Sonntag, 30. September 2012

141 »Der Gott mit dem Rüssel«

Schildkröten, Schlangen und Ruinen 2
Teil 141 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


In den Ruinen von Palenque soll es
Darstellungen von Elefanten
geben - Foto W-J.Langbein
Zu den bedeutendsten Künstlern unter den frühen Erforschen von Zentralamerika gehört Johann Friedrich Graf von Waldeck (1766-1875), der sich auch gern Jean Frédéric Maximilien de Waldeck nannte. Die genauere Herkunft des Mannes, der auch als Herzog oder Baron auftrat, ist bis heute unklar. Er selbst gab gelegentlich Deutschland, Österreich und Großbritannien als Heimat an. In Paris, der Stadt der Liebe und der Kunst, lebte der Adelige als Maler. Es zog ihn in die Ferne. Er wollte Zentralamerika erkunden und erforschen. Mit bedeutungslosen »amtlichen Dokumenten« machte er sich anno 1825 nach Mexiko auf. Sein erstes Ziel: Palenque. Er ließ auf eigene Kosten Grabungen durchführen und entdeckte – seiner Meinung nach – Sensationelles: Darstellungen von Elefanten ... in Palenque ... eine Unmöglichkeit.

Graf von Waldeck infizierte mit seiner Begeisterung John Lloyd Stephens (1805-1852) und Frederick Catherwood (1799-1854). Wie der reiselustige Graf von Waldeck waren auch Stephens und Catherwood Amateure. Das bedeutete, dass zunächst nur sehr wenige Mitglieder der schulwissenschaftlichen Archäologenzunft die enthusiastischen Männer zur Kenntnis nahm. 1838 reisten Stephens und Catherwood nach Mexiko und erkundeten unter anderem auch die Ruinen von Palenque. Dann wandten sie sich nach Copan ... und trauten ihren Augen nicht: Ganz eindeutig, so meinten sie, hatten da Mayas oder ihre Vorgänger Elefanten dargestellt.

Gewiss, die Vorstellung, Mayas hätten Elefanten gesehen und dargestellt, ist verrückt. Sie ist aus wissenschaftlicher Sicht vollkommen unakzeptabel. Selbst wenn man kühn die ersten Mayas weit früher als bislang angenommen ansetzt, sie können in Zentralamerika nie und nimmer Elefanten erlebt haben. Und doch soll es in mehreren Ruinenstädten der Mayas diese unmöglichen Darstellungen von Elefanten geben: zum Beispiel in Copan, Honduras.

Bei einem meiner ersten Besuche dort suchte ich gezielt nach Reliefs, die irgendwie »elefantös« wirkten. Ich wurde aber nicht fündig. »Hier soll es Darstellungen von Elefanten geben ... « fragte ich einen Arbeiter (via Führer, der übersetzte). Der Mann war gerade dabei, Zement für Restaurierungsarbeiten anzurühren. »Das ist verbotene Archäologie ...« antwortete er. »Niemals wird man ein Buch lesen können, das über diesen Fund berichtet!« Von was für einem Fund er denn spreche, wollte ich wissen. Der Mann druckste herum. Ein saftiges Trinkgeld lehnte er fast empört ab.

Reste eines »Maya-Elefanten«
Foto: W-J.Langbein
»Es ist eine steinerne Statue ...« rückte er schließlich heraus. »Sie war stark beschädigt! Bestand aus mehreren Trümmern, die mühsam zusammengesetzt werden müssen.« Bislang seien noch nicht alle Teile des Tieres gefunden worden. »Es war ein sehr schweres Tier mit vier stämmigen Beinen, einem massigen Körper, einem dicken Kopf und einem gewaltigen Rüssel!« Natürlich wollte ich das mysteriöse Fabelwesen aus Stein sehr gern sehen. »Das darf ich nicht zeigen ...« sträubte sich der Arbeiter. »Was meinen Sie, was mir mein Chef sagt ... wenn er erfährt, dass ich Sie diesen kleinen Weg entlang geführt habe ... bis wir nach etwa zweihundert Metern an das eingezäunte steinerne Tier gekommen sind?«

Es folgte eine geradezu humoristische Szene ... Ich nicke verständnisvoll. »Natürlich dürfen Sie mir nicht raten ... diesem Weg zu folgen ...« Dabei deute ich auf einen schmalen Trampelpfad. »Genau!« Und so folge ich dem Weg, den mir der Arbeiter nicht gezeigt hat ... und gelange schließlich an eine massige Skulptur. Die Einzäunung besteht aus vier Pfählen, die mit Draht verbunden sind ... Den unscheinbaren Koloss wird wohl kaum jemand stehlen, denke ich. Und mittendrin entdecke sich ein kurioses Tier, das – mit einiger Fantasie – als »Elefant« identifiziert werden kann. Besonders eindrucksvoll ist der gewaltige Rüssel am steinernen Quadratschädel.

Vier Elefanten - Fotos: W-J.Langbein
(links außen, Mitte und rechts
unten), Jean-Pierre Dalbéra
(rechts oben)
»Die Beine fehlen noch ... « erklärt der Arbeiter, der gefolgt war. »Deshalb haben wir den Leib auf Steine gestellt ...« Ich nicke erneut ... »Die Ohren kann ich nicht so recht erkennen ...« Lächelnd versucht mein Informant, meine zweifelnde Anmerkung zu entkräften. »Es ist ein indischer Kleinohrelefant...«

Elefanten ... von den alten Mayas in Stein gemeißelt ... das passt so gar nicht in das Geschichtsbild Zentralamerikas. Ich fotografiere ... und der Arbeiter entfernt sich eiligen Schrittes. Ob ich ihn beleidigt habe? Der Übersetzer verneint. Einige Stunden später drückt mir mein »Informant« triumphierend eine Zeichnung in die Hand. Angeblich zeigt sie – vor rund einhundert Jahren von einem Archäologen angefertigt – einen Elefanten auf einem Relief von Copan. In der Tat: Da scheint ein Maya ein Rüsseltier zu führen ... einen Elefanten. »Die Zeichnung erschien in einer führenden wissenschaftlichen Zeitschrift ...«, erfahre ich ... aber weder dem Namen des Wissenschaftlers, noch der Quelle.

Gott Chaak von Uxmal
Foto: W-J.Langbein
Zögerlich gebe ich die Zeichnung dennoch wieder ... zwischen steinernen Elefanten aus Indien (Relief von Mahabalipuram) und einer Statue des indischen Gottes Ganesha mit Elefantenkopf ... Bislang habe ich vergeblich nach der Quelle gesucht, die angeblich die Elefantenzeichnung enthielt ...

Prof. Hans Schindler-Bellamy, Wiener Archäologe und Südamerikaspezialist, bot mir eine interessante Antwort auf die »Elefanten-Frage«. In Zentralamerika spielte Gott Chaak eine ganz bedeutende Rolle!

Gott Chaak wird in vielen Maya-Tempeln dargestellt ... und das darf nicht verwundern! Chaak – gesprochen »cha-ak« - war der Gott des Regens. Er spendete das kostbare Nass, ohne das es kein Leben geben konnte. Die Mayas verehrten ihn als Gott der Landwirtschaft, der er den Regen schenkte. So ließ er Pflanzen sprießen. Und er war – als Gott der Fruchtbarkeit – für den Fortbestand des Lebens zuständig! Chaak hat ein besonders Merkmal: einen Rüssel, der sehr stark an einen Elefanten erinnert!

Nirgendwo sonst in Zentralamerika begegneten mir steinerne Chaaks, die so deutlich an einen Elefanten erinnerten wie in Uxmal. Wer einen Elefanten gesehen hat, muss förmlich in Chaak ... einen Elefanten erkennen: mit hoch erhobenem Rüssel und mit seitwärts aufgestellten Ohren. Sind das ganz zufällig übereinstimmende Merkmale? Ich weiß: Selbst vor zwei Jahrtausenden hat es im Reich der Mayas definitiv keine Elefanten gegeben! Sehen wir was wir sehen wollen?

