Sonntag, 29. Juni 2014

232 »Von Luxor zur Osterinsel«

Teil 232 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Luxor... Monstersäulen... Riesenstatuen.
Fotos W-J.Langbein

Im alten Griechenland erfreute sich ein Rätsel größter Beliebtheit. Die – oder der – Sphinx befragte jeden Passanten: »Was ist das? Am Morgen geht es auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen?« Wer die Nuss nicht knacken konnte, wurde getötet. Die gesuchte Antwort: »Der Mensch! Als Baby krabbelt der Mensch auf vier ›Beinen‹, als Erwachsener geht er kraftvoll aufgerichtet auf zwei Beinen und als alter, schwacher Mensch nimmt er als drittes ›Bein‹ einen Stock zu Hilfe!«

Der Ursprung des Rätsels liegt allerdings nicht im alten Griechenland, sondern in Ägypten. Das harmlos wirkende Rätsel lässt uns einen Blick auf Jahrtausende alte Kosmologie werfen. Morgens ist die Sonne schwach und kriecht wie ein Käfer. Am Tag ist sie Re und abends Atum. Der ägyptische Re wurde als schlanker Pfeiler aus Rosengranit verkörpert. Seine steinerne Spitze war vergoldet und glänzte im Licht der Sonne. Gottheit Atum ging in Darstellungen am Stock.


Luxor. Eingang. Historische Aufnahme.
Foto Archiv W-J.Langbein

Betritt man den Tempel von Luxor von Norden her, so blickt man gen Süden.. wo die Sonne ihren Höchststand erreicht. Oder anders ausgedrückt: Stand die Sonne im Süden hoch am Himmel, schickte sie ihre Strahlen segnend herab, vor allem natürlich auf den mächtigen irdischen Herrscher, der nach seinem Tod zum Gott werden würde. Der Regent badete förmlich im Glanz göttlicher Autorität, ließ die frommen Gläubigen in Ehrfurcht erstarren. Wurde nicht ein irdischer Pharao durch die Huld der Sonne selbst auch zu göttlicher Autorität? Wurde dem Mächtigsten im Staate so das ehrenvolle »von Gottes Gnaden« verliehen?

Der Tempel von Luxor stand nicht zufällig in Theben. In der legendären Ilias ist in schnörkelloser Schlichtheit von »Thebai, Aigyptos´ Stadt« die Rede. Oder die mächtige Metropole wurde nur schlicht als »die Stadt« bezeichnet, also als Stadt der Städte. Der heilige Tempelbezirk »der« Stadt Ägyptens begann vor Jahrtausenden direkt am Nil. Pilger, die aus ihren Boten stiegen, betraten am Ufer sogleich den Vatikan Ägyptens. Niemand vermag zu sagen, welch gewaltige Mauerreste der Fundamente noch darauf warten, endlich wieder ausgegraben zu werden. Gewaltige Steinsäulen waren nicht in erster Linie praktische Pfeiler für ein gigantisches Dach, erklärte mir vor Ort ein Student der Archäologie, sie waren eher wie steinerne Bäume in einem steinernen Wald. Und dieser heilige Wald aus Schatten und Licht galt als der Nabel der Welt.

Der »Nabel der Welt« auf der Osterinsel.
Foto W-J.Langbein

Nabel der Welt? Als einer der ursprünglichen Namen der Osterinsel gilt »Te Pito O Te Henua«. Osterinselforscher Fritz Felbermayer (1): »›Te Pito O Te Henua‹ - ›Der Nabel der Erde‹ ist der wohl einst von den Eingeborenen gebrauchte Name, der immer wieder in ihren Sagen und Überlieferungen vorkommt. Der heutzutage von den Einheimischen gebrauchte Name ›Rapa Nui‹ - ›Große Insel‹ ist eigentlich modern.«

Eine weitere Parallele zwischen Osterinsel und Ägypten drängt sich mir auf. Auf dem fernen Eiland der Südsee wie im uralten Reich am Nil gab es offensichtlich ein Faible für kolossale Statuen. Fritz Felbermayer hält fest (2): »Die Osterinsel verdankt ihre Berühmtheit den riesigen Statuen aus Stein, die über die ganze Insel verstreut zu finden sind. Auf keiner der Inseln der Südsee findet man Steinstatuen in dieser Ausführung und Größe … Einige Statuen sind einen Meter hoch, andere ragen bis zu 20 Meter empor.«

Auch die »alten Ägypter« hatten ein Faible für kolossale Steinfiguren. Legendär sind die beiden Memnon-Kolosse, die im 14. Jahrhundert vor Christus errichtet wurden. Die südliche Memnon-Statue hat, Sockel inklusive, eine Gesamthöhe von 17,27 Metern, die nördliche Memnon-Riesenplastik ragt – Sockel inklusive – 18,36 Meter in den Himmel. Vom Format sind sie durchaus mit Riesen-Figuren der Osterinsel vergleichbar!

