Sonntag, 30. März 2014

219 »Die Krypta und das Grab«

Teil 219 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Blick auf den Dom im Hintergrund. Foto Walter-Jörg Langbein

Der »Hohe Dom« zu Paderborn ist auch heute noch ein imposantes Gebäude. Wie eine massive Burg im Zentrum der Stadt wirkt das »Gotteshaus«, spätromanisch und gotisch geprägt. 104 Meter ist er lang, zwischen 31 und 49 Metern ist er breit. Einst wirkte das mächtige Bollwerk wie eine Monstermauer, die so gut wie jedem militärischen Angriff standhalten konnte. An massive Fliegerangriffe konnten die Baumeister noch nicht denken …

»Ein feste Burg ist unser Gott.«.
Foto: W-J.Langbein


Warum, so frage ich mich, wurde der Dom in sumpfigem Gelände gebaut? Warum wurde er errichtet, so zahllose Quellen aus dem Boden sprudelten? Der Bauplatz wurde nicht trotz, sondern wegen der Quellen im Untergrund gewählt. Warum?

Quellen kennzeichneten in matriarchalisch-heidnischen Glaubenswelten heilige Orte. »Wassermütter« genannte Göttinnen hatten einen besonders hohen Stellenwert in der sakralen Hierarchie. Quellen spendeten Wasser, machten Leben erst möglich. Quellen versinnbildlichten den Kreislauf des Lebens.

Während ich die in den Himmel zu reichen scheinenden Mauern bestaune, denke ich über den religiösen Wandel vom Matriarchat zum Patriarchat nach. Mit dem Patriarchat wurde die Göttin nach und nach entmachtet. Die Göttin wurde, so stellt Marija Gimbutas (1921-1994), Professorin für Europäische Archäologie an der Universität von Los Angeles, fest (1), »in die Tiefen der Wälder oder auf die Gipfel der Berge zurückgedrängt«.  Und wo einst zu den Göttinnen gebetet wurde, stampfte man Kirchen aus dem Boden, die dem männlichen Gott geweiht wurden.

Wo einst Göttinnen verehrt wurden, ließ Karl der Große im achten Jahrhundert nach Christus Kirchen errichten. Mit brachialer militärischer Gewalt wurden zum Beispiel die Sachsen »bekehrt«. Anno 776 triumphierte Karl der Große in Paderborn.  Seine Truppen hatten die »heidnischen Sachsenstämme« gewaltsam unterworfen und zum Glauben der Nächstenliebe »bekehrt«. Wer sich nicht zwangsweise taufen ließ, musste mit dem Schlimmsten rechnen (1). So wurden in Verden an der Aller anno 782 auf Befehl Karls des Großen 4500 bekehrungsunwillige Sachen abgeschlachtet.

Der Dom. Foto Walter-J.Langbein
Im siebten Jahrhundert ließen sich heidnische Sachsen an den Quellen der Pader nieder. Sie nannten ihre Siedlung »Padrabrunno«. 772 machte sich Karl der Große an die Eroberung des Sachsenreichs, verwüstete gezielt ihre Heiligtümer. So ließ er das Zentralheiligtum der Sachsen, die Irminsul, zerstören. »Padrabrunno« war dem Sachsenschlächter ein besonderer Dorn im Auge. Mit militärischer Gewalt »christianisierte« der Herrscher den heidnischen Ort und machte ihn zu einem christlichen Zentrum. Anno 799 wurde Papst Leo III. aus Rom vertrieben. Er flüchtete nach Paderborn, um Karl den Großen um Hilfe anzuflehen.

Archäologische Ausgrabungen belegen die Jahrtausende alte Geschichte von Paderborn, die weit in die Steinzeit reicht. Große Erdwerke deuten auf kultische Praktiken hin. In Verbindung mit auf engstem Raum sprudelnden Quellen ist ein matriarchalischer Quellgöttinnenkult wahrscheinlich. Der Dom zu Paderborn wurde just dort errichtet, wo ein erstes christliches Gotteshaus gebaut worden war: über einigen Quellen des Flusses Pader, der dem Ort den Namen gab. Die erste Kirche wurde wohl schon im achten Jahrhundert gebaut – im Quellgebiet der Pader. Die Weihe fand anno 777 statt.

