Sonntag, 21. Februar 2021

579. »Sagen, Legenden und die Genschere (Gen-Schere)«

 

Teil 579 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

»Man darf das Unwahrscheinliche
nicht mit dem Unmöglichen verwechseln!«
Sherlock Holmes (1)


                                            Foto 1: »Mittelalterliches Weltbild«,
                                            Holzschnitt, um 1530.
                                            Collage, koloriert, gespiegelt.

Die Vergangenheit zu erforschen, das ist eine faszinierende Aufgabe. Auf jeden Suchenden warten schienbar unendlich viele Details, die zu einem Mosaikbild zusammengefügt werden müssen. Bei einem Puzzle stehen uns immer Einzelteilchen zur Verfügung, die – so man sie zusammenfügt – ein Bild ergeben. Die Erforschung der Vergangenheit gestaltet sich freilich wesentlich komplizierter. Da gibt es eine Vielzahl von Bruchstücken, die eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Bildern ergeben. Anders als beim Puzzle kennen wir im Vorfeld nicht das Bild, das wir zusammenstellen wollen. Und wir wissen nicht, welche Teilchen zu welchem Bild gehören. So besteht ein erhebliches Risiko, weil wir Elemente, die gar nicht zusammen gehören zu einem falschen Bild zusammenstellen.

So verdienstvoll die verschiedenen Schulwissenschaften bei der Erforschung der Vergangenheit sind, so scheinen sie doch in erster Linie vorgefasste Meinungen bestätigen zu wollen. Anders ausgedrückt: Schulwissenschaftler neigen dazu, die Mosaiksteinchen der Vergangenheit immer so zusammen zu fügen, dass immer wieder das gewünschte Bild entsteht. Das Unwahrscheinliche wird dann mit dem Unmöglichen verwechselt und bei der Erforschung der Vergangenheit als Lösung von Problemen erst gar nicht in Erwägung gezogen. Folgen wir Sherlock Homes‘ Prinzip, das Unwahrscheinliche nicht mit dem Unmöglichen zu verwechseln. Dann sind wir dazu in der Lage, auch noch so fantastisch anmutende, reale Bilder von realen Ereignissen in der fantastischen Vergangenheit zu entdecken. Nutzen wir Hilfsmittel, um in die Vergangenheit zu reisen!

Monika Detering schreibt (2): »Die Wurzeln von Sagen und Legenden führen weit zurück in Zeiten, die von Glauben und Intuition geprägt waren. Sie hatten eine wichtige Funktion im Alltag der Menschen vor vielen hundert Jahren, sie wurden erzählt und weitergegeben. … Sagen sind – anders als Märchen – Geschichten, die sich um reale Geschehnisse ranken. Fantasievoll ausgeschmückt, mit wunderbaren und fantastischen Elementen versehen, aber sprachlich einfach gehalten. Da es an Wissen um rationale Erklärungen mangelte, wurden Sagen mit Fantasie und Übernatürlichem angereichert.«

In der Schulwissenschaft von heute hat Intuition weitestgehend keinen Platz. Nach wie vor sieht man einen Gegensatz zwischen »Intuition« und »Denken«. Nur Denken darf als Werkzeug genutzt werden, um wissenschaftlich zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Was aber ist »Denken«? Wie denkt man? Wie darf, muss man denken? Die heute noch gültige Definition, sprich Eingrenzung, ist schon längst überholt, auch wenn Schulwissenschaftler das nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder können. James Lovelock (*26.07.1919) hat einen sehr viel breiter angelegten Begriff von Logik und Denken. Lovelock sieht keinen Widerspruch zwischen »Denken« und »Intuition«, er benutzt den Ausdruck (3) »intuitiver Denkprozess«. Er moniert, dass (4) »das lineare Denken zum Dogma erhoben« wurde, während gleichzeitig zugelassen wurde und noch wird, »dass die Kraft der Intuition abgewertet wird«.


                                            Foto 2: »Mittelalterliches Weltbild«,
                                            Holzschnitt, um 1530.
                                            Collage, koloriert, gespiegelt.
 