Der Gott mit dem Rüssel
Foto: W-J.Langbein
Die Spanier staunten nicht schlecht über die herrlichen Bauwerke von Uxmal. Und sie verliehen ihnen Namen. Ein Prachtbau mit vielen kleinen Räumen wurde so zum »Nonnenkloster« ernannt. Die Spanier meinten ein »Viereck der Nonnen« zu erkennen. Welchem Zweck er auch gedient haben mag: ein »Nonnenkloster« war er mit Sicherheit nicht.

Ein anderer Bau kam den Spaniern ganz besonders majestätisch vor. Schon hatten sie einen Namen für ihn parat: »Palast des Gouverneurs«, auch wenn nie ein solcher darin gewohnt hat. Die Mayas hatten natürlich keine »Gouverneure«. Weitere Bauten erweckten bei den Spaniern wieder andere Assoziationen. Und schon gab es in Uxmal die »Taubenhausgruppe«. Mag sein, dass die Spanier damals noch hätten in Erfahrung bringen können, welchem Zweck die so formschönen Gebäude wirklich einst dienten ... Das aber interessierte die Spanier nicht. Wozu sollte man auch »Wilde« befragen?

Der »Gouverneurspalast«
Foto: W-J.Langbein
So muss ich die angeblichen »Elefanten« kritisch betrachten. Sehen sie nur zufällig wie Rüsseltiere aus ... und sind doch nur von den Mayas verehrte Chaak-Götter? Und ist es nur ein Zufall, dass auch der indische Ganesha einen Elefantenkopf hat? Im Hinduismus war Brahma, der vierköpfige und vierarmige Gott, der große Schöpfer. (Hinweis: Es gab bei den Mayas vier verschiedene Chaaks ... Zufall?)

Shiva wurde als Gott der Zerstörung und der Erneuerung angesehen, der vermutlich meistverehrte Gott. Er galt keineswegs als negative Kraft, ganz im Gegenteil. Leben war ohne ihn nicht möglich. Sein Sohn war Ganesha ... der mit dem Elefantenkopf!



»Kuriose Tempel, kuriose Schlangen«,
Schildkröten, Schlangen und Ruinen 3
Teil 142 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 07.10.2012


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Freitag, 28. September 2012

Religionsfreiheit - die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Freiheit steht nicht gerade hoch im Kurs heutzutage. Wer sie als erstrebenswertes Ziel im Munde führt, gerät allenfalls in den Verdacht, ein unverbesserlicher »Neoliberaler« zu sein, der nichts als Ausbeutung und Eigennutz im Sinn habe.

Politiker stehen dem Freiheitsbegriff naturgemäß skeptisch gegenüber. Freie Menschen lassen sich schlecht in Formulare pressen und erfordern aufgrund der von ihnen verursachten zahlreichen »Ausnahmetatbestände« jede Menge zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Die regierenden Bürokraten werden also stets alle Kraft darauf verwenden, den Freiheitsbegriff zu einer theoretischen Größe verkommen zu lassen. Wenn wir unverständliche Steuerformulare, Rentenunterlagen, Antragsvordrucke und sonstige Zumutungen ordentlich ausgefüllt haben; wenn wir Parkgebühren, GEZ, Hundesteuern und Müllmarken brav bezahlt haben; wenn wir dafür gesorgt haben, dass unsere Kinder auch die bescheuertsten Anforderungen der Schule klaglos erfüllen; wenn wir unsere Gedanken durch die Mühle der Political Correctness gedreht und für unbedenklich erkannt haben, ehe wir sie äußern; wenn alle Salatgurken auf die vorgeschriebene Länge genormt und alle Grundstücksbepflanzungen der örtlichen Bauordnung entsprechen, dann – vielleicht – bleibt uns ein tägliches Viertelstündchen, in welchem wir uns wirklich frei fühlen dürfen, ehe wir müde ins Bett sinken und der Spaß am nächsten Tag von Neuem beginnt. Politische Kräfte zum Erhalt der Bürgerrechte existieren nicht in nennenswertem Ausmaß: Das Menschenrecht »Freiheit« führt ein Schattendasein.


Religionsfreiheit in ihrer pervertierten Form

Die Freiheit verschwindet. Stück für Stück wird sie ausgehöhlt und eingeschränkt. Mit einer Ausnahme: Die Religionsfreiheit steht ganz oben auf der politischen Agenda, zumindest in ihrer pervertierten Form. Bedenkenlos werden der Religionsfreiheit das Recht der freien Meinungsäußerung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit untergeordnet. Außenminister Westerwelle spricht sich gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen aus und versucht damit mal eben, das Grundrecht auf Freiheit der Kunst vom Tisch zu wischen, zugunsten einer trügerischen »Sicherheit«. Ähnlich äußert sich Innenminister Friedrich, der »mit allen rechtlich zulässigen Mitteln« gegen die Verbreitung des Mohammed-Videos vorgehen möchte, unter wohlgefälligem Beifall religiöser Eiferer. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger legt einen Gesetzentwurf zur Regelung der Beschneidung vor, der die Rechte von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und religiöse Selbstbestimmung faktisch unerwähnt lässt. Und zu allem Überfluss lässt die Kanzlerin verlauten, dass »wir als Christen uns auch wieder mehr Gedanken über unsere Religion machen und mehr über das Christentum sprechen [sollten], als Angst zu haben vor dem Islam.«


»Wir als Christen?«

»Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«, so lautete die Quintessenz der Aufklärung, die auf den Philosophen Immanuel Kant zurückgeht und in Vergessenheit geraten wird, wenn wir den Regierenden nicht endlich die Kelle vor den Latz knallen und ihnen aufzeigen, dass ihr ständiger Kotau vor archaischen Gebräuchen im Mitteleuropa des Jahres 2012 nicht gut ankommt. Über 30.000.000 Konfessionslose in Deutschland sollten nun endlich Selbstbewusstsein entwickeln und der Kanzlerin klarmachen, dass sie von allen Bürgern bezahlt wird. Dass sie keine Vertreterin der Kirchen ist, weshalb die Formulierung »wir als Christen« vollkommen fehl am Platz ist. Dass die Verletzung von Grundrechten unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit nicht unbemerkt bleibt und sich auch in der nächsten Wahlentscheidung widerspiegeln wird, denn schon Kant wusste: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.«


Sonntag, 23. September 2012

140 »Schildkröten, Schlangen und Ruinen«

1: Die Pyramide des Zauberers
Teil 140 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


US-Präsident George W. Bush
besichtigt Uxmal
Foto: Paul Morse - Weißes Haus
Vom Hotel »Misión Park Inn Uxmal« ist es nur ein Katzensprung zu den Ruinen von Uxmal. Hier haben, so erfahre ich, neben anderen Größen Königin Elizabeth und Prinz Philipp von England und Rainer von Monaco nebst Gattin logiert. In der »Queen Elizabeth Master Suite« darf auch der Normalsterbliche sein müdes Haupt betten ... muss aber in der Urlaubszeit mit etwa 1100 Dollar pro Nacht rechnen. Ob US-Präsident George W. Bush ebenfalls hier nächtigte, konnte ich nicht eruieren. Besichtigt hat das Staatsoberhaupt der USA Uxmal gemeinsam mit seinem mexikanischen Amtskollegen Felipe Calderon am 13. März 2007.

Sehr viel günstiger ist das »normale« Einzelzimmer ... selbst mit Whirlpool im Bad.
Der kleine Spaziergang vom Hotel zu den »Ruinas« tut nach einer nervigen Busfahrt gut. Schon vom Hotel aus sieht man die »magische« Pyramide. Am Abend scheint sie von innen heraus zu glimmen ...

