Freitag, 30. März 2012

Lynchjustiz - Die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Welche Herausforderungen das Internet noch für die menschliche Gesellschaft bereithalten wird, können wir heute nur erahnen. Je nachdem, wie wir uns entscheiden, wird es die Entwicklung in rasendem Tempo vorantreiben oder aber uns ins Mittelalter zurückwerfen. Beängstigend ist die Eigendynamik des Netzes, die teilweise bizarre Blüten treibt. So forderte in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bis vier Uhr morgens eine größere Anzahl aufgebrachter Emder Bürger die »Herausgabe« eines im Fall des Kindermords vom letzten Samstag tatverdächtigen Untersuchungshäftlings, zwecks Lynchjustiz. 

Wie die zuständigen Behörden in der gestrigen Pressekonferenz mitteilten, hatte sich die Gruppe über Facebook zusammengefunden, um den mehr als verständlichen Volkszorn in wirksame Bahnen zu lenken. Den kleinen Schönheitsfehler, dass die Schuld des Tatverdächtigen noch längst nicht bewiesen ist, kehrten sie einfach unter den Tisch. Als angebliche Täter kursierten im Netz sogar mindestens zwei Namen, was bedeutet, dass zumindest ein Unschuldiger sich auf der Straße nicht mehr blicken lassen kann, bis die Sache endgültig aufgeklärt ist.

Bei allem verständlichen Zorn auf einen brutalen Kindermörder: Wenn wir zulassen, dass sich ein Teil des faktischen Rechtssystems auf soziale Netzwerke und in diverse Foren verlagert, dann werden wir uns in Zukunft einer wachsenden Zahl von unschuldig Gelynchten gegenübersehen, was nicht einen Deut besser ist, als ein gewöhnlicher Mord. Vermutungen werden den Rang von Beweisen einnehmen, Gerüchte den von hieb- und stichfesten Alibis. Das gewöhnliche Mobbing, das bereits heute gang und gäbe ist, wird um eine neue Dimension erweitert werden: die Beseitigung unliebsamer Gegner durch falsche Verdächtigung und einen geplanten Lynchmord. Können wir das im Ernst wollen?

Aufruf zur Lynchjustiz überschreitet jede Grenze


Das Internet ist ein meisterhaftes Instrument zur Zementierung von Vorverurteilungen und Falschbehauptungen aller Art und hat seine diesbezüglichen Kapazitäten schon oft genug unter Beweis gestellt. Mit dem Aufruf zum Lynchmord an einem lediglich Tatverdächtigen jedoch ist eine dunkelrote Linie überschritten.

Damit es nicht irgendwann tatsächlich so weit kommt, brauchen wir dringend eine Reform des Strafrechts und eine Verschärfung der Strafen für Sexualmörder. Niemandem, der klar denkt, ist es zu vermitteln, dass ein Kindermörder mit einer maximalen Strafe von zehn Jahren davonkommt, falls er zum Tatzeitpunkt tatsächlich minderjährig gewesen sein sollte. In diesen Fällen müsste es heißen: Lebenslänglich! Und zwar wirklich bis zum letzten Tag. Nur dann, wenn die Bürger sich darauf verlassen können, dass die Höhe der Strafe der Tat angemessen ist, wird die unheilvolle Tendenz noch zu stoppen sein, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, mit unabsehbaren Folgen.

Ein Hinweis: Am 6.4.2012 pausiert die Freitagskolumne. Die nächste Ausgabe erscheint am 13.4.2012.


Donnerstag, 29. März 2012

Karl May- Glanz und Elend eines Bestsellerautors

Teil 2: Zum 100. Todestag
Walter-Jörg Langbein


Karl May 1907
Foto: Erwin Raupp
Rudolf Lebius (1868-1946) schrieb Artikel für die SPD-Parteizeitung »Vorwärts«.
Verleumderische »Berichte« brachten ihm Gefängnisstrafen ein. Lebius wechselte Jahre später seine politische »Überzeugung« ... wanderte von links nach rechts. Er wetterte gegen SPD und Gewerkschaften und gab – dank einer Erbschaft war ihm das möglich – nationalsozialistisch-rechtsradikale Blätter heraus, die allerdings bald wieder eingestellt werden mussten. 1918 – 6 Jahre nach dem Tod Karl Mays – gründete Rudolf Lebius eine rechtsradikale Partei. Im Parteiprogramm standen der Kampf gegen das »Großkapital« und alles »Undeutsche«. Gefordert wurde ein striktes Aufnahmeverbot für Juden in den Staatsdienst. 1923 löste sich die Partei wieder auf.

Im Frühjahr 1904 schlug Lebius Karl May ein »Geschäft« vor: Er würde Propaganda für den Schriftsteller machen, wenn er dafür ein »Darlehen« eingeräumt bekäme. Karl May lehnte ab und reagierte auch nicht auf eine erpresserische Karte. Voller Wut startete Lebius nun eine wahre Hetzkampagne gegen Karl May. Seine Attacken basierten auf zweifelhaften Informationen von Mays erster Ehefrau und bösartigen Fantasien. Lebius sorgte für die Veröffentlichung abstrusester Verleumdungen. So machte er Karl May, der für seine eher harmlosen Delikten hart bestraft worden war, zum »Räuberhauptmann«.

Rudolf Lebius führte voller Hass geradezu einen Kreuzzug gegen Karl May. Er stellte ihn als gemeinen Unhold ohne Anstand und Moral dar. Karl May sei nicht nur ein arger Schwindler, sondern ein geborener Verbrecher. Somit sei er ein Verderber der Jugend. Genüsslich zerrte Lebius Mays Jahrzehnte zurückliegende Vorstrafen ans Licht der Öffentlichkeit. May sah sich genötigt, unzählige Prozesse gegen Rudolf Lebius zu führen. Die Gerichtsverhandlungen zerrten an den Nerven Mays, zerrütteten ohne Zweifel die Gesundheit des beliebten Schriftstellers. Es sollte Jahre dauern, bis Karl May vor Gericht Recht erhielt. So wurde die Verbreitung einer Broschüre, von Lebius verfasst, die uralte Gerichtsakten enthielt, am 13. Dezember 1910 verboten.

Karl-May-Autograph
Sammlung: Langbein
In einem privaten Brief an die Opernsängerin vom Scheidt bezeichnete Lebius Karl May als »geborenen Verbrecher«. Eine Klage Mays gegen Lebius wurde zunächst gerichtlich abgewiesen. Der Ausdruck »geborener Verbrecher« stelle als »wissenschaftlicher Terminus« keine Beleidigung dar. May ging in die Berufung. Am 18. Dezember 1911, wenige Monate vor Mays Tod, erhielt Karl May endlich Recht. Lebius wurde zu einer Geldstrafe von 100 Mark verurteilt: wegen Beleidigung. Noch einige Klagen gegen Lebius sollten vor Gericht entschieden werden. Sie wären mit großer Wahrscheinlichkeit zugunsten Mays ausgefallen. Doch Karl May verstarb am 30.März 1912 ...

Karl May war, was einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist, auch ein politischer Mensch. So stand er der berühmten österreichischen Schriftstellerin, der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) nahe. Bertha von Suttner darf als Begründerin der heutigen Friedensbewegung angesehen werden ... 1892 rief die Schriftstellerin – »Die Waffen nieder!« (1889) dürfte ihr wichtigstes Werk sein – mit Gesinnungsgenossen die »Deutsche Friedensgesellschaft« ins Leben. Für ihr Wirken erntete sie von Zeitgenossen heftigste Angriffe. Während deutsche Politiker schon bedenklich mit den Säbeln rasselten, setzte sie sich für Frieden und Völkerverständigung ein. Von Suttner wurde als »Friedensfurie« und »Judenbertha« tituliert. Bertha von Suttner sah in Karl May einen Gesinnungsgenossen. Mit Recht: So machte sie Karl May – vor dem Ersten Weltkrieg – für eine Aussöhnung mit dem vermeintlichen »Erzfeind« Frankreich stark.