Sagen führen uns weit zurück in der Zeit: zu Schilderungen realer Geschehnisse. Was aber sind Beschreibungen realer Fakten, was schmückende fantastische Elemente aus dem Reich der Fiktion? Je enger unser Horizont ist, desto mehr Überlieferungen werden wir dem Reich der reinen Fantasieprodukte zuordnen.  Je weiter wir unseren Horizont ausdehnen, desto weniger fantastische Fakten bleiben außen vor. Nur wenn wir nicht ausschließen, dass in »grauer Vorzeit« scheinbar Unmögliches Realität gewesen sein kann, haben wir überhaupt die Chance, Spuren fantastischer Wirklichkeiten zu entdecken. Wir müssen aber die Möglichkeit, dass es zum Beispiel in »grauer Vorzeit« fantastisches, eigentlich unmögliches Wissen gab, in unsere Überlegungen einbeziehen. Was wäre, wenn Wissen, das wir uns gerade erarbeiten, bereits in alten Sagen dokumentiert wurde?

Diese Vorstellung kratzt an der Eitelkeit des vermeintlich wissenschaftlich denkenden Jetztmenschen. Nach und nach sammelten unsere Vorfahren Wissen an. Nach und nach entwickelten sie Wissenschaften. Heute, davon hat man überzeugt zu sein, weiß man mehr als gestern und sehr viel mehr als vorgestern. Zu keinem Zeitpunkt der Weltgeschichte, so lautet die Quintessenz dieser Überzeugung, kann man von der Realität mehr verstanden haben als der Jetztmensch. Demnach kann es gestern und vorgestern keinerlei Hinweise auf Wissen gegeben haben, das dem heutigen oder gar einem zukünftigen Stand entspricht. Solche Hinweise aber gibt es sehr wohl.

Strikte Darwinjünger und monotheistische Religionsfanatiker bieten die gleiche angebliche »Wahrheit«: Der Mensch stehe auf der höchsten Stufe der Entwicklung. Evolutionsfanatiker sehen Auswahlprinzip Zufall als treibende Kraft für die Entwicklung an, religiöse Monotheisten meinen das Wirken Gottes voraussetzen zu können. Und nun fängt der atheistisch orientierte Neu-Religionsfanatiker zum Entsetzen der strikten Anhänger monotheistischer Religionen damit an, selbst Gott zu spielen. Was nach herkömmlichen Religionen Gott selbst vorbehalten war, das scheint schon jetzt den führenden Genetikern zu gelingen: der Eingriff in die »Schöpfung«.


                                              Foto 3: »Mittelalterliches Weltbild«,
                                              Holzschnitt, um 1530.
                                              Collage, koloriert, gespiegelt.
 

Professor Dr. Wolfgang Nellen (*1949), ein deutscher Biologe und Professor Emeritus für Genetik am Institut für Biologie der Universität Kassel (5): »Es übersteigt wahrscheinlich die Vorstellungskraft der meisten Menschen, was die Entdeckung und Entwicklung des CRISPR-Cas-Systems in den letzten Jahren an Anwendungen der Gentechnik möglich macht. Mit CRISPR-Cas können punktgenau Veränderungen in jedem beliebigen Genom, einschließlich dem des Menschen vorgenommen werden. In der Forschung ist die Methode zur Routine geworden.«

Emanuelle Charpentier (*11.12.1968) und Jennifer Doudna (*19.2.1964) erhielten 2020 die höchste Auszeichnung, die in der Welt der Wissenschaft vergeben wird, den Nobelpreis. Sie wurden mit dem Chemie-Nobelpreis für eine fantastische Erfindung ausgezeichnet: für ein Werkzeug, das es schon heute geschickten Wissenschaftlern ermöglicht, Gott ins Handwerk zu pfuschen. Mit ihrer »Genschere« (»Gen-Schere«) sind schon heute in der Sterilität eines Labors wahre Wunder möglich (6): »Vereinfacht dargestellt kann mit ihr in einer lebenden Zelle ein bestimmter DNA-Abschnitt angesteuert und (relativ) präzise geschnitten werden. An genau dieser Stelle können einzelne ›Buchstaben‹ (Basen) der DNA ausgetauscht, eingefügt oder entfernt werden. Es ist auch möglich, ganze Gene zu löschen oder hinzuzufügen. Die genetische Information wird umgeschrieben oder ›editiert‹.«