Die Atmosphäre ist exotisch-idyllisch ... »Urwald« pur, aber parkanlagenhaft, bequem zu durchschlendern. Man schreitet heute sozusagen durch ein fremdartiges Paradies, während sich die ersten Besucher vor Jahrhunderten durch eine lebensbedrohliche Hölle quälen mussten. Die frühen Entdecker und Erforscher waren oftmals begeisterte Laien, die unter Einsatz ihres Lebens die Maya-Welten erkunden wollten. Sie waren unsäglichen hygienischen Bedingungen ausgesetzt, wurden von Krankheitserregern attackiert und hatten Angst vor den Nachkommen der einst so stolzen Mayas. Für sie gab es keine bequemen Wege zu den Ruinen. Sie mussten sich Meter für Meter durch den gefährlichen, oft lebensbedrohlichen Urwald kämpfen.

Aufgang zum Götterschlund
Foto W-J.Langbein
Unterstützung von amtlicher Seite wurde ihnen allenfalls ideelle zuteil. Finanzieren mussten die ersten Entdecker ihre Exkursionen am Ende der Welt selbst. Anerkennung konnten sie nicht erwarten ... 1996 wurde Uxmal von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Und das mit Recht. Ich persönlich ziehe die mysteriöse Welt von Uxmal selbst dem grandiosen Komplex von Chichen Itza vor. Uxmal, im südwestlichen Teil von Yucatán gelegen, bietet noch viele ungelöste Rätsel und Geheimnisse.

Betritt man die archäologische Anlage von Uxmal, so fällt sofort ein eigenartiges Gebäude auf: die »Pyramide des Zauberers« genannt, auch »Pyramide des Wahrsagers« oder »Pyramide des Magiers« und »Pyramide des Zwerges« tituliert. Ihr Grundriss ist nicht quadratisch, wie man das weltweit von Ägypten bis Peru von einer »anständigen« Pyramide erwartet, sondern elipsenförmig.
Sie ragt – die Angaben dazu variieren um einige Meter – fast vierzig Meter in den Himmel. Der Mythologie nach entstand sie in einer einzigen Nacht. Ein unheimlicher Zwerg soll sie, zusammen mit seiner Großmutter, einer Hexe, mit magischen Mitteln errichtet haben. Und man sieht ihr immer noch an, dass Jahrhunderte lang an ihr herumgebaut wurde.

Die »Pyramide des Zauberers«
Foto: W-J.Langbein
In einer einzigen Nacht wurde die seltsame Pyramide ganz sicher nicht gebaut. Man kann sie am ehesten mit einer steinernen Zwiebel vergleichen. Im Verlauf vieler Jahrhunderte wurde Schicht auf Schicht aufgetürmt, wurde ein Tempel über den anderen gestülpt.

Mit anderen Worten: die Pyramide wurde mehrfach gebaut, in der Wissenschaft geht man von fünf Mal aus. »Uxmal« deutet auf wiederholtes Aufbauen hin. Lässt sich doch der Name mit »die drei Mal errichtet wurde« übersetzen! Zum sechsten Mal wird der Uxmal-Komplex seit Jahrzehnten gebaut ... von Archäologen, die in mühsamer Kleinarbeit aus Ruinen und Schutthaufen ansehnliche Gebäude entstehen lassen.

Ruinen von Uxmal
Foto: W-J.Langbein
Bei meinem ersten Besuch in Uxmal hatten findige Arbeiter der Pyramide so etwas wie einen »Baulift« aufgesetzt. So mussten sie die Materialien für die Restaurierung nicht mühsam über die extrem steile Treppe in die Höhe schleppen. Wie von Zauberhand bewegt wanderten so Eimer ruckelnd und zuckelnd bis zur Pyramidenspitze. Ein junger Archäologiestudent erklärte mir: »Von manchem Gebäude finden sich nur noch einige Steine. Baupläne liegen uns keine vor. Wenn wir nur ein Buch lesen könnten, das uns die Architekten von Uxmal hinterlassen haben. Aber so ein Buch wurde bislang nicht gefunden!«

Nach einigem Nachfragen gibt der junge Mann zu: Fantasievoll ist so manche »Rekonstruktion«. So soll die Außenwand der Pyramide des Zauberers nicht so glatt gewesen sein, wie sie heute ist. Angeblich bestand sie einst aus roh zugeschlagenen Steinbrocken. Das heutige, für unsere Augen ansehnlichere Äußere ... ist das Werk der modernen Archäologie.

Auferstanden
aus Ruinen ...
Foto: W-J.Langbein
Noch ist erst ein kleiner Teil von Uxmal neu entstanden. So manche Ruine wartet darauf, wieder zu einem ansehnlichen Gebäude gemacht zu werden. Die Rekonstruktionen erfolgen etappenweise, je nach finanzieller Lage ... Lokalpolitische Empfindsamkeiten, so ergaben meine Recherchen vor Ort, erschweren die wissenschaftliche Arbeit an den Ruinen. Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, dass man ausländische Unterstützung besonders finanzieller Art annehmen muss.
»Mein« Student raunte mir zu: »Je gründlicher wir uns mit diesem Bauwerk beschäftigen, desto früher müssen wir die Urpyramide datieren.«

Zunächst hatte die »Pyramide des Zauberers« als »junges Gebäude« gegolten ... errichtet im 10. Jahrhundert! Nun muss man davon ausgehen, dass der innerste Pyramidenkern bereits ein halbes Jahrtausend früher entstand. Fünf aufeinander folgende Bauetappen hat es gegeben. Viermal wurde über die Urpyramide eine weitere übergestülpt. Fünf Bauherrn waren tätig. Für sie alle muss der Standort der Pyramide von besonderer Heiligkeit gewesen sein.

Eingang zu »Tempel IV«
Foto: HJPD
Die fünf Pyramiden sind ineinander verschachtelt ... und doch wurde jedes Mal die Ausrichtung des sakralen Bauwerks verändert, als habe es immer wieder Änderungen im religiös-mythologischen Weltbild gegeben. Da die einzelnen Pyramiden jeweils die älteren in sich aufnahmen, fällt den Archäologen ihre Arbeit schwer. »Eigentlich müsste man die Pyramide Schicht für Schicht abtragen, um exakt erkennen zu können, wie sie zu Zeiten der einzelnen Bauphasen ausgesehen hat.«

Tempel IV betritt man durch das gewaltige Maul eines Gottes. Es ist Gott Chac, dessen furchteinflößende Maske die Fassade des Tempels ziert. Durch diesen göttlichen Schlund betrat einst der Gläubige das Allerheiligste, nachdem er andächtig die steile Treppe erklommen hatte.

Für mich gibt es keinen Zweifel: die »Pyramide des Zauberers« war einst ein sakraler Ort für religiöse Riten. Ich vermute: Hier wurden Einweihungen in einen göttlichen Kult zelebriert. Der Adept musste erst spirituell »sterben«, von Gott Chac verschlungen werden.

Teil des Komplexes von Uxmal
Foto: W-J.Langbein
Erst dann konnte – durfte – er in das Innere der Pyramide vordringen ... ins Totenreich. Erst danach – nach Durchleben geheimer Zeremonien – war es ihm möglich, in ein neues Leben zurückkehren. Nach drei Jahrzehnten des Erforschens uralter Kultbauten auf unserem Planeten sehe ich die großen Heiligtümer als »Tempel« uralter Glaubensvorstellungen von Leben, Sterben und Wiedergeburt an!

Fakt ist: Typisch Maya ist die Pyramide des Zauberers nicht. Sie unterscheidet sich durch ihre Gestalt von allen anderen echten Mayabauwerken der sakralen Art. Gab es in Uxmal auch einen Kult, der nicht der bekannten Maya-Ära zugeordnet werden kann?