Dass Karl der Große so besonders fromm war, ist angesichts seiner grausamen Kriege gegen die Heiden zweifelhaft. Selbst unter seinen theologischen Beratern war seine »Schwertmission« umstritten. Der Herrscher war ein militärischer Stratege. Zur vollkommenen Unterwerfung der Sachsen gehörte es nicht nur, ihre militärische Macht zu brechen. Ihre religiösen Wurzeln sollten gekappt werden. Ein fremder Glaube wurde ihnen aufgezwungen. Es ist der blanke Hohn, dass die Heiden mit brutaler Gewalt zur Religion der Nächstenliebe bekehrt wurden. So leicht waren die Sachsen aber nicht zu besiegen. Immer wieder attackierten sie das »christianisierte« Paderborn, zerstörten das steinerne »Gotteshaus«. Immer wieder wurde es aufgebaut.


Blick in die unterirdische Krypta des Doms zu Paderborn.
Foto: Walter-Jörg Langbein

Ich erkenne drei Ebenen des Doms zu Paderborn. Da ist die mittlere Ebene, auf der sich die Gottesdienstbesucher und Touristen bewegen. Darüber hinaus ragen mächtige Türme. Und unter der mittleren Ebene befindet sich die unterirdische Welt. Mich erinnert diese Struktur an den »Tempel der Inschriften«. Auch das heilige Bauwerk weist drei Ebenen auf: in der Mitte die Pyramide, oben der auf der Pyramide thronende Tempel… und darunter die die mysteriöse Gruft.

Während das Kirchenschiff von dröhnend-mächtigen Orgeltönen erfüllt ist,  steige ich - vom sogenannten »Pfarrwinkel« aus – hinab in die Unterwelt, in die Krypta. Sie ist eine der größten Krypten Deutschlands. Schon bei einem der frühen Vorgängerbauten wurde diese Unterwelt« angelegt. Die mächtige Gruft dürfte schon vor fast einem Jahrtausend angelegt worden sein. Von der Krypta steige ich in die Bischofsgruft hinab. Der Vorraum wurde 1935 mit einem Mosaik versehen. Ein Engel bewacht mit gezücktem Schwert das Paradies. Der Heilige Petrus hält den Himmelsschlüssel. In der Grablege hält Maria den toten Gottessohn.

Blick in die Gruft. Foto Walter-Jörg Langbein


Mir kommen »ketzerische« Gedanken! Ich setze mich auf die Stufen zur Gruft, blicke in den von Blau dominierten Vorraum. Ich sehe Maria mit dem zu Tode gefolterten Jesus…. Und muss an das uralte Motiv der »Heiligen Hochzeit« denken, das es schon vor vielen Jahrtausenden gegeben hat. Es gibt unzählige Varianten, doch in allen Versionen geht es um den Erhalt des Lebens. Die Göttin sucht sich einen Bräutigam, der nach der »Heiligen Hochzeit« geopfert wird. Die Göttin steigt in die Unterwelt hinab und holt den »Bräutigam« in die Welt der Lebenden zurück.

Maria mit dem toten Jesus.
Foto Walter-Jörg Langbein
Das Ritual hat immer eine fundamentale Bedeutung: Im Winter oder in der Trockenzeit stirbt die Natur. Der Hungertod droht. Die Göttin sucht sich einen Partner, der geopfert wird und ins Totenreich steigt. Die Göttin holt ihn zurück ins Reich der Lebenden… und die Natur wird neu geboren. Der ewige Kreislauf des Lebens darf niemals zum Stillstand kommen, denn sonst bleibt das Leben erstarrt. Der Partner der Göttin muss geopfert werden, damit er wieder ins Leben zurück gerufen werden kann… und mit ihm erwacht die erstarrte Natur wieder aus dem Todesschlaf.

Ich sehe die Gottesmutter, die ins »Totenreich«, in die Krypta, hinab gestiegen ist. Und ich frage mich, ob die Geschichte vom Opfertod Jesu nicht eine Variante der uralten Geschichte vom Kreislauf des ewigen Lebens ist? Genauer: Geht es, in verschlüsselter Form, um den Erhalt des Lebens durch magische Rituale?

