Sonntag, 8. Juli 2012

129 »Sie hatten schwarzes Blut«

Das Geheimnis der Anden VIII,
Teil 129 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein



Eingang zu Tiahuanaco und Puma
Punku - Foto: Ingeborg Diekmann
Kommt man nach Tiwanaku in den Hochanden Boliviens ... so findet man rasch zur großen archäologischen Stätte. Mich hat es immer wieder verwundert, dass ein eher schäbiger Maschendrahtzaun uraltes kulturelles Erbe »schützen« soll ... Ein fröstelnder Museumsangestellter öffnete die nur mit einem rostigen Vorhängeschloss »gesicherte« Tür. Aber die viele Tonnen schweren Artefakte aus uralten Zeiten sind schon durch ihr gewaltiges Gewicht vor Dieben sicher ...

Einer der großen Kenner des »Alten Peru«, Prof. Dr. Miloslav Stingl stellte, fast ein wenig befremdet fest (1): »Neben der Anbetung der Sonne sind in Altperu auch viele andere Himmelsgestirne angebetet worden.« Diese Verehrung für den Kosmos, so formulierte Prof. Dr. Stingl leise kritisierend (2) »zeugt von jener fast krankhaften Inbrunst, mit der die alten Peruaner wie gebannt den Blick zum Himmel empor auf die Sterne gerichtet haben.« Die Chimú, sie beherrschten einst das »alte Peru« von Lima bis an die Grenze Perus, meinten zu wissen, warum die penible Beobachtung der Himmelswelten so besonders wichtig sei. Die Chimú, so Prof. Stingl (3) »glaubten, daß die Menschen von den Sternen auf die Erde gelangt seien, die Herren von anderen als die gewöhnlichen Leute.« Dieser vermeintliche »Aberglaube« hielt sich noch bis in die Zeit nach der Eroberung Südamerikas durch die raubgierigen Spanier. So mussten die katholischen Geistlichen auf ausdrückliche Anordnung des Erzbischofs von Lima (4) »in ihren Pfarrsprengeln die Überzeugung bekämpfen, daß die Vorfahren der Menschen von den Sternen aus dem Weltall gekommen wären«.

Wo man auch gräbt,
tritt uraltes Mauerwerk
zutage - Foto:
Ingeborg Diekmann
Wo aber in Südamerika mag der Gedanke von der außerirdischen Herkunft des Menschen ursprünglich aufgekommen sein? Wir wissen es nicht! Eine Spur führt in die Hochanden des heutigen Bolivien, nach Tiahuanaco und Puma Punku. In dieser »steinernen Stadt« soll einst ein Volk gelebt haben, das großen Wert auf seine nicht-menschliche Herkunft legte. Seine Vorfahren kamen, so heißt es in uralten Überlieferungen, aus dem Weltall. Sie kamen zur Erde herab, noch bevor die Sonne schien, heißt es ... also aus der Schwärze des Alls. Damals seien steinerne Städte gebaut worden, die allerschönste unweit des Titicaca-Sees: Tiahuanaco, das ruhmreiche.

Dort wohnten dann auch die ersten Nachkömmlinge der Siedler aus dem All. Dem französischen Ethnologen Jean Vellard teilten die Urururur ...-Enkel jener, die einst aus dem All zur Erde kamen, mit (5): »Wir, die anderen ..., wir sind keine Menschen. Wir waren eher da als die Inka, noch bevor der Vater des Himmels Taiú die Menschen erschaffen hat, die Aymara, die Ketschua, die Weißen.« Wesen, die die Erde aus dem All kommend besiedelten, sollen die steinernen Städte Tiahuanaco und Puma gebaut haben ... schon bevor es die Aymara gab?

