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Sonntag, 6. Januar 2019

468 »Der Gott mit dem Fisch«

Teil 468 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Krodo auf dem Großen Burgberg
Der Mann – der Überlieferung nach ein Gott – ist nicht mehr der Jüngste. Seine Haare sind lang, der Bart wirkt fast verwegen. Haartracht und Gewand deuten darauf hin, dass es sich um einen alten Germanen handeln könnte. In seiner Rechten hält der schlanke Mann so etwas wie einen Eimer, mit der Linken hebt er ein Rad mit sechs Speichen gen Himmel. Er steht auf einer Säule, genauer gesagt auf einem großen Fisch auf einer Säule. Das mysteriöse Bild findet sich in der »Sachsenchronik« von Conrad Bothe, erschienen anno 1492. Conrad Bothe beschreibt den Mann als den Sachsengott Krodo (andere Schreibweise: Crodo).

Detailgetreu wurde die Zeichnung aus der Sachsenchronik in eine Statuette. Sie lockt bis heute Touristen und Heimatforscher nach Bad Harzburg. Das Krodo-Denkmal steht bei der Ruine der einstigen Kaiserburg »Harzburg«, von der nur noch Reste der einst mächtigen Grundmauern und der  stolzen Türme erhalten sind.

Auch der Brunnen der Burg ist noch vorhanden. Wen oder was stellt die Zeichnung aus der »Sachsenchronik« dar? Ist es wirklich Gott Krodo? Darüber werden auch heute noch zum Teil heftige Kontroversen geführt.

Jacob Grimm, Germanist und Mythenforscher, schreibt zum Thema Gott in seinem dreibändigen Standardwerk »Deutsche Mythologie«(1): »In allen deutschen zungen von jeher ist das höchste wesen einstimmig mit dem allgemeinen namen Gott benannt worden.« In allen deutschen Dialekten wurde, so Historiker und Volkskundler Grimm, das höchste Wesen Gott genannt. Bitter beklagt Jacob Grimm, dass kein einziger Schriftsteller den Versuch unternommen hat (2) »die überreste des heidnischen glaubens zu sammeln«. Vielmehr habe man danach getrachtet (3) »die letzten eindrücke des verhaßten heidentums zu tilgen statt zu bewahren«. Es sei viel von  (4) »unserer mythologie unwiderbringlich entzogen«. Gerade deshalb ist es Jacob Grimm hoch anzurechnen, dass er mit unglaublichem Fleiß eine erstaunliche Fülle an Informationen über die alten vorchristlichen Götter zusammengetragen hat.

Foto 2: Wichtiges Standardwerk!
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Studiert man sein auch heute noch beeindruckendes Werk »Deutsche Mythologie« so erkennt man schnell, dass da zwischen dem christlichen Gott einerseits und den heidnischen Göttern andererseits unterschieden wird. Das Heidentum freilich verschwand nicht spurlos von heute auf morgen. So wurden die heidnischen Götter nicht einfach von den Missionaren des Christentums ausgetilgt. Aber Christus wurde ähnlich wie zuvor die heidnischen Götter umschrieben (5). Diese Strategie führte zu einem Teilerfolg der christlichen Missionierung: Christus und die heidnischen Götter wurden gleichzeitig verehrt. Ethelbert von Kent (um*552;†616) regierte über drei Jahrzehnte seine Grafschaft im Südosten von London. Ethelbert ließ sich taufen und erlaubte den christlichen Missionaren, nach eigenem Gutdünken christliche Gotteshäuser zu errichten. Freilich wollte er keinen übergroßen Zwang ausüben. Vermutlich befürchtete Ethelbert von Kent, Zwangsmissionierung könnte dazu führen, dass sich die Heiden gegen den König erhoben. Und deshalb durften neben christlichen Altären heidnische »Götzenbilder« stehen. Es wurden also in christlichen Gotteshäusern auch noch »heidnische Idole« verehrt und angebetet. Offenbar waren den Missionaren »halbe Christen« lieber als »ganze Heiden« (6). Die Existenz heidnischer Götter wurde nicht bestritten (7): »Auch in christlicher zeit traut man den heidnischen göttern manche fähigkeit zu.«

