleinlichen Ärgers ob der Lampe ... nicht aufgefallen. Beim genauen Betrachten meiner Aufnahmen habe ich sie dann entdeckt: die biblische Eva ... am »Lebensbaum« mit Schlange! Mit kundiger Hand hat eine liebe Kollegin die störende Leitung zur Lampe aus dem Bild entfernt. (5)

Da steht sie dann ... »Eva mit Schlange«, gemalt im 12. Jahrhundert ... also zwischen 800 und 900 Jahre alt! Und die Schlange ringelt sich am »Lebensbaum« empor. »Houngan-Man« würde das Bild so deuten: Die Göttin Schlange bietet Eva das Wissen des Lebensbaums an ... das Geheimnis von Leben und Tod. Der Mensch ist nicht Herr der Natur. Die Göttin befiehlt NICHT, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Die Göttin fordert Ehre und Achtung für »Mutter Erde« ... nicht ihre Ausbeutung! Wir müssen im Einklang mit der Natur leben, uns nicht einbilden, die Natur beherrschen zu können!

Beim Betrachten des Fotos komme ich zur Überzeugung: Das ist der zweite Lebensbaum, den mir der »Houngan-Man« auf der Osterinsel prophezeite!

Eva mit Lebensbaum und Schlange
in der Kilianskirche
Foto: Ingeborg Diekmann
Nun frage ich mich: Wann und wo wird mir der dritte Lebensbaum begegnen? Und was werde ich dann verstehen? Ich bin schon sehr gespannt ... Schon jetzt verspreche ich: Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden als erste bei »EIN BUCH LESEN« informiert!




Fußnoten
1 1.Buch Mose Kapitel 3, Verse 4 und 5
2 Stingl, Miloslav: »Auf den Spuren der ältesten Reiche Perus«, Leipzig, Jena, Berlin, 2. Auflage 1990, S. 107
3 Stumpe, Dieter (Text): »Die Kilianskirche in Lügde«, herausgegeben von der Kath. Kirchengemeinde St. Marien, Lügde und Hameln 2010
4 ebenda, Seite 10
5 Zusätzlich habe ich beim Foto den Kontrast etwas verstärkt, das Foto selbst wurde nicht verändert.

»Das Geheimnis des Drachen«,
Teil 86 der Serie
»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 11.09.2011


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