Schildkröten, Schlangen und Ruinen 3
Teil 142 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
»Wir stehen vor dem sogenannten Schildkrötentempel ...« Mit einer weit ausladenden Handbewegung deutet der braun gebrannte Guide auf ein schlicht wirkendes Gebäude. »Berühmt sind seine Klarheit der Linienführung und die Proportionen der Maße ...« Ein österreichischer Tourist unterbricht den leicht gelangweilt wirkenden Führer. Mit gezücktem Bleistift und kleinem Block in der Hand fragt er: »Wie sind denn die Maße des Tempels?«
Der Guide verstummt, blickt den Frager wie einen unerwünschten Störenfried an. Dann beginnt er wieder seinen offensichtlich auswendig gelernten Text: »Wir stehen vor dem sogenannten Schildkrötentempel. Berühmt sind seine Klarheit der Linienführung und die Proportionen der Maße. Die Länge beträgt 29 Meter, die Breite 10,5 Meter und die Höhe 6,75 Meter.« Eifrig notiert der Österreicher die Zahlen. Der Guide fährt fort im Text: »Wir erkennen die Bauweise als typisch für den frühen Puuc-Stil der Spätklassik.«
Ein weiteres Mal fällt ihm der Österreicher ins Wort: »Und wie alt ist dann das Bauwerk?« Die schlechte Laune des Führers ob der neuerlichen Störung ist nun nicht mehr zu übersehen. Wieder setzt er an: »Wir stehen vor dem sogenannten Schildkrötentempel. Berühmt sind seine Klarheit der Linienführung und die Proportionen ...« Wie ein menschlicher Schallplattenspieler sondert er Wort für Wort den offensichtlich genau einstudierten Text ab.
»Die Spätklassik bestimmte den Baustil etwa von 800 bis 900 nach Christus. Beachten Sie bitte den schmucklosen Unterbau. Jede der vier Seiten weist einen Eingang auf. Im Inneren befinden sich sieben Räume!«
Der Guide legt eine kurze Pause ein. »Warum trägt dieser schöne Tempel die Schildkröten im Namen?« Er legt eine Kunstpause ein. »Beachten Sie bitte den oberen Sims. Sie sehen ... dort oben laufen Schildkröten. Wir wissen ja, wie langsam diese Tiere sind. Sie bewegen sich kaum, man könnte meinen, sie wären aus Stein ...« Nach einem kurzen Lachen über den eigenen Scherz klärt unser Führer auf: »Die Schildkröten sind natürlich aus Stein. Es handelt sich um Wasserschildkröten. Diese Tiere stehen mit einem sakralen Kult im Zusammenhang ... mit dem Wasserkult. Wasser war für die Mayas und für ihre Kultur lebensnotwendig. Kein Wasser bedeutete schlechte Ernten, Hunger und Not. Bitte folgen Sie mir weiter ...«
Sollte die Prozession von Schildkröten – von denen keine zwei auch nur in etwa gleich groß sind – tatsächlich auf einen religiösen Wasserkult hinweisen? Sehr häufig wird das eher schlichte Gebäude nicht als »Tempel«, sondern als »Haus der Schildkröten« bezeichnet. Es ist auch wahrscheinlicher, dass es sich nicht um ein sakrales, sondern um ein weltliches Bauwerk handelt: Steht es doch nicht wie die Mayatempel auf einer Pyramide.
Eine religiöse Bedeutung der Wasserschildkröte lässt sich zudem nicht nachweisen. In keiner Inschrift wird auf so etwas wie einen Wasserschildkrötenkult hingewiesen. Schildkröten tauchen allerdings im berühmten »Codex Tro-Cortesianus« auf – und zwar in Verbindung mit astronomischen Zeichen. Sollte also das »Schildkrötenhaus« mit Astronomie zu tun haben? Die drei zentralen Räume des Hauses sind exakt nach Nord-Süd ausgerichtet ... Ein Zufall?