»Der Gott mit dem Rüssel«,
Schildkröten, Schlangen und Ruinen 2
Teil 141 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 30.09.2012


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Samstag, 22. September 2012

Leseprobe: »Mord in Genf«

Covergestaltung: 
Grete C. Söcker,  Emden
Ein unerwarteter Fund bringt Unruhe in das beschauliche Leben von drei älteren Damen.
Bei dem Fund handelt es sich um ein Buch, das vor fast 25 Jahren von einem jungen Mann geschrieben wurde.
Das Werk eines Wichtigtuers?
Eines Aufschneiders?
Oder der Versuch eines jungen Mannes, traumatische Ereignisse zu verarbeiten?
Oder die besondere Form, eine Lebensversicherung abzuschließen?
Oder alles zusammen?

Die Autorin Tuna von Blumenstein zieht in ihrem neuen Kriminalroman Mord in Genf den Leser in die Zeit des Kalten Krieges. Sie lässt Opfer zu Tätern, Täter zu Opfern werden.

Was ist Fiktion, was ist Realität?

Hier eine Leseprobe

Wie alles begann.

Helma liebt Bücher und ihren Kater. Der heißt Taxi. Eine interessante Anrede für einen Kater. Taxi ist Freigänger und er hört auf seinen Namen. So steht Helma allabendlich vor ihrer Haustür und ruft: ›Taxi!‹ 
Das brachte sie schon hin und wieder in merkwürdige Situationen. Aber mittlerweile haben sich die Nachbarn und auch die Taxiunternehmen an Helma und ihren Kater gewöhnt.

Ohne ihren geliebten Kater Taxi im Haus und ein Buch, das sie als Abendlektüre mit in ihr Bett nimmt, kann Helma nicht einschlafen. Muss ich erwähnen, dass sie am liebsten Kriminalromane liest? Ihr Wohnzimmer gleicht einer Bibliothek. An den Wochenenden besucht sie die Flohmärkte der Umgebung. Denn Helma liebt alte Bücher. Kriminalromane, die vor langer Zeit geschrieben wurden, kleine Schätze und Kostbarkeiten. So ist ein solcher Flohmarktbesuch auch immer eine Schatzsuche für sie.

Auf die Idee mit den Büchern habe ich sie gebracht. Helma brauchte eine Aufgabe und sie brauchte Beschäftigung, als ihre Kinder das Haus verließen. Hiltrud, eine gemeinsame Freundin, hatte ihr dann irgendwann den Kater geschenkt. Wir treffen uns regelmäßig freitags zu Kaffee und Kuchen bei Helma. Immerhin kocht sie den besten Kaffee im ganzen Umkreis.

Es war im Spätsommer des Jahres 2011. Diese Kaffeevisite ist mir in bleibender Erinnerung geblieben.

»Am letzten Wochenende war ich in Münster auf dem Flohmarkt. Stellt euch vor! Ich habe eine Kiste Bücher für fünf Euro gekauft!«

Der Gelegenheitskauf, den Helma auf dem Flohmarkt getätigt hatte, brachte ein besonderes Buch zutage.

»Schaut Euch das mal an! Er berichtet, dass er den Mord hautnah erlebt hatte. Für mich war immer klar, dass das kein Selbstmord war! Ich habe mir meinen gesunden Menschenverstand nicht nehmen lassen!«

Wie ein Prediger hielt sie ein Buch in die Höhe, das ich ihr umgehend aus den Händen nahm. Offenbar war es als Eigenverlagspublikation erschienen, wie ich dem Impressum entnehmen konnte. Stutzig machte mich die Auflage. Sie war mit 1-78 Tausend beschrieben. Vor 23 Jahren wurde es veröffentlicht.

Mein Interesse als Krimiautorin war natürlich geweckt. Dass Hiltrud auch ein Krimifan ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen. So saßen wir alten Krimitanten an diesem denkwürdigen Tag bis in die Nacht hinein in Helmas Küche, lasen uns aus dem Roman vor, machten Stichpunkte und überlegten, wie wir unsere Erkenntnisse umsetzen sollten.

Hiltrud fasste ihre Ergebnisse in kurzen Worten zusammen: »Das ist das Werk einer überbordeten Persönlichkeit. Das hat ein Wichtigtuer geschrieben, der sich auf problematische Art und Weise interessant machen wollte!«

Umgehend meldete Helma Protest an: »Meine Kinder sind mir bis heute dankbar, dass sie mit mir über alles reden konnten und können. Ich habe sie immer ernst genommen, mit all ihren großen und kleinen Problemen. Wir sollten auch diesen jungen Mann ernst nehmen!«

Hiltrud seufzte. »Dieser Autor hat Schulaufsätze ausgegraben und mit Kommentaren versehen!«

»Du musst zwischen den Zeilen lesen, Hiltrud. Er schreibt auch über seine Eltern. Der Vater interessiert sich nicht für ihn und der Mutter ist nur wichtig, dass er die Schuhe auszieht, wenn er das Haus betritt.«

Es war Helma anzusehen, dass sie nach passenden Erklärungen suchte. Sie fand auch eine und teilte sie uns mit: »Jetzt sage ich euch meinen Lieblingsspruch, eine alte Indianerweisheit: ›Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.‹ Dieses Buch kann nur verstehen, wer sich in die Gefühlswelt eines 18 jährigen Mannes hineinversetzt. Das habe ich getan und habe einen tiefen Schmerz gespürt, der sich durch jede Zeile zog.«

Nachdem sie ihre Worte auf uns wirken gelassen hatte, sprach sie weiter: »Mit 18 Jahren sollten junge Leute Flausen im Kopf haben und nicht solche Bücher schreiben! Dieser junge Mann muss ein ganz schlimmes Erlebnis gehabt haben. Und konnte sich nur dem Papier anvertrauen. So sehe ich das!«

Nun war meine Meinung gefragt. Ich studierte meine Notizen.

»Ich gebe dir recht, Hiltrud. Es sind auch aus meiner Sicht Aufsätze eingearbeitet worden. Aber es kommt mir so vor, als wenn die nur der Verschleierung dienen. Mein erster Eindruck von den Texten ist der, dass dieser junge Mann eine Art Versicherung durch dieses Buch abgeschlossen hatte. Es ist sehr kryptisch geschrieben. Das Wort ›Lebensversicherung‹ wird mir zu oft erwähnt. Dafür spricht auch dieser merkwürdige Hinweis über die Auflage im Impressum.

Mein zweiter Eindruck ist der, und da gebe ich Helma recht, dass dieser junge Autor schwer traumatisiert war, als er das Buch geschrieben hatte. Dieses Trauma versuchte er zu verarbeiten. Scheinbar konnte er sich wirklich niemandem anvertrauen. Was mich sehr stutzig macht ist, dass er über Dinge schreibt, die zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren. Diese Informationen kann er nicht aus dem Fernsehen oder den Zeitungen bezogen haben.«

Taxi lag zusammengerollt auf seinem Katzensofa. Ich betrachtete ihn, wie er friedlich schlief. Leise sprach mich Helma an: »Wenn es so war, wie der junge Mann es beschrieben hatte, wird er dieses Trauma bis heute mit sich herumschleppen!«

Diese Aussage musste auch Hiltrud traurig abnicken.

»Helma, selbst wenn wir ihn ernst nehmen und es war so, wie er es schildert, was sollen wir praktisch in der Sache tun?«

Hiltrud sah mich mit großen Augen an, bevor sie sagte:
»Mache einen Krimi daraus!«

Nachdenklich betrachtete ich den Umschlag des Buches.
»Wenn es das Werk eines Wichtigtuers war? Wenn es doch ganz anders geschah? Der Mord ist bis heute nicht geklärt!«

Spontan meldete sich Hiltrud zu Wort.
»Dann sollte sich jeder Wichtigtuer überlegen, was er in gedruckter Form auf den Markt bringt. Es könnte ja sein, dass irgendwann eine Krimiautorin das Werk in die Finger bekommt und ihn ernst nimmt. Und spätestens dann bringt ihm seine Aufschneiderei ein Problem ein!«

Auf seinem Sofa reckte sich Taxi, um sich umgehend wieder einzurollen.

