Teil 295 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Artemis |
Es lässt sich nicht wissenschaftlich belegen, dass Jesu Mutter in Ephesus leibhaftig in den Himmel aufgenommen wurde. Bewiesen ist allerdings, dass die Göttin des Lebens und des Todes Artemis im Tempel von Ephesus verherrlicht wurde. Wie kam es zur Anbetung der griechischen Göttin in Ephesus? Der mythologischen Überlieferung wurde der Tempel just dort geweiht, wo einst ein Bildnis der Göttin vom Himmel gefallen sein soll. Mit einer mächtigen Göttin kann es die bescheidene Magd Maria nicht aufnehmen. Oder doch? Gewiss, die vier Evangelisten behandeln die Mutter Jesu eher stiefmütterlich, verraten kaum etwas über die Mutter des Messias. Im Mittelalter allerdings übernahm die offizielle Theologie die Marienverehrung der gläubigen Menschen. Vielen Christen war das Christentum zu männlich, fehlte das Weibliche der Göttin, das aus konkurrierenden Religionen bekannt war. Und so wuchs nach und nach die bescheidene Maria zur Himmelskönigin, die sich mit dem Ehrentitel »Regina caeli« (zu Deutsch: »Königin des Himmels«) schmücken durfte. In der Fastenzeit wird Maria auch heute noch mit »Heil, Du Himmelskönigin« (»Ave, Regina Caelorum«) gehuldigt, in der Osterzeit frohlockt der gläubige Katholik »Freu‘ Dich, Du Himmelskönigin!«
Maria soll Artemis übertreffen. Und das erreichten die Theologen durch die Lehre von der »Himmelfahrt« Marias: Während Artemis als Statue vom Himmel fiel, stieg Maria in den Himmel auf, wo sie als »Himmelskönigin« mit Gottvater und Gottsohn eine neue Trinität bildet. Ist Maria die christliche Antwort auf Göttinnen und Götter, die vom Himmel zur Erde herab kamen? Just, wo Artemis verehrt wurde – im Tempel von Ephesus – soll Maria in den Himmel aufgenommen worden sein. Wurde die Gottesmutter und Gottesgebärerin Maria von den frühen Christen bewusst der heidnischen Göttin Artemis entgegengesetzt? Ja verdrängte Maria die heidnische Vorgängerin, weil sie den Artemis-Anhängern mit ähnlichen Attributen vorgestellt wurde? Heidnische Göttinnen bekamen nicht selten ein christliches Gewand. Und Stätten, an denen Göttinnen verehrt wurden, wurden in Orte der Verehrung Mariae verwandelt.
Foto 2: Artemis von Ephesus, Variante von Kybele und Maria? |
Im legendären Pantheon zu Rom wurde im ersten vorchristlichen Jahrhundert die Göttin Kybele verehrt. Kaiser Phakos schenkte das alte Heiligtum anno 608 dem Papst Bonifatius IV., der wiederum übertrug es schon ein Jahr später der Jungfrau Maria. Und wo heute Christen im Petersdom Maria um Fürsprache bitten, just da wurde einst der Großen Muttergöttin Kybele geopfert.
Noch ein Beispiel aus europäischen Gefilden! Erice, Sizilien, ist heute ein Wallfahrtsort für Katholiken. In der »Cattedrale di Santa Maria dell’Assunta« beten sie zu Maria. Wo der Himmelfahrt Marias gedacht wird, just da stand einst ein Tempel der Göttin, die im Verlauf der Jahrtausende immer wieder den Namen wechselte. So wurde Maria zur Nachfolgerin der Göttinnen Inanna, Aphrodite und Venus.