Am 15. Oktober 1905 besuchte Karl May mit seiner Frau einen Vortrag Bertha von Suttners in Dresden. Am 17. Oktober 1905 schrieb Karl May der Baronin (1): »Wir saßen auf der ersten Reihe, Ihnen grad vis-a-vis. Denn wir wollten Ihnen so nahe wie möglich sein; wir hatten Sie noch nie gesehen, obgleich wir Ihr großes, segensreiches Wirken und auch alle Ihre Bücher kennen. Wir freuten uns unendlich über die Gelegenheit, Ihre weithin schallende, gewichtige Stimme, die uns bisher nur schriftlich erklungen war, nun auch in Wirklichkeit zu hören. Und wir hörten sie, bis zur tiefsten Erschütterung. Meine Frau, die Gute, weinte, und auch ich wehrte mich der Thränen nicht.«

Bertha von Suttner, 1896
Foto: Martin Maack
Heute ist in der Öffentlichkeit Karl Mays Nähe zur frühen Friedensbewegung so gut wie vergessen. Im »III. Reich« jedoch war sie für »echte Nationalsozialisten« Anlass genug, Karl May zu beschimpfen. So veröffentlichte Wilhelm Fronemann anno 1934 eine »Denkschrift« mit dem Titel »Karl May und die Jugend des Dritten Reiches« (2). Darin heiß es, Karl May sei ein »leidenschaftlicher Verfechter einer weitgehenden Rassenmischung aus ganz sentimentalen Menschlichkeitsgründen« sowie ein »Verteidiger eines verwaschenen Pazifismus« gewesen.

Weiter ist da zu lesen: »Haben wir nicht unsere Schülerbüchereien von Juden, Pazifisten, Marxisten und sonst allem Undeutschen gereinigt? ... Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge!«

Wenige Tage vor Weihnachten 1910 stand es sehr schlecht um Karl Mays Gesundheit. Eine Lungenentzündung fesselte ihn ans Bett. Karl May, durch nervenaufreibende Prozesse geschwächt, stand dem Tode näher als dem Leben. Fast schon trotzig schleppte sich der Greis zu erschöpfenden Prozessterminen. Dreizehn Strafverfahren und drei Zivilprozesse im Jahre 1910 hatten deutliche Spuren hinterlassen. Erholt hat sich Karl May nicht mehr wirklich. Seinen 70. Geburtstag erlebte der greise Schriftsteller in »Villa Shatterhand«, (3) »körperlich vom Tode gezeichnet, geistig und seelisch aber in unverminderter Frische«.

Karl May in Wien,
22. März 1912
Foto: Archiv Karl
May Gesellschaft
Gegen ärztlichen Rat reist Karl May im Frühjahr 1912 nach Wien. Hier entsteht das wahrscheinlich letzte Foto von Karl May. Wir sehen Karl May, von Krankheit gezeichnet, vor einer Motordroschke stehen.

Am 22. März hält er auf Einladung Bertha von Suttners einen zweistündigen Vortrag über seine Friedensvorstellung. May-Biograf Hermann Wohlgeschaft (4): »Über Mays Begrüßung durch das Publikum hieß es in der Presse am folgenden Tag: ›Er wird jubelnd begrüßt, und da er sich linkisch, unbeholfen, sichtlich überrascht bedankt, wird der Beifall zehnfach stärker. Die Jungen erhoben sich von den Sitzen und grüßten den Mann, der ihnen den Winnetou schenkte.‹ ... Der Vortrag handelte über Mays Leben und Werk sowie den Entwicklungsgedanken und die Weltfriedensidee.«

Karl May erlebt in der Kindheit bitterste Not. Er wird straffällig, wird hart bestraft, sitzt wiederholt im Gefängnis. Das kaum Vorstellbare gelingt ihm: Aus dem Zuchthäusler wird ein viel schreibender Redakteur und schließlich ein erfolgreicher Buchautor ... der auflagenstärkste Autor deutscher Sprache.

Karl May erwirbt sich Ansehen und Reichtum, wird aber im Alter von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein Erpresser initiiert eine Hetzkampagne. Unzählige Reporter zelebrieren genüsslich die Demontage Mays. Glanz und Elend bestimmen das Leben des Erfinders von Old Shatterhand, Winnetou, Kara Ben Nemsi, von Hadschi Halef Omar, von Old Surehand, Sam Hawkens und Nscho-tschi, von Ribanna, Lord Lidsay, Lord Castlepool, um nur einige Charaktere aus dem großen Kosmos des Karl May zu nennen.

Grabstätte May
Foto: Norbert Radtke
Und dann gibt es noch den »unbekannten« May, der im Alter der Friedensbewegung Bertha von Suttners nahesteht. Erschöpft von zahllosen Prozessen findet er wieder Anerkennung. Wenige Tage vor seinem Tod jubeln ihm Tausende zu. So wird Mays Leben zu einer Reise aus dem Elend in den Glanz und wieder zurück. Am Ende aber triumphiert Karl May dann doch.

Am 23. oder 24. März 1912 ist er wieder im heimischen Radebeul. Am 30. März 1912, dem Hochzeitstag mit seiner zweiten Frau Klara, plant der Schriftstelle noch einen Kuraufenthalt. Er bittet seine Frau, alles für eine Kur in die Wege zu leiten. Doch am Nachmittag verfällt er, so berichtete später Klara May, in ein »eigenartiges waches Träumen«. Um 19 Uhr legt er sich zur Ruhe. Gegen 20 Uhr richtet er sich plötzlich im Bett auf ... und sinkt ermattet und doch »mit verklärtem Ausdruck zurück«. Seine letzten Worte, so wird überliefert, sind »Sieg, großer Sieg, Rosen, rosenrot!«

Unterschriften Klara und Karl May
Karl May stirbt am Abend des 30. März 1912 ... vor einhundert Jahren! Auch hundert Jahre nach seinem Tod wird Karl May gelesen. Auch hundert Jahre nach seinem Tod kennt man den Namen des berühmten Sachsen. Den seines schlimmsten Widersachers hat man weitestgehend vergessen. Er ist nur noch Experten bekannt.

Karl Mays letzte
Ruhestätte, Friedhof
Radebeul Ost
Foto: Norbert Radtke
Fußnoten
1: Wohlgschaft, Hermann: »Karl May/ Leben und Werk«, Band 3, Bargfeld/ Celle 2005, S. 1605
Diese umfangreiche Biografie in drei Bänden sei jedem Karl-May-Freund wärmstens empfohlen. Wer sich fundiert über Karl May informieren möchte, kann auf die Lektüre des Standardwerks nicht verzichten!
2: Erich Heinemann, »Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge«, Beitrag im Jahrbuch der »Karl-May-Gesellschaft«, Husum 1982
3: Wohlgschaft, Hermann: »Karl May/ Leben und Werk«, Band 3, Bargfeld/ Celle 2005, S. 1996
4: ebenda, S. 1997/98
5: ebenda, S. 2003



Karl May- Glanz und Elend eines Bestsellerautors
Teil 3: Karl May, Marie und ich
Walter-Jörg Langbein
erscheint am 7.April 2012

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Montag, 26. März 2012

»Selfmade« von Carsten Maschmeyer

Selfmade
von Carsten
Maschmeyer
Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier im Blog eine muntere Diskussion zum Thema Ashting, das heißt: zu der Frage, ob man Bücher unbedingt gelesen haben sollte, ehe man eine Rezension über sie veröffentlicht. Ans Tageslicht kam, dass viele Menschen es ganz in Ordnung finden, Vorbehalte gegen die Person des Autors durch eine negative Rezension über sein Buch zum Ausdruck zu bringen, ohne das Werk eigentlich zu kennen.

Ich für meinen Teil fühle mich durch eine größere Anzahl von Buchverrissen, deren Schreiber durchblicken lassen, das Buch gar nicht gelesen zu haben, oft zum Kauf animiert, vorausgesetzt natürlich, die Thematik des Buches interessiert mich. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass sich auf diesem Wege meistens ein ausgesprochen interessantes Buch entdecken lässt. Diesmal, ich gebe es unumwunden zu, war meine Kaufhürde ein wenig höher, als ich sah, dass das neue Buch »Selfmade« von Carsten Maschmeyer auf Amazon einen Schwung Negativrezensionen einheimste. Ich musste mir erschrocken eingestehen, dass der Name Maschmeyer auch in mir negative Empfindungen hervorrief, obwohl ich über seinen Träger kaum etwas Konkretes wusste. War ich wirklich schon so tief gesunken, alles zu glauben was »man« so sagt, ohne mir ein eigenes Bild zu machen?

Also googelte ich ein wenig und fand einen Haufen Beschimpfungen, aber wenig Greifbares. Der stärkste Vorwurf bezieht sich wohl auf die Tatsache, dass die von Maschmeyer gegründete Firma AWD unter anderem Anteile an geschlossenen Fonds verkauft hatte, deren Wert in den Keller gegangen war. Tragisch und furchtbar für die Anleger, das ist klar. Aber mal im Ernst: Tut das nicht auch jede Bank? Werden nicht von sämtlichen Finanzinstituten Fondsanteile beworben und verkauft, deren Wertentwicklung in den Sternen steht? Und ist es inzwischen nicht allgemein bekannt, dass die hohen Chancen solch einer Geldanlage mit enormen Risiken einhergehen? Wer sein Geld bei einer Fußballwette einsetzt, ist sich der Tatsache bewusst, dass seine Mannschaft auch verlieren kann. Also setzt er im Zweifelsfall eine verschmerzbare Summe und freut sich, wenn er Glück hat.