Foto 3: Krodo, älteste Darstellung, 1492
So war das auch im Alten Israel, als ganz offiziell längst der Monotheismus eingeführt worden war. Mit der Einführung des Jahwe-Kults verschwanden nicht plötzlich die alten Göttinnen und Götter ins Nichts. Konkreter: Falsch ist die Vermutung, dass Salomons Tempel (Hauptheiligtum des jüdischen Monotheismus!) ausschließlich der Verehrung Jahwes diente. Der salomonische Tempel bestand 370 Jahre. Immerhin 236 Jahre davon, also fast zwei Drittel der Zeit, beherbergte er eine Ascherah-Statue. Wie war das möglich? Hatte doch Jahwe angeblich selbst nicht nur das Anbeten fremder Götter im Allgemeinen verboten, sondern ganz konkret gefordert (8): »Du sollst dir keinen Holzpfahl als Ascherahbild errichten bei dem Altar Jahwes!« Genau das aber geschah immer wieder! Jahrhunderte lang war Ascherah fester Bestandteil im religiösen Leben der jüdischen Stämme. Konkretem göttlichem Gebot zum Trotz stand ihre Statue im Allerheiligsten im Salomonischen Tempel neben  Jahwes Altar.

Zurück zum mysteriösen Gott Krodo. Betrachten wir uns die Zeichnung aus der Sachsenchronik und das geheimnisvolle Denkmal bei der Harzburg näher. Wir erkennen gleich drei uralte »Symbole« (9)!

Foto 4: Krodo steht auf einem Fisch.

Der Fisch, auf dem Gott Krodo steht, ist eines der ältesten Symbole überhaupt. Ausführlich äußert sich Professor Hans Biedermann (*1930; †1989/1990) in seinem »Lexikon der Symbole«. (10). Er sieht den Fisch als Zeichen für Fruchtbarkeit, für die Kraft die das Leben erhält (11): »Fische bevölkern die Wasserflut …, die mit Fruchtbarkeit und den lebenspendenden Kräften der inneren ›Mütterwelten‹ zu tun haben.« In diesem Zusammenhang muss ein ganz besonderer Fisch aus uralter Mythologie erwähnt werden: Der Sage nach haust er im oberfränkischen Staffelberg. Damit er in den Berg passt, muss er sich in den eigenen Schwanz beißen. Der namenlose Staffelbergfisch, der auch in einigen südamerikanischen Pyramiden hausen soll, hat ein Pendent, nämlich »Uroboros« (Foto 7). Uroboros, eine mythologische Schlange, beißt sich ebenfalls in den eigenen Schwanz.

Foto 5: Krodos Rad
Dieses Motiv ist uralt und stellt, so Biedermann (12), »den Kreis in seiner Verkörperung der ›ewigen Wiederkehr‹ tiergestaltig dar und deutet an, dass dem Ende ein neuer Anfang in ständiger Wiederholung entspricht.« Diesen ewigen Kreislauf des Lebens symbolisiert natürlich auch das Rad, das Gott Krodo empor hält. Denken wir an das zyklische Weltbild der Mayas, die den Ablauf der Zeit als ein sich ständiges Drehen von »Rädern« sahen und in Milliarden und Abermilliarden von Jahren rechneten!


Das »ewige Leben« der Mayas bestand in der ewigen Wiederholung von zyklischen Zeitabschnitten. Vielen heutigen Christen ist nicht bekannt, dass der Fisch das älteste Symbol für den Messias Jesus und somit auch für Auferstehung und ewiges Leben ist. 

Es gibt recht unterschiedliche Symbole für den ewigen Kreislauf des Lebens. Eines findet sich im Paderborner Dom: Im berühmten »Dreihasenfenster« (Foto 8) bilden drei Hasen, die sich drei Ohren teilen, auch so etwas wie ein sich ewig drehendes Rad. Wobei der Hase wiederum ein uraltes Symbol der Fruchtbarkeit ist.