In jeder Zelle befindet sich das »Buch des Lebens«. Jeder Organismus besteht aus schier unendlich vielen Zellen, vergleichbar mit einer Bibliothek mit unendlich vielen Bänden, von denen jeder alle Informationen enthält.  Heutige Wissenschaftler sind schon erstaunlich weit bei der Entzifferung der Texte dieses Buchs. Noch ist die offizielle Wissenschaft sehr zurückhaltend mit der Anwendung des bereits vorhandenen Wissens und der existierenden Werkzeuge. Heute muss man sich nicht mehr damit begnügen zu lesen, mit der »Genschere« kann in das »Buch des Lebens« eingegriffen werden, ja man kann es bereits partiell umschreiben. Mit der »Genschere« (»Gen-Schere«) können, ich wiederhole diese kurze Aussage von zentraler Bedeutung, »einzelne ›Buchstaben‹ (Basen) der DNA ausgetauscht, eingefügt oder entfernt werden«. Diese Realität wird bereits in der Kabbala beschrieben!

Nach dem alten Geheimwissen der Kabbala entstand der Golem mit Hilfe von »Buchstabenmagie«. Mit simpelster »Buchstabenmagie« – durch das Verschieben von Buchstaben des Lebens – kann man gezielt einen männlichen oder weiblichen Golem erzeugen. Nichts anderes geschieht bei der Manipulation der Gene: »Buchstaben« des Lebens werden hin und her geschoben oder ausgetauscht. Wissen um Genmanipulationen vor vielen Jahrhunderten freilich passt nicht in das Mosaik, das die Schulwissenschaft von der Vergangenheit unseres Planeten zusammengestellt hat. Das Bild von der Vergangenheit mag auf den ersten und zweiten Bild schlüssig erscheinen, es ist aber an entscheidenden Stellen fehlerhaft! 

Die Bilder von Vergangenheit und Zukunft ähneln einander auf erschreckende Weise. Leben wird manipuliert: in der legendenhaften Umschreibung der Kabbala, in der wissenschaftlichen Literatur in Sachen »Gen-Schere« und – das wage ich zu behaupten – in der Realität von Geheimlabors unserer Welt. Stephen Hawking (*1942; †2018), der geniale Physiker, forderte einerseits die Einführung von strikten Gesetzen, die eine Anwendung der Genetik am Menschen verbieten. Andererseits aber war er Realist und ging davon aus, dass es genügend Wissenschaftler gibt, die nicht der Versuchung widerstehen können, mit Hilfe der Gentechnik in die »Schöpfung« einzugreifen.

In seinem Buch »Kurze Antworten auf große Fragen« (7) entwickelte Hawking ein Zukunftsbild. Was auf uns zukommt, hat Stephen Hawking als wahres Horrorszenario empfunden. Zunächst, so  prognostiziert Hawking, werde es mit Hilfe der Gentechnik reichen Menschen möglich werden, länger zu leben, klüger und resistenter gegen Krankheiten zu sein. Das ist ohne Zweifel unmoralisch, aber durchaus nachvollziehbar. Wer würde nicht (fast?) alles tun, um so lang wie möglich bei bester Gesundheit leben zu können? 

Mit Gentechnik und künstlicher Intelligenz aber kann, so Hawking, ein Supermensch erschaffen werden, der im Vergleich zu uns Menschen der Gegenwart mehr einem mythologischen Gott als einem sterblichen Menschen gleicht. Der vergleichsweise erschreckend primitive Jetztmensch mag vom Supermenschen der Zukunft als schädlich oder auch nur überflüssig angesehen und im Zuge der optimalen Ausnutzung der Ressourcen unseres Planeten ausgelöscht werden. Stephen Hawking (8): »Unsere Zukunft ist ein Wettlauf zwischen der wachsenden Macht unserer Technologien und der Weisheit, mit der wir davon Gebrauch machen. Wir sollten sicherstellen, dass die Weisheit gewinnt.« Das sollten wir, aber ob uns das gelingt?