»Selfmade« hat mich nicht enttäuscht


Das Gesamtbild der Google-Serps zum Namen Carsten Maschmeyer veranlasste mich schließlich zum Kauf des Buches »Selfmade«, und ich wurde nicht enttäuscht. Getreu der Erkenntnis, dass die guten Dinge im Leben sich immer durch Einfachheit auszeichnen, bringt Maschmeyer die entscheidenden Fakten, wie man das Leben auf Erfolgskurs bringt, auf den Punkt. Nach dem Motto »Tu es oder lass es« schreibt er über scheinbare Selbstverständlichkeiten wie das Definieren von Zielen, Zeitplanung oder Kontaktpflege. Doch so selbstverständlich, wie manche Kritiker meinen, sind diese Dinge gar nicht: Wären sie es, dann würden sie längst flächendeckend umgesetzt und sogar an Schulen unterrichtet!

Formt chronischer Misserfolg aufgrund der Unkenntnis einfacher Grundregeln bessere Menschen? Ist das Anhäufen sinnloser Konsumschulden bis hin zur Privatinsolvenz, das heute bereits zum Volkssport geworden ist, wirklich ein erstrebenswertes Lebensziel? Hier ein Leasingvertrag, dort ein paar Raten und dann noch das Zweithandy: Die Schuldenfalle schnappt heute oft schon zu, ehe ein Mensch beruflich etabliert ist. »Geben Sie weniger aus, als Sie einnehmen«, lautet eine der einfachen Grundregeln aus Maschmeyers Buch, zu finden auf Seite 275. Wenn auch nur ein einziger Mensch diesen Rat liest und beherzigt und dadurch dem Schicksal entgeht, zum traurigen Star in Peter Zwegats Sendung zu werden, dann hat das Buch seinen Zweck erfüllt. Ich werde auf jeden Fall demnächst noch ein paar Exemplare erwerben, zum Verschenken an junge Menschen aus meinem Bekanntenkreis.
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Sonntag, 25. März 2012

114 »Ein ungelöstes Rätsel«

Teil 114 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Zyklopenbauten von Malta
Foto W-J.Langbein
Drei Rätsel gibt es auf Malta: Die gigantischen Tempel aus monströsen Steinriesen, die zyklopenhafte Unterwelt des Hypogäum und die geheimnisvollen »Geleise«. Am grünen Tisch lassen sich leicht Lösungen finden. Beispiel: Die großen Monolithen aus Stein wurden auf Karren über die Insel transportiert und zu Tempeln aufgetürmt. Die »Geleise« wurden von den Rädern in den Stein geschnitten.

Die Tempel lassen uns auch heute noch staunen. »Primitive Steinzeitmenschen« haben diese Denkmäler definitiv nicht erschaffen! Unser Bild von den Menschen der Vorzeit muss überdacht und korrigiert werden! Rasch wird verkündet, die Rätsel der Vorzeit seien längst »geknackt«. Lautstark werden Theorien publiziert, die zum Beispiel die gewaltigen Steintransporte mit simpelsten Tricks ermöglichen ... und ohne technische Hilfsmittel.

Auf dem Papier mögen solche Antworten plausibel erscheinen ... besonders dann, wenn man zum Beispiel die zyklopenhaften Steine in ihrem gewaltigen Ausmaßen nicht kennt. Wenn man aber vor Ort auf Malta die Geheimnisse der Insel hautnah erlebt ... vergisst man rasch »einfache« Antworten!

Monströse Tempel geben
Rätsel auf - Foto W-J.Langbein
Vor Ort erkennt man rasch, dass vordergründig einleuchtende »Erklärungen« mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Immer wieder ist zu lesen: Die »Geleise« entstanden, weil dort Karren auf Rädern entlang fuhren. Das ist unmöglich. So sind die Rillen im Stein oft viel zu tief, als dass darin Räder laufen könnten. Hunderte von »Geleis-Rillen« habe ich vermessen. Ich notierte unzählige Ergebnisse. Die Doppelspuren weisen Spurbreiten zwischen 65 und 125 Zentimetern auf. Es müsste also vor Jahrtausenden Vehikel mit unterschiedlichsten Spurbreiten gegeben haben.

Die Rillen laufen zudem keineswegs exakt parallel zueinander. Das heißt: die Spurbreite ändert sich bei jedem Rillenpaar ständig. Damit ein Karren mit seinen Rädern in den Rillen fahren kann, müsste er ständig seine Spurbreite ändern. Das wäre allenfalls mit Gummiachsen möglich. Fazit: Zwei- oder gar vierräderige Vehikel können die »Geleis-Rillen« auf keinen Fall verursacht haben. Zudem müsste es Spuren der Zugtiere geben. Es gibt sie nicht.

Alternativvorschlag: Es wurden auf Malta viele Steinkugeln gefunden. Diese Kugeln rollten in den Steinrillen. Und auf den Kugeln ruhten die Monolithen, die auf diese Weise zu den Tempeln geschafft wurden. Zugtiere sind nicht erforderlich. Die Steine auf den Kugeln wurden von Menschen geschoben und gezogen. In der Realität passt diese »Erklärung« nicht zu den Rillen!

Gibt es eine Beziehung zwischen Tempeln und Geleisen?
Fotos:Ilse Pollo (Foto mittig) und Walter-Jörg Langbein

Nehmen wir an, wir wollen eine Steinkugel von dreißig Zentimetern Durchmesser in einer Rille laufen lassen. Dann muss die führende Rille dreißig Zentimeter breit sein. Sie darf aber nicht dreißig Zentimeter tief sein. Muss doch die Kugel oben aus der Rille herausragen, damit man eine Last auf der Kugel ablegen kann. Bei Mansija ist so eine Rille rund zehn Zentimeter breit, aber bis zu sechzig Zentimeter tief. In dieser Rille kann nur eine Kugel von zehn Zentimeter Durchmesser rollen ... einen halben Meter unter der Oberfläche – ungeeignet für den Transport von Lasten.

Könnte es ein bislang unbekanntes Transportsystem gegeben haben, das die mysteriösen Rillen nutzte? Denkbar ist das. Aber: Tagelang folgte ich unzähligen »Geleis-Spuren«. Sie führen überall hin, nur nicht zu Tempeln. Es gibt also definitiv keine Verbindung zwischen den »Geleisen« und den Tempeln!

Noch ein »Lösungsvorschlag«: Die Rillen dienten nicht als Führung für Räder. Vielmehr war das komplexe Rillen-System so etwas eine Art Kanalisation. In den Rillen floss Wasser. Auch diese »Lösung« erweist sich aus mehreren Gründen als vollkommen unsinnig! Zwei kleine, parallel nebeneinander laufende Rillen sind absurd. Es sei denn – Achtung, Ironie! – eine Rille führte kaltes, die andere heißes Wasser!

Präzise geschnitene Rille.
Foto W-J. Langbein
Die einzelnen Rillen verlaufen heute noch Hunderte Meter weit. Sie mögen einst Kilometer lang gewesen sein, wurden aber im Verlauf der letzten Jahrhunderte teilweise zerstört. So bleiben nur noch kürzere Teilstrecken übrig. Ob kurz oder lang: Wasser fließt immer nur bergab. Die »Geleise« von Malta aber folgen dem Terrain. Sie führen ebenerdig, steigen dann eine sanfte Anhöhe empor und streben dann wieder nach unten. Wasser kann diesem steten »Bergan« und »Bergab« nicht folgen!

Je intensiver man sich mit Malta beschäftigt, desto rätselhafter wird die Insel. Manchmal erinnern die »Geleise« an die Reste eines »Rangierbahnhofs« mit Weichen. Von einem Punkt aus führen die »Geleise« in unterschiedliche Richtungen.

Wenn die »Geleis-Rillen« von Wetterunbilden nicht »angefressen« wurden, vielleicht weil sie viele Jahrhunderte von Erdreich bedeckt waren, erkennt man auch heute noch, wie präzise sie in den Stein geschnitten sind. Keine Frage: Sie wurden, wie auch immer, künstlich angelegt. Die Rillen sind keine Laune der Natur!

Es wird noch verrückter: Manchmal laufen die Rillen schnurstracks auf eine senkrecht abfallende Klippe zu. Sollten da Landmassen abgebrochen und ins Meer gestürzt sein? Andere »Geleise« streben dem Meer zu, kriechen über den steinigen Strand und verschwinden in den Fluten. Ich folgte schwimmend und tauchend so einer Spur ... bis sie sich in den Tiefen des Meeres verlor. Von Anhöhen kann man erkennen, dass sie sehr weit am Meeresboden fortgesetzt werden.