Die Osterinsel-Kolosse, so überliefern das einige uralte Legenden und Sagen, konnten einst aus eigener Kraft vom Steinbruch aus viele Kilometer zu ihren Bestimmungsorten gehen. Seltsam! Auch älteste Überlieferungen Ägyptens bringen Kolossalstatuen in Verbindung mit Leben! Trugen doch die Steinmetze und Bildhauer, die die gewaltigen Statuen schufen, die ehrenvolle Bezeichnung »Lebendigmacher«! Warum? War es die Aufgabe dieser Künstler, »Götter und Pharaonen in der Erinnerung der Nachkommen lebendig zu erhalten«, wie Bernd Mertz in seinem wirklich lesenswerten Werk »Ägypten« mutmaßt (3)?

Zwei Statuen von Abu Simbel.
Foto Walter Langbein sen.

Warum ließ zum Beispiel Ramses II. vier Statuen in den gewachsenen Fels von Abu Simbel schlagen, jede über zwanzig Meter hoch? Warum stellten die alten Ägypter Götter und Pharaonen so häufig als wahre Kolossalstatuen dar? Warum bauten sie – oftmals über Jahrhunderte hinweg – Tempel zu wahren Festungsanlagen aus, deren Größe den menschlichen Besucher winzig klein erscheinen lässt? Bernd A. Mertz erklärt (4): »Der Tempel musste großartig sein, weil die Götter es auch waren! Man kann einem Gott keine Lehmhütte bieten. Die Gottstatuen waren geschaffen, damit sich die Götter, wenn sie wollten, hier niederlassen konnten. Daher fielen auch die steinernen Figuren der Pharaonen so gigantisch aus, denn sobald sie bei Osiris waren, wurden sie selbst zu Göttern. Wollten sie nun wieder zurück, konnten ihre Seelen in den steingewordenen Abbildern Einzug halten.«

Mit anderen Worten: Götter und zu Göttern gewandelte Pharaonen konnten die Kolossalstatuen als »Eingangstore« nutzen, um von der überirdischen Welt in die profanen Gefilde des irdischen Alltags zu gelangen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Bezeichnung »Lebendigmacher« für die Erschaffer der Steinfiguren eine ganz andere Bedeutung. Hatten die Erbauer der steinernen Osterinselriesen ähnliche Vorstellungen? Der Überlieferung nach konnten die Osterinselkolosse gehen. Warum? Weil die Geister von Verstorbenen oder gar Götter in die toten Statuen fahren konnten und diese dann »lebendig« wurden?

Eine Verbindung zwischen den Riesenfiguren und den Toten gibt es in der Tat! Fritz Felbermayer berichtet (5): »Als ein zweites Wunder zieren die ›Ahu‹ die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Ahus sind Grabmäler, die sich fast alle an der Küste befinden; sie sind terrassenförmig aus Steinquadern aufgebaut. Auf ihrer höchsten Plattform standen einst Steinfiguren, die schon bei den ersten Besuchern das größte Erstaunen hervorriefen. Im Inneren dieser Steinterrassen befanden sich die Grabkammern, in denen vor langer Zeit die Bewohner der Insel ihre Toten beisetzten. Man kann deutlich sechs verschiedene Typen von Grabmälern unterscheiden. Von den beiden bedeutendsten ist der erste aus mächtigen, schön bearbeiteten Steinquadern so genau zusammengefügt, dass sich keine Figuren feststellen lassen. Seine Bauart weist auf die Inka in Peru.«


Eingang zu einer Grabkammer im »Ahu«.
Fotos W-J.Langbein

Die »Ahu« waren ursprünglich vom Aufbau her mit einfachen Stufenpyramiden vergleichbar, aufgetürmt aus tonnenschweren Blöcken, die in unglaublicher Präzision zusammengefügt worden sind. In diesen »Pyramiden« befanden sich Grabkammern. Von den alten Bestattungsriten der Ureinwohner ist einiges bekannt. Der Leichnam eines Verstorbenen wurde in eine Art Strohmatte eingewickelt, die an den Enden zugebunden wurde. Dann wurde der Tote mit dem Kopf in Richtung Meer auf einer »hölzernen Struktur« am Strand aufgebahrt. Manchmal wurde ein Leichnam aber auch eingewickelt und in einen Felsspalt am Strand gesenkt. Noch heute soll es tiefe Felsklippen an Steilküsten der Osterinsel geben, in denen Skelette ruhen. Ob auch in neuerer Zeit alte vorchristliche Bestattungsriten vollzogen werden?