Als nach christlichem Verständnis das sündige Leben auf der Erde durch eine »Sintflut« ausgetilgt wurde, überlebten die Fische. So würden auch die Christen einst überleben und nicht dem ewigen Tod anheimfallen. In zunehmendem Maße bekennen sich heutige Christen mit einem Fischsymbol an ihrem PKW zum christlichen Glauben. Noch einmal Prof. Biedermann, der reale »Symbologe«, echtes Pendant zum fiktiven Professor Langdon (13): »In vielen alten Religionen werden Fische mit den Göttinnen der Liebe und der fruchtbaren Natur in Verbindung gebracht.«

Foto 6: Krodos Rosen
Krodo alias Crodo hält mit der rechten Hand so etwas wie einen Eimer. Darin befinden sich Rosen. Seit ewigen Zeiten sind Rosen das Symbol der Liebe, die den Tod überdauert. Mike Vogler fasst in seinem sehr empfehlenswerten Werk »Rätsel der Geschichte« (14) sachkundig zusammen (15):

»Die dargestellte Symbolik verweist auf Krodos Bedeutung als Fruchtbarkeitsgott. Der Fisch versinnbildlicht das Element Wasser sowie Nahrung, unverzichtbare Bestandteile des Lebens Auf Erden. Das Rad erinnert an das Verrinnen der Zeit, dem Werden und Vergehen alles Lebens. Die Rosen stehen für die Fruchtbarkeit sowie der Menschen als auch der Natur. Zusammenfassend kann man sagen, dass Krodo das Leben als solches symbolisiert.«

Zur Lektüre empfohlen:
Garbe, Burckhard: »Die schönsten Sagen zwischen Harz und Weser«, Kassel 2002 (Der Götze Krodo in Harzburg, S.91-95)
Vogler, Mike: »Hexen, Teufel und Germanen/ Teufelsglaube und Hexenwahn als Folge der Christianisierung/ Beispielhaft verdeutlicht am altsächsischen Gott Krodo«, Leipzig 2012

Fußnoten
(1) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage,
Berlin 1875-78, Band 1, Seite 11 ganz oben, Rechtschreibung unverändert übernommen.
(2) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage,
Berlin 1875-78, Band 1, Seite VIII, Zeilen 15 und 16 von oben. V Rechtschreibung unverändert übernommen.
(3) ebenda, Zeilen 18 und 19 von oben
(4) ebenda, Seite IX, Zeile 8 von unten
(5) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage,
Berlin 1875-78, Band 1, Einleitung S. 7 oben

Foto 7: Uroboros, 17. Jahrhundert.


(6) Siehe hierzu Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage,
Berlin 1875-78, Band III, Einleitung, Seite 7 oben!
(7) ebenda, Seite 4 Mitte
(8) Das 5. Buch Mose Kapitel 16, Vers 21
(9) Ich fasse den Begriff »Symbol« bewusst sehr weit. So zähle ich die »Elemente« aus verschiedenen Weisheits-und Geheimlehren auch zu den Symbolen!
(10) Biedermann, Hans: »Knaurs Lexikon der Symbole«, München 1989, Seiten 142-145
(11) ebenda Seite 142, rechte Spalte unten und Seite 143, linke Spalte oben.
(12) ebenda, Seite 455, linke Spalte unten, Stichwort  »Uroboros«
(13) ebenda, Seite 143, linke Spalte Mitte
(14) Vogler, Mike: »Rätsel der Geschichte«, eBook, Dresden 2014
Voglers Buch ist Teil 1 einer inzwischen auf 5 Bände angewachsenen Reihe. Es ist sowohl als Taschenbuch als auch als eBook erhältlich!
(15) ebenda,  Seite 4, Pos. 31

Foto 8: Drei Hasen bilden ein Rad


Zu den Fotos:
Foto 1: Krodo-Statue auf dem Großen Burgberg bei Bad Harzburg. Foto wiki commons/ Kassandro 
Foto 2: Wichtiges Standardwerk! FotoVerlag
Foto 3: Krodo, älteste Darstellung, 1492.
Foto 4: Krodo steht auf einem Fisch. Foto wiki commons/ Kassandro 
Foto 5: Krodos Rad. Foto wiki commons/ Kassandro 
Foto 6: Krodos Rosen. Foto wiki commons/ Kassandro
Foto 7: Uroboros, 17. Jahrhundert. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Drei Hasen bilden ein Rad, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein 

469 »Der Kaiser, Kelten und Gott Krodo«,
Teil 469 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 13. Januar 2019


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Sonntag, 30. März 2014

219 »Die Krypta und das Grab«

Teil 219 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Blick auf den Dom im Hintergrund. Foto Walter-Jörg Langbein

