Sonntag, 9. März 2014

216 »Maria-Mama, Pacha-Mama«

Teil 216 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


»Das ist Götzendienst! Primitiver Aberglaube! Da wird das Heiligste in den Schmutz gezogen!« Der junge Mann schimpfte. Wütend deutete er auf die bunte Puppe, die am Spiegel des wendigen kleinen Busses baumelte. »Und wie das aussieht! Als hinge sie am Galgen!« Ich betrachtete die kleine Figur etwas genauer. »Sie steht auf einer Mondsichel. Ich glaube, das soll die Gottesmutter Maria sein!« Der junge Peruaner schüttelte empört den Kopf. »Ob Maria-Mama oder Pacha-Mama ... Es gehört sich nicht, das Heilige so lächerlich darzustellen!«

Ruinen von Pachacamac heute. Foto Walter-Jörg Langbein

Wir waren unterwegs von Lima ins Tal des Rio Lurin – zum Heiligtum von Pachacámac. Ein älterer Mitreisender empörte sich. »Unerhört, die Gottesmutter Maria als Götze zu bezeichnen! Götzendienst haben die Inkas betrieben, als sie diese unsägliche Pacha-Mama angebetet haben!«

Nur vierzig Kilometer kurz war die Strecke von der Metropole Lima nach Pachacamac. Sie schien sich trotz recht guter Straßenverhältnisse schier endlos hinzuziehen. Und obwohl die Aircondition im kleinen Bus längst ihren Geist aufgegeben hatte, herrschte trotz sommerlich-heißer Temperaturen eine eisige Atmosphäre im wendigen Vehikel.

Zeremonialstraße von Pachacamac?
Foto Walter-Jörg Langbein

»Junger Mann!«, herrschte der ältere, gut gekleidete Herr den Peruaner an. »Ihr Heimatland ist doch längst zum wahren, zum katholischen Glauben bekehrt worden! Wie können Sie da so die Gottesmutter beleidigen?« Ärgerlich, aber auch mitleidvoll schüttelte der junge Mann aus Peru seinen Kopf. »Aber ich beleidige doch nicht die Mutter Gottes. Diese Götzenfigur würdigt das Heilige herab! Das Heilige hat kein Gesicht, es darf nicht in Form einer lächerlich baumelden Figur gedemütigt werden!«

Beim nächsten Halt an einer Tankstelle mitten im Niemandsland untersuchten die beiden Kontrahenten gemeinsam die kleine Figur am Spiegel. Sie konnten sich nicht einigen. Sollte nun Maria dargestellt werden oder Pacha-Mama?

Der junge Peruaner versuchte einen Kompromiss: »Ob es sich bei dieser merkwürdigen Darstellung um die Gottesmutter des katholischen Glaubens handelt … oder um Pacha-Mama, das ist doch gleichgültig!« Das wiederum empörte den älteren Herrn noch mehr. »Das ist übelstes Heidentum, schlimmste Ketzerei! Man darf doch nicht Maria gleichsetzen mit dieser ..., dieser Pacha-Mama!« In Pachacamac angekommen, kletterten die beiden Streithähne aus dem Bus und stapften in unterschiedliche Richtungen davon. Ich verlor sie aus den Augen.

Ruinen von Pachacamac. Foto Walter-Jörg Langbein

Pachacamac wurde ausnahmsweise nicht von den spanischen Plünderern und Marodeuren verwüstet. Die uralte heilige Stätte lag wohl schon weitestgehend in Ruinen, als sie von den Inkas entdeckt wurde. Die Inkas bauten auf alten Fundamenten »neue« Gebäude. Nach meinen Recherchen war den Inkas (1450-1550 n.Chr.) sehr wohl bekannt, dass Pachacamac einst ein Orakel beherbergte. Ja vermutlich bestand dieses Orakel sogar noch zu Zeiten der Inkas, als eine Art Delphi von Peru, auch wenn damals Pachacamac weitestgehend in Trümmern lag. Die Inka sollen sogar das Orakel von Pachacamac befragt haben, als die Spanier das Land immer brutaler und konsequenter ausplünderten. Das Orakel hat wohl versagt und nicht vor den Spaniern gewarnt.