 

  

Foto 4: Cover von Monika Detering: »Sagen & Legenden aus Westfalen«, Regionalia Verlag, Daun, 3. Überarbeitete Auflage 2020

Fußnoten
(1) Zitat aus »Wisteria Lodge«, Fernsehfilm (1988) aus der Reihe »The Return of Sherlock Holmes« (1986-1988), »Granada Television«. Originalzitat: »One must not confuse the unlikely with the impossible!« Übersetzung: Walter-Jörg Langbein
(2) Detering, Monika: »Sagen & Legenden aus Westfalen«, Regionalia Verlag, Daun, 3. Überarbeitete Auflage 2020, Seite 9, 9.-15. Zeile
(3) Lovelock, James: »Novozän/ Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz«, München 2020, Seite 123, 1. Zeile von oben
(4) Ebenda, Seite 121, 10.-12. Zeile von oben
(5) Zitiert nach »Die Genschere CRISPR konfrontiert uns mit Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt«
(6) https://1e9.community/t/die-genschere-crispr-konfrontiert-uns-mit-fragen-auf-die-es-keine-einfachen-antworten-gibt/5435?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
(7) Hawking, Stephen: » Kurze Antworten auf große Fragen«, Stuttgart 2018
(8) Ebenda, Seite 22, 20.-24. Zeile von oben

Zu den Fotos
Fotos 1-3: »Mittelalterliches Weltbild«, Holzschnitt, um 1530. Collage, koloriert, gespiegelt. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Cover von Monika Detering: »Sagen & Legenden aus Westfalen«, Regionalia Verlag, Daun, 3. Überarbeitete Auflage 2020


 

 

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Sonntag, 14. Februar 2021

578. »Ein Paradoxon und sieben Welten«

Teil 578 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Adam ( nach Lukas Cranach d.Ä)
 

Das »Enkelparadoxon« wird gern angeführt, um die Unmöglichkeit von Zeitreisen zu beweisen: Ein Mann reist in die Vergangenheit und tötet seinen eigenen Großvater, bevor der ein Kind zeugen konnte. Dann kann der Vater des Zeitreisenden nicht geboren werden und der Zeitreisende selbst kommt nicht zur Welt. Es gibt also folgerichtig den Zeitreisenden gar nicht, der natürlich auch nicht seinen eigenen Großvater ermorden kann. Also wird dann der Vater des Zeitreisenden geboren, der Zeitreisende wird gezeugt, wird geboren und kann seine Reise in die Vergangenheit antreten.

Weniger blutig und aktueller ist ein aktuelleres Beispiel: Ein Wissenschaftler reist in die Vergangenheit und bewahrt den ersten Menschen, der mit dem Covid-19-Virus infiziert wurde, vor der Erkrankung. Der »Patient 0« wird also nicht vom Covid-19-Virus befallen und steckt folgerichtig auch niemanden an. »Covid-19« breitet sich nicht aus. Der Wissenschaftler hat sein Ziel erreicht: Er hat die »Covid-19-Pandemie« verhindert. Wenn es aber erst gar nicht zur »Covid-19-Katastrophe« kommt, dann wird unser Wissenschaftler nicht veranlasst, in die Vergangenheit zu reisen. Dann wird »Patient 0« nicht gerettet, folgerichtig steckt er dann doch andere Menschen an und »Covid-19« verbreitet gemeinsam mit Virologenpäpsten, Medien und Politik weltweit Angst und Schrecken.

Nach einer  angeblich wissenschaftlichen Studie  der »University of Queensland« (Brisbane, Australien) würden bei Zeitreisen derlei Paradoxa gar nicht auftreten (1): »Würde demnach ein Zeitreisender ein Ereignis in der Vergangenheit ändern wollen, wäre das Ergebnis in der Zukunft dennoch grob das gleiche.« Nach den »Berechnungen« von Wissenschaftlern der »University of Queensland« würde sich »die Zeitachse selbst korrigieren«, wenn ein Zeitreisender in der Vergangenheit etwas ändert.  Quintessenz der »wissenschaftlichen Studie«: »Wer die Vergangenheit ändert, bekommt im Grunde ein ähnliches Resultat in der Zukunft.«

Ich muss zugeben: Nachvollziehen kann ich das Konstrukt der Uni-Mathematiker nicht. Und dass sich die »Zeitachse selbst korrigieren« soll, das löst kein Problem, das schafft ein neues. Wer oder was ist diese »Zeitachse«? Und was soll sie wie veranlassen, sich so zu verändern, dass am Schluss immer ein zumindest ähnliches Ergebnis entsteht?