Der »Hohe Dom« zu Paderborn ist auch heute noch ein imposantes Gebäude. Wie eine massive Burg im Zentrum der Stadt wirkt das »Gotteshaus«, spätromanisch und gotisch geprägt. 104 Meter ist er lang, zwischen 31 und 49 Metern ist er breit. Einst wirkte das mächtige Bollwerk wie eine Monstermauer, die so gut wie jedem militärischen Angriff standhalten konnte. An massive Fliegerangriffe konnten die Baumeister noch nicht denken …

»Ein feste Burg ist unser Gott.«.
Foto: W-J.Langbein


Warum, so frage ich mich, wurde der Dom in sumpfigem Gelände gebaut? Warum wurde er errichtet, so zahllose Quellen aus dem Boden sprudelten? Der Bauplatz wurde nicht trotz, sondern wegen der Quellen im Untergrund gewählt. Warum?

Quellen kennzeichneten in matriarchalisch-heidnischen Glaubenswelten heilige Orte. »Wassermütter« genannte Göttinnen hatten einen besonders hohen Stellenwert in der sakralen Hierarchie. Quellen spendeten Wasser, machten Leben erst möglich. Quellen versinnbildlichten den Kreislauf des Lebens.

Während ich die in den Himmel zu reichen scheinenden Mauern bestaune, denke ich über den religiösen Wandel vom Matriarchat zum Patriarchat nach. Mit dem Patriarchat wurde die Göttin nach und nach entmachtet. Die Göttin wurde, so stellt Marija Gimbutas (1921-1994), Professorin für Europäische Archäologie an der Universität von Los Angeles, fest (1), »in die Tiefen der Wälder oder auf die Gipfel der Berge zurückgedrängt«.  Und wo einst zu den Göttinnen gebetet wurde, stampfte man Kirchen aus dem Boden, die dem männlichen Gott geweiht wurden.

Wo einst Göttinnen verehrt wurden, ließ Karl der Große im achten Jahrhundert nach Christus Kirchen errichten. Mit brachialer militärischer Gewalt wurden zum Beispiel die Sachsen »bekehrt«. Anno 776 triumphierte Karl der Große in Paderborn.  Seine Truppen hatten die »heidnischen Sachsenstämme« gewaltsam unterworfen und zum Glauben der Nächstenliebe »bekehrt«. Wer sich nicht zwangsweise taufen ließ, musste mit dem Schlimmsten rechnen (1). So wurden in Verden an der Aller anno 782 auf Befehl Karls des Großen 4500 bekehrungsunwillige Sachen abgeschlachtet.

Der Dom. Foto Walter-J.Langbein
Im siebten Jahrhundert ließen sich heidnische Sachsen an den Quellen der Pader nieder. Sie nannten ihre Siedlung »Padrabrunno«. 772 machte sich Karl der Große an die Eroberung des Sachsenreichs, verwüstete gezielt ihre Heiligtümer. So ließ er das Zentralheiligtum der Sachsen, die Irminsul, zerstören. »Padrabrunno« war dem Sachsenschlächter ein besonderer Dorn im Auge. Mit militärischer Gewalt »christianisierte« der Herrscher den heidnischen Ort und machte ihn zu einem christlichen Zentrum. Anno 799 wurde Papst Leo III. aus Rom vertrieben. Er flüchtete nach Paderborn, um Karl den Großen um Hilfe anzuflehen.

Archäologische Ausgrabungen belegen die Jahrtausende alte Geschichte von Paderborn, die weit in die Steinzeit reicht. Große Erdwerke deuten auf kultische Praktiken hin. In Verbindung mit auf engstem Raum sprudelnden Quellen ist ein matriarchalischer Quellgöttinnenkult wahrscheinlich. Der Dom zu Paderborn wurde just dort errichtet, wo ein erstes christliches Gotteshaus gebaut worden war: über einigen Quellen des Flusses Pader, der dem Ort den Namen gab. Die erste Kirche wurde wohl schon im achten Jahrhundert gebaut – im Quellgebiet der Pader. Die Weihe fand anno 777 statt.