Im heutigen »Ville de Guadalupe«, unweit der Moloch-Metropole Mexiko City, strömen zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrtausends mehr Pilger als sonst wo auf unserem Planeten zur Anbetung der Maria zusammen. Ihr Ziel: die Basilika der Jungfrau von Guadalupe. Sie glauben, dass sich hier die berühmte »Jungfrau von Guadalupe«, eine Maria mit deutlich indianischen Zügen, offenbarte. Der Ort eines ausgesprochenen Marien-Kults, der Jahr für Jahr Millionen von Pilgern anlockt, war zuvor den Anhängern der heidnischen Göttin Tonantzin heilig. Ihr Heiligtum soll erst von den spanischen Eroberern, manche bevorzugen Bezeichnungen wie Plünderer, Räuber und Mörder, niedergebrannt worden sein. Maria verdrängte Tonantzin von ihrem heiligen Hügel. (1)
Wie sich doch die Ehrennamen gleichen! Tonantzin, »unsere verehrte Mutter« oder auch »Göttermutter«, wurde ersetzt. Maria, die »Muttergottes« trat an ihre Stelle. Tonantzin galt als »Mutter aller Götter«, Maria ist für Katholiken wie Protestanten die »Gottesmutter«. Klaus-Rüdiger Mai bringt es in seinem vorzüglichen Werk »Die geheimen Religionen/ Götter, Sterne und Ekstase« auf den Punkt (2):
Foto 4: Artemis von Ephesus, die Vorgängerin der Gottesmutter |
»Der Inbegriff des Christentums, die Theologie der Jungfrau Maria, ist im Grunde nicht christlichen Ursprungs, sondern eine Camouflage wesentlich älterer Kulte, nämlich der Kulte der Magna Mater, der Inanna, der Astarte, der Demeter, der Kybele oder Ceres, der großen … irdischen und unterirdischen Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheiten der heidnischen Welt. … Die Person der Gottesmutter half dem Christentum dabei, eine Lücke zu schließen, indem sie dem Bedürfnis nach einer Muttergöttin, nach einer Fruchtbarkeitsgöttin, nach einer Frau, an die sich Frauen in Not wenden können, ein Ziel gab. Und so wurde die pagane (heidnische) Muttergöttin in Ephesos christlich getauft. Interessanterweise gibt es eine schwarze Figur der Artemis, wie im Christentum die Schwarzen Madonnen verehrt werden.«
Der Legende nach hatte Juan Diego vom 9. Bis 12. Dezember 1531 auf dem »Berg« – es ist eher ein Hügelchen – Tepeyac mehrere Erscheinungen der Jungfrau Maria. Präziser: Die Gottesmutter soll ihm leibhaftig begegnet sein. Maria, so wird überliefert, zeigte sich ihm als vornehme, liebenswert-freundliche Frau mit indianischen Zügen. Sie gab ihm den Auftrag, ihr am Erscheinungsort eine Kapelle errichten zu lassen. Der Bischof, der Franziskanerpater Juan de Zumárraga, war zunächst skeptisch und glaubte ihm nicht. Schließlich gelang es Juan Diego, den hohen Geistlichen zu überzeugen.
Kurz gefasst: Die Gottesmutter gab Juan Diego den Befehl, Blüten zu sammeln, von Blumen die zum Zeitpunkt der Erscheinung – Trockenzeit – noch gar nicht blühten. Juan Diego gehorchte, trug das Gewünschte in seinem Umhang zusammen und eilte zum Kirchenmann. Als er vor dem Geistlichen die Blüten auf den Boden schüttete, zeigte sich auf dem Umhang ein wunderschönes Bild der Maria von Guadalupe. Heute, fast ein halbes Jahrtausend nach der Begegnung auf dem Hügelchen, wird der Umhang mit dem wundersamen, weil unmöglichen Bild, von Millionen von Pilgern in der Basilika von Guadalupe bestaunt.
Dieses »Bild« ist seinem Wesen nach eher eine Fotografie, es ist nicht gemalt und niemand vermag zu sagen, wie es hergestellt wurde. Der Stoff der Tilma ist, das haben strenge wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, tatsächlich rund 450 Jahre alt. Er stammt wirklich aus dem Jahr 1531. Das aber ist eigentlich eine Unmöglichkeit. Das Stoffgewebe wurde einst aus groben Agavefasern gewebt. Solcher Stoff hat eigentlich eine nur sehr begrenzte Lebenszeit, zerfällt gewöhnlich nach höchstens zwanzig Jahren. Wie konnte das Gewebe dann rund fünfhundert Jahre überdauern? Konservierungsstoffe wurden keine Gefunden.
Foto 6: Heutige »Heimat« der Jungfrau |
Rätselhaft ist nach wie vor auch das Bildnis selbst. Ein Gemälde ist es nicht, das ergaben Analysen von Professor Richard Kuhn, Nobelpreisträger aus Heidelberg. Nicht die kleinste Spur eines Pinselstrichs ist ausfindig zu machen. Farbe befindet sich weder oberflächlich auf, aber auch nicht in den Fasern. Verwirrend fiel das Ergebnis einer Untersuchung durch Spezialisten der Firma Kodak aus. Resultat: »Das Bild ist seinem Wesen nach eine Fotografie.« Damit wurde eine Entdeckung bestätigt, die der mexikanische Fotograf Alfonso Gonzales bereits 1929 gemacht hatte. Gonzales kam damals auch zu dem Schluss, dass sich irgendetwas in den Augen zwischen den teilweise geschlossenen Lidern widerspiegelt. Aber was?