Der Sonnentempel von Pachacamac. Foto Walter-Jörg Langbein

Woran glaubten die Erbauer von Pachacamac? Wir wissen es nicht. Heute »kennen« wir einen »Sonnentempel«, einen »Mondtempel«, einen »Pachacamac-Tempel«. Pachacamac war der große Schöpfergott zu Zeiten der Inkas. Perfide Bibelübersetzer bezeichneten den biblischen Schöpfergott Jahwe-Elohim als Pachacamac. Sie ersetzten Jahwe in einigen Ausgaben der Bibel durch Pachacamac. So sollte der Glaube an Pachacamac verdrängt werden. Es sollte den Pachacamac-Anhängern leichter gemacht werden, zum christlichen Glauben zu wechseln. Der alte, »heidnische« Glaube sollte verdrängt werden.

Der  Mondtempel von Pachacamac. Foto Walter-Jörg Langbein

Das aber gelang, wenn überhaupt, nur bedingt. Der Gott der Bibel trat für viele Nachkommen der stolzen Inkas nicht an die Stelle von Pachacamac, sondern an seine Seite. Und »Maria-Mama« wurde nicht die neue »Pacha-Mama«. Auch heute noch existieren beide im Volksglauben nebeneinander her. Allerdings ist für viele »Inka-Katholiken« Pacha-Mama eher das weibliche Gegenstück zum biblischen Jahwe. Sie wird als die weibliche Göttin, das heilige Weibliche, als »Göttin Kosmos« verehrt. Ihr ist das Leben auf Erden in all seinen Formen zu verdanken. Sie ist, wie die biblische Eva, »Mutter allen Lebens«.

Kultfigur vonPachacamac.
Foto: W-J.Langbein
Pacha-Mama kann man nicht bildlich darstellen, nicht als Heiligenfigur verehren. Es gibt Kultplätze aus uralten Zeiten, die heute nur noch Eingeweihten vertraut sind. Pacha-Mama ist das alles umfassende Göttliche, personifizierte Ausgleich zwischen »Himmel« und »Hölle«. Nichts ist für die Nachkommen der Inka nur gut oder nur böse. Übrigens: Der biblische Gott des »Alten Testaments« war ursprünglich auch gut und böse zugleich. Er wurde aber schließlich getrennt, in einen »guten Gott« und in den »Teufel«.

Die Inkas tolerierten ältere Glaubensvorstellungen. Da sie einen »Sonnen-« und einen »Mondtempel« in Pachacamac erneuerten, muss man davon ausgehen, dass einst in der ursprünglichen Kultstätte Göttin und Gott verehrt und angebetet wurden, die dann Pacha-Mama und Pachacamac genannt wurden.

Die Geschichte der christlichen Missionierung ist nicht unbedingt von Milde und Toleranz geprägt. »Heidnische« und andere Religionen wurden nicht selten mit Feuer und Schwert bekämpft. Letztlich führte diese rigorose Politik nur bedingt zum Ziel. Denn heute bestehen uralte »heidnische« Glaubensformen weiter neben den neuen, christlichen. So wird eben Pacha-Mama neben Maria-Mama oder Mama-Maria verehrt. Auch wenn das in Rom geleugnet wird, vor Ort toleriert der katholische Klerus weitestgehend dieses Nebeneinander. Wiederholt wurde ich Zeuge, wie katholische Geistliche an »heidnischen« Zeremonien mitwirkten.

Tanzen zu Ehren von »John Frum«. Foto: Walter-Jörg Langbein

Diese Methode kenne ich aus eigener Anschauung: Verdrängung durch Anpassung ...

Tanna, Südsee: 1940 wurde Gott John Frum verehrt. Der »Sohn Gottes« hauste angeblich unter dem Vulkan des Yasur-Vulkans. Der religiöse Kult wurde massiv bekämpft, aber vergeblich. 1952 wurden Mitglieder der Glaubensgemeinschaft ins Gefängnis geworfen. Fünf Jahre später formierte sich ganz offiziell die »John-Frum-Religion«. Ein halbes Jahrhundert später nehmen christlich orientierte Gruppen am »John-Frum-Fest«, wie ich selbst vor Ort beobachten konnte, teil. Offensichtlich versucht man, den Gottes-Sohn John Frum mit Jesus zu identifizieren.  Den Einheimischen soll eingeredet werden, dass der wirkliche John rum kein anderer als Jesus, der christliche Gottessohn ist! Dabei lautete doch eines der zentralen Gebote des »heidnischen« John Frum: »Glaubt nicht den christlichen Missionaren! Bleibt bei euren alten Bräuchen!«

Aus »John Frum« soll Jesus werden. Foto: Walter-Jörg Langbein

Teil 217 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von
Walter-Jörg Langbein,                                                                                              
erscheint am 16.03.2014



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