Über dem Haupteingang eines der »Nonnenhäuser« (unsinnige Namensgebung durch die Spanier) wurde zum Hof hin eine seltsame Statue angebracht, die in der Maya-Kunst einzigartig ist: ein mysteriöses Mischwesen, eine Kreatur halb Tier und halb Mensch. Die sorgsam ausgeführte Skulptur kombiniert das Bild einer Schildkröte (deutlich zu erkennen: der Panzer!) mit dem eines Menschen! Der menschliche Teil des Mischwesens ist beschädigt. Die Beine, so es je welche gab, sind abgebrochen. Oder wurden sie abgeschlagen?
Die Kreatur scheint etwas in den Händen zu halten. Was? Das ist nicht zu erkennen. Um den Hals trägt das Wesen eine Kette mit so etwas wie einem Amulett. Der Kopf könnte von einem Federschmuck gekrönt sein ...
Der Schildkrötenmensch ... die Schildkröten im Fries ... Gab es in Uxmal einen einzigartigen Kult, der vollständig in Vergessenheit geraten ist? Ob es sich bei dem Schildkrötenwesen um einen Priester eines unbekannten Kults handelt? Leider lässt sich die mysteriöse Skulptur nicht wie ein Buch lesen ...
Am Eingang von Norden her wurde – womöglich nachträglich – eine kurioser Schlangenleib angebracht. Es scheint so, als ob der imposante Komplex von Uxmal von den Anhängern des Gottes Kukulkan übernommen wurde. Waren es Kukulkan-Priester, die das »Nonnenkloster« übernahmen? Geschah dies erst im elften oder zwölften Jahrhundert?
Hier in Uxmal, so lese ich, wurde erstmals die gefiederte Schlange dargestellt. Genauer: Es handelt sich um eine gefiederte Klapperschlange. Nun war bei den Mayas Gott Kukulkan die gefiederte Schlange. Kukulkan war für den Maya der Gott der Auferstehung und der Wiedergeburt! Kukulkan kam einst zu den Mayas, so heißt es ... und versprach, dereinst wiederzukehren. Nach mythologischer Überlieferung wird die Wiederkunft der gefiederten Kukulkan-Schlange zur Zeit des Weltuntergangs erfolgen!
Woher Kukulkan einst kam ... in dieser Frage bietet die Mythologie verschiedene Antworten: Stieg er einst aus dem Meer empor? Kam er aus einem Land jenseits des Meeres? Oder lag seine Heimat in himmlischen Gefilden?
Zur Erinnerung: Alle Jahre wieder steigt eine Schlange aus Licht am steinernen Leib der Pyramide von Chichén Itza vom Himmel herab. Sie kriecht am Treppenrand langsam, so wie die Sonne steigt, zur Erde herab. Am 21. September wiederum wandert die Lichtschlange vom Boden in den Himmel. Erich von Däniken zum grandiosen Schauspiel von Chichén Itza (1): »Das Ganze ist eine geniale Demonstration höchster Astronomie und Baukunst im Zeichen der Götter: Gott Kukulkan stieg vom Himmel hernieder. Er weilte einige Zeit unter den Menschen, belehrt sie und verschwand wieder in seiner Sternenheimat, um irgendwann erneut aufzutauchen.«
Weiter schreibt Däniken (2): »Die Kukulkan-Pyramide von Chichén Itza belegt, wie Astronomen, Mathematiker, Architekten und Priester ihre Überlieferungen dem Stein anvertrauten. Sie beweist aber auch, dass das Know-how von allem Anfang an vorhanden war. Es gab kein evolutionäres Herumprobieren an der Pyramide, keine dauernden Abänderungen und Verbesserungen. Bereits vor dem Bau musste die astronomische Ausrechnung genauso stimmen wie der Neigungswinkel der Pyramide und die Höhe der neun Plattformen. Ein perfekter Geniestreich, angelegt in der Vergangenheit für die zweifelnden Menschen der Zukunft.«
Die Pyramide von Chichén Itza kann man wie ein Buch lesen, das uns Aufschluss über das astronomische Wissen der Mayas gibt. Sie spielt uns quasi einen Film vor: von Ankunft und Abschied des Schlangengottes Kukulkan. Die heiligen Bücher der Mayas wurden zu Tausenden auf Scheiterhaufen verbrannt. Die christlichen Eroberer übersahen nur einige wenige Codices. Die steinernen Bücher konnten nicht alle zerstört werden.