Zurück zum »Enkelparadoxon«. Ein Mann reist in die Vergangenheit und tötet seinen eigenen Großvater, bevor der Nachwuchs zeugen kann. Mit dieser Tat kreiert der Enkel eine Parallelwelt, eine weitere Realität. In der neuen Parallelwelt hat der ermordete Großvater keine Nachkommen, also wird in dieser Welt der Enkel nicht geboren. Parallel dazu tötet der Enkel versehentlich den Falschen. Der Großvater ist gar nicht der Vater des Zeitreisenden, der dann geboren werden und seine Zeitreise antreten kann.

In einer Realität der unendlich vielen Parallelwelten stellen Zeitreisen kein Paradoxon dar. In der Sagenwelt ist es möglich von einer Welt in eine Parallelwelt und wieder retour zu gelangen. Erkannten die Urheber diverser Sagen von »Felstoren« intuitiv die Wirklichkeit besser als sie im herkömmlichen Weltbild beschrieben wird? Ist die Wirklichkeit sehr viel phantastischer als so manche »Science-Fiction-Story«? Besteht sie aus unendlich vielen Welten, in denen alle denkbaren Zeiten und alle denkbaren Varianten zu allen Handlungsabläufen real sind? Dann kann für ein kleines Kind in einer Parallelwelt in einer »Höhle« die Zeit langsam dahin schleichen oder gar stehen, während sie in einer anderen förmlich dahin rast. Was das Ganze so faszinierend macht, das ist, dass nach der Sage eine Mutter ihr kleines Kind aus ihrer Welt in eine Parallelwelt bringt und nach einem Jahr wieder zurück holt.

Wer solche Überlegungen für müßige Fantastereien hält, sollte auf eine nähere Beschäftigung mit Max Tegmarks wissenschaftlichen Arbeiten verzichten. Denn Max Tegmark reist die engen Grenzen unseres Weltbildes ein. Besser gesagt: Er versucht es, denn die wenigsten von uns können seinen bizarr anmutenden Gedanken wirklich folgen. Was wir für die Realität zu halten bereit sind, das ist, so Tegmark, nur ein winziges Teilchen der Realität. Weil wir nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit verstehen (können), weigern wir uns über den Rest auch nur nachzudenken. Weil wir uns unsere Ahnungslosigkeit nicht eingestehen wollen, haben wir uns ein überschaubares Weltbild aufgebaut. Es ist wie ein winzig kleines Lummerland, eine Insel mit zwei Bergen, umgeben von einem tiefen weiten Meer. Dieses kleine Eiland soll uns als Realität genügen. Max Tegmark freilich fordert, dass wir unseren engen Horizont sehr viel weiter stecken (2): »Es scheint, als sei das immer tiefere Verständnis unserer Welt damit verbunden, dass wir die Realität immer aufs Neue ausweiten müssen!«

Max Tegmark hat sich auf die Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit gemacht und »Unser mathematisches Universum«, so lautet der Titel seines vielleicht wichtigsten Werkes, entdeckt. Ich behaupte: Unsere Vorfahren haben intuitiv schon viel mehr vom Wesen der Wirklichkeit erkannt als der gebildete Mensch des beginnenden 21. Jahrhunderts. Leider belächeln viele Zeitgenossen die alten Beschreibungen einer Wirklichkeit, zu der Parallelwelten gehören, als unglaubwürdige Sagen. Leider können wir nicht erarbeiten, wie viel mysteriöses Wissen über alte Sagen wie über Brücken in unsere Zeit getragen wird. Eine systematische Sammlung der Sagen ist überfällig. Material muss gesammelt werden, systematische Überprüfungen sind erst dann möglich.