Geleise überall auf Malta
Foto W-J.Langbein
Gibt es eine plausible Erklärung für »Geleise« die an Land beginnen und auf dem Meeresgrund fortgesetzt werden? Ernst von Hesse-Wartegg geht in seinem monumentalen zweibändigen Werk »Die Wunder der Welt« nicht auf die »cart-ruts« ein. Und doch bietet er eine mögliche Antwort für die Frage nach den »Geleisen« auf dem Meeresgrund an. Er schreibt vor dem »Ersten Weltkrieg« (1): »Geradeso wie Sizilien ist auch das unter englischer Herrschaft stehende Malta ein Überrest des versunkenen Kontinents zwischen Afrika und Europa und seinen geologischen Verhältnissen nach nur ein Stück von Tunis. Auch hier blieben bei der großen Katastrophe Menschen übrig, die sich später, vor ungefähr fünf Jahrtausenden, vielleicht mit hinzugekommenen Libyern von Afrika vermengten.«

Malta ist und bleibt rätselhaft. Es wimmelt auf Malta förmlich von mysteriösen Tempeln und Geleisen ... Rätselhaft sind und bleiben die verschachtelten unterirdischen Räume von Malta. Gesichertes Wissen gibt es wenig. Fakt ist: am ältesten ist die unterirdische Anlage des Hypogäums. Völlig zutreffend schreibt Ernst von Hesse-Wartegg (2): »Neben den megalithischen Denkmälern, deren Malta so merkwürdige besitzt, sind nämlich auch solche aus der Bronzezeit vertreten. Nur sind die Denkmäler aus der ältesten Zeit nicht oberirdisch, sondern unterirdisch, wahre Katakomben. Ihr Vorhandensein war selbst den Maltestern unbekannt.«

Sollte das heutige Malta tatsächlich der kleine Rest eines versunkenen Reichs sein ... eines Atlantis im Mittelmeer? Seit rund drei Jahrzehnten beschäftige ich mich intensiv mit Malta ... Die Insel ist ein einziges ungelöstes Rätsel! (3)

Geleise, die ins Nichts führen
Foto W-J. Langbein
Schon seit Jahren protestieren engagierte Vogelschützer gegen den Jagdwahn, der im Frühjahr und Herbst auf Malta ausbricht. Da wird offensichtlich auf alles geschossen, was fliegen kann. An geltendes EU-Recht, das den Abschuss von Sing- und Greifvögeln verbietet, halten sich maltesische Jäger offensichtlich nicht.

Vogelarten, die in anderen europäischen Ländern fast ausgestorben sind, werden auf Malta rücksichtslos abgeknallt ... und das nicht nur zur Jagdsaison. 15.000 und mehr maltesische Jäger scheinen alle Vögel auf dem kleinen Eiland Malta ausrotten zu wollen. Wenn Zugvögel sich ermattet von weiten Marathonflügen auf Malta niederlassen wollen ... warten auf sie schießwütige Jäger.

Langsam scheinen die Proteste Wirkung zu zeigen. So wurden am 6. Juni 2011 zwei maltesische Jäger zu 9.000 Euro Geldstrafe und zwei Jahren Haft und zu 5.000 Euro Strafe und einem Jahr Haft verurteilt ... jeweils ohne Bewährung. Sie hatten streng geschützte Weißstörche erlegt. Bereits im Herbst 2009 untersagte ein Urteil des »Europäischen Gerichtshofes« die auf Malta seit Jahrzehnten zelebrierte Jagdsaison im Frühjahr. Die Jagd auf Zugvögel, die sich dann auf dem Rückflug in ihre Brutgebiete befinden, bedroht den Bestand besonders geschützter Arten, die nach dem Gesetz nicht bejagt werden dürfen.

Blick ins Hypogäum um 1910
Foto Archiv W-J.Langbein
Ich befürchte, dass auch im Frühjahr 2012 europäischer Rechtssprechung zum Trotz wieder rücksichtslos Jagd auf Vögel gemacht werden wird. Abertausende Jäger stellen auf Malta eine mächtige Gruppe von Wählern dar. Haben die Landespolitiker auf der Mittelmeerinsel Angst, sie könnten ihre Wähler verprellen, wenn sie geltendes Recht mit Nachdruck durchsetzen?

Primitiv waren in meinen Augen nicht die steinzeitlichen Erbauer der Tempel von Malta, primitiv sind für mich viele schießwütige maltesische Jäger. So sehr ich das geheimnisvolle Eiland Malta und seine Rätsel schätze, so lange Malta nicht endlich geltendes Recht durchsetzt, kann ich als Tierfreund Malta nicht mehr besuchen.

Fußnoten
1 Hesse-Wartegg, Ernst von: »Die Wunder der Welt«, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912/1913, Band II, S.262
2 ebenda, S. 262 und S. 263
3 Langbein, Walter-Jörg: »Malta – Insel der Tempel und Riesen«, erschienen in der
Zweimonatszeitschrift »astroVita«, Ausgabe März/ April 1982 (Zeitschrift wurde inzwischen eingestellt.)

»Die mysteriösen Steine der Bretagne«,
Teil 115 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 01.04.2012



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Samstag, 24. März 2012

Karl May- Glanz und Elend eines Bestsellerautors

Teil 1: Vom Zuchthäusler zum Bestsellerautor
Walter-Jörg Langbein


Hohenstein-Ernstthal
Geburtshaus Karl Mays
in Hohenstein-Ernsthal
um 1910 - Foto: Archiv
Karl May Gesellschaft
Karl May schien von seiner Geburt an zum Scheitern verurteilt. Dem Sohn einer bitterarmen Familie von sächsischen Webern sollte offenbar der Weg in ein bürgerliches Leben verwehrt bleiben. Die Versuche, aus unbeschreiblichem Elend auszubrechen, scheiterten immer wieder. Karl May wurde straffällig und wegen Lappalien zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Immer wieder schien sich zu bewahrheiten, was Hans Fallada in seinem Roman »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« beschreibt. Es schien auch für Karl May zu gelten: Wer einmal im Gefängnis saß, hat schlechte Karten ...

Wie Falladas Kufalt wird Karl May immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt. Nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Zwickau (»Schloss Osterstein«) scheitert May erneut. Er hatte keine Chance auf Rehabilitation. Zaghafte Versuche, auf ehrliche Weise Geld zu verdienen, wurden von der guten, ehrbaren Gesellschaft nicht geduldet.

Am Rande ... Die Geschichte von »Schloss Osterstein« bietet Stoff für ein umfangreiches Werk ... Ursprünglich war es ein landesherrliches Residenzschloss, wurde dann zur Zuchtanstalt. Es verfiel zur Ruine. Der Zellentrakt musste abgerissen werden. 2006 begann der Wiederaufbau. 2008 öffnete die einstige Zuchtanstalt wieder ihre Tore ... als Senioren- und Seniorenpflegeheim ...

Wieder wird Karl May straffällig, wieder ist er als kleiner Gauner und Trickbetrüger unterwegs. Wieder schließen sich Gefängnismauern für Jahre hinter ihm. Als Karl May 1874 aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen wird, hat er eigentlich – wie Falladas Kufalt – keinerlei Zukunftsperspektive. Der nächste längere Zuchthausaufenthalt scheint schon vorprogrammiert zu sein. Und es sieht so aus, als reagiere Karl May auf seltsame Weise trotzig. Er glaubt, dass die Gesellschaft ihn nur als Kriminellen sehen will ... also will er kriminell sein. In Waldenheim aber kommt es zur Wende ...

Schloss Osterstein - Ruine
Osterstein - Foto oben:
Archiv Langbein,
Foto unten: André Karwath
Karl May fasst nach der Entlassung in der bürgerlichen Gesellschaft Fuß. Er beginnt zu schreiben: zunächst als Redakteur im Verlag von Heinrich Gotthold Münchmeyer und später beim Dresdner Verlag von Bruno Radelli. 1879 beginnt das eigentliche Leben des Karl May, der es zum reichen, meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache bringen sollte. Karl May verfasst Erzählungen, die unter verschiedensten Pseudonymen erscheinen. Fast wie besessen schreibt Karl May für Zeitschriften. Seine Texte erscheinen im »Deutschen Hausschatz«, werden im »Guten Kamerad« veröffentlicht.

Für Münchmeyer produziert May im Eiltempo Kolportageromane. »Das Waldröschen« wird von Hunderttausenden verschlungen. Mit 50 gelingt Karl May der Durchbruch. Friedrich Ernst Fehsenfeld ermöglicht es dem immer wieder vom Schicksal gebeutelten Sachsen, seine Erzählungen in Buchform zu publizieren. 1892 – vor 120 Jahren – startet die Serie »Carl May's Gesammelte Reiseromane«. 1896 wird die Erfolgsreihe in »Karl Mays's Gesammelte Reiseerzählungen« umbenannt. Karl May hat es geschafft ... aus dem armen Weberssohn, dem gescheiterten Lehrer und mehrfach Vorbestraften wird der hoch angesehene, geachtete, ja verehrte Bestsellerautor Karl May.