Helma legte ihre Hand auf meine.

»Wenn wir genau hinschauen würden, könnten wir feststellen, dass wir uns nach dem Krieg eine Scheuklappe vor das rechte Auge, und nach der Wende, eine auf das linke Auge gesetzt haben. Dass uns das sehbehindert macht, haben wir noch nicht bemerkt. Und dazwischen sollten wir um unseren gesunden Menschenverstand gebracht werden! Und der hat gesagt: Es war ein Mord!«

Das gab Hiltrud und mir zu denken.

»Es könnte so geschehen sein, oder anders. Darum schreibe doch auch über diese Zeit. Die Zeit, als der Kalte Krieg tobte. Es ist so viel Unrecht geschehen, das bis heute nicht gesühnt worden ist. Es gab zu viele Opfer. Und sehr viele Täter, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Denke an diese Menschen und dann schreibe einen Krimi. Schreibe über die Opfer, die zu Tätern, und die Täter, die zu Opfern wurden. Es ist doch nur ein Krimi. Du könntest auf den letzten Seiten ein UFO im Genfer See versinken lassen! Was soll denn passieren? Schreib einfach:

Das ist ein Krimi, in dem fast alles frei erfunden ist!« ...

________

Leseprobe 2

Der Krimi ist unter der ISBN 978-3-8482-2545-3 überall im gut geführten Buchhandel erhältlich und kostet 12,90 Euro.

Mord in Genf
Alle Rechte vorbehalten
©Tuna von Blumenstein September 2012
Die Handlung in diesem Buch ist fiktiv, die Namen frei erfunden.
ISBN: 978-3-8482-2545-3
Preis: 12,90



Freitag, 21. September 2012

Piratin Julia Schramm - die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
»This file is no longer available due to a takedown request under the Digital Millenium Copyright Act by Julia Schramm, Autorin der Verlagsgruppe Random House.«

Diese bei Copyrightverstößen im Internet übliche Fehlermeldung, wie sie kürzlich beim Filehoster Dropbox zu lesen war, wäre nicht weiter bemerkenswert. Die Person der solcherart beklauten Autorin jedoch macht aus dem Vorgang ein Politikum von nicht geringer Sprengkraft: Julia Schramm, prominentes Mitglied im Bundesvorstand der Piratenpartei, welche die Aufweichung des Urheberrechts zu einem der höchsten Daseinszwecke erhoben hat. Das Wissen der Welt habe frei und uneingeschränkt zu zirkulieren!, dozieren Piraten an allen Ecken und Enden. Eine der bisherigen Speerspitzen solcher Freiheit war Julia Schramm, die es vor Kurzem noch »ekelhaft« nannte, wenn sich beklaute Urheber mit einem trotzigen »Mein Kopf gehört mir!« zur Wehr setzten.

Doch seitdem ist viel passiert: Julia Schramm hat mit »Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin« ein vieldiskutiertes Buch verfasst, welches sie der Welt nicht etwa als freien PDF-Download geschenkt, sondern an einen Verlag der Random-House-Gruppe verkauft hat. Hierfür sei laut einer Meldung der FAZ ein Vorschuss von 100.000 € geflossen. Dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das Buch als illegaler Download im Netz stehen würde, um so die zur Schau getragenen Überzeugungen der Piratin einem überfälligen Praxistest zu unterziehen, mag Random House bei dem Deal sogar mit einkalkuliert haben.


Urheberrecht, Copyright und überhaupt ...

amazon
Einer jungen Autorin ist aus dem Stand ein kommerziell erfolgreicher Einstieg in den Buchmarkt gelungen. Ein Grund zum Feiern und für herzliche Glückwünsche! Dass solch ein Erfolg bei den Piraten und ihren Sympathisanten nicht gut ankommen würde, war der Autorin sicher vorher klar. Dennoch bemüht sie sich nun eifrig um Schadensbegrenzung, indem sie erklärt, dass ein Unterschied zwischen Urheberrecht und Copyright bestehe und sie das Buch überhaupt nach Ablauf einer Verwertungsfrist von zehn Jahren kostenlos zur Verfügung stellen werde. Warum sie das nicht gleich getan hat, wenn jeder Kopf doch allen gehört, bleibt ihr (allerdings leicht zu erratendes) Geheimnis.

Meines Erachtens ist das Kassieren eines hohen Autorenhonorars kein Widerspruch zu piratischen Grundsätzen. Die Piraten früherer Jahrhunderte waren schon immer Freibeuter, die mit Diebstahl kein Problem hatten. Dies hat sie jedoch nie daran gehindert, darauf zu achten, nach Möglichkeit selbst nicht zu den Betroffenen zu gehören ...



Dienstag, 18. September 2012

SHORTY TO GO – MORD IN ZWEI SÄTZEN

Liebe Leserinnen und Leser,

Susanne Henke
Shorty to go –
Mord in zwei Sätzen





wie Sie vielleicht wissen, bin ich u.a. auch ein großer Krimifan. Darum möchte ich Ihnen heute ein ganz besonderes Büchlein vorstellen. Shorty to go: Mord in zwei Sätzen von der Hamburger Autorin Susanne Henke. Im Internet hat sie sich bereits mit der »täglichen Dosis Krimi« einen Namen gemacht.






Ihre Makellose Morde to go: Erlesene Verbrechen und herzerfrischende Gemeinheiten, als Edition BoD im Dezember 2009 auf den Buchmarkt gebracht, hatten für Aufsehen gesorgt.

Mit Shorty to go: Mord in zwei Sätzen bringt Susanne Henke das Kunststück fertig, mit jeweils zwei Sätzen 222 Krimis zu schreiben. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Ich musste tatsächlich das Los entscheiden lassen, um eine dieser Minikrimis Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hier vorzustellen:
»Er liebte Russisches Roulette. Sie sorgte für eine volle Trommel.«

Diesen Satz habe ich übrigens in einer beschaulichen Runde vorgetragen. Die anwesenden, älteren Damen, stutzten zuerst. Es war die Art des verhaltenen Gelächters, die mir deutlich machte, dass ich einen Volltreffer mit diesen beiden Sätzen gelandet hatte. Ein, hinter vorgehaltener Hand, eher verhaltenes: »hohoho!«, stimmte eine anschließende Diskussion darüber ein, dass dieser Satz auch in übertragenem Sinne gesehen werden kann.

Das Cover wurde übrigens auch in höchsten Tönen gelobt.

Und jetzt unternehme ich den Versuch, mit zwei Sätzen die Wirkung zu beschreiben:
»Für die Gastgeberin war das Büchlein als Mitbringsel gedacht. Sie bekam es nicht in die Hände, denn es machte die Runde.«

Ein unbedingter Geschenktipp, sehr empfehlenswert!
Sie werden Ihre Freude daran haben.

Sylvia B.

Shorty to go: Mord in zwei Sätzen
BoD, August 2012
ISBN: 978-3-8482-1706-9
TB, 64 Seiten, EUR 4,90
Makellose Morde to go: Erlesene Verbrechen und herzerfrischende Gemeinheiten






Sonntag, 16. September 2012

139 »Die Pyramide des Zauberers«

Teil 139 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Der Uxmal-Komplex - Foto: HJPD
Der Name »Bundesstraße 261« erweckt einen falschen Eindruck. Bei meiner Planung hatte ich für die knapp achtzig Kilometer von Merida bis Uxmal eine knappe Stunde einkalkuliert. Eher mühsam holpert der kleine Minibus weiter. Der Fahrer reagiert mit einem Lachen auf meine Ungeduld.