Im biblischen Text spielt, aller Zensur zum Trotz, Maria Magdalena die Rolle der »Himmlischen«. Ketzerische (?) Gedanken kommen mir. Was wäre, wenn ursprünglich die Hochzeit zu Kana in Wirklichkeit die rituelle Hochzeit zwischen Maria Magdalena und Jesus war? Dann folgt nach dem altehrwürdigen Schema der Opfertod des Bräutigams… und dessen Auferstehung. Und tatsächlich: Jesus wird geopfert, fährt hinab ins Totenreich und kehrt zurück. Im Neuen Testament ist es Maria Magdalena, die Jesus in die Totengruft folgt. In der biblischen Version holt sie allerdings Jesus nicht aus dem Totenreich zurück. Sie begegnet als erste dem aus dem Reich der Toten zurückgekehrten Jesus an.


Die Krypta ... symbolisiert sie das unterirdische Totenreich?
Foto: Walter-Jörg Langbein


Erinnert die Geschichte von Jesus und Maria Magdalena an den vielleicht ältesten Kult überhaupt, dessen bald nicht mehr verstandene Magie gewährleisten sollte, dass auf den Winter (auf die Trockenzeit) wieder eine neue Phase des Lebens folgt? Ich halte es für möglich, dass die ursprüngliche Geschichte durch Bearbeitung verfremdet wurde, aber nach wie vor zu erkennen ist (2). Vor diesem Hintergrund würde das Drei-Hasen-Fenster eine ganz andere, weniger christliche Bedeutung erhalten. Die im Kreis laufenden, miteinander verbundenen drei Hasen mit den drei Ohren symbolisieren dann das ewige Rad des Lebens. Kommt deshalb das Drei-Hasen-Motiv auch in nichtchristlichen Kulturkreisen vor? Wurde es von christlichen Theologen »christianisiert«?

Petrus im Grabmosaik. Foto:
Walter-Jörg Langbein
Viel Leid wurde durch Religionskriege über die Menschheit gebracht. Hass entstand, weil rechthaberische Theologen nur die eigene Sichtweise von den letzten Dingen gelten lassen wollten und andere Lehrmeinungen als teuflische Ketzereien verdammten. Sollte es eine tiefere Wahrheit geben, die in allen Religionen zu finden ist. Wäre es nicht die Aufgabe aller Theologen, diese tiefere Wahrheit zu suchen und so allen Streitigkeiten um den wahren Glauben ein Ende zu bereiten?

Aus der ersten Kirche zu Paderborn (8. Jahrhundert) entwickelte sich nach und nach der heutige Dom. 1220 dürften die Bauarbeiten für den Dom schon im Gange gewesen sein. Ende des dreizehnten Jahrhunderts waren die Arbeiten abgeschlossen… In den folgenden Jahrhunderten wurde ergänzt, erweitert, abgerissen, aufgestockt, neu aufgebaut…

Im Jahre 1945 war der Dom Ziel mehrerer britischer Bombenangriffe. Die Militärs haben wohl dem Dom – warum auch immer – kriegsentscheidende Bedeutung zugemessen. Anders sind die gezielten Einsätze wenige Wochen vor Kriegsende gegen das altehrwürdige sakrale Gebäude nicht zu erklären. Am 17. Januar, am 22. und am 27. März 1945 wurden besonders heftige Angriffe geflogen. Am 27. März 1945 m 17.30 kamen 270 britische Flugzeuge zum Einsatz. 2000 Gebäude wurden vollkommen zerstört, 1500 Großbrände brachen aus, 350 Menschen kamen ums Leben. Vier Tage später, am Ostersonntag, rückten US-Kampfverbände ein. Paderborn war nur noch eine Trümmerwüste. 85% von Paderborn waren vollkommen zerstört….


Fußnoten

Der »Heilige Geist« im
Grabmosaik. Foto:
Walter-Jörg Langbein
1) Frauen-Museum Wiesbaden: »Sprache der Göttin/ Annäherung an das Werk von Marija Gimbutas«, Wiesbaden 1994
Siehe auch Gimbutjas, Marija: »The Gods and Goddesses of old Europe/ Myths and Cult Immages«,  New and updated Edition, London 1982

2) Siehe hierzu: Langbein, Walter-Jörg: »Maria Magdalena – Die Wahrheit über die Geliebte Jesu«, Aufbauverlag, Taschenbuch, Berlin September 2006 und Langbein, Walter-Jörg: »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«, Aufbauverlag, Taschenbuch, Berlin Januar 2006








»Die Götter der Steine«,
Teil 220 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von 

Walter-Jörg Langbein,                                                                                              
erscheint am 30.03.2014

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