Max Tegmark entwirft ein Bild von der Wirklichkeit, das einem den Atem verschlägt. Unser Universum, das uns unvorstellbar groß zu sein scheint, erweiset sich als nur eines von unendlich vielen Paralleluniversen. Wir Menschen sind, gemessen an der Erdgeschichte, nur einen Wimperschlag auf Terra. Und doch haben wir schon viel Wissen erarbeitet. Wir haben unser Land erkundet bis wir am Meer angekommen sind. Wir haben den Ozean überwunden und die Kontinente erforscht. Wir haben erkannt, dass unser Heimatplanet nur ein kleiner Trabant unserer Sonne ist. Schließlich haben wir erfahren, dass unsere Sonne im Chor von Myriaden von Sonnen kaum wahrzunehmen ist. Und dann tauchten vor unserem Bewusstsein unzählige Galaxien auf, die uns als bedeutungslos erscheinen lässt. Mag Tegmark hat keine Angst vor fantastischer Wissenschaft. Er entwickelt eine kühne Kosmologie für unzählige Paralleluniversen, die er in vier Kategorien unterteilt. Die fantastische Realität des Max Tegmark hat Platz für Multiversen auf  Ebene I (4), Ebene II (5), Ebene III (6) und Ebene IV (7).

Von Plutarch (* um 45; † um 125) wissen wir, dass bereits vor rund zweieinhalb Jahrtausenden der Grieche Petron von Himera von der Existenz von Parallelwelten überzeugt war. Nach Petron von Himeras Überlegungen existiert eine endliche Zahl von Parallelwelten zur Erde. Auch wenn von den Schriften von Petron von Himera keine Originale erhalten sind, so hat doch Plutarch interessante Gedanken aus Himeras Kosmologie beschrieben. Erstaunlich modern ist die Vorstellung bei Petron von Himera, dass es aneinandergereihte Parallelwelten gibt, die sich berühren.  Demnach war der griechische Denker von der Existenz vieler Welt überzeugt, aber nicht im Sinne von vielen Planeten in den Weiten des Universums. Diese Welten lagen eng beieinander und berührten einander, auch die Erde. Man konnte aber die anderen Welten nicht sehen. Demnach müssen diese Parallelwelten auf unterschiedlichen Realitätsebenen gelegen haben. Heute würde man sagen, dass sich verschiedene Parallelwelten in unterschiedlichen Dimensionen nah beieinander befinden.

Zur Erinnerung: Nach Prof. Markolf H. Niemz sind Raum und Zeit Illusion. Alles geschieht gleichzeitig im Jetzt. Und der Raum hat keine Ausdehnung. Hat Petron von Himera intuitiv ein ganz ähnliches Weltbild beschrieben? Sein Bild von den einander berührenden Welten erinnert mich jedenfalls sehr stark an die Kosmologie von Prof. Niemz. 

Reisen von Parallelwelt zu Parallelwelt setzen eine Raumfahrt voraus, die sich von unserer heutigen Technologie grundlegend unterscheiden muss! Folgerichtig erscheinen auch alte Texte über Reisen von Welt zu Welt in einem ganz anderen Licht. Mir kommen die »Legenden der Juden« in den Sinn, die Louis Ginzberg (*1873; †1953) mit akribischer Sorgfalt gesammelt und publiziert hat. Band 1 von Ginzbergs  magnum opus »Legends of the Jews« wurde 1909 von »The Jewish Publication Society of America« in Philadelphia publiziert (8).


                                                            Foto 2: Adam ( nach Dürer).

Louis Ginzberg hat im Alleingang eine Art Konglomerat des Wissens unzähliger Weiser aus ganz unterschiedlichen Quellen geschöpft und in einem einzigartigen Sammelwerk veröffentlicht,  das vielfältige geistige Erbe seiner Vorfahren, das  im Verlauf von Jahrtausenden zusammengetragenen worden ist. Erst wurde der Schatz mündlich weitergereicht, später wurde es da und dort schriftlich festgehalten. 

Unser Heimatplanet, den wir »Erde« nennen, ist nicht die erste von Gott geschaffene Welt. Lesen wir nach bei Ginzberg (9): »Auch ist diese Welt, die der Mensch bewohnt, nicht eines der ersten Dinge, die Gott schuf. Er machte einige andere Welten vor der unseren, aber er zerstörte sie alle, weil ihm keine gefiel, bevor er die unsere schuf.« Auch Planet Erde wäre von Gott zerstört worden, hätte er nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. »Terra« ist eine von sieben Welten (10), heißt »heled«. Die Namen der anderen Welten waren »erez«, »adamah«, »arka«, »harabah«, »yabbashah« und »tebel«. Ein eigenes Kapitel hat Louis Ginzberg den (11) »Bewohnern der sieben Erden (Welten)« gewidmet.