Noch 1879 war Karl May – zum letzten Mal – zu einer Arreststrafe von drei Wochen verurteilt worden ... wegen angeblicher »Amtsanmaßung«. Karl May hatte versucht zu klären, wie der Onkel seiner damaligen Verlobten Emma Pollmer ums Leben gekommen war. Der Sachverhalt ist klar: Am 25. April 1878 befragt Karl May Zeugen, behauptet, er sei »von der Regierung eingesetzt und etwas Höheres, wie der Staatsanwalt« (1). Karl May verstößt dabei allerdings nicht gegen das Gesetz. Er maßt sich keinen Titel an. Er gibt nicht vor, ein Amt auszuüben. Er deutet nur an, flößt Respekt ein. Man hält ihn für eine »hochgestellte Persönlichkeit«. So soll Karl May geäußert haben (2): »Wenn der Staatsanwalt nicht richtig gehandelt hat, lass ich ihn einstecken – zu was sind denn die Kerle da?!«

Karl May und seine zweite
Ehefrau Klara um 1904
Eine »Amtshandlung« hat Karl May nicht vorgenommen, somit hat er sich ganz eindeutig keiner »Amtsanmaßung« schuldig gemacht. Karl May wurde ganz klar Opfer eines Fehlurteils. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Karl May verbüßt seine Strafe, wird am 22. September um 19 Uhr (3) »dem Gerichtsamt vorgeführt, vor Rückfall gewarnt und entlassen«.

Karl May war seinen fiktiven alter egos Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi im wirklichen Leben nie so nahe wie in jenen Tagen des Jahres 1878, als er zu klären versuchte, unter welchen Umständen Emil Pollmer zu Tode gekommen war. Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi setzten sich in Karl Mays Fantasiewelt immer wieder für Recht und Ordnung ein. Wo Gesetzeshüter versagten, wo Verbrecher fern der Justiz ihr Unwesen treiben konnten ... da schritten Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, begleitet und unterstützt von Winnetou und Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, ein. Ob Nscho-tschi, von Marie Versini im Film ideal verkörpert, im realen Leben Karl Mays ein Vorbild aus Fleisch und Blut hatte?

In seiner Fantasie wurde Karl May, der im realen Leben zum »Kriminellen« abgestempelt worden war, zur heldenhaften Lichtgestalt, zum Heros, zum Superman des Wilden Westens und des Orients, der der Gerechtigkeit immer wieder zum Sieg verhalf.



Schreibend ließ Karl May seine Vergangenheit hinter sich, die allerdings den greisen Karl May wieder einholen sollte! Schreibend wurde aus dem von der Gesellschaft ausgestoßenen Karl May der geachtete, bewunderte und verehrte Volksschriftsteller Karl May. Schreibend schuf er sich ein Leben in Wohlstand. Der Sohn armer Webersleute wurde zum Wohlstandsbürger. 1891 zogen die Mays in der »Villa Agnes«, Radebeul, 1895 in »Villa Shatterhand«, Radebeul, ein.

Karl May im Kostüm
als Old Shatterhand
Schreibend schuf sich Karl May eine alternative Realität, in der sein Blutsbruder Winnetou und sein Gefährte Hadschi Halef Omar zu realen Personen wurden. Und schreibend wurde Karl May wirklich zu Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Berichtete er zunächst noch über die beiden Abenteurer in der dritten Person, so identifizierte er sich nach und nach immer stärker mit den fiktiven Gestalten. Karl May war dabei kein Hochstapler, vielmehr wusste er wohl manchmal selbst nicht mehr zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Im Roman bekam Old Shatterhand einen Namen ... aus dem anonymen Helden wird der Schriftsteller aus Germany Sharlih. Winnetou, der edle Häuptling der Apachen, nennt ihn so.

Millionen Fans folgten Karl May lesend ... und identifizierten sich ihrerseits mit den Helden Karl Mays. Unzählige Leserinnen und Leser träumten sich in eine Welt, in der sie – wie die Mayschen Helden – die Welt gerechter machen konnten. Sie wollten an die Wirklichkeit der schönen Welt Karl Mays glauben ... und der sächsische Schriftsteller machte es ihnen leicht. So ließ er die aus seinen Romanen bekannten Wundergewehre »Bärentöter«, »Silberbüchse« und »Henrystutzen« anfertigen. Und Karl May schlüpfte in Kostüme, ließ sich als »Old Shatterhand« und »Kara Ben Nemsi« fotografieren. So entstanden nicht nur Fotos von Karl May vor Wild-West- und Orientkulissen, auch Besucher Mays wurden kostümiert mit ihrem Helden im Bild festgehalten.

Villa Agnes - Foto X-Weinzar
Mit der wachsenden May-Begeisterung wuchs auch Mays Wohlstand. Jetzt konnte es sich der sächsische Schriftsteller leisten, luxuriös zu wohnen ... in Villen, nicht in Armenhäuschen ... und die Länder seiner Träume zu bereisen. 1899 und 1900 erkundete er den Orient. Zusammen mit seinem Diener Sejd Hassan kam er bis nach Sumatra. 1908 trat May, zusammen mit seiner Frau Klara, seine sorgfältig vorbereitete Amerikareise an. Von Bremerhaven ging's mit dem »Großen Kurfürst« nach New York, dann den Hudsonfluss hinauf nach Albany. Die Mays unternahmen Ausflüge, zu den Niagara-Fällen, aber auch in das Reservat der Tuscarora-Indianer und nach Toronto. Am 18. Oktober 1908 begeisterte Karl May in Lawrence, Massachusetts, mit einem Vortrag.

Emsig schrieb Karl May von seinen beiden Weltreisen Karten an Freunde, Zeitungsredaktionen und treue Leserinnen und Leser. Stolz ließ sich Karl May vor den Pyramiden Ägyptens wie vor den Niagarafällen ablichten. Der blinde Bub aus einer Weberfamilie war allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz am Ziel seiner Sehnsüchte angekommen ... Der Sachse mit der unerschöpflichen Phantasie war endlich angesehen und wohlhabend.

Und doch wird Karl May auf dem Zenit seines Erfolgs von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein Erpresser will Karl May lobpreisen ... gegen Bezahlung. Karl May lehnt ab. Und der Erpresser versucht, mit allen Mitteln Karl Mays Namen in den Schmutz zu ziehen, den greisen Schrifsteller zu vernichten.

Karl May vor den
Niagarafällen 
Rudolf Lebius (1868-1946) sucht im Frühjahr 1904 Karl May auf. Der Journalist bietet ein »Geschäft« an: Er will in Artikeln tüchtig für ihn werben, Karl May lobpreisen ... und erwartet als Gegenleistung ein »Darlehen«. Im September trifft bei Karl May eine anonyme Karte ein ... von Lebius verfasst. Er droht May mit Enthüllungen. Der Schriftsteller aber reagiert nicht. Und so beginnt Rudolf Lebius eine wahre Hetzkampagne gegen Karl May. Eine Flut von Prozessen ist die Folge, die Karl Mays Gesundheit – psychisch wie physisch – stark schädigen.

Fußnoten
1: Sudhoff, Dieter und Steinmetz, Hans-Dieter: »Karl-May-Chronik«, Band I, 1842-1896, Bamberg und Radebeul 2005, S. 235 unten und S. 236 oben
2: ebenda, S. 237
3: ebenda, S. 254

Karl May- Glanz und Elend eines Bestsellerautors
Teil 2: Zum 100. Todestag
Walter-Jörg Langbein
erscheint am 29. März 2012


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Freitag, 23. März 2012

Schwere Schulranzen - Die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Die meisten Märchen haben einen realen Hintergrund, der im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten ist. Anders ist es bei Schneewittchens Sieben Zwergen: Aus der Geschichte der Kinderarbeit weiß man, dass in früheren Jahrhunderten bevorzugt Kinder in die kleinen und engen Bergwerksstollen geschickt wurden, die für Erwachsene zu eng waren. Heraus kamen die Kleinen dann gebückt, abgekämpft und schwer beladen. Auch die Sieben Zwerge gehen im Bergwerk ihrer täglichen Arbeit nach, von wo sie abends, laut Walt Disney unter fröhlichem Absingen von »Hoiho, hoiho, wir sind vergnügt und froh«, mit schweren Säcken auf dem Rücken wieder auftauchen.

Zumindest in unseren Breiten sind solche Zustände zum Glück inzwischen undenkbar. Bei uns gibt es keine Kinder mehr, die sich an jedem Werktag mit Lasten abschleppen, die bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts ausmachen und massiven Ärger bekommen, falls sie sich weigern sollten. - Halt, Stopp! Wirklich nicht?