»Sie hätten zu Zeiten der Mayas reisen sollen! Damals war das Straßennetz besser als heute!« Und in der Tat: Zu Zeiten der Mayas gab es Straßen zwischen allen Tempelstädten, Hunderte von Kilometern lang. Alle Straßen besaßen ein solides Fundament aus Fels, bedeckt von einer wetterfesten Schicht. Bis zu zehn Meter breit war so eine gepflasterte Mayastraße ... und dabei bestreitet die Wissenschaft, dass den Mayas das Rad bekannt war.

»Sie hätten zu Zeiten der Mayas hier reisen müssen ... « wiederholt der Busfahrer. Mit modernen Verkehrsmitteln auf modernen Straßen benötigen wir für die achtzig Kilometer von Merida nach Uxmal fast zwei Stunden. »Freuen Sie sich, dass es so schnell geht!« fordert mich der Busfahrer auf. »Vor ein paar Jahren habe ich für diese Strecke vier und mehr Stunden gebraucht!« Als sich meine Miene nicht aufhellt, fügt er hinzu: »Und wir hatten damals keine Klimaanlage!«

Die Anlage von Uxmal, Gemälde von
Frederick Catherwood 1843
(wiki commons)
Aber: Uxmal – von Frederick Catherwood romantisierend verklärt – war an ein erstaunliches Straßennetz angeschlossen ... Straßen, wie es sie zur gleichen Zeit in Europa nicht gegeben hat.

Während ich in meinen Unterlagen blättere, schleudert mir der Busfahrer schließlich ein »Beckenbauer! Beckenbauer!« entgegen, gefolgt von einem enthusiastischen »Bayern München!« Der Mann wurde mir sofort sympathisch. Die Mayas, erzählt er mir, hatten auch ein Ballspiel. Es war am ehesten mit unserem heutigen Basketball zu vergleichen, musste doch einen massiver und sehr schwerer Ball durch einen steinernen Ring am Spielfeldrand bugsiert werden. Der Ball – angeblich so schwer wie ein heutiger Medizinball – durfte auf keinen Fall den Boden berühren. Die Spieler durften ihn weder treten, noch werfen. Sie durften auf keinen Fall mit Fuß oder Hand an den Ball kommen, mussten ihn mit Ellenbogen, Hüfte oder Schulter in der Luft halten, bis zum steinernen Ring schaffen. Und dann mussten sie versuchen, den Ball durch den steinernen Ring zu schlagen.

Im »Dallas Museum of Art« zeigt eine Vase – etwa 1400 Jahre alt – einen Ballspieler in Schutzkluft, die an die Montur eines Rugby- oder Eishockey-Spielers erinnert. Der wesentliche Unterschied zu heutigen Sportarten: das Maya-Ballspiel war wesentlich härter.

Ein Ballspieler auf einer
kostbaren Vase
Foto: Madman
Die genauen Regeln kennen wir heute nicht mehr. Bekannt ist allerdings, dass es beim »Spiel« um Leben oder Tod ging. Eine Mannschaft wurde am Ende eines Spieles den Göttern geopfert. Musste die ganze Mannschaft sterben ... oder nur ihr Kapitän? Wurden die Verlierer gefesselt, aneinandergebunden und die steilen Treppen der höchsten Pyramiden hinab gestürzt ... oder wurde diese Ehre der Siegermannschaft zuteil?

Der Name des Spiels - »poktapok« - kling wie eine Lautmalerei, die das Ballspiel akustisch beschreibt. Hernándo Cortés schaffte 1492 zwölf Ballspieler nach Europa, wo sie am Hof Karl des V. Ihre Kunst demonstrierten ... angeblich unter vollem Einsatz. War die höfische Gesellschaft zunächst gelangweilt, als das Ballspiel der »Wilden« angekündigt wurde ... Dann waren die Adeligen gebannt ... und entsetzt. Knochen barsten, Nasen wurden eingeschlagen ... das Spiel ging weiter. Blut spritze, ein »Spieler« kam ums Leben und musste vom Platz getragen werden. Knie und Hüften wiesen bald schlimme Verletzungen auf ...

Der Ring aus Stein von
Uxmal ... »Tor« beim
Ballspiel
Foto: W-J.Langbein
Wie viele Ballspielplätze es in Zentralamerika gegeben haben mag? Wir wissen es nicht mehr. Vor Ort hörte ich aus Expertenmund Schätzungen zwischen 1500 und 3000. Wer das Ballspiel erfunden hat? Auch darüber weiß man nichts Genaues. Die Mayas zelebrierten das blutige Spektakel, erfunden haben sie es sicher nicht. Archäologen förderten anno 1989 in El Manatí (im mexikanischen Bundesstaat Veracruz) zwölf Gummibälle zutage, die datiert werden konnten. Mit Hilfe der Radiokarbonmethode wurde festgestellt, dass sie zwischen 1600 und 1200 v.Chr. angefertigt und benutzt worden sind.

Wann mag zum ersten Mal das Ballspiel zelebriert worden sein? Vor 3600 Jahren? Vor 4000 Jahren? Wir wissen es nicht. Die Olmeken, zu Deutsch »Gummileute« mögen die ersten Ballexperten gewesen sein. Die vieltausendfach ausgefochtenen blutigen Spiele dienten sicher nicht dem profanen Zeitvertreib. Man muss davon ausgehen, dass der ursprüngliche Hintergrund des brutalen Sports ein religiöser war. Sprachanalysen ergeben: Ballspielen hatte eine mystisch-religiöse Bedeutung ... Aber welche?

Ein katholischer Archäologe vertraute mir abends im Hotel bei einem Whisky an, dass seiner Überzeugung nach das Spiel mit der Gummikugel ursprünglich von mythologisch-religiöser Bedeutung war.

Die Pyramide des Zauberers, Uxmal
Foto: W-J.Langbein
»Es war ein kosmologisches Spiel. Es ging um den ewigen Ablauf von Werden, Vergehen und Werden!« So wie die Sonne am Tag scheinbar den Himmel überquert und nachts durch die Unterwelt wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt, um wieder über den Himmel zu reisen ... so muss auch die heilige Kugel immer in Bewegung bleiben. So wie der Ball niemals die Erde berühren darf, so darf auch nicht die Sonne auf die Erde stürzen.«

Vor Jahrtausenden war das Ballspiel ein rein sakrales Ereignis ... ein religiöser Akt, Menschenopfer inklusive. Beim religiösen Zeremoniell, zum Erhalt des ewigen Kreislaufs der Zeit und des Lebens, blieb es nicht. So wie im Lauf der Jahrhunderte, ja Jahrtausende immer neue Varianten des Spiels entstanden, so änderte sich auch seine Bedeutung. Es gab irgendwann keine einheitliche Spielplatzgröße mehr. Es gab nicht mehr »die« richtigen Regeln ... und es wurde aus den unterschiedlichsten Gründen »gespielt«.

Mysteriöse Bauten von Uxmal
Foto W-J.Langbein
Prof. Hans Schindler-Bellamy erklärte mir im Interview: »So blutrünstig uns das Ballspiel erscheint, so diente es manchmal friedvollen Zwecken. Zwei Stämme befanden sich im Kriegszustand. Man hätte bis zum bitteren Ende gegeneinander kämpfen können. Stattdessen vertraten zwei Mannschaften im Ballspiel ihren jeweiligen Stamm. Die Mannschaften rangen erbittert um den Sieg. Der Ausgang des Spiels entschied über Sieger und Verlierer im Krieg. So wurden Kriegshandlungen verkürzt, wurden Menschenleben gerettet!«

Nach und nach wurde das Spiel profaner. Es ging dann um ganz weltliche Wettspiele, bei denen Wohlhabende hohe Summen auf »ihre« Mannschaften setzten. Es ging um Sensationsgier: Kriegsgefangene durften ums Überleben kämpfen. So motiviert ging es dann wohl noch viel härter zur Sache ... zur Belustigung der Zuschauer. In Rom gab es »Brot und Spiele« zur Befriedigung der Massen ... in Zentralamerika gab es das degenerierte Ballspiel ...