Alte Überlieferungen über Wesen aus dem All, die zur Erde kamen ... Tiahuanaco und Puma Punku von den Siedlern aus dem All errichtet ... muss der modern-aufgeklärte Mensch ob solcher Mythen nicht herzhaft lachen? Wissen wir doch, dass die Aymara – ein Volk, das Steinzeitniveau hatte – jene steinernen Städte mit primitiven Werkzeugen kreierten! Wir mögen dies dank »wissenschaftlicher« Vorbeter wissen und glauben ... Aber warum sagt dies denn niemand den heutigen Aymara, den Nachkommen jener meisterlichen Städtebauer?

Das ist nicht das Werk von
»Steinzeitmenschen«!
Foto: Ingeborg Diekmann
Wer Puma Punku selbst in Augenschein genommen hat ... kann nicht daran glauben, dass hier »Steinzeitmenschen« mit primitivem Werkzeug gewirkt haben ... und auf einem solchen Niveau werden die Aymara von der Wissenschaft angesiedelt!

»Die Aymara haben sich selber … nicht zum Bau Tiahuanacos bekannt. Manchen Aufzeichnungen – zum Beispiel des Forschers Harold Osborne – zufolge waren sie des Glaubens, daß die Ewige Stadt Perus in der Zeit der ›Chamac Pacha‹ erbaut worden sei, lange bevor überhaupt die Menschen oder wenigstens die Art von Menschen geschaffen worden waren, die nun die Erde bewohnen und zu denen sich selbstverständlich auch die Aymara zählen (die sich selbst übrigens einfach nur ›Haque‹, das heißt ›Menschen‹, nennen).«

Richtig ist, wie mir ein Archäologe vor Ort in Tiahuanaco erklärte, dass es die Aymara waren, die in den letzten 1.000 Jahren die Region von Tiahuanaco und Puma Punku bewohnten. Richtig ist, dass die Aymara nach dem Untergang des Tiahuanaco-Reiches die Herrschaft übernahmen. Das bedeutet aber nicht, dass die Aymara Tiahuanaco und Puma Punku gebaut haben! Wären die heutigen Aymara die Nachkommen der Städtebauer, so würden sie stolz auf die großen Leistungen ihrer Vorfahren hinweisen. Richtig ist: die Aymara herrschten über ein großes Reich. Ein großer Teil des südlichen Peru und Boliviens wurde ebenso wie der Norden Chiles von den Aymara regiert: von etwa 1180 bis 1438 christlicher Zeitrechnung. Dann wurden sie von den Inkas unterworfen.

Diese Monsterbrocken wiegen viele
Tonnen! - Foto: Ingeborg Diekmann
Die Kolossalstatuen von Tiahuanaco – so überlieferten es die Aymara – seien versteinerte Riesen. Diese Giganten seien die ursprünglichen Bewohner von Tiahuanaco und Puma Punku gewesen. Über solche Überlieferungen mag man hochnäsig lächeln. Für mich sind es aber solche Mythen, die die Aymara als Erbauer von Tiahuanaco und Puma Punku ausschließen.

Wir wissen also nicht, wer Puma Punku und Tiahuanaco in den Hochanden gebaut hat. Staunend stehen wir vor den einhundert Tonnen wiegenden Steinplatten von Puma Punku ... und können uns mit aller Phantasie nicht auch nur annähernd ausmalen, wie prachtvoll die steinerne Stadt wohl einst gewesen sein muss! Bedenken wir: Nachdem die Spanier die Kultstätten auf der Suche nach Goldschätzen verwüstet hatten, setzten örtliche Indianer das Werk der Zerstörung fort. Vier Jahrhunderte lang dienten vor allem Puma Punku, aber auch Tiahuanco als Steinbruch. Tausende und Abertausende Tonnen von Stein wurde abtransportiert.

Monstermauer, konserviert im
Erdreich - Foto: W-J.Langbein
Was zu groß war, wurde zerschlagen ... in »kultivierteren« Zeiten mit Dynamit gesprengt. Tonnen und abermals Tonnen von Stein wurden in »primitiven« Häusern ebenso verbaut wie in Mauern. Ganze Kirchen wurden aus Stein aus Puma Punku und Tiahuanaco aufgetürmt. Die Ingenieure der »Eisenbahn des Fortschritts« bedienten sich in Puma Punku ... sie benötigten große Mengen von Stein als Schotter. Bedenkenlos wurden uralte Statuen zerschlagen, um billiges Baumaterial zu gewinnen! Kein Wunder, dass die Götter von Tiahuanaco Tränen vergießen!