Dass Karl der Große so besonders fromm war, ist angesichts seiner grausamen Kriege gegen die Heiden zweifelhaft. Selbst unter seinen theologischen Beratern war seine »Schwertmission« umstritten. Der Herrscher war ein militärischer Stratege. Zur vollkommenen Unterwerfung der Sachsen gehörte es nicht nur, ihre militärische Macht zu brechen. Ihre religiösen Wurzeln sollten gekappt werden. Ein fremder Glaube wurde ihnen aufgezwungen. Es ist der blanke Hohn, dass die Heiden mit brutaler Gewalt zur Religion der Nächstenliebe bekehrt wurden. So leicht waren die Sachsen aber nicht zu besiegen. Immer wieder attackierten sie das »christianisierte« Paderborn, zerstörten das steinerne »Gotteshaus«. Immer wieder wurde es aufgebaut.


Blick in die unterirdische Krypta des Doms zu Paderborn.
Foto: Walter-Jörg Langbein

Ich erkenne drei Ebenen des Doms zu Paderborn. Da ist die mittlere Ebene, auf der sich die Gottesdienstbesucher und Touristen bewegen. Darüber hinaus ragen mächtige Türme. Und unter der mittleren Ebene befindet sich die unterirdische Welt. Mich erinnert diese Struktur an den »Tempel der Inschriften«. Auch das heilige Bauwerk weist drei Ebenen auf: in der Mitte die Pyramide, oben der auf der Pyramide thronende Tempel… und darunter die die mysteriöse Gruft.

Während das Kirchenschiff von dröhnend-mächtigen Orgeltönen erfüllt ist,  steige ich - vom sogenannten »Pfarrwinkel« aus – hinab in die Unterwelt, in die Krypta. Sie ist eine der größten Krypten Deutschlands. Schon bei einem der frühen Vorgängerbauten wurde diese Unterwelt« angelegt. Die mächtige Gruft dürfte schon vor fast einem Jahrtausend angelegt worden sein. Von der Krypta steige ich in die Bischofsgruft hinab. Der Vorraum wurde 1935 mit einem Mosaik versehen. Ein Engel bewacht mit gezücktem Schwert das Paradies. Der Heilige Petrus hält den Himmelsschlüssel. In der Grablege hält Maria den toten Gottessohn.

Blick in die Gruft. Foto Walter-Jörg Langbein


Mir kommen »ketzerische« Gedanken! Ich setze mich auf die Stufen zur Gruft, blicke in den von Blau dominierten Vorraum. Ich sehe Maria mit dem zu Tode gefolterten Jesus…. Und muss an das uralte Motiv der »Heiligen Hochzeit« denken, das es schon vor vielen Jahrtausenden gegeben hat. Es gibt unzählige Varianten, doch in allen Versionen geht es um den Erhalt des Lebens. Die Göttin sucht sich einen Bräutigam, der nach der »Heiligen Hochzeit« geopfert wird. Die Göttin steigt in die Unterwelt hinab und holt den »Bräutigam« in die Welt der Lebenden zurück.

Maria mit dem toten Jesus.
Foto Walter-Jörg Langbein
Das Ritual hat immer eine fundamentale Bedeutung: Im Winter oder in der Trockenzeit stirbt die Natur. Der Hungertod droht. Die Göttin sucht sich einen Partner, der geopfert wird und ins Totenreich steigt. Die Göttin holt ihn zurück ins Reich der Lebenden… und die Natur wird neu geboren. Der ewige Kreislauf des Lebens darf niemals zum Stillstand kommen, denn sonst bleibt das Leben erstarrt. Der Partner der Göttin muss geopfert werden, damit er wieder ins Leben zurück gerufen werden kann… und mit ihm erwacht die erstarrte Natur wieder aus dem Todesschlaf.

Ich sehe die Gottesmutter, die ins »Totenreich«, in die Krypta, hinab gestiegen ist. Und ich frage mich, ob die Geschichte vom Opfertod Jesu nicht eine Variante der uralten Geschichte vom Kreislauf des ewigen Lebens ist? Genauer: Geht es, in verschlüsselter Form, um den Erhalt des Lebens durch magische Rituale?