Liest man die »Legenden der Juden«, so stößt man zwischen theologischen Erörterungen und religiösen Ergänzungen zum »Alten Testament« immer wieder auf Hinweise auf fremde Welten, auf Parallelwelten, zwischen denen hin und her gereist wird. So heißt es, dass Adam von Planet »erez« (finster und unbewohnt) auf Planet »adamah« geschafft wurde. Die dort hausenden Lebewesen (12) »verlassen ihre eigene Erde, um sich auf die von Menschen bewohnte (Erde) zu begeben«.

Nach den »Legenden der Juden« herrschte reges Treiben auf den verschiedenen Parallelwelten. Da ermordete zum Beispiel Kain seinen Bruder Abel auf dem Planeten »adamah«. Das durfte nicht ungesühnt bleiben. Zur Strafe wurde Kain auf den Planeten »erez« verbannt. Offenbar wurde er von Gott genau beobachtet, vergleichbar einem Strafgefangenen, der auf Hafterleichterung hoffen darf.  Aber erst als Kain Reue zeigt, bringt ihn Gott auf eine andere Welt. So kommt er vom kosmischen Gefängnisplanet auf Planet »arka«. Über »arka« erfahren wir aus den »Legenden der Juden«, dass das Leben dort etwas angenehmer war als auf der unbewohnten Welt »erez«. »Erez« war der Sonne offensichtlich näher. So wird »erez« als die Welt beschrieben, (13) »die etwas Licht von der Sonne empfängt«. Die Welt »erez« war offensichtlich sehr viel weiter von ihrer Sonne entfernt, deshalb war es dort dunkel. Auf »arka« lebten die »Kainiten«, die das Land bebauten. Weizen, so heißt es, kannten sie nicht. In den »Legenden der Juden« wird überliefert (14): »Einige der Kainiten sind Riesen, einige von ihnen sind Zwerge.«


Fußnoten
(1) »Mathematiker: Zeitreisen ohne Paradoxon ist möglich«, »futurezone«, https://futurezone.at/science/mathematiker-zeitreisen-ohne-paradoxon-ist-moeglich/401046958?fbclid=IwAR0e47z4mI3k8d6r0nUmdMLcfCRAzE3FZz1Y4jvGf1OHwtRBUnfgdDzLM6s (Stand 30.09.2020)
(2) Grolle, Johann: »Unser Universum, ein Sandkorn am Strand«, »SPIEGEL WISSENSCHAFT«, 21.04.2014
(3) Tegmark, Max: »Unser mathematisches Universum/ Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit«,  Berlin 2015
(4) Ebenda, S.185-203
(5) Ebenda, S. 203-228
(6) Ebenda, Kapitel 8, S. 273-336
(7) Ebenda, Kapitel 12, S. 461-514
(8) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews: From Creation to Jacob« (zu Deutsch etwa: »Die Legenden der Juden: Von der Schöpfung bis Jakob«)
Printausgabe, Philadelphia 1909
(9) Ebenda, Seite 4, 6.-9. Zeile von oben. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(10) Ebenda, Seite 10. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(11) Ebenda, Seiten 113-115: »The inhabitants of the seven earths« (»Die Bewohner der sieben Erden«). Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(12) Seite 113, 3.+4. Zeile von unten: »they leave their own earth and repair to the one inhabited by men,..«. Übersetzung ins Deutsche Walter-Jörg Langbein.
(13) Ebenda, Seite 114, 7.+8. Zeile von oben: »…which receives some light from the sun.« Übersetzung ins Deutsche Walter-Jörg Langbein.
(14) Ebenda, Seite 114, 12. Zeile von oben: »Some of the Cainites are giants, some of them are dwarfs.«
 

Zu den Fotos
Foto 1: Adam ( nach Lukas Cranach d.Ä).
Foto 2: Adam ( nach Dürer).


579. »Sagen, Legenden und die Genschere (Gen-Schere)«,
Teil 579 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 21. Februar 2021

 

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