Wie lange man gewartet hat, bis ein Toter in die Gruft im »Ahu« gebracht wurde? Alfred Metraux vermutet: Das geschah wahrscheinlich erst, wenn völlige Verwesung eingetreten war. Erst dann fand das Skelett seine vorerst letzte Ruhestätte in einer Kammer im »Ahu«. Damit endete dann die Trauerzeit. Nicht alle Skelette blieben für immer in den Gruften. Grund: Die Grabkammern in den »Ahus« sind recht beengt. Ein sehr schmaler, sehr niedriger, mit glatt polierten Steinen rundum ausgekleideter »Gang« führt in das Innere. Die Bezeichnung »Gang« irreführend. In einem Fall maß ich 1,20 Meter in Höhe und Breite. Pietätvoll kann es nicht gewesen sein, Skelette durch solche engen Röhren ins Innere der Grabkammern zu schaffen.

So ein Grab-»Ahu« diente einer Familie oder einem Clan viele Generationen. Es fielen also viele Tote an. Wenn Platzmangel eintrat, entfernte man wieder die Skelette bis auf den Totenschädel aus der Gruft. Die Knochen, so stellten frühe Osterinselbesucher fest, wurden dann verstreut: in der Nähe des »Ahu« oder auf dem ›Ahu‹. Nur noch die Totenköpfe blieben im Inneren der Ahus!

Übrigens: Pyramidale Strukturen gab es überall in der Südsee - von Maleden Island bis Tahiti..

Ahus in Form von Stufenpyramiden...
Foto Archiv Langbein

Was christliche Geistliche gar nicht gern hören: Auch nachdem die Osterinsel schon längst als christianisiert galt, hielten die Insulaner an ihren alten Riten fest. Sie duldeten es zwar, dass die Toten auf dem offiziellen, christlichen Friedhof beigesetzt wurden, gruben die Leichen aber nachts wieder aus, um sie nach den alten Riten zu »behandeln«. Öffentlich freilich blieb der Schein gewahrt.

Die Seelen von Menschen, die sich zu Lebzeiten an die religiösen Riten gehalten haben, sie konnten sich glücklich schätzen, gingen sie doch in ein »fernes Land« (Paradies?) ein. Die Seelen von bösen Menschen indes kehrten aus dem Jenseits zurück, litten Qualen und peinigten ihre Verwandten. Reine Geistwesen waren diese Spukgestalten wirklich nicht. Je weniger sie nach den damaligen Moralvorstellungen gelebt hatten, desto schlimmer wurden sie nach dem Tode als Geister von Hunger und Durst gequält. Verwandte stellten ihnen Speis‘ und Trank in Nähe der Begräbnisstätte auf. Das sollte die Geister milde stimmen.

Auf den »Pyramiden« thronten kolossale Steinfiguren. Staunend stand ich vor dem »Ahu Vinapú«, der nur noch erahnen lässt, wie imposant einst dieses Bauwerk gewesen sein muss. Ein großer Teil der Ruine scheint im Verlauf der Jahrhunderte abgetragen worden zu sein. Die Kolosse ragen nicht mehr stolz auf der einstigen Pyramiden-Plattform in den Himmel. Sie liegen zertrümmert am Boden. Im Verlauf der Zeit verwitterten die Statuen. Ein Eingang in die Grabkammer ist allerdings noch deutlich zu erkennen!


Millimeter genau sitzen mächtige
Steinquader in der Monstermauer.
Foto W-J.Langbein

Die glatt polierten mächtigen Steinquader von »Ahu Vinapú« sind millimetergenau aufeinander gefügt, ansonsten aber macht die einstmals stolze Plattform für riesige Statuen einen desaströsen Eindruck. Die Kolosse wurden vom Podest gestürzt und liegen in Trümmern am Boden. Umstritten ist, wie die Figuren zu Fall gebracht wurden. Eine These lautet, dass sich verfeindete Stämme bekriegten und gegenseitig die Statuen umwarfen. Diese Version wurde mir wiederholt von Osterinsulanern bestätigt. Demnach geht von den Statuen ein Zauber aus. Wer die größten Statuen hatte, dem stand die mächtigste Magie zur Verfügung. Wollte man einen feindlichen Stamm besiegen, musste dessen Magie zerstört werden. Also hat man versucht, möglichst viele »feindliche« Statuen unschädlich zu machen und selbst möglichst große Statuen zu errichten.

Fußnoten

1) Felbermayer, Fritz: »Sagen und Überlieferungen der Osterinsel«, Nürnberg 1971, S. 6, rechte Spalte, Zeilen 4-9
2) ebenda, S. 7, linke Spalte, Zeilen 19-25
3) Mertz, Bernd A.: »Ägypten/ Das Land von Isis und Osiris«, herausgegeben von Wulfing v. Rohr, München 2/1991, S. 107, 3. Zeile von oben
4) ebenda, S. 106, Zeilen 12-20 und S. 107, Zeile 1
5) Felbermayer, Fritz: »Sagen und Überlieferungen der Osterinsel«, Nürnberg 1971, S. 8, linke Spalte, Zeilen 3-17

Riesen, Pyramiden, Menschenfresser
Teil 233 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 6.7.2014


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