Willst Du zum Nanga Parbat oder bist Du der Siebte Zwerg?

Diese Frage möchte man deutschen Schulkindern heute gerne stellen, wenn sie schwer beladen und mit krummen Rücken den Gehsteig entlang kommen. Im Ernst: Was gerade Unterstufenschülern heute täglich aufgeladen wird, wiegt selten unter 10 kg, an Spitzentagen auch schon mal 13 kg oder mehr. Besonders heftig ist die Last zwischen der 5. und 7. Klasse (wobei dies von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein mag). Das bedeutet: In vielen Fällen tragen gerade die Kleinsten auch die schwersten Ranzen. Ursächlich ist ein bürokratisch gestaltetes Schulsystem, zu dessen Funktionieren es Tonnen einseitig bedruckter Fotokopien braucht. Hinzu kommen die üblichen Hefte und Schulbücher, in vielen Fächern dann auch noch ein zusätzliches Arbeitsbuch: Eine Papierflut, die Ihresgleichen sucht. Klimaschutz? CO2-Fragen? Ressourcenschonung? - All das scheint an vielen Schulen keine Rolle zu spielen.

Wenn Sie auch der Meinung sind, dass dies dringend geändert werden müsste, dann bitte ich Sie für einen entsprechenden Vorschlag, den ich auf dem Diskussionsportal der Bundeskanzlerin eingebracht habe, um Ihre Stimme. Ein Tipp: Um abzustimmen, benötigen Sie keinen Benutzer-Account!

Sonntag, 18. März 2012

113 »Das Geheimnis der steinzeitlichen Schienen«

Teil 113 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


In Maltas Unterwelt. Historische
Aufnahme um 1910.
Archiv W-J.Langbein
Mit ganzer Kraft treibt der Arbeiter seinen schweren Eisenpickel in den Kalkstein. Wieder lösen sich Brocken, die er mit den Händen aus dem wachsenden Loch hebt. Wieder schlägt er mit seinem wuchtigen Eisenhammer zu. Seltsam hohl klingt es. Und plötzlich tut sich ein Spalt im Boden auf. Der Eisenpickel entgleitet den Händen des Arbeiters, verschwindet im Spalt und schlägt nach einigen Sekunden auf. Sekunden später gibt der Boden nach, der Arbeiter stürzt in die Tiefe. So wurde das mysteriöse unterirdische Hypogäum von Malta entdeckt ... beim Ausgraben eines Brunnens.

Ernst von Hesse-Wartegg (1851 oder 1854-1918), »Geheimer Hofrat und Generalkonsul« war österreichischer Diplomat ... und Weltreisender in Sachen »Wunder der Welt«. Ausführlich berichtet er über die Unterwelt von Malta (1): »Die Behörden übernahmen nunmehr die Beseitigung der Schuttmassen, die sich im Laufe der Jahrtausende hier angesammelt hatten, und so wurde in einer Tiefe von mehreren Metern ein Netz von Kammern, Hallen und Gängen freigelegt, die sich über einen Raum von nahezu einem Hektar ausdehnen.«

Bewundernd stellt von Hesse-Wartegg fest (1): »An einer Stelle liegen zwei derartige künstliche Höhlen sogar übereinander, durch eine steile Treppe verbunden. Die ganze Anlage ist viel sorgfältiger ausgeführt als etwa die Katakomben von Rom und zum Teil sogar künstlerisch ausgeschmückt. Die natürliche Felsendecke der meisten Räume ... war ursprünglich rot übermalt, jene der innersten Kammer zeigt sogar aufgemalte Schneckenlinien, Kreise und Scheiben.«

Die rote Deckenbemalung, aber auch die aufgemalten Symbole sind typisch für einen matriarchalischen Kult um die große Muttergöttin. Auch wenn den Erbauern der unterirdischen Welt nur primitivste Werkzeuge – Steinbeile und Feuersteinmeißel – zugebilligt werden ... so arbeiteten sie doch mit unglaublicher Präzision. Von Hesse-Wartegg (2): »Die natürlichen Felswände, welche die einzelnen Kammern voneinander trennen, sind mitunter bis auf Fingerdicke zugehauen worden.«

Welchem Zweck mag ein Wasserbecken in einem der unterirdischen Räume gedient haben? Auch wenn alles auf einen Kult um die »heilige Muttergöttin« hinweist, so wissen wir doch nichts über die Rituale der alten Religion. Mussten sich Pilger im Wasserbecken waschen, bevor sie ins Allerheiligste vorgelassen wurden? Durften sie erst dann die Göttin besuchen? Oder waren es die Priesterinnen, die sich im Becken waschen mussten, bevor sie ihren Dienst antreten duften?

Mysteriöses Wasserbecken.
Historische Aufnahme um 1910.
Archiv W-J.Langbein
Was von Hesse-Wartegg noch nicht wusste: die Unterwelt von Malta war mit einem erstaunlichen akustischen System ausgestattet. Worte, die in ein muschelförmiges Loch in der Wand gesprochen werden ... hallen in anderen Räumen gespenstisch wider. Ob es ein bis heute nicht erforschtes Röhrensystem im Stein gibt, das die Schallwellen weiterleitet? Welchen Zweck erfüllten diese steinzeitlichen Klangwelten? Sollten sie etwa geschaffen worden sein, um naive Pilger zu beeindrucken? Sollten die Besucher in der Unterwelt rätselhafte Stimmen vernehmen, die scheinbar aus dem Inneren der Wände aus gewachsenem Fels kamen?

Erich von Däniken mutmaßt (3): »Ich nehme an, man kann es freilich nicht sehen, dass sich im Fels Hohlräume verzweigen, die die Rufe weiterleiten und an anderen Stellen wieder in den Raum freigeben.«

Vor Jahrzehnten war das Hypogäum von Malta allenfalls ein Geheimtipp ... heute ist es ein touristisches Highlight! Die Altertumsbehörde hat vor Jahren beschlossen, nur noch wenige Besucher zuzulassen. Täglich dürfen nur noch siebzig Menschen in die unterirdischen Räume steigen ... um die Jahrtausende alte Anlage zu schonen. Sie wurden nicht drei Stockwerke tief in die felsige »Unterwelt« gemeißelt, um tagtäglich von tausenden Touristen besucht zu werden.

Einst ein Geheimtipp, heute
Tourismusattraktion. - Historische
Aufnahme um 1910.
Archiv W-J.Langbein
Wind und Wetter, aber auch den Füßen unzähliger Touristen ausgeliefert ist ein weiteres Rätsel von Malta. Ernst von Hesse-Wartegg erwähnt es mit keinem Wort. Die Jahrtausende haben dem steinzeitlichen Schienensystem schon arg zugesetzt. Jahrhunderte lang wurde es mutwillig zerstört: beim Straßenbau ebenso, wie bei der Erschließung neuen Baulands. Und unzählige Besucher trampeln darüber hinweg. Worüber?

Stellen Sie sich vor, Malta war vor Jahrtausenden von einem verzweigten Schienennetz überzogen. Stellen Sie sich vor, man konnte vor Jahrtausenden mit einem »Eisenbähnchen« kreuz und quer auf der Insel herumfahren. Die Schienenstränge hat man in den gewachsenen Fels eingelassen ... und dann irgendwann wieder entfernt. Zurück blieben dann Rillen im gewachsenen Stein. Stellen Sie sich weiter vor, dass man irgendwann vergessen hat, dass es einst ein Gleissystem auf Malta gegeben hat. Dann steht man vor den unzähligen Rillen im Stein vor einem Rätsel.

Kehren wir aus dem Reich der Fantasie in die Realität zurück: Natürlich wurde Malta vor Jahrtausenden nicht von steinzeitlichen Jim Knopfs und Lukas' per Lokomotive befahren. Natürlich gab es vor Jahrtausenden kein Schienensystem. Aber: Vor rund 5.000 Jahren wurden seltsame Rillen in den Stein gefräst ... und das immer paarweise.