Im biblischen Text spielt, aller Zensur zum Trotz, Maria Magdalena die Rolle der »Himmlischen«. Ketzerische (?) Gedanken kommen mir. Was wäre, wenn ursprünglich die Hochzeit zu Kana in Wirklichkeit die rituelle Hochzeit zwischen Maria Magdalena und Jesus war? Dann folgt nach dem altehrwürdigen Schema der Opfertod des Bräutigams… und dessen Auferstehung. Und tatsächlich: Jesus wird geopfert, fährt hinab ins Totenreich und kehrt zurück. Im Neuen Testament ist es Maria Magdalena, die Jesus in die Totengruft folgt. In der biblischen Version holt sie allerdings Jesus nicht aus dem Totenreich zurück. Sie begegnet als erste dem aus dem Reich der Toten zurückgekehrten Jesus an.


Die Krypta ... symbolisiert sie das unterirdische Totenreich?
Foto: Walter-Jörg Langbein


Erinnert die Geschichte von Jesus und Maria Magdalena an den vielleicht ältesten Kult überhaupt, dessen bald nicht mehr verstandene Magie gewährleisten sollte, dass auf den Winter (auf die Trockenzeit) wieder eine neue Phase des Lebens folgt? Ich halte es für möglich, dass die ursprüngliche Geschichte durch Bearbeitung verfremdet wurde, aber nach wie vor zu erkennen ist (2). Vor diesem Hintergrund würde das Drei-Hasen-Fenster eine ganz andere, weniger christliche Bedeutung erhalten. Die im Kreis laufenden, miteinander verbundenen drei Hasen mit den drei Ohren symbolisieren dann das ewige Rad des Lebens. Kommt deshalb das Drei-Hasen-Motiv auch in nichtchristlichen Kulturkreisen vor? Wurde es von christlichen Theologen »christianisiert«?

Petrus im Grabmosaik. Foto:
Walter-Jörg Langbein
Viel Leid wurde durch Religionskriege über die Menschheit gebracht. Hass entstand, weil rechthaberische Theologen nur die eigene Sichtweise von den letzten Dingen gelten lassen wollten und andere Lehrmeinungen als teuflische Ketzereien verdammten. Sollte es eine tiefere Wahrheit geben, die in allen Religionen zu finden ist. Wäre es nicht die Aufgabe aller Theologen, diese tiefere Wahrheit zu suchen und so allen Streitigkeiten um den wahren Glauben ein Ende zu bereiten?

Aus der ersten Kirche zu Paderborn (8. Jahrhundert) entwickelte sich nach und nach der heutige Dom. 1220 dürften die Bauarbeiten für den Dom schon im Gange gewesen sein. Ende des dreizehnten Jahrhunderts waren die Arbeiten abgeschlossen… In den folgenden Jahrhunderten wurde ergänzt, erweitert, abgerissen, aufgestockt, neu aufgebaut…

Im Jahre 1945 war der Dom Ziel mehrerer britischer Bombenangriffe. Die Militärs haben wohl dem Dom – warum auch immer – kriegsentscheidende Bedeutung zugemessen. Anders sind die gezielten Einsätze wenige Wochen vor Kriegsende gegen das altehrwürdige sakrale Gebäude nicht zu erklären. Am 17. Januar, am 22. und am 27. März 1945 wurden besonders heftige Angriffe geflogen. Am 27. März 1945 m 17.30 kamen 270 britische Flugzeuge zum Einsatz. 2000 Gebäude wurden vollkommen zerstört, 1500 Großbrände brachen aus, 350 Menschen kamen ums Leben. Vier Tage später, am Ostersonntag, rückten US-Kampfverbände ein. Paderborn war nur noch eine Trümmerwüste. 85% von Paderborn waren vollkommen zerstört….


Fußnoten

Der »Heilige Geist« im
Grabmosaik. Foto:
Walter-Jörg Langbein
1) Frauen-Museum Wiesbaden: »Sprache der Göttin/ Annäherung an das Werk von Marija Gimbutas«, Wiesbaden 1994
Siehe auch Gimbutjas, Marija: »The Gods and Goddesses of old Europe/ Myths and Cult Immages«,  New and updated Edition, London 1982

2) Siehe hierzu: Langbein, Walter-Jörg: »Maria Magdalena – Die Wahrheit über die Geliebte Jesu«, Aufbauverlag, Taschenbuch, Berlin September 2006 und Langbein, Walter-Jörg: »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«, Aufbauverlag, Taschenbuch, Berlin Januar 2006








»Die Götter der Steine«,
Teil 220 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von 

Walter-Jörg Langbein,                                                                                              
erscheint am 30.03.2014

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