Angesichts dieses über Jahrhunderte hinweg vollzogenen Raubbaus ist es ein Wunder, dass heute überhaupt noch etwas von Puma Punku und Tiahuanaco zu sehen ist!

Am besten erhalten geblieben ist ... was viele Jahrhunderte unter dem Erdreich verborgen war ... und so der Zerstörungswut entgangen ist! Noch Ende des 20. Jahrhunderts wurden Statuen zu Schotter zerkleinert! Einzelkämpfer wie Max Uhle und Arthur Posnansky kämpften verzweifelt für den Erhalt der Ruinen, auch gegen die örtlichen Behörden! Arthur Posnansky rettete noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wertvolle Artefakte von Puma Punku, indem er sie in die Metropole La Paz schaffen und öffentlich ausstellen ließ.

Solche Statuen wurden
zertrümmert und in
Schotter verarbeitet.
Foto: W-J.Langbein
Gelegentlich wird – heute noch – Posnansky der Vorwurf gemacht, er habe zum Beispiel Statuen aus ihrer eigentlichen Umgebung verschleppt. Hätte er sie belassen ... wären sie wahrscheinlich zerschlagen worden ... die Werke von Menschen, die stolz darauf waren, dass ihre Urväter aus dem All kamen.

Und diese kosmischen Siedler ... hatten der Überlieferung nach schwarzes Blut! Es waren die Uros, die einst ein großes Reich in den Hochanden hatten, die in den steinernen Städten Tiahuanaco und Puma Punku lebten. Sollten sie es gewesen sein, die die mysteriösen Stätten schufen? Die Uros meiden den Kontakt mit den Menschen, auf die sie verächtlich herabblickten. Sie zogen sich zurück ... und verließen schließlich die Anden.

Auf dem Titicacasee bauten sie sich aus Totora-Schilf künstliche Inseln, hausten in Hütten aus Schilf, fuhren in Booten aus Schilf und lebten hauptsächlich von Fisch und Wasservögeln. Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, ging kein männlicher Uro an Land. Ihre Frauen tauschten allerdings Fisch und Wasservögel gegen landwirtschaftliche Produkte. Süßkartoffeln, zum Beispiel, konnten sie auf ihren schwimmenden Insel nicht anbauen.

Ein Besuch der »schwimmenden Inseln« lohnt sich allemal. Es ist ein eigenartiges Gefühl, auf ihnen zu gehen. Der Boden unter den Füßen hebt sich und senkt sich je nach Wellengang. Von einem kleinen Türmchen aus kann man die künstlichen Eilande überblicken. Touristen sind willkommen. Gegen ein kleines Entgelt wird man zu einer kurzen Bootstour in Schiffen aus Schilf mitgenommen ... Die echten Uros hätten nie und nimmer simple Menschen auf ihre Inseln gelassen ...

Heutige »Uros« bei der Schilfernte
Foto W-J.Langbein
Im 20. Jahrhundert gaben die Uros ihre Sprache auf, nahmen die der Aymara an. Um 1960 soll der letzte echte Uro gestorben sein ... und mit ihm die Überlieferungen von den steinernen Städten in den Anden und den Erbauern der mysteriösen Stätten ... die Erinnerungen an die Wesen aus dem All, die keine Menschen waren und schwarzes Blut hatten!

Fußnoten
1 Stingl, Miloslav: »Auf den Spuren der ältesten Reiche Perus«, Leipzig, Jena, Berlin, 2. Auflage 1990, S. 238
2-4 ebenda
5 ebenda, S. 197


»Abschied von Puma Punku!«,
Das Geheimnis der Anden IX,
Teil 130 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 15.07.2012


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