Schienen von Malta.
Foto: W-J.Langbein
Bray Warwick datiert im »Lexikon der Archäologie«, Stichwort Malta, die seltsamen Spuren so (4): »Gegen 3200 v.Chr. kamen weitere Einwanderer aus Sizilien auf die Insel In der Zeit von etwa 2800 bis 1900 v.Chr. Errichteten sie eine erstaunliche Anzahl von Megalith-Tempeln.. In diese Zeit gehören auch die seltsamen ›Wagengeleise‹.«

Die Einheimischen nennen die seltsamen Spuren »cart ruts«, also Karrenspuren. Ist das die Erklärung für das »Geheimnis der steinzeitlichen Schienen«? Waren vor Jahrtausenden Fuhrwerke auf Malta unterwegs, deren Räder die seltsamen Rillen erzeugten? Diese simple Antwort scheint zu überzeugen, hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Mehrfach war ich auf Malta. Insgesamt habe ich mehrere Tage »cart ruts« vermessen. Die tiefsten »Geleise« waren 72 Zentimeter tief. Eine solche Rille würde ein Rad mit einem Durchmesser von mindestens 144 Zentimetern voraussetzen. Ein Wagen auf solchen Riesenrädern wäre höchst unpraktisch. Außerdem verlaufen die »Geleise« sehr häufig in Kurven. Sie könnten mit Wagen auf größeren Rädern gar nicht befahren werden. Außerdem ist es unsinnig anzunehmen, die Fuhrwerke wären immer exakt auf den gleichen Bahnen gefahren ... um nach und nach die tiefen Rillen zu erzeugen.

WJL beim Vermessen von
Cartruts - Foto: Ilse Pollo
Nehmen wir trotzdem an, dass die Geleise von Karren oder Wagen erzeugt wurden. Motoren gab es vor Jahrtausenden noch nicht. Also müssen Wagen von Tieren – etwa von Rindern oder Pferden – gezogen worden sein. Wenn nun die Wagen immer exakt die gleichen Bahnen befuhren und so Rillen erzeugten ... müssen die Zugtiere immer die gleichen Wege benutzt haben. Wenn die Räder so tiefe Spuren hinterlassen haben ... wo sind dann die Spuren der Zugtiere? Es gibt sie nicht.

Fußnoten
1 Hesse-Wartegg, Ernst von: »Die Wunder der Welt«, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912/1913, Band II, S.264
2 ebenda
3 Däniken, Erich von: »Prophet der Vergangenheit«, Düsseldorf und Wien 1979, S. 127
4 Warwick, Bray und Trump, David: »Lexikon der Archäologie«, 2 Bände, Reinbek bei Hamburg 1975

Lesetipp: Erfahren Sie mehr über die ungelösten Rätsel der Menschheit in den Büchern von Walter-Jörg Langbein!

»Ein ungelöstes Rätsel«,
Teil 114 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 25.03.2012


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Freitag, 16. März 2012

Schulskikurse - Die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Ganz klar: Passieren kann immer irgend etwas. In allen Lebenslagen gibt es Situationen, in denen man sich schwer verletzen oder sogar getötet werden kann. Lebensrisiko halt. Nach dem Sinn und Unsinn von Schulskikursen allerdings sollte man endlich einmal fragen. Viele Schulen in Europa veranstalten sie, in Bayern finden sie mindestens einmal im Laufe der Schulzeit statt, in der 7. Klasse. Die Teilnahme ist nicht obligatorisch, doch nur wenige Schüler lehnen den Skikurs ab, da sie andernfalls für die Zeit der Skiwoche dem Unterricht einer anderen Klasse zugeteilt werden.

Für die Eltern bedeutet der Skikurs einen hohen Kostenfaktor und nicht zuletzt jede Menge Stress, denn die Listen, was alles mitzunehmen ist, sind ellenlang und für Familien, die privat nicht Ski fahren, ein ziemlicher Hammer. Gut, die Skiausrüstung selbst kann meist gegen eine Gebühr ausgeliehen werden. Doch Skianzug, Helm, Skihandschuhe, Skibrille und Skiunterwäsche sind ebenso selbst mitzubringen, wie Schlittschuhe (für den Eislauf-Nachmittag), Gesellschaftsspiele (falls das Wetter nicht mitspielt), Tischtennisschläger und tausend andere Kleinigkeiten. Vieles davon ist in den meisten Familien vorhanden, anderes muss extra angeschafft werden und stellt insgesamt eine riesige Materialschlacht dar, bei der man sich fragt, ob das Fach Konsum heute an der obersten Stelle des Lehrplans steht.


Völlig unnötiges Risiko

Sind dies Ärgernisse, die man mit etwas gutem Willen bewältigen kann, so lautet die viel wichtigere Frage: Muss es unbedingt sein, Schulkinder, von denen sehr viele keinerlei Erfahrungen mit Skiern haben, den Gefahren dieser Sportart auszusetzen? Die Zahl der Skiunfälle ist hoch, prominente Fälle in aller Munde. Sei es der ehemalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus, bei dessen Skiunfall eine andere Skifahrerin ums Leben kam oder der seit einem Lawinenunfall im Koma liegende niederländische Prinz Friso: Skifahren ist eine Risikosportart, für die es zumindest eine solide Ausbildung und gutes Training braucht. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um als harmloses Wintervergnügen für ganze Schulklassen von Halbwüchsigen durchzugehen.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Schulskikurse von einer mächtigen Lobby durchgesetzt wurden, der an der Aufrechterhaltung des Skifahrens als Massensport gelegen ist. Da fünf Tage Herumkullern im Schnee keine dauerhafte fitnessrelevante Bedeutung haben, kann es nur diese Erklärung geben. Und es gibt kaum Eltern, die sich solchen Zumutungen widersetzen, wenngleich die meisten mir bekannten Familien hinter vorgehaltener Hand über die Zusatzbelastung stöhnen. Klar: Will das eigene Kind gerne mitfahren, sagt man natürlich nicht nein.


Mit dem Bus in die Berge

Es ist zu hoffen, dass mit dem entsetzlichen Busunfall in der Schweiz, bei dem vorgestern 28 Menschen (davon 22 Schulkinder) ums Leben kamen, ein Umdenken einsetzt. Die belgische Reisegruppe befand sich auf dem Rückweg von einem Schulskikurs nach Hause. Ja, ich weiß: Busunfälle können immer passieren. Nicht nur im Rahmen von Schulskikursen. Dennoch stellt es ein besonderes Risiko dar, mit dem Bus zur Winterzeit in die Berge zu fahren. Hand aufs Herz: Welche Eltern haben solche Sorgen nicht, wenn das eigene Kind fröhlich zum Schulskikurs aufbricht? Für viele belgische Elternpaare ist der Albtraum nun Wirklichkeit geworden. Mal im Ernst: Kaum ein Erwachsener bricht in Jubel aus, wenn ein Schulskikurs angesagt wird. Nicht mal alle Schulkinder tun dies. Sie fahren halt mit, weil alle es tun. Wollen wir nicht endlich unseren Mund aufmachen und NEIN zu solchem Irrsinn sagen?


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Sonntag, 11. März 2012

112 »Die Göttin von Malta«

Teil 112 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Eine Monstermauer von Malta
Foto: Ilse Pollo
Die Inseln von Malta sind bizarr. Auf engstem Raum wurden monströse Tempel errichtet, neben denen der staunende Besucher zum Zwerg wird. Die zum Teil stark verwitterten Monstersteine, die bei den sakralen Bauten zum Einsatz kamen, lassen auf ein sehr hohes Alter der Kultur von Malta schließen. Vor rund sechs Jahrtausenden – so heißt es in der wissenschaftlichen Literatur – machten sich emsige Baumeister ans Werk. Warum türmten sie bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von allenfalls 3000 so viele so riesige Tempel auf?

War Malta vor Jahrtausenden so etwas wie ein religiöses Zentrum? Kamen gläubige Pilger aus dem Mittelmeerraum nach Malta, um mysteriösen Kulten zu huldigen? Gab es unterschiedliche Gruppen, die alle einen eigenen Tempel beanspruchten? Sollte diese Überlegung zutreffen ... woher kamen dann die Pilger – vor rund sechs Jahrtausenden? Nach heutigem Wissensstand kann es aber vor sechs Jahrtausenden keine europaweite Seefahrt gegeben haben, um Pilgerscharen nach Malta zu befördern und wieder nach Hause zu bringen. Vor sechs Jahrtausenden dürfte es allerdings auch nicht die technischen Mittel und Methoden gegeben haben, um mit spielerischer Leichtigkeit Riesentempel zu bauen ... so die beeindruckenden Bauten überhaupt Tempel waren.

Wir neigen ja dazu, sehr alte Bauten zu »Tempeln« zu erklären. Dabei wissen wir nicht einmal, wie die Bauwerke von Malta einst aussahen. Vermutlich waren die Zyklopensteine – zumindest teilweise – verputzt und bemalt. Heute stehen fast nur noch die Mauern und bilden ein Gewirr von ineinander geschachtelten Räumen. Einst waren sie wohl überdacht. Einst lagen wohl zyklopenhafte Quader auf den zyklopenhaften Mauern.