Welche Botschaften mag die Pyramide des Zauberers von Uxmal für uns parat haben ... die wir bislang noch nicht entschlüsseln konnten? Mehr noch: Welche Geheimnisse mögen noch unentdeckt im Areal von Uxmal auf ihre Entdeckung warten? Noch so manche Ruine muss noch wieder aufgebaut, noch so manches Mauerwerk muss noch ausgegraben werden!
Fußnoten
1 Däniken, Erich von: »Was ist falsch im Maya-Land/ Versteckte Technologie in Tempeln und Skulpturen«, Rottenburg 2011, S.153
2 ebenda
Die Bücher von Walter-Jörg Langbein
»Rad oder nicht?«,
Schildkröten, Schlangen und Ruinen 4
Teil 143 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 14.10.2012
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Teil 142 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Der Schildkrötentempel - Foto: HJPD |
Der Guide verstummt, blickt den Frager wie einen unerwünschten Störenfried an. Dann beginnt er wieder seinen offensichtlich auswendig gelernten Text: »Wir stehen vor dem sogenannten Schildkrötentempel. Berühmt sind seine Klarheit der Linienführung und die Proportionen der Maße. Die Länge beträgt 29 Meter, die Breite 10,5 Meter und die Höhe 6,75 Meter.« Eifrig notiert der Österreicher die Zahlen. Der Guide fährt fort im Text: »Wir erkennen die Bauweise als typisch für den frühen Puuc-Stil der Spätklassik.«
Ein weiteres Mal fällt ihm der Österreicher ins Wort: »Und wie alt ist dann das Bauwerk?« Die schlechte Laune des Führers ob der neuerlichen Störung ist nun nicht mehr zu übersehen. Wieder setzt er an: »Wir stehen vor dem sogenannten Schildkrötentempel. Berühmt sind seine Klarheit der Linienführung und die Proportionen ...« Wie ein menschlicher Schallplattenspieler sondert er Wort für Wort den offensichtlich genau einstudierten Text ab.
Schildkröten-Tempel oder -Haus ... Foto W-J.Langbein |
Der Guide legt eine kurze Pause ein. »Warum trägt dieser schöne Tempel die Schildkröten im Namen?« Er legt eine Kunstpause ein. »Beachten Sie bitte den oberen Sims. Sie sehen ... dort oben laufen Schildkröten. Wir wissen ja, wie langsam diese Tiere sind. Sie bewegen sich kaum, man könnte meinen, sie wären aus Stein ...« Nach einem kurzen Lachen über den eigenen Scherz klärt unser Führer auf: »Die Schildkröten sind natürlich aus Stein. Es handelt sich um Wasserschildkröten. Diese Tiere stehen mit einem sakralen Kult im Zusammenhang ... mit dem Wasserkult. Wasser war für die Mayas und für ihre Kultur lebensnotwendig. Kein Wasser bedeutete schlechte Ernten, Hunger und Not. Bitte folgen Sie mir weiter ...«
Sollte die Prozession von Schildkröten – von denen keine zwei auch nur in etwa gleich groß sind – tatsächlich auf einen religiösen Wasserkult hinweisen? Sehr häufig wird das eher schlichte Gebäude nicht als »Tempel«, sondern als »Haus der Schildkröten« bezeichnet. Es ist auch wahrscheinlicher, dass es sich nicht um ein sakrales, sondern um ein weltliches Bauwerk handelt: Steht es doch nicht wie die Mayatempel auf einer Pyramide.
Eine der vielen Schildkröten Foto: W-J.Langbein |
Über dem Haupteingang eines der »Nonnenhäuser« (unsinnige Namensgebung durch die Spanier) wurde zum Hof hin eine seltsame Statue angebracht, die in der Maya-Kunst einzigartig ist: ein mysteriöses Mischwesen, eine Kreatur halb Tier und halb Mensch. Die sorgsam ausgeführte Skulptur kombiniert das Bild einer Schildkröte (deutlich zu erkennen: der Panzer!) mit dem eines Menschen! Der menschliche Teil des Mischwesens ist beschädigt. Die Beine, so es je welche gab, sind abgebrochen. Oder wurden sie abgeschlagen?