Kopf in der Schlange
Foto: W-J.Langbein
Das Ballspiel der Mayas war immer hart und hatte mit spielerischem Sportsgeist nie etwas zu tun ... so wie die »Pyramide des Zauberers« wohl nie etwas mit Magie zu tun hatte. Wer schon einmal die extrem steile Treppe dieser Pyramide erklommen hat ... und ohne Sturz wieder nach unten geklettert ist, der kann sich ohne Probleme folgendes Szenario vorstellen: an ein Seil gebunden wurde die »Verlierer-« oder die »Gewinnermannschaft« hinabgestürzt. Wer das zunächst überlebte, erlag den dabei zugezogenen schlimmen Verletzungen und Brüchen ...

Uxmal ... der mysteriöse Komplex hat noch so manches Geheimnis zu bieten ... einen Kopf in einem Schlangenmaul, Schildkröten aus Stein umkriechen einen uralten Tempel ... und Ruinen ... Ach, könnte man die Steine von Uxmal wie ein Buch lesen!

»Schildkröten, Schlangen und Ruinen«,
Teil 140 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 23.09.2012

Freitag, 14. September 2012

Bundesverfassungsgericht: ESM – die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Immerhin. Das Verfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom vergangenen Mittwoch eine Schneise in das ESM-Dickicht geschlagen und sichergestellt, dass Deutschlands Anteil am ESM-Vertrag »nur« 190.024.800.000 € betragen darf. Eine automatische Erhöhung durch »Abruf« von deutschem Geld durch den ESM ist ausgeschlossen: Jeder Nachschlag bedarf der vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages. 

Beruhigend, nicht wahr? Schließlich wissen wir alle, dass sich der Deutsche Bundestag aus einer großen Zahl aufrechter Demokraten zusammensetzt, die nichts auf den Fraktionszwang und opportunistische Speichelleckerei geben, wenn es ernst wird, und selbstverständlich im Detail verstehen, worum es eigentlich geht. Dies haben sie schließlich schon vor einem Jahr bei den Beratungen zum vorläufigen EFSF-Rettungsschirm bewiesen. *ironieoff*


Dem Verfassungsgericht ist kein Vorwurf zu machen. Vielmehr scheinen die acht obersten Richter unter dem Vorsitz von Präsident Voßkuhle deutschlandweit zu den wenigen zu gehören, die halbwegs den Durchblick haben. Dies unterstrich Voßkuhle gestern bei der Urteilsverkündung mit der Bemerkung, niemand könne schließlich wissen, was definitiv der beste Weg in dieser Sache sei. Ein durchaus philosophischer Ansatz, der ihn in eine Reihe mit Sokrates stellt: Ich weiß, dass ich nicht weiß.

Grundsätzlich verweist das Verfassungsgericht die Beschwerdeführer also zurück an das Parlament, das aufgrund seiner demokratischen Legitimation das Recht habe, solche Entscheidungen zu treffen, auch dann, wenn negative Folgen für die Geldwertstabilität zu befürchten sein sollten. Damit hat er grundsätzlich recht: Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist es, darüber zu wachen, ob der Verfassungsrahmen eingehalten wird. Nicht mehr und nicht weniger. Auf gut Deutsch: Es ist nicht die Schuld des Verfassungsgerichtes, wenn wir unser Parlament mit Clowns besetzen. So gesehen hat das Verfassungsgericht eine saubere Trennlinie gezogen zwischen dem regulären Haushaltsrecht und dem Eingehen völkerrechtlicher Verpflichtungen mit Selbstläufercharakter, die laut dem (vorläufigen) Urteil durch die Verfassung nicht mehr gedeckt sind.

Genau diese Trennlinie ist es, die als nicht geringer Erfolg der Beschwerdeführer zu werten ist. Dass »unsere« Abgeordneten daraus wohl nichts machen und höchstwahrscheinlich auch den nächsten Nachschlag abnicken werden, genau wie den übernächsten auch, ist nicht die Schuld des Verfassungsgerichts. Was uns bleibt, wenn der Bankrott unausweichlich wird? – Man lese Art. 20 (4) Grundgesetz.

Sonntag, 9. September 2012

138 »Ein Götterastronaut und die Wissenschaft«

Teil 138 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Die legendäre »Grabplatte von
Palenque« - Foto W-J.Langbein
1968 erschien Erich von Dänikens erster Weltbestseller, »Erinnerungen an die Zukunft« und löste gigantisches Interesse aus. Weitere Werke aus der Feder Dänikens folgten. Nach fast einem halben Jahrhundert könnte bald eine neue weltweite »Dänikenitis« ausgelöst werden. Hat doch »Paradox Entertainment« die Filmrechte für Dänikens Erstling erworben ... und will daraus einen internationalen Blockbuster machen. Spitzenleute aus Hollywood konnten für das Projekt begeistert werden.

Wahrhaft gigantische Pläne werden geschmiedet: Vom Sciencefiction-Spektakel zum Musical, vom Theaterstück zum groß angelegten »Astronautengötter-Park« ... Hunderte Millionen Dollar sollen investiert werden. Jahrzehnte nach dem Dokumentarfilm »Erinnerungen an die Zukunft«, der für den Oscar nominiert wurde ... könnten bald Astronautengötter die Filmleinwände erobern. Im Frühjahr 2013 soll es soweit sein. Die Finanzierung, so heißt es, steht schon heute ...

Mein Tipp: Im Zentrum des Filmspektakels wird die den Mayas prophezeite Rückkehr der Götter aus dem All stehen ... Götter, die auch in der Mayakunst als seltsam futuristisch anmutende Wesen im »Weltraumanzug« dargestellt wurden ... Ob die Außerirdischen als Bedrohung für die Menschheit auftauchen werden? Ich bin sehr gespannt darauf, wie viel echter Däniken im Film geboten werden wird.

2013 kehren die
Astronautengötter zur
Erde zurück ... im Film.
Foto: W-J.Langbein
Erich von Däniken machte das Relief auf der Grabplatte von Palenque zur Ikone. Weltweit wurden seine kühnen Gedanken diskutiert ... im Zeitalter der ersten Mondlandung stießen sie auf große Zustimmung. Erich von Dänikens futuristisch anmutende Interpretation wurde vehement von Maya-Forschern abgelehnt.

Inzwischen sieht sich Erich von Däniken allerdings durch aktuelle Publikationen führender Maya-Forscher bestätigt. Es geht bei der Darstellung auf der Grabplatte von Palenque um eine kosmische Reise ... Zunächst hatte Dänikens Sichtweise bei einigen Raumfahrtexperten Bestätigung gefunden. Mich hat das nicht verwundert: Raumfahrtexperten erkennen am ehesten Raumfahrttechnik in uralten Darstellungen ...
Zwei namhafte Gelehrte, damals tätig bei der »Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt«, Bonn, pflichteten dem Schweizer bei. Prof. Dr. Siegfried Ruff und Dr. Wolfgang Briegleb (1) bezeichneten die Grabplatte von Palenque als einen »der beeindruckendsten optischen Belege für Dänikens Thesen«. Ihnen drängte sich eine technisch-futuristische Deutung, vor vielen Jahrhunderten in den Stein graviert, förmlich auf.