Ein Riesentempel - Foto: W-J.Langbein
Auf der Nebeninsel Gozo, oberhalb des Örtchens Xaghra gelegen, entstand vor rund sechs – oder gar vor sieben? – Jahrtausenden der wohl älteste »Tempel«, »Ggantija« (auch »Gigantija« genannt). 1990 ernannte ihn die UNESCO zum Weltkulturerbe. Stundenlang kroch ich zwischen den gewaltigen Steinquadern herum ... Bis zu sechs Meter ragen sie in den Himmel. Die größeren werden pro Stück gut und gerne auf fünfzig Tonnen geschätzt. Wie hoch das Bauwerk ursprünglich war? Wir wissen es nicht. Wie viele dieser gigantischen Bauten es einst gab ... wir wissen es nicht. Nach Bray Warwick, Mitautor des vergriffenen Werkes »Lexikon der Archäologie« (1) »zeigen die etwa dreißig noch erhaltenen Beispiele (der Tempelbauten) einen hoch entwickelten Grundriss und Aufbau«.

Wenn nach Expertenansicht noch etwa dreißig Tempelruinen erhalten sind ... wie viele mögen es dann vor sechs oder sieben Jahrtausenden gewesen sein? In der Tat: die Perfektion der Bauweise lässt uns heute noch staunen. Wo aber wurde diese fortgeschrittene Bauweise entwickelt? Bray Warwick mutmaßt: »Einwanderer« mögen die Megalithbauten errichtet haben. Woher sollen sie gekommen sein? Nirgendwo sonst in Europa gibt es vergleichbare Bauten. Sollten die Einwanderer erst auf Malta damit begonnen haben, unvorstellbare Steinmassen zu Riesenbauten aufzutürmen? Fakt ist: In Westeuropa gibt es eine ganze Reihe von monumentalen Steinsetzungen – man denke an Englands Stonehenge oder an die berühmten Megalith-Reihen der Bretagne.

Gale de Giberne Sieveking (1925-2007), einer der renommiertesten Archäologen des 20. Jahrhunderts, setzte sich intensiv mit gigantischen Monstersteinen auseinander, die vor Jahrtausenden mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit verbaut wurden. Der Gelehrte, langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter am »British Museum« von Rang, sah die »großen Steine« als (2) »Erscheinungsform einer Religion, oder auch mehrerer Religionen, die sich auf Ahnenverehrung und Kult der Muttergottheit gründeten«.

Zyklopenbauweise - Foto: Wolfi
Wann die ersten Menschen auf Malta siedelten ... das interessiert mich nicht besonders. Mag sein, dass schon vor 100.000 oder gar 150.000 Jahren Menschen auf Malta hausten. Wann aber entdeckten die Menschen ihre Liebe zur Riesenbauweise? Eine Archäologin erklärte mir vor Ort, darauf bedacht, dass ihre männlichen Kollegen nichts hörten: »Zahlreiche Symbole wie Spiralen an Tempelwänden deuten auf die Göttin hin, die hier verehrt wurde. Sämtliche Tempel stellen – vom Grundriss her – die Urgöttin, die Muttergöttin dar!«

Auf meinen Reisen zu den rätselhaften Orten der Welt habe ich immer wieder eine interessante Beobachtung gemacht: Archäologen und Archäologinnen vertrauen einem wirklich interessierten Besucher vor Ort ihre ganz persönliche Sicht der Dinge an ... die nur selten – wenn überhaupt – Eingang in die »wissenschaftliche« Literatur findet. In einer immer noch von männlichen Autoritäten geprägten Szene der universitären Archäologie führt die Göttin der Vorzeit nach wie vor ein bescheidenes Dasein. Das gilt auch für die Göttin von Malta.

Blick in die Unterwelt - Foto: W-J.Langbein
Wie wichtig die Rolle war, die einst die Göttin auf Malta spielte, belegen zahlreiche Figürchen und Figuren, die eine stämmige Muttergöttin darstellen. Oder wurden auf Malta mehrere Göttinnen verehrt? Im Tempel von Hagar Qim, Malta, saßen einst imposante Göttinnen auf steinernen Thronen. Als sich das Patriarchat durchsetzte, wurden die Göttinnen entfernt. Zum Tempel von Hal Tarxien gehörte einst eine imposante Statue einer stolzen stehenden Göttin. Offensichtlich wurde das Jahrtausende alte Kunstwerk mutwillig zerstört. Man hat es zertrümmert. Gefunden wurden bislang nur Füße und Beine. Offensichtlich, so ist zu erkennen, trug die göttliche Matrone einen locker fallenden Rock.

Im mysteriösen »Hypogäum« von Hal Saflieni, Malta, wurde einst auch die Göttin verehrt. Der Begriff »Hypogäum« stammt aus dem Griechischen und lässt sich mit »unterirdischer Raum« übersetzen. Was für eine maßlose Untertreibung: drei Etagen hat man vor Jahrtausenden in den gewachsenen Stein getrieben ... und so ein unterirdisches Reich von »Mutter Erde« geschaffen. Neben drei größeren Räumen gibt es Dutzende von Kammern, die verschachtelt ineinander übergehen.

Richtig ist: tief unter der Erde fand man im »Hypogäum« unzählige Knochen. Vorschnell wurde die riesige unterirdische Anlage zur »Begräbnisstätte« erklärt. Inzwischen darf es als gesichert angesehen werden, dass die Gebeine von immerhin 7000 Menschen nicht von den Erbauern der »Unterwelt« beigesetzt wurden, sondern sehr viel später. Salopp ausgedrückt: Spätere »Trittbrettfahrer« haben die unterirdischen Räume als Grabkammern missbraucht.

In der »Unterwelt« des Hypogäums wurde die vielleicht schönste Darstellung der Göttin entdeckt. Das Figürchen, gern herablassend als »Fat Lady« bezeichnet, ist recht klein. Es misst in der Länge zwölf Zentimeter. Unbekannte Künstler haben die Alabasterstatuette mit viel Liebe zum Detail geschnitzt. Die »schlafende Lady« ruht, seitlich liegend, auf einem Bett. Wie alle Darstellungen der »Muttergöttin« aus uralten Zeiten sind die feminin-mütterlichen Formen betont.

Alexander Knörr, profunder Malta-Kenner, schreibt in seinem Buch »Hagar Qim« (3): »Hinweise darauf, dass die Tempel Maltas und Gozos wirklich der Ausübung einer Religion dienten, sammelten Archäologen in Form von einzelnen Hinweisen, wie zum Beispiel kleiner Statuetten, welche in den Tempelanlagen bei Ausgrabungen gefunden wurden.« Und weiter heißt es bei Alexander Knörr (4): »Da die meisten dieser Statuetten wohl geformte, teilweise überaus üppige, weibliche Rundungen aufweisen, liegt laut Meinung der zuständigen Archäologen nahe, dass ein Kult um die Magna Mater (lateinisch: große Mutter – Muttergottheit), eine Fruchtbarkeitsgöttin hier gepflegt wurde.«

Die Muttergöttin von Malta -  Foto: W-J.Langbein
Wer meint, auf Malta seien die ältesten Spuren der verehrten Muttergöttin gefunden worden, irrt gewaltig. Das Matriarchat ist sehr viel älter als die Tempel von Malta! Doris Wolf, eine Schweizer Wissenschaftlerin, entdeckte in Ägypten eine bis heute kaum beachtete Statue einer Muttergöttin. Sie schreibt in ihrem Buch »Was war vor den Pharaonen?« (5): »Bei der Grotte der Großen Göttin im Tal der Königinnen ist noch eine andere Erscheinung interessant, die allerdings bisher unbeachtet blieb: eine aus dem Fels gemeißelte überlebensgroße weibliche Skulptur auf der linken Seite des Eingangs, die über dem Boden schwebt. Obwohl der Kalkfelsen hoffnungslos brüchig ist, kann man bei der verwitterten Großplastik die untere Körperhälfte mit dem betonten Schoßdreieck erkennen, das gut erhalten ist.«

Die wohl älteste »Muttergöttin« ist die »Venus von Villendorf«. Sie soll vor 30 000 Jahren geschnitzt worden sein. Eine ganz ähnliche »Muttergöttin« wurde in Tschechien gefunden. Das Alter der »Fat Lady«: 27 000 Jahre!

Fußnoten

1 Warwick, Bray und Trump, David: »Lexikon der Archäologie«, 2 Bände, Reinbek bei Hamburg 1975
2 Sieveking, Gale: »Wanderung der Megalithen« in Bacon, Edward (Hrsg): »Versunkene Kulturen/ Geheimnis und Rätsel früher Welten«, München 1963, S. 185
3 Knörr, Alexander: »Hagar Qim/ Auf den Spuren eines versunkenen Kontinents/ Rätsel um die Insel Malta«, Groß Gerau 2007, Seite 20
4 ebenda
5 Wolf, Doris: »Was war vor den Pharaonen?«, Zürich 1994,S.63

Literaturempfehlung

Walter-Jörg Langbein: »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«

»Das Geheimnis der steinzeitlichen Schienen«,
Teil 113 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18.03.2012



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