Die Kreatur scheint etwas in den Händen zu halten. Was? Das ist nicht zu erkennen. Um den Hals trägt das Wesen eine Kette mit so etwas wie einem Amulett. Der Kopf könnte von einem Federschmuck gekrönt sein ...
Das Mischwesen Fotos: W-J.Langbein |
Am Eingang von Norden her wurde – womöglich nachträglich – eine kurioser Schlangenleib angebracht. Es scheint so, als ob der imposante Komplex von Uxmal von den Anhängern des Gottes Kukulkan übernommen wurde. Waren es Kukulkan-Priester, die das »Nonnenkloster« übernahmen? Geschah dies erst im elften oder zwölften Jahrhundert?
Hier in Uxmal, so lese ich, wurde erstmals die gefiederte Schlange dargestellt. Genauer: Es handelt sich um eine gefiederte Klapperschlange. Nun war bei den Mayas Gott Kukulkan die gefiederte Schlange. Kukulkan war für den Maya der Gott der Auferstehung und der Wiedergeburt! Kukulkan kam einst zu den Mayas, so heißt es ... und versprach, dereinst wiederzukehren. Nach mythologischer Überlieferung wird die Wiederkunft der gefiederten Kukulkan-Schlange zur Zeit des Weltuntergangs erfolgen!
Eine der Ruinen von Uxmal Foto: W-J.Langbein |
Zur Erinnerung: Alle Jahre wieder steigt eine Schlange aus Licht am steinernen Leib der Pyramide von Chichén Itza vom Himmel herab. Sie kriecht am Treppenrand langsam, so wie die Sonne steigt, zur Erde herab. Am 21. September wiederum wandert die Lichtschlange vom Boden in den Himmel. Erich von Däniken zum grandiosen Schauspiel von Chichén Itza (1): »Das Ganze ist eine geniale Demonstration höchster Astronomie und Baukunst im Zeichen der Götter: Gott Kukulkan stieg vom Himmel hernieder. Er weilte einige Zeit unter den Menschen, belehrt sie und verschwand wieder in seiner Sternenheimat, um irgendwann erneut aufzutauchen.«
Weiter schreibt Däniken (2): »Die Kukulkan-Pyramide von Chichén Itza belegt, wie Astronomen, Mathematiker, Architekten und Priester ihre Überlieferungen dem Stein anvertrauten. Sie beweist aber auch, dass das Know-how von allem Anfang an vorhanden war. Es gab kein evolutionäres Herumprobieren an der Pyramide, keine dauernden Abänderungen und Verbesserungen. Bereits vor dem Bau musste die astronomische Ausrechnung genauso stimmen wie der Neigungswinkel der Pyramide und die Höhe der neun Plattformen. Ein perfekter Geniestreich, angelegt in der Vergangenheit für die zweifelnden Menschen der Zukunft.«
Ruinen ... Ruinen ... Foto: W-J.Langbein |
Welche Botschaften mag die Pyramide des Zauberers von Uxmal für uns parat haben ... die wir bislang noch nicht entschlüsseln konnten? Mehr noch: Welche Geheimnisse mögen noch unentdeckt im Areal von Uxmal auf ihre Entdeckung warten? Noch so manche Ruine muss noch wieder aufgebaut, noch so manches Mauerwerk muss noch ausgegraben werden!
Schildkröten umrunden das steinerne Haus - Foto: W-J.Langbein |
Fußnoten
1 Däniken, Erich von: »Was ist falsch im Maya-Land/ Versteckte Technologie in Tempeln und Skulpturen«, Rottenburg 2011, S.153
2 ebenda
Die Bücher von Walter-Jörg Langbein
»Rad oder nicht?«,
Schildkröten, Schlangen und Ruinen 4
Teil 143 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 14.10.2012
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