Das fand der Augenarzt Dr. Jorge Escalante Padilla erst Jahrzehnte später heraus. Mit Hilfe von modernen Elektronikmikroskopen konnte er Winziges erkennbar machen. Dem verblüfften Wissenschaftler kam es so vor, als sei er mit Hilfe einer Zeitmaschine fast 500 Jahre in die Vergangenheit gereist. In den winzigen Pupillen ist eine anrührende Szene dargestellt. Dr. José Aste Tonsmann, Cornell-Universität, vergrößerte dieses unvorstellbar winzige Szenario auf das 2000fache. Mit Hilfe verschiedener optischer Filter gelang es ihm, auch noch so unscheinbare Einzelheiten erkennbar zu machen.
Foto 7: Maria von Guadalupe als Heiligenbildchen |
Man bedenke: Das Bildnis von der Jungfrau von Guadalupe ist nur 152,24 Zentimeter groß. Die Pupillen sind also weit kleiner als Stecknadelköpfe. Und doch spiegeln sie ein Szenario wider, so als handele es sich um »richtige« Augen eines lebendigen Menschen, der etwas betrachtet. Was? Da ist ein älterer Mann im Profil zu sehen. Vermutlich handelt es sich um Bischof Zumarrage. Der ältere Herr spricht angeregt mit einer weiteren Person, wahrscheinlich handelt es sich um den Dolmetscher Gonzales. Am Boden schließlich hockt Juan Diego. Man sieht deutlich, dass er gerade seinen Umhang, Tilma genannt, ausbreitet. Weitere unbekannte Personen sind als Zeugen zugegen: eine indianisch wirkende Frau mit einem Baby auf dem Rücken, ein jüngerer Indio, bei dem es sich um den Mann der Frau handeln könnte und ein kleiner Junge, vielleicht ein Sohn der Eheleute.
Man mag zur Legende um die Maria von Guadalupe stehen wie man will. Fakt ist, dass das der grobe Stoff der Tilma bereits vor Jahrhunderten hätte zerfallen müssen. Fakt ist, dass das Bildnis selbst eine Unmöglichkeit ist. Niemand vermag zu sagen, wie es entstanden ist. Fakt ist, dass die winzigen Darstellungen in den Pupillen der Maria von Guadalupe noch unmöglicher sind als die Tilma selbst. Es dürfte eigentlich weder Tilma noch das Bildnis darauf geben.
Warum war Bischof Zumarrage zunächst Juan Diego gegenüber reserviert und ablehnend? Das ominöse Hügelchen der Marienerscheinung war in den Zeiten vor der mörderischen Eroberung durch die christlichen Spanier ein wichtiges Heiligtum einer weiblichen Gottheit. Hier wurde einst Göttin Tonantzin von den Azteken verehrt. Der heidnische Tempel war »natürlich« von den Spaniern zerstört worden. Wollte Juan Diegeo, so überlegte der Bischof, die alte Göttin im Gewand der Maria neu aufleben lassen? Der hochrangige christliche Kirchenmann fürchtete immer noch die heidnische Konkurrenz!
Foto 8: Das Bildnis auf der Tilma, das Original in der Basilika |
Die christliche Maria von Guadalupe ist eine ehrwürdige heidnische Göttin in neuem Gewand. Die Maria von Guadalupe hat zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrtausends immer noch die Züge einer heidnischen Göttin.
Erinnern wir uns an die Erkenntnisse der intensiven Recherchen von Klaus-Rüdiger Mai (3): »Der Inbegriff des Christentums, die Theologie der Jungfrau Maria, ist im Grunde nicht christlichen Ursprungs, sondern eine Camouflage wesentlich älterer Kulte, nämlich der Kulte der Magna Mater, der Inanna, der Astarte, der Demeter, der Kybele oder Ceres, der großen … irdischen und unterirdischen Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheiten der heidnischen Welt.«
Fußnoten
(1) Bitte beachten Sie auch http://www.ein-buch-lesen.de/2010/12/das-wunder-von-guadalupe.html
(2) Mai, Klaus-Rüdiger: »Die geheimen Religionen/ Götter, Sterne und Ekstase«, Köln 2012, S. 124, untere Hälfte der Seite
(3) ebenda
Zu den Fotos
Foto 9: Ephesus-Bibliothek des Celsus |
Foto 1: Artemis von Ephesus, Foto Lutz Langer, creative commons
Foto 2: Artemis von Ephesus, Variante von Kybele und Maria?,Darstellung auf einer Münze, etwa
4-5 Jahrjundert v. Chr., Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Die Basilika von Guadalupe, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Artemis von Ephesus, die Vorgängerin der Gottesmutter, Darstellung auf einer Münze,
Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5 : Blick in die Basilika von Guadalupe, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Heutige »Heimat« der Jungfrau, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Maria von Guadalupe als Heiligenbildchen, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Das Bildnis auf der Tilma, das Original in der Basilika, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Ephesus-Bibliothek des Celsus: Foto shetta, creative commons
296»Maria und andere Göttinnen«,
Teil 296 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 20.09.2015
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