Der »Astronaut« von Palenque
Foto: W-J.Langbein
Man müsse sich, so die Gelehrten, »wirklich Gewalt antun, um nicht mit den Augen unserer Tage eine stilisierte Gemini- oder Wostok-Kapsel zu erkennen.« Konkret: Offenbar werde ein Raumfahrer dargestellt, der »eine Beschleunigung in Richtung Brust-Rücken erhält«. Die Raumfahrtexperten schlossen ihre Überlegungen zum »Palenque-Astronauten« so: »Dass der hypothetische Raketenpilot zudem anscheinend hemdsärmelig fliegt, ist uns eine inzwischen vertraute Vorstellung.«
Was ist nun auf der Grabplatte von Palenque zu sehen? Manches Mal stieg ich in die Unterwelt von Palenque, unterhalb der Pyramidenbasis gelegen, hinab. Die Luft war immer stickig, die Luftfeuchtigkeit erinnerte an eine Sauna kurz nach dem Aufguss. Die Beleuchtung im schmalen und verwinkelten Treppenhaus war manchmal schlechter, manchmal etwas besser. Und der tonnenschwere Sarkophag wurde unterschiedlich intensiv geschützt. Einmal versperrte ein Eisengitter den Weg zum steinernen Sarg, ergänzt durch Maschendraht ... gefolgt von einer Glasscheibe. Dank der heftigen Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit beschlug die Scheibe und verhinderte so den klaren Durchblick.

Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte lernte ich eine Vielzahl von »wissenschaftlichen Erklärungen« für das Relief-Bildnis von Palenque kennen. Mir begegnete nicht eine einzige, die von einem zweiten Maya-Experten geteilt wurde! Schier unüberblickbar sind die oft konträren Varianten. Was sich manchmal etwas konfus, fast immer aber widersprüchlich anhört ... wurde von zahlreichen Gelehrten als die Wahrheit über Palenque publiziert (2).

Scharfe Monsterzähne und Barthaare
eines Gottes ... Foto: W-J.Langbein
Stellt das scheinbar schwerelos schwebende Wesen das »Porträt des Toten« dar ... oder »den Totengott«? Ist eine bestimmte historische Gestalt zu sehen ... oder doch »offensichtlich keine konkrete Person, sondern die Menschengattung schlechthin«?
Sehen wir einen Mann in »aufschnellender Haltung« ... oder fällt er vielmehr in die »Maske des Erdmonsters«? Oder »ruht er auf dem abstoßenden Haupt eines phantastischen Tieres, aus dessen Rachen spitze Stoßzähne hervorragen«? Oder wurden vielmehr »stumpfnasige Drachen« verewigt?

Da muss man schon von einer Sprachverwirrung sprechen. Macht es doch einen Unterschied aus, ob ein Jüngling dargestellt wird ... oder die Menschheit schlechthin ... ob ein greiser König in die Unterwelt eingeht oder ob die keimende Natur hoffnungsvoll stimmen soll. Die Grabplatte von Palenque kann wohl kaum gleichzeitig den verehrten Maisgott darstellen ... und Herrscher Pakal, der am »Weltenbaum« entlang in die Hölle rutscht. Und wie passt dazu die folgende Interpretation: Wir sehen die Seelenreise des Verstorbenen nach Xibalbá ... oder doch den Übergang vom irdischen in den himmlischen Bereich? Zeigt die Grabplatte einen »Astronauten«, der ins All reist ... oder den Herrscher Pakal, der in den geöffneten Rachen »des Unterweltmonsters« fällt?

Urwald von Palenque
Foto: W-J.Langbein
Pierre Ivanoff, einer der großen Mayakenner, gibt immerhin zu (3): »Der Tempel der Inschriften bleibt deshalb bis auf Weiteres ein Rätsel und eine offene Frage.« Zwei führende Maya-Experten haben nun eine neue Erklärung für die Grabplatte angeboten, die der Konfusion in der Gelehrtenwelt ein Ende bereiten könnte. Ihre Antwort bestätigt nach Jahrzehnten der Ablehnung die dänikensche »Astronautengötter-These«.
Professor David Stuart, Jahrgang 1965, lehrt an der Universität von Austin, Texas. Er ist Spezialist in Sachen Maya-Schrift. Schon mit acht Jahren (!) übersetzte er Maya-Glyphen. Kein Wunder, stammt er doch aus einer Gelehrtenfamilie ... mit dem Schwerpunkt Maya-Forschung. Gemeinsam haben David und George Stuart ein fundiertes Werk über die Mayas veröffentlicht (4). Im Mittelpunkt steht »die ewige Stadt Palenque«. Der interessierte Leser wird vergeblich nach urweltlichen Todesmonstern, Barthaaren des Wettergottes und spitzen Zähnen suchen. Er wird keine Spur von Maisgöttern oder skelettierte Rachen der Unterwelt finden.

Stattdessen bieten die Stuarts – als gelehrte Mayaspezialisten von Weltruf – ein schlüssiges Konzept: Es geht, versucht man die Grabplatte mit ihren Bildern und Glyphen wie ein Buch zu lesen, um Leben und Sterben des Herrschers von Palenque, Pakal. Die berühmte Grabplatte ist aber sehr viel mehr als ein Grabstein nach unserem Verständnis. Gewiss, es werden auch die Todesdaten von Pakals Frau Ix Tz'akbu Ajaw und von Pakal selbst vermerkt.

Der Urwald von Palenque bietet
noch viel Unbekanntes.
Foto: W-J.Langbein
Insgesamt aber stellt der Sarkophag »ein zusammengestelltes Modell des Kosmos« dar. Im Zentrum der Reliefarbeit sehen wir Pakal, umgeben von einer Vielzahl »kosmologischer Vorstellungen«, umrahmt vom »himmlischen Band« ... auf die »Dinge im Himmel« verweisend. Pakal versinkt nicht in der Erde ... er steigt von der Erde empor. Nach der schlüssigen Übersetzung der Stuarts strebt Pakal gen Himmel, in den Kosmos.

Ein in den Stein garviertes »Modell des Kosmos«, ein Himmelsband, kosmologische Vorstellungen ... und ein Pakal, der von der Erde in den Kosmos aufsteigt ... diese in sich schlüssige wissenschaftliche Erklärung der Grabplatte von Palenque bestätigt letztlich, was Erich von Däniken seit rund einem halben Jahrhundert postuliert ...
Zeigt also das Relief von Palenque doch eine kosmische Reise ins All? Die Frage ist nur: Geht es um den Flug eines Astronauten ... oder um eine Totenreise ins kosmische Jenseits?

Teilansicht von Palenque, Rekonstruktion - Foto: Mdcarrasco
Fußnoten
1 Briegleb, Wolfgang und Ruff, Siegfried: »Plädoyer für eine unkonventionelle Erforschung unserer Vergangenheit« in »Waren die Götter Astronauten?«, herausgegeben von Ernst von Khuon, Düsseldorf 1970, S. 84 ff.
2 Wer sich in die Welt der Interpretationen der Grabplatte begeben möchte, findet in folgenden Werken eine Fülle von Zitaten aus »Wissenschaftlermund«, kann sich in die konkret benannten Quellen vertiefen...
2a Däniken, Erich von: »Der Tag, an dem die Götter kamen/ 11. August 3114 v.Chr.«, München 1984, siehe Kapitel VII, »Palenque – entdeckt, doch nicht enträtselt«, S.257-303
2b Däniken, Erich von: »Was ist falsch im Maya-Land«, Rottenburg 2011, siehe Kapitel 4, »König Pakals Himmelfahrt«, S. 229-261
2c Langbein, Walter-Jörg: »2012/ Endzeit und Neuanfang – Die Botschaft der Mayas«, München, 2. Auflage 2011, Teil 3, »Wir sind Atlantis«, S. 171-235
3 Ivanoff, Pierre: »Monumente großer Kulturen/ Maya«, Luxemburg 1974, S.77
4 Stuart, David und George: »Palenque/ Eternal City of the Maya«, London 2008

Raketenantrieb oder Barthaare eines Gottes ... Foto: W-J.Langbein

»Die Pyramide des Zauberers«,
Teil 139 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 16.09.2012


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